Zu spät und doch rechtzeitig

Jene, die gegen den AfD-Parteitag in Essen demonstrieren, halten sich für die aktuellen Retter der "deutschen Demokratie"; jene, die diese Meinung nicht teilen, halten die Demonstrierenden für die aktuellen Totengräber der "deutschen Demokratie". Ein Entweder-Oder in der politischen Geschichte eines Landes, dessen Volk von ihren Denkern oft als "zu spät gekommene" europäische Nation definiert wurde. Da dieses Volk mittlerweile als "Volk" radikal verändert wird, – es mutiert zu einer multikulturellen "Bevölkerung" im Haus der EU –, scheint auch die Rettung einer "deutschen Demokratie", entweder mit oder ohne AfD, "zu spät" zu kommen.

Weil aber Nationalstaaten im aktuellen Europa, immer noch existieren müssen – zum Leidwesen der EU-Eliten und vieler ihrer überzeugten Balkonkünstler –, muss die "umstrittene" Frage, ob mit oder gegen AfD, "gerettet" wird, doch nationalstaatlich, letztlich durch Wahlen gelöst werden. Es sei denn (nationalstaatliche) Wahlen werden demnächst unmöglich, weil, der gefährdete "soziale Frieden" in den Staaten Europas durch bürgerkriegsähnliche Zustände zusammenbricht.

Worauf die EU als Retterin in höchster Not, nicht mehr nur von den Balkonen herab, sondern mit neuen, heute noch unbekannten Machtmitteln in den Kapitalen Europas "landen" könnte und müsste, nicht um neue Kulturhauptstädte ausfindig zu machen, sondern um die richtigen Führungsparteien in den einzelnen Staaten zu bestimmen und, vielleicht mittels einer eilig ausgerufenen EU-Sonderwahl, zu inthronisieren. Die Frage nach dem Verbleib der AfD hätte sich erledigt. Denn das hohe Parlament der EU wurde von der "neurechten" Partei Deutschlands bereits mehrmals als unfähig und absetzungswürdig deklariert, wodurch die Illegitimität dieser Partei außer Frage steht. Auf völlig legitime Weise wäre somit eine illegitime Partei nicht wegdemonstriert und auch nicht mit Merkels Methode "rechtzeitig" wegtelefoniert worden.

Sie wäre (EU-)demokratisch weggeschafft worden. Und der aktuelle Nachfolger des Nazi-Juristen Carl Schmitt könnte neuerlich beginnen, über den Unterschied von Legalität und Legitimität mit deutschgründlichen Begriffen öffentlich zu räsonieren.  Immerhin hätte der Völkerrechts-Experte des Volkes der Dichter und Denker überlebt, denn bei jedem Zuspätkommen ist er rechtzeitig vor Ort.

 

Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.

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