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Das „Wunder“ Javier Milei: Argentinien als Blaupause für den Rest der Welt?

Die Wahl des "Anarchokapitalisten" Javier Milei zum Staatspräsidenten Argentiniens im Dezember 2023 kam für viele Beobachter überraschend und war weltweit für alle Sozialisten, Interventionisten und Etatisten ein Schock. Ein "radikalliberaler" Krawallmacher und erklärter Staatsfeind an der Spitze eines Staates? Unerhört!

Doch für die Kenner der jüngeren Geschichte Argentiniens ist die Kür des libertären Ökonomen gar nicht so schwer zu verstehen. Viele Jahrzehnte faschistischer und sozialistischer Misswirtschaft in Verbindung mit einer haarsträubenden Korruption haben den Leidensdruck im einst reichsten Land Südamerikas so weit verstärkt, dass die Zeit einfach reif war für die von Javier Milei angekündigten, radikalen Reformen.

Milei hat aus seinem Herzen zu keiner Zeit eine Mördergrube gemacht. Er hat die Wähler nicht mit Schalmeientönen und verlockenden Ankündigung "sozialer" Wohltaten, sondern mit einem rabiaten Rückbauprogramm für den überbordenden Wohlfahrtsstaat gewonnen. Als Vertreter des radikalen Flügels der Libertären ist sein Ideal nicht der Minimalstaat, der sich auf Kernaufgaben zurückzieht (und den der deutsche Sozialist Ferdinand Lassalle einst als "Nachtwächterstaat" abgewertet hat), sondern gar kein Staat! Mileis Ziel ist die Verwirklichung einer staatsfreien Privatrechtsgesellschaft, in der jeder – frei von einem mit Zwangsgewalt ausgestatteten Vormund – die Chance hat, sein Glück zu suchen und zu finden.

In den Jahren vor seinem über das korrupte Establishment Argentiniens errungenen Wahlsieg führte Milei unter Einsatz einer gelegentlich brachialen Rhetorik einen Kulturkampf gegen den alles erstickenden Etatismus im Lande. Das geistige Rüstzeug dafür lieferten ihm, der in seinen jungen Jahren noch ein Anhänger der Keynesianischen Wirtschaftstheorie war, die Werke führender Protagonisten der "Österreichischen Schule", wie etwa "Human Action" von Ludwig Mises, "The Road to Serfdom" von F. A. Hayek und "Man, Economy and State" von Murray Rothbard. Letzterer, ein Schüler des in die USA emigrierten Ludwig Mises, entwickelte dessen theoretisches Gedankengebäude weiter, ergänzte es um das "Nichtaggressionsprinzip" und wurde zum Begründer des "Anarchokapitalismus". Er vollzog den konsequenten Schritt vom "Minarchisten" (Befürworter eines Minimalstaates) zum Anarchisten.

Javier Milei zählt auch den führenden lebenden Theoretiker des Libertarismus, den Ökonomen Hans-Hermann Hoppe, zu seinen geistigen Vorbildern. Hoppe (geb. 1949):

"Der Staat soll demaskiert und präsentiert werden, als das, was er wirklich ist: Eine von Banden von Mördern, Plünderern und Dieben geführte Institution, die von willigen Vollstreckern, Propagandisten, Kriechern, Betrügern, Lügnern, Clowns, Scharlatanen und nützlichen Idioten umgeben ist – eine Institution, die alles beschmutzt und verdirbt, was sie berührt."

Diesen Satz hat Javier tief verinnerlicht. Der Staat bringt keine Lösung, er ist vielmehr das Problem, das es auszumerzen gilt.

Libertäre Anarchisten lehnen gewöhnlich jedes politische Engagement aus prinzipiellen Gründen ab, weil sie sich der großen Gefahren bewusst sind, die von der Macht ausgehen. Motto: Halte Dich fern von der Politik, denn dabei handelt es sich um ein wesensartig schmutziges Geschäft! Denn im Gegensatz zu den auf einem Markt herrschenden Prinzipien von freier Übereinkunft und Vertrag herrschen in der Staatssphäre stets Zwang und Gewalt. Javier Milei hat sich dennoch dazu entschlossen, seinen freiheitlichen Idealen mit politischen Mitteln zum Durchbruch zu verhelfen. Das bloße Vertrauen auf einen langfristigen Sieg der besseren Ideen (auf den F. A. Hayek gesetzt hatte) war und ist ihm nicht genug.

Bezeichnend für seinen bisherigen Erfolg (beispielsweise bei der Haushaltssanierung, dem Rückbau des Staates und der Inflationseindämmung) ist, dass seine Reformen besonders bei der Jugend überaus populär sind und die Zustimmung zu seiner Politik auch 10 Monate nach seiner Amtsübernahme noch immer stetig wächst.

Doch Milei bewegt sich auf dünnem Eis, da er immer noch einer Phalanx politischer Gegner gegenübersteht, die den "tiefen Staat" repräsentieren. Und die wollen natürlich um jeden Preis verhindern, dass seine libertären Reformen gelingen. Da Mileis Partei im Parlament über keine Mehrheit verfügt, ist er auf Allianzen angewiesen. Er muss also – zumindest derzeit noch – geschickt taktieren. Eine Tabula-rasa-Politik kann er aus praktischen Gründen nicht durchziehen. 

Wer ein Haus saniert, wird sinnvollerweise nicht mit einem neuen Anstrich beginnen. Er muss zunächst marode Leitungen sowie den alten Estrich herausreißen und den Verputz abschlagen – was die Hütte zunächst noch hässlicher aussehen lässt als zuvor. Der argentinische Radikalreformer steht vor derselben Herausforderung. Mileis an die Wurzel gehende Reformen brauchen Zeit – wohl einige Jahre –, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Gegenwärtig ist er zu Kompromissen gezwungen, um nicht durch von der Opposition angezettelte Generalstreiks oder gar einen Militärputsch weggefegt zu werden. So konnte er beispielsweise die angekündigten Steuersenkungen noch nicht durchsetzen. Des Wohlwollens des Militärs wiederum versucht er sich durch teure Rüstungskäufe in den USA (F-16-Kampfjets) und Gehaltsboni für die Soldateska zu versichern. Das widerspricht zwar der von ihm propagierten "reinen Lehre", ist aber zum momentanen Zeitpunkt wohl unvermeidlich.

Einen guten Indikator dafür, dass Milei mit seiner Politik auf gutem Wege ist, liefert der Umstand, dass Politik und Presse in Euroland seit Dezember 2023 kaum ein Wort auf Berichte über Argentinien verschwenden. Nichts wäre den Sozialisten in allen Parteien und Schreibstuben unangenehmer als der von Milei erbrachte Beweis, dass nicht mehr, sondern weniger Staat Freiheit und Wohlstand bringt. Die (wenigen) Liberalen und Libertären in allen Ecken dieser Welt blicken gespannt und voller Hoffnung nach Argentinien. Sollten die "anarchokapitalistischen" Reformen Javier Mileis zum Erfolg führen und das Land nach vielen verlorenen Jahrzehnten sozialistischer Realpolitik tatsächlich aus dem Sumpf ziehen, würde das eine Blaupause für den ebenfalls am Interventionismus erstickenden Rest der Welt liefern.

Wer sich tiefer ins Thema versenken möchte, dem sei ein Buch des in Madrid an der Universidad Rey Juan Carlos Volkswirtschaftslehre unterrichtenden Ökonomen Philipp Bagus zur Lektüre empfohlen: Die Ära Milei – Argentiniens neuer Weg

 

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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