Diese Rede hielt der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz dieser Tage anlässlich einer Gedenkstunde im Wiener Landesgericht in jenem Raum, in dem von der Nazi-Justiz 700 politische Gegner und Widerstandskämpfer hingerichtet worden waren. Er wirft ein erschütterndes Bild auf die österreichische Justiz – auch noch in der Nachkriegszeit (Noch-Justizministerin Alma Zadic hatte diesem bedrückenden wie schlichten Gedenkraum für jene, die für Österreich eingetreten waren und die politisch den Nazis entgegengetreten waren, durch eine Gleichstellung mit anderen dort Hingerichteten wie Homosexuellen einen völlig anderen Charakter geben wollen. Das konnte vom Gericht im letzten Moment verhindert werden).
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Lotte Kaluzik an Adolf Hitler, 2. März 1944: "In meiner Sorge um meinen Vater wende ich mich an Sie, mein Führer. Nachdem ich in der Schule und auch von meinen Eltern lernte, wie vielen Menschen Sie schon aus großer Not geholfen haben, bitte ich Sie, auch mir zu helfen. Meine Mutti sagte mir, dass mein Vater nie mehr nach Hause kommen sollte. Ich bin elf Jahre alt und mein Bruder ist neun Jahre alt und wir können uns das nicht vorstellen, dass wir nun keinen Vater haben sollen, der doch immer so gut und lieb zu uns war.
Und so bitte ich Sie, mein Führer, auf das innerlichste, bitte helfen Sie unserem Vater, dass er wieder zu uns zurückkommen kann. Ich verspreche Ihnen, mein Führer, für diese Hilfe ewige Dankbarkeit. Mein Vater heißt Kaluzik Karl und ist in Wien im Landesgericht, Senat fünf, verurteilt worden."
Karl Kaluzik, Tischlergehilfe, gab sich in den Verhören als Analphabet aus, um dem Hochverratsvorwurf zu entgehen. Seine Briefe aus dem Gefängnis ließ er von Zellenkameraden schreiben. So auch seinen Brief an seine Frau Fini vom 2. Juli 1944:
"Sei innig bedankt für alle deine Liebe! In herzlichem Gedenken grüße ich alle lieben Verwandten und Bekannten. Dir, liebste Fini, und den Kindern sendet, im Geiste Euch umarmend und küssend, seine innigsten Grüße dein Karl."
In der Todeszelle E 44 war er auch mit Jakob Kastelic zusammen, der auch für ihn einen Brief geschrieben hat. Dann fügte Kastelic am Ende noch einige persönliche Zeilen an die Frau seines Zellengenossen, hinzu:
"Der Schreiber und Zellengenosse dankt für Ihre herzlichen Grüße und erwidert sie mit der Bitte, seinen aufrichtigen Dank für Ihr Mitgefühl entgegennehmen zu wollen."
Wer waren diese Männer, der vorgebliche – oder wirkliche? – Analphabet und der Akademiker, der für ihn die Briefe schrieb?
Kaluzik: Sein "Verbrechen" war, dass er bis 1942 monatlich 1.- Reichsmark für die "Rote Hilfe" gespendet hat. 1943 wurde er verhaftet, Anfang 1944 verurteilt.
Dr. Jakob Kastelic, (1897-1944) 12 Jahre älter als sein Zellengenosse, war 1930 christlich-sozialer Kandidat für den Nationalrat, 1933-35 Landesführer Wien der Ostmärkischen Sturmscharen und leitendes Mitglied bis 1938. Noch im selben Jahr gründete er die Großösterreichische Freiheitsbewegung und suchte Kontakt zu anderen Widerstandsbewegungen in ganz Österreich. Jakob Kastelic hat nicht auf die Moskauer Deklaration gewartet.
Damit, so die Urteilsbegründung Anfang 1944, habe er "die innere Tatseite der Vorbereitung zum Hochverrat und der Zersetzung der Wehrkraft verwirklicht". Er habe "die Errichtung eines selbstständigen, politisch unabhängigen, geeinten Österreich, befreit vom nationalsozialistischen Irrwahn" und die Loslösung der Donau- und Alpengebiete vom Reich" angestrebt. Das "Sicherungsinteresse von Volk und Reich erfordere die Unschädlichmachung aller Elemente, die die Widerstandskraft von Wehrmacht und Heimat auszuhöhlen trachten.
Man war in der Sprache dieses Gerichts kein Mensch mehr, sondern ein "Element". Ein besonders gefährliches, denn sonst hätte man nicht hinzugefügt, dass er als "führender Kopf den Mitgliedern der Großösterreichischen Freiheitsbewegung geistig überlegen war".
Zwei Gemeinsamkeiten: Die Zellengenossen Kaluznik und Dr. Kastelic repräsentieren die Bandbreite des Widerstands und der Hingerichteten.
- Sie warteten nicht auf die Moskauer Deklaration ("Österreich … wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird") vom Oktober 1943, sondern haben schon vorher und auf unterschiedliche Weise den Kampf für ein freies Österreich aufgenommen. Ihr Wirken war nicht massenwirksam. Dennoch präsentierten sie das bessere Österreichertum.
- Sie hatten aber noch eine tragische Gemeinsamkeit: Die Verhaftung durch Verrat. Die Großösterreichische Freiheitsbewegung wurde von einem Gestapo-Spitzel, dem Burgtheaterschauspieler Otto Hartmann, verraten.
Dessen Arbeit lobte der Gestapo-Mann Lambert Leutgeb, bei einem Verhör nach Kriegsende (1948): "Hartmann war in den monarchistischen Gruppen der österreichischen Freiheitsbewegung verankert und brachte von dort sehr gute und schöne Nachrichten. (Mang, Leutgebs V-Leute bei der Gestapo, S. 191)
Aufgrund dieser Spitzeldienste, den "guten und schönen Nachrichten" erhielt Hartmann nicht nur eine Belohnung von 30.000.- Reichsmark. Als Konsequenz seiner Denunziationen wurden 450 Personen ausgeforscht, 143 kamen in Haft und wurden angeklagt, zwölf hingerichtet. Auch für Dr. Kastelic endete die Spitzeltätigkeit des Schauspielers mit der Hinrichtung am 2. August 1944, ebenso für Karl Lederer und Roman Karl Scholz.
Sie überlebten nicht. Leutgeb und Hartmann schon.
Der Gestapomann Leutgeb wurde Küchenchef des Restaurants Festung Hohensalzburg, bevor er 1960 in Pension ging. Otto Hartmann, der Spitzel, wurde vom Volksgericht Wien am 22. November 1947 zu lebenslangem schwerem Kerker verurteilt. 1957 begnadigte ihn Bundespräsident Adolf Schärf. Hartmann, der sich als "schwer krank" vom Kriegsdienst gedrückt hatte, verstarb 90-jährig, hoch betagt 1994.
Auf dem Grabstein am Hernalser Friedhof liest man: "Unvergesslich – unersetzlich".
Was waren die Anklagen?
Die Liste der Delikte, die in den ehemals österreichischen Gebieten verfolgt wurden, war länger als jene im "Altreich". Ebenso lag der Prozentsatz der in der "Ostmark" vor Volksgerichtshöfen Angeklagten mit ca. 25 Prozent deutlich über dem Bevölkerungsanteil von etwa 10 Prozent.
Todeswürdig waren etwa:
- Nach der Bombardierung eines Betriebes das Entwenden eines 1,5 m langen Chromlederstreifen/Treibriemen als kriegswichtiges Gut,
- Rundfunkverbrechen, Weitergabe von Meldungen von Radio London oder Radio Moskau,
- Defätistische Äußerungen, Wehrkraftzersetzung (Rolle der Denunziation!),
- Verurteilung der Judenpolitik des Reiches,
- Bezeichnung der deutschen Wochenschau als gestellt,
- Begünstigung von Reichsfeinden, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern (eine engagierte Christin hatte Zwangsarbeitern Lebensmittel und Kleidungsstücke zugesteckt),
- Kriegsgefangenenschmuggel in Zügen, die zur Reparatur nach Frankreich geschickt wurden,
- Sabotage: Zerschneiden von Bremsschläuchen, Entfernung von Dichtungsring (schon die Unterlassung der Anzeige konnte für die Todesstrafe reichen),
- Diebstahl von Sprengkabeln (Erzberg),
- Briefaktionen, sammeln von Feldpostanschriften für Briefe mit wehrkraftzersetzendem Inhalt,
- Schaffung von Organisationen der Illegalität, insbesondere kommunistische Treffen und Organisationen (man kam dazu aus Moskau, dem besetzten Frankreich, Belgien mit gefälschten Papieren zurück, um Widerstandsorganisationen aufzubauen),
- Wehrmachtsangehörige konnten von Stalingrad zurückgebracht werden, wenn man daraufkam, dass sie dem kommunistischen Jugendverband angehörten.
Die Gerichte:
Die juristische Verfolgung erfolgte in der Mehrzahl der Fälle durch Volksgerichtshöfe. Diese bestanden aus fünf Personen: zwei Berufsrichtern – die österreichische Justizverwaltung war schon vor 1938 "national durchwachsen" - und drei Laien, die in der Regel NS-Funktionäre waren.
Darüber hinaus gab es für politische Delikte auch Oberlandesgericht und Sondergerichte.
Berufungsmöglichkeiten waren nicht vorgesehen. Es gab nur die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Oberreichsanwalt in Berlin. Die Begnadigungschancen waren gegen null.
Richter und Staatsanwälte nach Kriegsende
1945-1955 führte das Volksgericht Wien Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte durch, jedoch meist nach dem NS-Verbotsgesetz (Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihren Wehrverbänden 1933-1938).
Die Statistik der Verfahren ist ernüchternd: Von 52 Beschuldigten wurden acht verurteilt, Rechtskraft erlangten davon nur drei Verurteilungen.
Damit wurde der Großteil der beschuldigten Richter und Staatsanwälte rehabilitiert und in die österreichische Justiz übernommen.
Vom Volksgericht Wien bis zum Bundesministerium für Justiz (BMJ) ging man vom Grundsatz aus, dass das, was von 1938 bis 1945 Recht war, nach 1945 nicht Unrecht sein konnte.
Damit war die Anwendung von geltenden nationalsozialistischen Gesetzen im Dritten Reich durch Richter und Staatsanwälte nicht strafwürdig.
Ein folternder Beamter der Gestapo war in den Augen der österreichischen Nachkriegsjustiz auch dann strafbar, wenn er bei einer "verschärften Vernehmung" (=Folter) im Einklang mit seinen Dienstvorschriften gehandelt hatte.
Ein Richter, der diesen Häftling aufgrund des erfolterten Geständnisses verurteilt hatte, war dagegen in der österreichischen Nachkriegsjustiz nicht strafbar, sofern er nicht über das gesetzlich Gebotene oder Erlaubte hinausgegangen war und sich so genannte "Exzesse" wie Beschimpfungen, Beleidigungen, Quälereien oder Drohungen zuschulden kommen lassen hatte.
Das Problem: Es gab wenige Zeugen. Beschimpfungen durch Richter wurden nicht protokolliert.
Eine Kindheitserinnerung:
Als Kind an der Hand meiner Mutter musste ich in Weyer, Oberösterreich, einen älteren Herrn grüßen. Meine Mutter sagte mir, der sei ein Gerichtspräsident, der in der Kriegszeit Todesurteile fällen musste.
Der Mann hieß Friedrich Russegger. Ein Verwandter von ihm war Inhaber der Apotheke Russegger in Weyer und FPÖ-Gemeinderat. Friedrich Russegger hatte als Richter zumindest neun Todesurteile wegen politischer Handlungen gefällt. Er war als Richter über die Anträge des Staatsanwalts hinausgegangen.
Er wurde am 4.6.1947 wegen brutaler Verhandlungsführung (er hatte z.B. einen Angeklagten angeschrien "Schade, dass Sie nicht drei Köpfe haben und daher nur einmal hingerichtet werden können") zu 18 Monaten verurteilt.
Beim Urteilsspruch über Rusegger meinte der Vorsitzende: "Ich habe sie statt zu zehn Jahren nur zu 18 Monaten schweren Kerkers verurteilt. Wenn Sie aber glauben, dass Ihnen durch dieses Urteil Unrecht geschehen ist, dann können Sie es durch den Obersten Gerichtshof überprüfen lassen", und er fügte noch hinzu: "Ich wünsche lhnen, dass es aufgehoben wird."
Am 13.3.1948 wurde das Urteil aufgehoben, die Untersuchungshaft angerechnet.
Obwohl ihn selbst der Oberste Gerichtshof als illegalen, fanatischen Nationalsozialisten bezeichnete, habe er, Russegger, in seiner richterlichen Tätigkeit nicht als Nationalsozialist, sondern als Organ des Staates gehandelt.
Seine brutale Verhandlungsführung erklärte das Berufungsgericht durch seine Nervosität und den Druck, den das Regime auf ihn ausgeübt habe. Es bescheinigte ihm nach entlastenden Aussagen von Richterkollegen und einer seiner Protokollführerinnen sogar, ein objektiver Richter gewesen zu sein.
Ich habe ihn brav gegrüßt. Man grüßte am Land alle.
Russegger war aber bei weitem nicht der einzige. Diese Richter verkündeten Urteile, auch Todesurteile.
Schwester Restituta
Helene Kafka (1894-1943), Dienstmädchen, Tabakverkäuferin, Krankenpflegerin in Wien Lainz; Eintritt in den Orden der Franziskanerinnen.
"Im Dezember 1941 ersuchte die Angeklagte die in der Röntgenabteilung des Krankenhauses beschäftigte Zeugin, ihr von zwei staatsfeindlichen Flugblättern ... einen Durchschlag herzustellen. Bei diesen Flugblättern handelt es sich um eine Schmähschrift mit der Überschrift ‚Soldatenlied‘."
Hingerichtet 30. März 1943, 18:20.
Die Krankenpflegerin Helene Kafka, besser bekannt als "Schwester Restituta", wurde am 21. Juni 1988 seliggesprochen. Ein 2009 von Alfred Hrdlicka geschaffenes Relief in der Barbarakapelle im Wiener Stephansdom erinnert an sie. Auf der Brust finden sich die Namen jener sechs kommunistischen Straßenbahner, die an diesem Abend mit ihr hingerichtet wurden.
Gnadengesuche
Zwischen der Urteilsverkündigung und der Vollstreckung vergingen meist 90 Tage. Innerhalb dieser Frist konnte ein Gnadengesuch nach Berlin gerichtet werden.
Die Verurteilten hatten kaum Illusionen:
Josef Kohlitz, 1896 - 7. Jänner 1943, Straßenbahner.
Kassiber: "Heute sind es bereits 168 Todeskandidaten, alle innerhalb einer ganz kurzen Zeit. Du siehst, es sind Bestien, die Urteile fällen. Ich bin der Überzeugung, dass man von denen keine Begnadigung erhoffen kann. Ihr Ziel ist die Ausrottung."
Otto Georg Thierack, Reichsminister für Justiz, hatte im Ministerium einen 24-Stunden-Dienst eingerichtet, um die Begnadigungsansuchen rasch abschlägig beantworten zu lassen.
"In der Strafsache gegen die vom Volksgerichtshof am 10. Juni 1942 wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Zersetzung der Wehrkraft, Landesverrat und landesverräterischer Begünstigung des Feindes zum Tode verurteilten Ebner, Schmaldienst und Steindl habe ich mit Ermächtigung des Führers beschlossen, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen, sondern der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen." Berlin, den 19. Dezember 1942 Der Reichsminister der Justiz"
Hand in Hand mit dem Urteil ging die Bürokratie
Schreiben des Präsidiums der Generalpostdirektion vom 28. Dezember 1942 an einen Werkmeister: "Der Volksgerichtshof hat sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tod verurteilt. Mit Ablauf dieses Tages sind sie gemäß Deutsches Beamtengesetz, Paragraph 53, aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden und ihres Anspruches auf Dienstbezüge und Versorgung verlustig geworden. Die für den November dieses Jahres bereits ausgezahlten Bezüge werden Ihnen jedoch belassen. Die während der Dauer der vorläufigen Dienstenthebung eingehaltenen Teile ihrer Dienstbezüge sind verfallen."
Die Todesstrafe
Die Konstituierende Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich schaffte am 3. April 1919 die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren ab. (Artikel 85 der Bundesverfassung 1920). Bestehen blieb sie nur mehr für das Verfahren nach standrechtlicher Ordnung: Da konnte sie für den Fall des Aufruhrs oder des "besonders gefahrdrohenden Umsichgreifens" schwerer Verbrechen ausgerufen werden.
Als die Bundesregierung im November 1933 von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch machte, war dies einer der Schritte von der Demokratie zur Diktatur. (Die erste Hinrichtung wurde an einem Mann, der Feuer an einen Heuschuppen gelegt hatte, vorgenommen.)
Einen Scharfrichter hatte man vorausschauend schon drei Monate vor Verhängung des Standrechts gefunden.
- In der Zeit des Bürgerkrieges 1934 und des autoritären Ständestaates bis 1938 wurden von 141 Todesurteilen 44 vollstreckt.
- In der NS-Diktatur von 1938 bis 1945 weist in etwa derselben Zeitspanne von vier Jahren (die Hinrichtungen im Landesgericht begannen 1941/42) das "Hinrichtungsbuch" eines einzigen – allerdings des größten – Gerichtshofes auf österreichischem Boden, des Straflandesgerichtes Wien, die Namen von 1.184 Hingerichteten auf.
Die Hinrichtungen erfolgten bis 1938 wie in der Monarchie auf dem österreichischen Würgegalgen. 1938 wurde die Guillotine, das "F-Gerät", "F" für Fallbeil, eingeführt.
Nach 1945 meinte man zunächst, auf die Todesstrafe nicht verzichten zu können. Sie wurde immer wieder, befristet auf meistens ein Jahr, verlängert. Man verwendete für Hinrichtungen von 46 Personen wieder den Würgegalgen.
Am 24. Mai 1950 scheiterte ein neuerlicher Antrag auf Beibehaltung: In geheimer Abstimmung gab es 86 Stimmen dagegen bei 64 dafür.
1968 kam es zur völligen Streichung aus den österreichischen
Strafgesetzen führten.
Besuchsmöglichkeiten
Fleischmann Josef, Maurergehilfe, Kottingbrunn, 1912-1943. Ein Zellengenosse berichtet:
"Der Fleischmann, mein Zellengenosse, und ich haben beide Besuch gehabt im Landl. Frau Fleischmann hat den kleinen Seppi mitgehabt, der war vielleicht anderthalb Jahre. Mein Zellengenosse hat versucht, die Hand von seinem Kind zu streicheln, die Maschen vom Gitter sind aber so dicht, dass nicht einmal die kleine Hand durchgeht. Nur einen Finger von dieser Kinderhand kann der Sepp berühren und will ihn küssen, da brüllt die Wache schon wie verrückt, der kleine Seppi wird weggerissen, die Besuchszeit wird beendet. Mein Zellengenosse hat sein Kind nie wieder gesehen."
Etwa 400 österreichische Kinder wuchsen als Folge der NS-Justiz als Halbwaisen auf. Auch die Brüder Kastelic waren nach dem Tod ihrer Mutter im Krieg Waisen. Sie wurden von einer Frau Hanika aufgezogen, die Jahre inhaftiert gewesen ist und deren Verlobter im Landesgericht hingerichtet wurde.
Letzte Briefe
- Kassiber vom 5. Jänner 1943: "Die harte Zeit beginnt wieder, ich kann dir das Gefühl nicht beschreiben. Gestern ging der Pfarrer wieder in einige Zellen, das ist immer ein schlechtes Zeichen. Bestimmt kommen wieder welche hinüber (in die "Armensünderzelle" = Todeszelle im Trakt E). Werde auch ich dabei sein?" (Hingerichtet zwei Tage später)
- "Ich schreibe mit einer 1m langen Stahlkette am linken Fuß und an der rechten Hand." Buntpapierschnitzel für das Kind – durch korrupten Aufseher hinausgeschmuggelt.
- "Meine Lieben, seid bitte recht brav und haltet euren Vater und Mutter in Ehren."
- "Erziehe unsere Kleinen zu anständigen, aufrechten und braven Menschen."
- "Versuche es zu ermöglichen, dass mein Sohn gute Schulen besuchen kann."
- "Ich hoffe, dass Du nach meiner Hinrichtung einen guten Kameraden finden wirst."
- "Nicht weinen, sondern von neuem beginnen, stark sein!"
- "Seid nicht böse auf mich liebe Eltern was ich euch in diesen zwei Jahren für Kummer und Sorgen angetan habe."
- "Ich schicke dir ein paar Haare als ewiges Andenken."
- Auf ein Foto des Kindes: "Erfülle deines Vaters Hoffnungen. Dein Vater. Gestorben am 19. November 1943" (Das Foto ist erhalten)
- Jakob Kastelic: "Lieber Norbert, du hast dein kleines Brüderlein lieb. Daher musst du der Mama helfen … Du musst brav und artig sein. Erinnerst du dich deines Papas?"
Die Hinrichtungen
Am Hinrichtungstag durften die Verurteilten einen Abschiedsbrief schreiben. Die Abschiedsbriefe finden sich – inklusive von Haarbüscheln – in den Akten. Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 wurden die Abschiedsbriefe zum Teil nicht mehr ausgehändigt. Dies dürften damals die Todeskandidaten gewusst haben.
Die Höchstzahl war am 31. Juli 1943 mit 31 Delinquenten, im Verlauf von einer Stunde, inbegriffen war die Verlesung des Urteils, am Tag darauf 30 Personen. Die Vollstreckung dauerte Sekunden. Der Ablauf der Hinrichtung ist von evangelischen Pfarrer Hans Rieger, beschrieben worden.
Im Gefängnistrakt I und II konnte man die dumpfen Schläge des Fallbeils hören. Die Häftlinge dieser Abteilungen wussten daher zumeist die Zahl der Todesopfer. Sie zählten nur ein Opfer zu viel, da der Scharfrichter selbst vor Beginn der Exekutionen jedes Mal einen Probehieb führte.
Sobald sie die Hinrichtungen bemerkten, ertönte laut schallend die Rufe "Mörder!" Es wurden daher über das ganze Stockwerk disziplinäre Strafen verhängt. Die Rufe wiederholten sich dennoch immer wieder. Der evangelische Gefängnispfarrer Hans Rieger über das "F-Gerät": "Man hört sie direkt sterben."
"Informationen"
So las der 13-jährige Sohn von Anton Strömer, als er am 19. September 1942 am Schlingermarkt in Wien-Floridsdorf einkaufen ging, das Plakat über die Bekanntmachung der Hinrichtung seines Vaters.
Bis ins Jahr 1943 wurde über ausgewählte Hinrichtungen auf Bogenplakaten im Wohnumfeld des Opfers informiert. Die Plakate wurden von der Staatsdruckerei am Rennweg hergestellt.
In manchen Fällen erfuhren die Hinterbliebenen erst durch diese Plakate, dass ein Familienangehöriger hingerichtet worden ist.
Reaktionen
Die Kreisleitung Eisenstadt:
"In Erledigung Ihres Auftrages teile ich Ihnen mit. Die Verurteilung des Matthias Karlowitz zum Tode hat in der Bevölkerung vom Siegendorf im Allgemeinen eine gute Resonanz ausgelöst. Viel Volks- und Parteigenossen sagen hierzu, es sei im Recht geschehen, beziehungsweise er hätte es verdient. Seine Frau und die nächste Verwandtschaft hat sich bemüht, unter der Bevölkerung Unterschriften für ein Gnadengesuch zu sammeln. Der Verurteilte hatte für seine Frau und für sein 14-jähriges Kind, Mädchen, zu sorgen. Er ist vermögenslos."
Die Anatomie
Der Reichsminister der Justiz, 1. November 1943: "Bei der Überlassung der Leichnam an ein Institut ist das Anatomische Institut der Universität in Wien zu berücksichtigen. Von einer Bekanntmachung in der Presse durch Anschlag bitte ich abzusehen."
Eine Verordnung aus dem Februar 1939 hielt fest, dass die Angehörigen keinen Anspruch auf die Leichen der Hingerichteten hatten.
Niemand wusste definitiv, wie mit den Leichen verfahren wurde. Es gab jedoch Vermutungen, die die Wahrheit recht gut trafen. Das betraf sowohl die Abgabe der Leichen ans Anatomische Institut als auch deren geheime Beisetzung auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Manchmal gelang es Müttern, ins Anatomische Institut vorzudringen. Sie fanden sie dort "wie Schlachtvieh aufgereiht" und kaum zu erkennen. "Die Köpfe steckten zwischen den Beinen".
Zur Suche nach den Leichenteilen des hingerichteten Widerstandskämpfers Jakob Kastelic gibt es einen detaillierten Bericht der Ziehmutter der beiden kleinen Söhne, Frau Anna Hanika, die selbst Widerstandskämpferin gewesen ist. Die Reaktion des Leiters der Anatomie, Doktor Bauer: "Dieses ewige Leichensuchen! Dann liegen sie wieder wochenlang bei uns herum. Dieses Suchen muss aufhören. 70 % der Justifizierten sind ohnedies Verbrecher, um die ist nicht schade. Und wegen der anderen 30 % kann man sich solche Arbeiten nicht machen. Die Anatomie braucht eben Leichen!"
Der Zentralfriedhof
Die Gruppe 40 des Wiener Zentralfriedhofs ist seit 1890 eine sogenannte Schachtgräberanlage. Leute, die sonst niemand beerdigte, wurden dort beerdigt. Insgesamt wurden in dieser nahezu 2 Hektar großen Gruppe 40 bis 1914 circa 20.000 Menschen begraben.
Auf einem Teil dieser Gruppe wurden die zwischen 1942 und 1945 Hingerichteten geheim vergraben. Die klandestine Beisetzung von Leichen, die vom Anatomischen Institut an die Friedhofsverwaltung ausgefolgt wurden, erfolgte bis etwa 1957.
Seit dem Gesetz vom 7. Juli 1948 liegt die Zuständigkeit für die dauernde Erhaltung und Pflege der Gräber von Opfern des Faschismus beim Bundesministerium für Inneres. 1996 entzog sich das Bundesministerium für Inneres durch die Rechtskonstruktion "Familiengräber" der Pflege der Gräber ermordeter Widerstandskämpfer.
Jakob Kastelic wurde 1946 in einem Familiengrab bestattet.
Wurde. Für ihn gibt es zum Unterschied von Schlagersängern und Sportlern kein ehrenhalber gewidmetes Grab. Die Grabpflege obliegt den Söhnen und der Familie.
Das Umdenken dauerte lange: Noch im Jahr 2001 hieß es nach einer Auskunft der Magistratsabteilung 43, dass die Gräber der Gruppe 40 nicht mehr mit Blumenstöckchen geschmückt werden sollen. Dies sei in einer Sparmaßnahme des Innenministeriums angeordnet worden.
Erst mehr als zehn Jahre später und nach zahllosen Bemühungen der Hinterbliebenenvereinigungen und der Publikation des umfassenden Buches von Willi Weinert wurden neue Fakten gesetzt.
2013 wird die Gruppe 40 zur nationalen Gedenkstätte erklärt. Schüler der Berufsschule Schrems sanieren zahlreiche Gedenksteine.
Der Hinrichtungsort im Landesgericht
Am 1. November 1945 gedenkt man am Zentralfriedhof erstmals der im Landesgericht hingerichteten Opfer. 1949 führt eine Delegation von Vertretern der Opferverbände mit dem Präsidenten des Landesgerichts, Otto Nahrhaft, Gespräche über eine Gedenkstätte im ehemaligen Hinrichtungsraum.
1950 erfolgt eine Ablehnung durch das Bundeskanzleramt mit der Begründung, dass es in Österreich bereits genügend Gedenkstätten gäbe. Das Justizministerium, Justizminister war der Sozialist Otto Tschadek, als Sozialdemokrat vor 1938 inhaftiert, später Militärrichter in Kiel (mit Todesurteilen) lehnte die Übernahme der Kosten ab. Seit "langem werde der Raum als Lager für Stoffe und Monturen der Justizwachebeamten genutzt", er könne nicht zur Verfügung gestellt werden.
1951 kommt es dennoch erstmals im Rahmen eines Kongresses der Internationalen Widerstandsvereinigung zu einer Kranzniederlegung im Landesgericht im ehemaligen Hinrichtungsraum. Noch während der Tagung des Kongresses wurde der Raum wieder in ein Depot verwandelt. Danach kam es vereinzelt zu Gedenkveranstaltungen in diesem Raum.
1967 wird hier im Landesgericht der von Architekt Wilhelm Schütte (Gemahl von Schütte-Lihotzky) neu gestaltete Gedenkraum im Rahmen einer Feier zugänglich gemacht. Bundeskanzler Josef Klaus und Rosa Jochmann sprechen. Rektor Heinrich Zeder weihte den Raum.
2015 werden an der Front des Wiener Landesgerichts Zeittafeln zur Geschichte des Grauen Hauses angebracht, auf welchen auf die Zeit von 1938 bis 1945 und die in dieser Zeit hier erfolgten Hinrichtungen eingegangen wird.
2015 wird in der Grünanlage vor dem Landesgericht eine Stahlpyramide von Eva Schlegel zum Gedenken an die 1942-1945 hingerichteten Menschen enthüllt. Die Zahl "369" erinnert daran, dass Österreich 369 Wochen lang besetzt und seiner Eigenstaatlichkeit beraubt war.
Im Juni dieses Jahres 2024 wurde nach jahrelangem Einsatz der Opferverbände und Bemühungen von Präsident Forsthuber die Ausstellung im Vorraum des Hinrichtungsraumes in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes neu gestaltet.
Persönliches Schlusswort
1973 habe ich als junger Gymnasiallehrer mit meinen Schülern mit einem Sprechchor künstlerisch des Ortes zu gedenken versucht. Dennoch habe ich in einem halben Jahrhundert für das, was hier geschehen ist, die zerstörten Hoffnungen, das Leid der Familien bis in die nächste Generation, das ohnmächtige Warten auf die Hinrichtung bis heute keine ausreichenden Worte gefunden. Man stößt bei dieser "Reise in das Herz der Finsternis" an die Grenzen der Sprache. Sie kann die Qualen, die hier erlitten wurden, nicht wiedergeben. Sie sind un-sagbar und un-beschreibbar.
Man hat die hier Ermordeten nach 1945 als "die wahren Helden" gewürdigt.
Heute ist der Begriff "Opfer" allgegenwärtig, inflationär. Er ebnet allerdings viele unterschiedliche Schicksale ein. Die Hingerichteten hier verstanden sich nicht als Opfer, sondern als Kämpfer für Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
Ausdrücke wie "schrecklich, grausam, furchtbar" mögen ernst gemeint sein, aber sie geben nicht wieder, was hier Menschen angetan worden ist. Ihr inflationärer Gebrauch mag ernst gemeint sein, macht sie aber dennoch allzu leicht zur Floskel.
Warum sind wir hier?
Vielleicht um etwas zu wissen, nicht zu schweigen und um ein Quäntchen mehr Mut, wenn die Würde von Menschen verletzt wird.
So beginnt es ja. Wir riskieren mit etwas mehr Mut heute nicht viel. Wenn wir das in den Alltag mitnehmen: "Etwas mehr Wissen; da und dort erzählen, bei Gelegenheit reden und ein bisschen mehr Mut" war der Tod dieser Menschen hier nicht vergebens.
Dr. Kurt Scholz, geboren 1948, war von 1992 bis 2001 Stadtschulratspräsident von Wien und anschließend bis 2008 Sonderbeauftragter der Stadt Wien für Restitutions- und Zwangsarbeiterfragen.