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Wie vielfach prophezeit, wenn auch überraschend früh, also noch vor dem befürchteten russischen Sieg über die Ukraine, ist nun bereits ein weiteres europäisches Land ins Fadenkreuz Moskaus geraten. Und das geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da sich gleichzeitig herausstellt, wie nackt das größte Land des freien Europas militärisch dasteht, viel nackter, als man vielfach angenommen hat.
Das geht wiederum parallel mit besorgniserregenden Beobachtungen, wie erschöpft die Ukraine ist, wie sehr ihr die Munition ausgeht, wie wenig Europa die versprochenen Lieferungen einzuhalten imstande ist – und wie eiskalt Donald Trump wahlkampforientiert auf den US-amerikanischen Isolationismus setzt und die Ukraine nicht mehr unterstützen will.
Während die Lage in der Ukraine und die Politik Trumps schon einige Zeit bekannt sind, haben die letzten Tage auch in Hinblick auf Europa viele Illusionen zerstört. Diese Illusionen hat man sich insbesondere auch in Österreich gemacht. Hier hat sich ein Teil der Bevölkerung wirklich dem Glauben hingegeben, sie würden ohnedies rundum von der Nato geschützt, können daher auf eine nennenswerte eigene Landesverteidigung verzichten, so tun, als ob die Neutralität etwas Höherwertiges wäre gegenüber den Sicherheitsanstrengungen der anderen Westeuropäer, und von dieser Warte aus moralistische Zensuren zu erteilen. Oder zumindest so zu tun, als ob irgendwer in der Welt auf eine österreichische "Vermittlung" warten oder sie anhören würde. Diese Behauptung ist schon zu Kreiskys Zeiten kompletter Propaganda-Unsinn gewesen und ist es genauso heute, da es in der politischen Klasse und Regierung wieder Mode geworden ist, von "Vermittlung" zu brabbeln.
Es gibt keinen einzigen Konflikt in der Welt, in dem die Republik Frieden vermittelt hätte, vermitteln hätte können. Dazu ist sie zu unbedeutend. Dazu sind ihre Politiker zu indiskret. Stille Vermittler können nur total diskrete Strukturen sein, wie etwa das Rote Kreuz oder der Papst. Kräftige Vermittler wiederum müssten selbst Entscheidendes in die Verhandlungen einbringen können, etwa viel Geld oder militärische Garantien, wie etwa einst die USA nach den Kriegen zwischen Israel und Ägypten. Österreichisches Vermittlungsgerede ist nur Wichtigmacherei.
Die zunehmend exponierte Lage Europas und damit auch Österreichs sollte zumindest jetzt jedem bewusst geworden sein, seit Moskau an einer neuen Front zündelt. Denn mit Sicherheit ist der "Hilfe!"-Ruf aus "Transnistrien", einem sezessionistischen Landstreifen im Osten Moldawiens, der von einem russlandhörigen Puppenregime regiert wird, von Moskau selbst initiiert worden.
Mit großer Wahrscheinlichkeit werden daher in absehbarer Zeit russische Truppen diesem Hilferuf nachkommen und in Transnistrien landen (wo ja auch schon seit dem Ende der Sowjetunion einige russische Einheiten stehengeblieben sind). Dann können sie einerseits die Ukraine auch von Westen her angreifen, und andererseits von Osten her die moldawische Regierung zumindest destabilisieren. Was zusätzlich dadurch explosiv ist, dass das an sich bitterarme Moldawien geographisch, sprachlich, kulturell, wirtschaftlich und historisch engst mit dem Nato-Land Rumänien verbunden ist. Und auf der anderen Seite dadurch, dass es nach 1945 sowjetisch beherrscht worden ist.
Und selbst wenn Moskau vorerst keine zusätzlichen Truppen entsenden sollte, zwingt es die Ukraine wie auch Rumänien und die Nato zu zusätzlichen Schutzmaßnahmen.
Noch beängstigender ist aber der Offenbarungseid, den Deutschland derzeit militärisch ablegen muss. Denn die Bundeswehr steht so katastrophal da, wie es eigentlich niemand für möglich gehalten hat. An den Zuständen ist keineswegs nur die jetzige Ampelregierung schuld. Die Wurzeln der Malaise reichen bis in die Neunziger Jahre zurück, als (auch) die Deutschen glaubten, eifrig eine Friedensdividende verkonsumieren zu können.
Diese Zustände sind jetzt beim gemeinsamen europäischen Einsatz gegen die Bedrohung des internationalen Seehandels durch iranfreundliche Milizen vor der Küste Jemens exemplarisch offenkundig geworden. Sie treffen auf alle Waffengattungen zu, wie immer mehr Berichte aus Deutschland zeigen, aber werden halt vor der jemenitischen Küste nun für die ganze Welt offenbar.
An jener Küste muss jedes Schiff vorbei, bevor oder nachdem es den Suezkanal durchfährt. Das Freihalten dieses Seeweges nach Asiens ist für Europas Versorgung und Exporte daher lebenswichtig, für die USA ist er das viel weniger. Dennoch kamen die Europäer mit ein paar Schiffen erst Wochen nach den USA dort an, um Raketen der Huthi-Rebellen abzufangen und Abschussstellungen anzugreifen. Und die Deutschen brachten überhaupt nur ein einziges Kriegsschiff zustande, das noch dazu später eintraf als andere Europäer.
Die schlimmsten Peinlichkeiten wurden aber erst nach Eintreffen der "Hessen" im Roten Meer offenkundig:
So blamiert steht also jetzt die Streitmacht des größten Landes Europas da, von dem man – laienhaft – bisher angenommen hatte, dass es wenigstens konventionell halbwegs ernstzunehmen sei, nachdem es zum Unterschied von fast einem Dutzend anderer Nationen der Welt schon auf Atomwaffen verzichtet, also auf die wirksamsten Abschreckungswaffen, deren Besitzernationen noch nie angegriffen worden sind.
Auch wenn Deutschland angekündigt hat, dass es angesichts des Zustandes der Bundeswehr jetzt etliches aufholen will, so ist klar, dass es nicht nur Monate, sondern viele Jahre dauern wird, bis Deutschland wieder ernst zu nehmen ist.
Schon jetzt ernst sollte man aber die größeren Zusammenhänge nehmen. Denn zweifellos werden die Zustände im Westen von Moskau genau analysiert. Da öffnet sich nämlich wahrscheinlich bald ein perfektes "Window of opportunity", sich all das zurückzuholen, dessen Verlust der Stalin-Verehrer Putin so sehr bedauert. Dieses Fenster öffnet sich mit einem Amtsantritt von Donald Trump und wird bis zu einer erfolgreichen Wiederbelebung der deutschen und damit europäischen Verteidigungsfähigkeit offen bleiben.
Das einzige Fragezeichen ist, bis zu welcher Linie, bis zu welchem Gewässer der kriegerische Neoimperialismus des Wladimir Putin in diesem Zeitraum wirklich zu gehen gewillt sein wird. Ist es der Dnjestr? Ist es die March? Ist es die Enns? Bis zu all diesen Flüssen sind im 20. Jahrhundert ja lange russische Truppen gestanden. Oder sind es gar jene Gewässer, die einst nachweislich Ziele der sowjetischen Kriegsplanung gewesen sind, also der Rhein oder der Ärmelkanal und das Mittelmeer?
Gewiss sind das heute noch nicht ausdefinierte Ziele im Kreml. Aber die Eskalation von Kriegen hat oft ihre eigene Gesetzmäßigkeit, die von niemandem mehr gesteuert werden kann. Umso wichtiger ist, spätestens jetzt alles zu tun, dass es nicht dazu kommt. Was kann und sollte der Westen da tun, von der Nato bis zur EU, also auch bis zu Österreich?
Denn die Wahrheit ist: Eine Diktatur mit Atomwaffen kann nur von innen gewandelt werden, nie jedoch von außen. Russland wird sich auch nicht durch eine totale Niederlage in einem konventionellen Krieg oder durch Reparationsforderungen demütigen lassen. Diese Friedensangebote dürfen jedoch gleichzeitig keinesfalls die Botschaft transportieren, dass man im 21. wieder wie im 18. und 19. Jahrhundert in Europa fremde Territorien und Länder ungestraft erobern kann. Zwischen diesen beiden Anforderungen gibt es freilich nur schmale Pfade.
Im Wesentlichen sind nur folgende zwei Möglichkeiten für solche Pfade zu finden, die aber politisch noch viel zu wenig durchdiskutiert werden:
Ein vereinzeltes Hoffnungssignal für die Menschen Europas und insbesondere der Ukraine in einer verzweifelten Situation ist ein Umdenken der EU in einem wichtigen Punkt. Die EU-Länder haben endlich erkannt (nach zwei Jahren Krieg!), dass sie das zu Kriegsbeginn abgegebene Versprechen, der Ukraine eine Million Stück Munition zu schicken, nicht einmal annähernd aus eigener Produktion erfüllen können. Das wollte man nämlich zwei Jahre lang, um die Ukraine-Hilfe gleich auch mit Wirtschaftsförderung zu verbinden. Jetzt werden von der EU Granaten auch aus anderen Ländern gekauft, um sie der Ukraine zu liefern. Und um die eigenen Bestände aufzufüllen.
Zwei Jahre zu spät, aber immerhin.