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Vier Erkenntnisse zum „Austrofaschismus“

Man entkommt dem Austrofaschismus nicht, in keinem Februar und nicht vor Wahlen und dazwischen auch nicht. Die Austrofaschisten werden immer wieder aus der historischen Mottenkiste geholt, obwohl sie gar nicht drinnen sind.

Denn niemand kann heute sagen, was der Heimwehrführer Starhemberg mit dem Wort eines spezifisch österreichischen Austrofaschismus gemeint haben könnte – nur eines ist gewiss: dass er bei aller Hinwendung eine Abgrenzung zum italienischen Vorbild des Faschismus ziehen wollte. Außer einer dreizeiligen Absage an den Parlamentarismus wenige Tage nach dem blutigen Schutzbundaufstand im Februar 1934 gibt es von Starhemberg keine Stichworte oder einfachste Ansätze seiner Vorstellungen – keine Lehre, kein Programm, kein Manifest, keine Charta, keine Erklärung oder Ähnliches, das sich austrofaschistisch nannte.

Entscheidend aber sind sowieso andere Tatsachen: Starhemberg war Führer der Heimwehr. Er ist nicht die Symbolfigur für die Politik der katholischen Laien und Amtsträger, der Christlich-Sozialen Partei und des Ständestaates in den 1930er Jahren.

Die Heimwehr, eine der vielen Selbstschutzgruppen dieser unruhigen Zeit, war zwar zunächst eine Stütze des Systems, mit einigem Einfluss, ohne jedoch je die Oberhand zu erlangen, ihr Stellenwert sank allmählich, und 1936 wurde sie aufgelöst.

Entgegen all diesen Fakten übernahmen Sozialdemokraten (und Kommunisten) Starhembergs "Austrofaschismus" zur abwertenden Bezeichnung des weltanschaulichen Gegners, indem sie den Begriff ohne jede nachvollziehbare Begründung viel weiter fassten und ab 1934 auf das gesamte System des autoritären Ständestaates übertrugen. Was wissenschaftlich und politisch wahrheitswidrig und moralisch untragbar ist.

Alle politische Parteien, Lager und Gruppierungen haben sich und werden in der Geschichtsschreibung mit den selbstgewählten Namen ihrer jeweiligen Richtungen bezeichnet, beispielsweise die Marxisten, Austromarxisten, Sozialisten, Kommunisten, Bolschewiken, Sowjets, Grünen, Maoisten, Konservativen, Liberalen, Sandinisten, Nationalsozialisten, Faschisten. Die christlich-sozialen Exponenten haben nie als Austrofaschisten firmiert. Im politischen Clinch fristen jedoch diese Kampfparolen ihr Pseudo-Leben seit Jahrzehnten Tag für Tag: in Buchneuerscheinungen und Medienkommentaren, bei Universitätsprofessoren und fehlinformierten Bischöfen, die sich namens der Ermordeten bei den Mördern entschuldigen.

In der Ersten Republik zwischen den beiden Weltkriegen 1918 bis 1938 hat sich keines der drei politischen Lager mit Lorbeeren bekränzt. Die Sozialdemokraten wollen von der miesen österreich-feindlichen und Anschluss-begeisterten Rolle ablenken, die sie selber in dieser Zeit gespielt haben, indem sie die damaligen Christlich-Sozialen bekleckern – in der Hoffnung, dass etwas davon an der erst 1945 gegründeten ÖVP haften bleibt.

Über die Folgen des Ersten Weltkriegs 1914–1918 kann man ein Buch schreiben (was der Autor übrigens getan hat). Jedenfalls war das, was laut dem französischen Hasser Clemenceau vom zerschlagenen Habsburger-Reich übrigblieb, ein "Staat, den keiner wollte", wie der Journalist Hellmut Andics völlig richtig erkannte. Man wolle ihn im Inland nicht und im Ausland nicht. Die Sozialdemokraten wollten ja überhaupt die marxistische Weltrevolution, und dazu bot Österreich eine viel zu kleine Bühne.

Und die damals allgemein gering angesehene Einrichtung der Demokratie war, wie ihr Bundesvorsitzender Karl Seitz am 20. Oktober 1932 im Nationalrat unmissverständlich erklärte, für die "Proletarier", also die Sozialdemokraten, ohnehin kein Ziel, sondern bloß ein Instrument.

Daher setzte die Sozialdemokratie parallel dazu auch auf Gewalt. Der Paukenschlag ihres Auftritts auf der innenpolitischen Szene war demgemäß 1916 der Meuchelmord an Ministerpräsident Stürgkh, weil dieser eine Sitzung nicht einberufen hatte.

1918 wurde neben zahlreichen anderen Selbstschutzverbänden die Volkswehr gegründet, aus der der bewaffnete Republikanische Schutzbund als eine rote Privatarmee mit 80.000 Mitgliedern hervorging.

1924 verübte ein Arbeiter auf dem Wiener Südbahnhof mit einem Trommelrevolver ein Attentat auf Bundeskanzler Prälat Ignaz Seipel, der mit einem Lungensteckschuss schwer verletzt überlebte.

1924 bis 1926 scheiterte der christlich-soziale "Konsenskanzler" Rudolf Ramek aus Salzburg an Spott und Hohn der Sozialdemokraten.

Nach einer Schießerei im burgenländischen Schattendorf wurde den Angeklagten Notwehr zugebilligt – von einem Geschworenengericht, wohlgemerkt! Weder Regierung noch Verwaltung noch eine Partei waren in den Freispruch 1927 eingebunden. Radikale Linke zündeten den Wiener Justizpalast an, und in den Kämpfen mit der Polizei beim Sturm aufs Parlament gab es mehr als 80 Todesopfer.

Bundeskanzler Prälat Ignaz Seipel wollte 1931 die gefährlich fortschreitende Spaltung der Gesellschaft überwinden, weil er die Folgen ahnte. Sein Koalitionsangebot wurde brüsk zurückgewiesen. Otto Bauer sah darin das untrügliche Anzeichen für den Zusammenbruch dessen, was er "Kapitalismus" nannte, und damit verbunden die Hoffnung der Sozialdemokratie auf die Erringung der gesamten Staatsmacht.

Am 12. Februar 1934 begann der sozialdemokratische Schutzbundführer Richard Bernaschek im Geiste des radikalen "Linzer Programms" den erfolglosen Putsch gegen den Staat um diese Macht. Der zu diesem Thema derzeit kompetenteste Historiker Kurt Bauer beziffert die Gesamtzahl der Todesopfer der folgenden Kämpfe mit 357, darunter auch unfassbare 112 Unbeteiligte und Zufallsopfer.

Dieses Linzer Programm von 1926 ist die große verschwiegene Unbekannte der heutigen Geschichtsschreibung. Kaum jemand unserer Zeitgenossen hat es gelesen. Als Ziel ist die Eroberung der Staatsmacht festgeschrieben. Eine allfällige "Kooperation einander feindlicher Klassen (Anmerkung des Autors: also mit den Christlich-Sozialen) (...) wird nach kurzer Zeit (…) gesprengt." Oder gar nicht eingegangen wie 1931, denn: "Eine solche Kooperation der Klassen kann also nur eine vorübergehende Entwicklungsphase im Klassenkampf um die Staatsmacht, aber nicht das Ziel dieses Kampfes sein."

Die auszunützenden demokratischen Kampfmittel haben laut Linzer Programm nur den Zweck, "die Herrschaft in der demokratischen Republik zu erobern". Funktioniert dieser Weg nicht, "könnte die Arbeiterklasse (Anmerkung: die Sozialdemokratie) die Staatsmacht nur noch im Bürgerkrieg erobern". Einen "Widerstand der Bourgeoisie (auf deutsch: der Bürgerlichen) mit den Mitteln der Diktatur zur brechen", ist der Kernsatz des Linzer Programms, das auch offenbart:

"Die Sozialdemokratie betrachtet den Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich als notwendigen Abschluss der nationalen Revolutionen von 1918."

Das alles spielte sich zeitgleich vor dem Hintergrund des Drucks Hitler-Deutschlands zur möglichst raschen Auslöschung Österreichs ab. Weil die Christlich-Sozialen und Dollfuß nach der Niederschlagung des Putsches nicht einfach zur Tagesordnung übergingen wie nach einem verregneten Sonntagsausflug, überschütteten fanatische Sozialdemokraten den politischen Gegner, das heißt die katholischen Laien und Amtsträger, mit hasserfüllten Vorwürfen.

Es steht heute außer Zweifel, dass die Christlich-Sozialen (mit vielen menschlichen und zeitbedingten Schwächen) versucht hatten, in der gesamteuropäischen Orientierungslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Ständestaat das Modell der revolutionären Sozialenzyklika des Papstes Leo XIII. in die politische Praxis umzusetzen.

40 Jahre später, 1931, bekräftigte sein Nachfolger Pius XI. die Ideen der natürlich ganz und gar nicht faschistischen "Rerum novarum" und präsentierte sich mit der Enzyklika "Mit brennender Sorge" aus 1937 als einer der frühesten und entschiedensten Gegner des Nationalsozialismus in der Welt.

Aus all den geschilderten Fakten ergeben sich als Schlussfolgerung vier Erkenntnisse:

  1. Es existiert keine Lehre, kein Programm, kein Manifest, keine Charta, keine Erklärung oder Ähnliches, das sich austrofaschistisch nennt.
  2. Es konnte sich daher niemand mit einem nicht existenten Programm des Austrofaschismus identifizieren, nicht einmal die Minderheit der Heimwehrleute.
  3. Außerhalb der Heimwehr hat sich bei den "Bürgerlichen" sowieso niemand zu diesem unformulierten Austrofaschismus bekannt oder sich gar als Austrofaschist verstanden.
  4. Die Bezeichnungen Austrofaschismus und Austrofaschisten werden permanent von den Sozialdemokraten wider besseres Wissen zur Herabwürdigung der politisch engagierten katholischen Laien und Amtsträger der 1930er Jahre missbraucht. Die Verwendung dieser Begriffe ist wissenschaftlich falsch, demokratisch unzulässig und hinsichtlich des zwischenmenschlichen Anstands unwürdig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg reifte die Erkenntnis, dass es für eine konstruktive Zukunft Österreichs eines endgültigen Schlussstrichs unter die unselige Zwischenkriegszeit bedurfte, in der sich niemand ganz frei von Schuld fühlen konnte. Das sichtbare Zeichen dieser Einsicht war 1964 der Handschlag des ÖVP-Obmanns Bundeskanzler Alfons Gorbach mit dem SPÖ-Vorsitzenden Vizekanzler Bruno Pittermann – 30 Jahre nach den Schüssen im Linzer Hotel "Schiff", als viele persönlich Betroffene noch lebten.

Die SPÖ hat sich nie streng daran gebunden gefühlt, zur Jahrtausendwende aber endgültig den Wortbruch vollzogen. Sie kehrte zu ihrer Spaltungspolitik der Zwischenkriegszeit zurück, deren Credo auch heute noch lautet (wie Parteichef Karl Seitz 1932 im Nationalrat festgestellt hatte): "Die Demokratie ist kein Endziel, sie ist das Mittel, zum Ziel zu gelangen, zum Sozialismus."

Das Schlusswort wird hier dem in Deutschland lehrenden österreichischen Theologen und Historiker Gerhart Hartmann gegeben, der in seiner erst kürzlich erschienenen Untersuchung zum Dollfuß-Mord vor 90 Jahren resümierte:

"Wie immer man zu Dollfuß und dem ,Ständestaat’ stehen mag, ihnen ist zu verdanken, dass der Plan Hitlers, Österreich schon 1933/34 einzuverleiben, vereitelt wurde. Wäre das geschehen, dann wäre ein Wiedererstehen Österreichs 1945 wesentlich schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich gewesen."

Worte für eine eherne Gedenktafel im österreichischen Parlament.

 

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokal-geschichtliche Themen.

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