Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Europas Sicherheitslage ist ernst – es gibt nur einen Hoffnungsschimmer

Wie vielfach prophezeit, wenn auch überraschend früh, also noch vor dem befürchteten russischen Sieg über die Ukraine, ist nun bereits ein weiteres europäisches Land ins Fadenkreuz Moskaus geraten. Und das geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da sich gleichzeitig herausstellt, wie nackt das größte Land des freien Europas militärisch dasteht, viel nackter, als man vielfach angenommen hat.

Das geht wiederum parallel mit besorgniserregenden Beobachtungen, wie erschöpft die Ukraine ist, wie sehr ihr die Munition ausgeht, wie wenig Europa die versprochenen Lieferungen einzuhalten imstande ist – und wie eiskalt Donald Trump wahlkampforientiert auf den US-amerikanischen Isolationismus setzt und die Ukraine nicht mehr unterstützen will.

Während die Lage in der Ukraine und die Politik Trumps schon einige Zeit bekannt sind, haben die letzten Tage auch in Hinblick auf Europa viele Illusionen zerstört. Diese Illusionen hat man sich insbesondere auch in Österreich gemacht. Hier hat sich ein Teil der Bevölkerung wirklich dem Glauben hingegeben, sie würden ohnedies rundum von der Nato geschützt, können daher auf eine nennenswerte eigene Landesverteidigung verzichten, so tun, als ob die Neutralität etwas Höherwertiges wäre gegenüber den Sicherheitsanstrengungen der anderen Westeuropäer, und von dieser Warte aus moralistische Zensuren zu erteilen. Oder zumindest so zu tun, als ob irgendwer in der Welt auf eine österreichische "Vermittlung" warten oder sie anhören würde. Diese Behauptung ist schon zu Kreiskys Zeiten kompletter Propaganda-Unsinn gewesen und ist es genauso heute, da es in der politischen Klasse und Regierung wieder Mode geworden ist, von "Vermittlung" zu brabbeln.

Es gibt keinen einzigen Konflikt in der Welt, in dem die Republik Frieden vermittelt hätte, vermitteln hätte können. Dazu ist sie zu unbedeutend. Dazu sind ihre Politiker zu indiskret. Stille Vermittler können nur total diskrete Strukturen sein, wie etwa das Rote Kreuz oder der Papst. Kräftige Vermittler wiederum müssten selbst Entscheidendes in die Verhandlungen einbringen können, etwa viel Geld oder militärische Garantien, wie etwa einst die USA nach den Kriegen zwischen Israel und Ägypten. Österreichisches Vermittlungsgerede ist nur Wichtigmacherei.

Die zunehmend exponierte Lage Europas und damit auch Österreichs sollte zumindest jetzt jedem bewusst geworden sein, seit Moskau an einer neuen Front zündelt. Denn mit Sicherheit ist der "Hilfe!"-Ruf aus "Transnistrien", einem sezessionistischen Landstreifen im Osten Moldawiens, der von einem russlandhörigen Puppenregime regiert wird, von Moskau selbst initiiert worden.

Mit großer Wahrscheinlichkeit werden daher in absehbarer Zeit russische Truppen diesem Hilferuf nachkommen und in Transnistrien landen (wo ja auch schon seit dem Ende der Sowjetunion einige russische Einheiten stehengeblieben sind). Dann können sie einerseits die Ukraine auch von Westen her angreifen, und andererseits von Osten her die moldawische Regierung zumindest destabilisieren. Was zusätzlich dadurch explosiv ist, dass das an sich bitterarme Moldawien geographisch, sprachlich, kulturell, wirtschaftlich und historisch engst mit dem Nato-Land Rumänien verbunden ist. Und auf der anderen Seite dadurch, dass es nach 1945 sowjetisch beherrscht worden ist.

Und selbst wenn Moskau vorerst keine zusätzlichen Truppen entsenden sollte, zwingt es die Ukraine wie auch Rumänien und die Nato zu zusätzlichen Schutzmaßnahmen.

Noch beängstigender ist aber der Offenbarungseid, den Deutschland derzeit militärisch ablegen muss. Denn die Bundeswehr steht so katastrophal da, wie es eigentlich niemand für möglich gehalten hat. An den Zuständen ist keineswegs nur die jetzige Ampelregierung schuld. Die Wurzeln der Malaise reichen bis in die Neunziger Jahre zurück, als (auch) die Deutschen glaubten, eifrig eine Friedensdividende verkonsumieren zu können.

Diese Zustände sind jetzt beim gemeinsamen europäischen Einsatz gegen die Bedrohung des internationalen Seehandels durch iranfreundliche Milizen vor der Küste Jemens exemplarisch offenkundig geworden. Sie treffen auf alle Waffengattungen zu, wie immer mehr Berichte aus Deutschland zeigen, aber werden halt vor der jemenitischen Küste nun für die ganze Welt offenbar.

An jener Küste muss jedes Schiff vorbei, bevor oder nachdem es den Suezkanal durchfährt. Das Freihalten dieses Seeweges nach Asiens ist für Europas Versorgung und Exporte daher lebenswichtig, für die USA ist er das viel weniger. Dennoch kamen die Europäer mit ein paar Schiffen erst Wochen nach den USA dort an, um Raketen der Huthi-Rebellen abzufangen und Abschussstellungen anzugreifen. Und die Deutschen brachten überhaupt nur ein einziges Kriegsschiff zustande, das noch dazu später eintraf als andere Europäer.

Die schlimmsten Peinlichkeiten wurden aber erst nach Eintreffen der "Hessen" im Roten Meer offenkundig:

  1. Erstens stellte sich heraus, dass die Deutschen nur angreifende Raketen abfangen wollen. Sie wollen jedoch nicht wie die anderen Beschützer der freien Seefahrt auch die Abschussrampen und Munitionslager im Gebiet der Huthi-Rebellen angreifen, von wo die Geschoße starten. Obwohl das viel effizienter und wichtiger wäre.
  2. Noch schlimmer ist, zweitens, dass den Deutschen ohnedies bald die Munition ausgehen wird. Denn die Fregatte "Hessen" ist zwar voll aufmunitioniert ins Rote Meer gefahren, unter anderem mit drei verschiedenen Raketenarten an Bord. Aber wenn die verschossen sind, gibt es nur für eine Sorte minimalen und für die anderen beiden gar keinen Nachschub aus deutschen Depots. Dann muss die "Hessen" wieder heimfahren.
  3. Drittens wird gleichzeitig von den deutschen Flottenchefs zugegeben, dass die Personallage noch viel mehr "desaströs" sei als der Munitionsmangel. Selbst die vorhandenen Schiffe können nur zu 50 Prozent mit ausgebildetem Personal besetzt werden.

So blamiert steht also jetzt die Streitmacht des größten Landes Europas da, von dem man – laienhaft – bisher angenommen hatte, dass es wenigstens konventionell halbwegs ernstzunehmen sei, nachdem es zum Unterschied von fast einem Dutzend anderer Nationen der Welt schon auf Atomwaffen verzichtet, also auf die wirksamsten Abschreckungswaffen, deren Besitzernationen noch nie angegriffen worden sind.

Auch wenn Deutschland angekündigt hat, dass es angesichts des Zustandes der Bundeswehr jetzt etliches aufholen will, so ist klar, dass es nicht nur Monate, sondern viele Jahre dauern wird, bis Deutschland wieder ernst zu nehmen ist.

Schon jetzt ernst sollte man aber die größeren Zusammenhänge nehmen. Denn zweifellos werden die Zustände im Westen von Moskau genau analysiert. Da öffnet sich nämlich wahrscheinlich bald ein perfektes "Window of opportunity", sich all das zurückzuholen, dessen Verlust der Stalin-Verehrer Putin so sehr bedauert. Dieses Fenster öffnet sich mit einem Amtsantritt von Donald Trump und wird bis zu einer erfolgreichen Wiederbelebung der deutschen und damit europäischen Verteidigungsfähigkeit offen bleiben.

Das einzige Fragezeichen ist, bis zu welcher Linie, bis zu welchem Gewässer der kriegerische Neoimperialismus des Wladimir Putin in diesem Zeitraum wirklich zu gehen gewillt sein wird. Ist es der Dnjestr? Ist es die March? Ist es die Enns? Bis zu all diesen Flüssen sind im 20. Jahrhundert ja lange russische Truppen gestanden. Oder sind es gar jene Gewässer, die einst nachweislich Ziele der sowjetischen Kriegsplanung gewesen sind, also der Rhein oder der Ärmelkanal und das Mittelmeer?

Gewiss sind das heute noch nicht ausdefinierte Ziele im Kreml. Aber die Eskalation von Kriegen hat oft ihre eigene Gesetzmäßigkeit, die von niemandem mehr gesteuert werden kann. Umso wichtiger ist, spätestens jetzt alles zu tun, dass es nicht dazu kommt. Was kann und sollte der Westen da tun, von der Nato bis zur EU, also auch bis zu Österreich?

  1. In erster Linie sollte es um die wirklich rasche Wiederbesinnung auf die Herstellung schlagkräftiger eigener Verteidigungskräfte aller – aller! – europäischen Staaten gehen.
  2. Jedes freie europäische Land sollte auch die Nato-intern oft beschworene, aber bis heute von einem Drittel der Mitgliedsländer nicht erreichte Zwei-Prozent-Linie an Verteidigungsausgaben (als Anteil am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt) erreichen; denn deren Nichterreichung ist ja das einzige Argument, das Trump trotz der Verpflichtung durch den Nato-Vertrag und seinen Artikel 5 hat, um sich von Europa abzuwenden.
  3. Europas Regierungen sollten sich zugleich auch geschlossen von jeder Einmischung und Parteinahme in den US-Wahlkampf enthalten, um nicht einen künftigen Präsidenten des noch auf lange wichtigsten Verbündeten unnötig zu provozieren (sie sollten vor allem nicht so, wie es die dümmliche Merkel-Politik gemacht hat, demonstrativ gegen eine Seite kampagnisieren).
  4. Europa sollte alles tun, um der Ukraine die von dieser so dringend erbetenen Waffen, vor allem die notwendige Munition zu liefern, ihr aber auch sonst das Überleben zu ermöglichen. Denn solange Putin in der Ukraine solche Schwierigkeiten hat, wird er sich hüten, sich aus anderen Ländern weitere "Hilferufe" schicken zu lassen. Jedoch weiß niemand, wie lange die Ukraine noch durchhält, vor allem, wenn sie statt Granaten meist nur gute Worte erhält.
  5. Mit besonderer Dringlichkeit sollte Europa seine eigenen industriellen Kapazitäten stärken, um möglichst bald die Rüstungs- und Munitionsproduktion hochfahren zu können (auch wenn dadurch nach Expertenansicht erst zu Jahresende der Ukraine genügend Munition geschickt werden könnte).
  6. Und schließlich sollte der Westen Hand in Hand mit der Ukraine zugleich deutliche und klare Friedensangebote nach Moskau schicken, die vor allem Putins Clique signalisieren, dass man nicht auf einen Umsturz in Moskau aus ist, so widerlich die dortige Diktatur auch von fast allen Europäern empfunden wird.

Denn die Wahrheit ist: Eine Diktatur mit Atomwaffen kann nur von innen gewandelt werden, nie jedoch von außen. Russland wird sich auch nicht durch eine totale Niederlage in einem konventionellen Krieg oder durch Reparationsforderungen demütigen lassen. Diese Friedensangebote dürfen jedoch gleichzeitig keinesfalls die Botschaft transportieren, dass man im 21. wieder wie im 18. und 19. Jahrhundert in Europa fremde Territorien und Länder ungestraft erobern kann. Zwischen diesen beiden Anforderungen gibt es freilich nur schmale Pfade.

Im Wesentlichen sind nur folgende zwei Möglichkeiten für solche Pfade zu finden, die aber politisch noch viel zu wenig durchdiskutiert werden:

  • Das eine wäre eine faire Anwendung des Selbstbestimmungsrechts, bei dem die derzeitigen wie aber auch die geflohenen Einwohner der von Moskau beanspruchten Gebiete und deren Kinder in einem korrekten, beiden Seiten auch (zumindest elektronische und postalische) Wahlwerbung ermöglichenden, und international (durch UNO oder OSZE) organisierten Referendum entscheiden können, zu welchem Staat ihre Heimat gehören soll. Dabei würde sich vermutlich die Krim für Russland entscheiden.
  • Das zweite Modell wäre das österreichische Beispiel 1955: Damals hat die Republik die Souveränität über ihr ganzes(!) Gebiet und den Abzug aller(!), vor allem der sowjetischen Besatzungssoldaten dadurch erreicht, dass sie die Neutralität und den Verzicht auf bestimmte Waffen versprochen hat. Genau das würde im gegenwärtigen Krieg das einzige objektiv zu respektierende Kriegsziel Moskaus bei gleichzeitiger Freiheit für die Ukrainer realisieren, also die behauptete Bedrohung durch Nato-Raketen auf ukrainischem Boden (alle anderen von Putin genannten Kriegsziele wie die Notwendigkeit einer "Entnazifizierung" sind ja nur lächerliche Propaganda).

Ein vereinzeltes Hoffnungssignal für die Menschen Europas und insbesondere der Ukraine in einer verzweifelten Situation ist ein Umdenken der EU in einem wichtigen Punkt. Die EU-Länder haben endlich erkannt (nach zwei Jahren Krieg!), dass sie das zu Kriegsbeginn abgegebene Versprechen, der Ukraine eine Million Stück Munition zu schicken, nicht einmal annähernd aus eigener Produktion erfüllen können. Das wollte man nämlich zwei Jahre lang, um die Ukraine-Hilfe gleich auch mit Wirtschaftsförderung zu verbinden. Jetzt werden von der EU Granaten auch aus anderen Ländern gekauft, um sie der Ukraine zu liefern. Und um die eigenen Bestände aufzufüllen.

Zwei Jahre zu spät, aber immerhin.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung