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Wer braucht ein ÖVP-Programm?

„Konservativ liegt voll im Trend.“ Nach der einst roten Bank Austria hat das nun auch die ÖVP entdeckt. Mit diesem Satz versuchte Josef Pröll am Freitag den Startschuss für eine zweijährige Programmdebatte der Volkspartei zu geben.

Noch vor wenigen Jahren, etwa unter den Parteichefs Busek und Riegler wurden Journalisten fast mit Ehrenbeleidigungsklagen bedroht, wenn sie das Vokabel „konservativ“ in Zusammenhang mit der ÖVP verwendeten. So ändern sich die Zeiten. Pröll liegt damit aber sicher richtig.

Eine wertebezogene Orientierung zu haben ist immer notwendig. Das machte bei der Startschuss-Veranstaltung auch Ludwig Steiner deutlich. Mehr als durch Worte tut das Steiner durch sein Leben: Als fast letzter Überlebender des Widerstandes gegen die Nazis, als Veteran des Staatsvertrages, und vor allem durch seine stets praktizierte Anständigkeit. Also durch einen in der heutigen Politik bei manchen total vergessenen Wert (siehe etwa die hier schon mehrfach angesprochene Millionen-Bestechung der Medien, den wohl größten Korruptionsskandal der zweiten Republik).

Dennoch muss klar sein: Programme haben mit dem Leben und Realisieren von Werten so gut wie nichts zu tun. In der wirklichen Politik schaut kein Machthaber nach, was zu jeder einzelnen Frage im Parteiprogramm steht. In welchem ÖVP-Programm finden sich etwa die Schwulen-Ehe und die damit verbundenen Kosten für die Steuerzahler? Welcher Parteitag hat sie in irgendeiner Weise beschlossen?

Aber nicht nur die faktische Irrelevanz solcher papierenen Programme macht diesen neuen Akzent der ÖVP mehr fragwürdig als überzeugend.

Denn zweijährige Programmsuchen sind auch eher typisch für Parteien, die nach einer Niederlage einen Selbstfindungsprozess beginnen müssen. Die ÖVP hingegen, so hätte man geglaubt, will und kann sich derzeit selbstsicher als die Alternative zu der schwer angeschlagenen SPÖ präsentieren. Und das sogar mit einigem Erfolg. Hat Pröll doch schon körpersprachlich die Ausstrahlung einer Nummer eins, die weiß, wo es lang geht. Programmsuchen signalisieren hingegen grundsätzlich und immer eher Unsicherheit. Dementsprechend hat ja auch der VP-Chef seinen Zuhörern viel mehr Fragezeichen als Richtungspfeile auf den Weg geben können.

Und das insbesondere, weil Pröll erst vor zwei Jahren einen umfangreichen „Perspektivenprozess“ geleitet hat. Das war ja nicht viel anderes als eine Programmdiskussion – mit dem für Pröll angenehmen Nebeneffekt, seinen Anspruch auf die künftige Parteiführung zu untermauern.

Schon der Perspektivenprozess hätte der Volkspartei aber auch zeigen können, dass bei solchen Diskussionen mehr Spaltungs- als Konsens-Tendenzen drinnen sind.

Wirklich Angst und Bange wurde einem bei der Programm-Start aber vor allem, als der Generalsekretär ankündigte, dass das Programm dadurch zustande kommen werde, dass „aus jeder Gemeinde der hellste Kopf“ mitdiskutieren werde. Da darf man viel Glück wünschen. Erstens, weil sich die hellsten Köpfe häufig als ganz gewöhnliche Stammtisch-Funktionäre entpuppen werden – und Funktionäre halt sehr oft weit weg von der Meinung der Bevölkerung liegen, die man mit sauberen (nicht manipulativen!) demoskopischen Methoden viel besser erfährt.

Und zweitens, weil die ohnedies immer wieder im Verdacht des Provinzlertums stehende ÖVP genau das Gegenteil bräuchte: Nämlich Inputs nicht von unten, sondern von außen. In diesem Land ist die intellektuelle Debatte so flach, hier sind die meisten Medien so verkommen, hier gibt es praktisch keine brauchbaren Think tanks und nur ganz wenige interessante Universitätslehrer, so dass die Debatte von unten natürlich auch keine brauchbaren Orientierungen ergeben kann.

Was der ÖVP statt dessen wirklich gut täte, wäre der Import von zumindest drei Dutzend ausgewählten internationalen Referenten, die dieses Land mit dem ganzen spannenden Debattenbogen konfrontieren würden, der sich international in dem dynamischen Bogen zwischen wertkonservativ und neoliberal abspielt. Gewiss, manche davon würden auch englisch reden, aber das Land und eine zukunftsorientierte Partei sollten ja nicht in der intellektuellen Mikrosphäre zwischen Krone und ORF verkommen.

PS: Manche kleine Fehlleistungen verdienen zu recht das Adjektiv „Freudsche“: So hat Pröll den VP-Chefs aus der Steiermark und dem Burgenland gute Wahlergebnisse fürs kommende Jahr abverlangt. Die ebenfalls vor einem Wahlkampf stehende (und anwesende) Christine Marek hat er hingegen nicht erwähnt. Nicht einmal er traut offenbar – zumindest in seinem Unterbewusstsein – Marek einen Wahlerfolg zu.

PPS: Und noch mehr musste man sich wundern, als Pröll in seinem weitausholenden historischen Rückblick die Namen Figl, Hurdes oder Riegler als wichtige politische Vorfahren rühmte. Den Namen des (ebenfalls tapfer anwesenden) Wolfgang Schüssel brachte jener Mann, der als erster nach Schüssel wieder schwarzer Kanzler sein will, hingegen nicht über die Zunge. Ich darf auch hier bei der starken Vermutung einer Freudschen Verdrängung angesichts des Übervaters Schüssel bleiben – auch wenn Pröll nachher im Privatgespräch beteuerte, dass er das eigentlich sehr vorgehabt, aber dann vergessen habe.

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