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Das Diskussionsverbot

Es gibt immer wieder erstaunliche Premieren: Die Wiener ÖVP hat wohl zum ersten Mal jemanden ausgeschlossen, weil er eine Gesetzesänderung verlangt hat. Jetzt weiß man endlich, was der Slogan "Ganz Neu" neben dem Photo von Christine Marek bedeutet. Den man ja bisher für Waschmittelwerbung halten musste. Persil ganz neu.

Der Anlass: Der Wiener Akademikerbund  hatte in einem Brief die Abschaffung des Verbotsgesetzes gefordert. Es gibt nun zweifellos sehr gute Gründe, gegen eine solche Abschaffung zu sein. Es könnte vor allem im Ausland als falsches Signal interpretiert werden - wenngleich niemand ernsthaft an eine neonazistische Renaissance glauben kann. Es gibt auch sehr gute Gründe, zumindest jene - erst Jahrzehnte später eingefügte - Passage des Verbotsgesetzes in Frage zu stellen, welche die Meinungsfreiheit verletzt, indem sie die Äußerung bestimmter (sachlich zweifellos abstruser) Behauptungen über die nationalsozialistischen Verbrechen unter Strafe stellt. Denn Meinungsfreiheit kann ja nur da relevant werden, wenn jemand skurrile, abstruse oder den Mehrheitsüberzeugungen widersprechende Meinungen von sich gibt. Mehrheitsmeinungen hingegen sind ja nicht wirklich schutzbedürftig. Meinungsfreiheit wiederum ist zweifellos das wichtigste Grundrecht, für das die Aufklärung und die vielen liberalen Revolutionen der Geschichte gekämpft haben.

Das also darf in der Wiener ÖVP nicht einmal mehr diskutiert werden. Wobei man sich freilich von einer Christine Marek auch nicht wirklich eine liberale Revolution erwartet hatte.

Wer freilich einmal anfängt, an der Meinungsfreiheit herumzuschnipseln, wird irgendwann in des Teufels Küche kommen. So wie es etwa in der jüngsten deutschen Diskussion um Helmut Schmidt der Fall ist, wo sich nun alle peinlich berührt wenden und drehen. Denn eigentlich müsste der große alte Mann der deutschen Sozialdemokratie - der trotz seiner 92 Jahre ein noch immer messerscharf argumentierender Herausgeber des linksliberalen Flaggschiffes "Die Zeit" ist und zusammen mit Konrad Adenauer der wohl beste deutsche Bundeskanzler war -  wahrscheinlich ein Wiederbetätigungs- oder zumindest ein Parteiausschlussverfahren bekommen, weil er in einer Talkshow Adolf Hitler (zusammen mit Barack Obama, Stalin und Mao) als "charismatischen Idealisten" bezeichnet hatte. Was zweifellos problematischer ist, als der Vorschlag einer Gesetzesänderung.

Selbst der "Spiegel" musste zugeben, dass etwa ein Guide Westerwelle wegen solcher Formulierungen mit Rücktrittsforderungen und einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss konfrontiert worden wäre. Schmidt hatte übrigens in einem autobiographischen Buch einst auch die Formulierung verwendet, dass er im Weltkrieg "seine Pflicht als deutscher Offizier" erfüllt habe. Haargenau die gleiche Formulierung, die in den Augen vieler Waldheim-Kritiker dessen allerschlimmstes Verbrechen gewesen ist.

Als er das geschrieben hatte, war Schmidt noch lange keine 92 Jahre gewesen (die bei ihm übrigens auch nur körperlichen, jedoch keinerlei geistigen Verfall ausgelöst hatten).

Kann man da eigentlich verstehen, dass immer mehr junge Menschen verzweifelt fragen, wie denn eigentlich die so oft behaupteten moralischen Maßstäbe dieser Gesellschaft wirklich aussehen und ob sie imstande sind, Gleiches gleich zu behandeln?

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