Israels Ende – oder Neubeginn

In der Perspektive des Irans und nun auch in der Perspektive vieler arabischer Staaten – zuletzt Tunesien – hat Israel durch seine "völkerrechtswidrige" Politik sein Recht auf eine eigenstaatliche Existenz verwirkt. Und da sich der künftige Palästinenser-Staat vom Jordan bis zum Mittelmeer erstrecken wird, ist der neuerliche Exodus Israels eine beschlossene Sache. Fehlt noch die Ausführung, die als glorreiches Ereignis in die Geschichte eingehen wird, ungefähr wie die Diaspora aller Juden nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Legionen des Titus im Jahr 70 nach Christus.

In der blumigen Sprache der orientalischen Diplomatie verkündete der tunesische Parlamentspräsident: Es gebe "eine vollständige Harmonie zwischen der Position des Präsidenten, der des Parlaments und den Bestrebungen der öffentlichen Meinung". Wer ab sofort das "Verbrechen einer Normalisierung" der Beziehungen zu Israel begeht, wird wegen "Hochverrats" zu sechs bis zwölf Jahren, im Wiederholungsfall zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe verurteilt.

Gewiss wird die EU demnächst den Ausschluss Tunesiens aus der UNO beantragen, umso mehr als ein "Flüchtlingsdeal" zwischen Tunesien und EU erst vor kurzem unter "Dach und Fach" gebracht wurde. Während der großzügige Plan eines Palästina-Staates "vom Jordan bis zum Meer" vorerst noch "unter Schutt und Asche" liegt, im Gazastreifen nämlich, wo Israel nach einer Grabstätte für seine Todfeinde vom heiligen Dschihad sucht.

In der Türkei, ebenfalls ein Freund blumiger Versprechungen, wird mittlerweile das Klima für Pogrome an Juden vorbereitet. Doch auch in dieser causa bestialis wird die EU demnächst im Geist ihres Friedensprojektes und in dem der verpflichtenden universalen Menschenrechte tätig werden und eingreifen. Umso mehr als ein "Flüchtlingsdeal" zwischen Deutschland und Türkei schon vor einigen Jahren abgeschlossen wurde und zur erfolgreichen Aufnahme vieler "Zuwanderer" nach Europa geführt hat.  

Keine Geschichte aus  "Tausendundeiner Nacht"

Ali Erbas, der islamische Religionsführer der Türkei, hat Israel bereits vorsorglich die rote Völkermord-Karte gezeigt, und weil er auch noch Professor für Philosophie und Religionsgeschichte ist, konnte er den von der UNO gewünschten "ganzen Kontext" des Problems nicht unberücksichtigt lassen: "Palästina und Gaza sind Heimatländer der Muslime und werden es bis zum Weltuntergang bleiben." Zu dieser Erkenntnis gelangte er nach einer "Schaltkonferenz mit 200 Imamen aus 92 Ländern", denen auch die ehrwürdigen Warlords der afghanischen Taliban (vermutlich kopfnickend) beiwohnten.

Ob der theologische Führer den Weltuntergang unserer Klima-Katastrophiker oder den Weltuntergang durch eine islamische A-Bombe (Pakistan oder Iran) meinte, könnte bei der nächsten Schaltkonferenz zum Chef-Thema aufsteigen, sofern diese noch nötig sein sollte. Jedenfalls bedarf die Botschaft, dass "Jerusalem den Muslimen gehört", keiner weiteren Konferenz mehr. Sie gilt nicht ab jetzt und sofort, sondern hat "immer schon" gegolten.

Wir befinden uns nicht in einer Geschichte aus  "Tausendundeiner Nacht", sondern knapp nach der Mitte des Jahres 2023 – christlich und westlich gezählt; nach jüdischer Zählung bereits im Jahr 5783; weit abgeschlagen folgt die mohammedanische Zählung, die erst das Jahr 1445 erreicht hat. Ist das islamische "Immer schon" doch einer Erzählung aus "Tausendundeiner Nacht" entlaufen?

Und weil der Präsident der Türkei in seinem prächtigen Palast im neoorientalischen  Ankara erkannt und verkündet hat, dass es sich bei den islamischen Terrorarmeen in und um Israel um eine brüderlich verbundene und heroische Befreiungsarmee handelt, konnte der türkische Philosophieprofessor nur noch rechtskräftig assistieren: Produkte "zionistischer" Unternehmen sind ab sofort zu boykottieren, und weil die kolonialistische Unterdrückung der Unterdrücker zwischen Jerusalem und Tel Aviv in "jeder Hinsicht zu bekämpfen" ist, schwebt nun das Damoklesschwert einer "grenzenlosen Hinsicht" über jedem "Zionisten", vor allem über jenen, die es wagen, lebendig und unvorsichtigerweise die Türkei von 2023 bzw. 1445 zu bereisen. Nach christlicher Zeitrechnung lag dieses Jahr immerhin noch lange 8 Jahre vor der Eroberung Konstantinopels (1453) durch Mehmed II., dem Siebenten Sultan des Osmanischen Imperiums.  

Ob sich nun im angebrochenen 21. Jahrhundert A.D. die orientalische Geschichte vom Damoklesschwert Goliaths, das einen überraschten David enthaupten wird, oder die andere Geschichte aus dem Alten Testament vom großen mächtigen Goliath, der durch den kleinen, aber mit einer klugen Steinschleuder bewaffneten David erledigt wird, "wiederholen" wird, ist gleichfalls noch in "jeder Hinsicht" offen.

Die Vereinigten Desperados aus dem EU-Europa und der UNO-Weltgemeinschaft

Umso mehr als die EU, mit der Entschlossenheit eines Desperados an der berühmt berüchtigten "Zweistaatenlösung" (mit der unüberhörbaren Betonung auf "Lösung") festhält, als bitte sie um Abwesenheit und Urlaub von der Bühne der Weltpolitik. Wer im Nahen Osten die Rolle des geschäftigen Vormundschaftlers übernimmt, hat sich übernommen und nur bewiesen, dass sein Denken und Wollen "out of reality" ist.   

Wenn Frau von der Leyen in Brüssel erklärt, Gaza sei ein "essenzieller Teil" eines künftigen Staates Palästina, und daher könne von einer "Long-term Israeli security presence" in Gaza keine Rede sein, weiß man nicht, wofür man sich mehr genieren soll: für die unheilbare Starrköpfigkeit oder für die unbelehrbare Dummköpfigkeit von EU-Europa. 

Aber in Deutschland geht es noch gründlicher zur Sache. Dort werden immer wieder hohe Summen für die UNWRA (The United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) genehmigt und als Erfolg einer regierungsamtlichen Friedenspolitik gepriesen, die mit der Merkel‘schen "Staatsräson" für Israel in keinem, in gar keinem Widerspruch stehen soll. Weil das Geld selbstverständlich "nur" den "unterdrückten Palästinensern", niemals den islamistischen Fraktionen zufließt, die seit Jahrzehnten allen islamischen Schulkindern eine Leidenschaft zum antisemitischen Massenmord einimpfen?

Warum protegieren UNO und EU immer die falsche Seite, - im "Irakkrieg" das massenmordende Saddam-Regime, das man mit Schröders Friedensfürstenhilfe gegen die "falsche Missionspolitik" von Bush junior schützen wollte, jetzt – im Überlebenskampf von Israel – dessen Todfeinde in der globalen proislamischen Welt?

Liegt es daran, dass der Nahe Osten und das Pulverfass des islamischen Weltgürtels zu fernab von Europa liegt, irgendwo "dort unten", also letztlich doch jenseits des europäischen Horizonts? Aber seitdem die "Dortigen" in Europa und besonders in Deutschland zu "Hiesigen" wurden, wird Feuer über den heimischen Dächern gemeldet. Musste die "dortige" Welt auch nach Europa kommen, um dieses ein neues Fürchten und Zittern, ein neues und erstes Erwachen zu lehren?

Ein paar "weitere Kontexte" zum immer schon zurechtgenannten "Nahost-Konflikt"

Gewaltig unterscheiden sich die Perspektiven Israels und die Perspektiven der führenden Imame des Propheten. "Gewaltig" in mehrfachem (Wort-)Sinn; nicht nur "feindselig" gegeneinander, sondern zum Krieg entschieden und entschlossen. Allein die Linke Israels bleibt bislang ihrer Linie treu: Fünfte Kolonne des Todfeindes nicht nur zu spielen, sondern auch wirklich zu sein.

In der realistischen Selbsterkenntnis Israels leben über Millionen Israelis im Nahen Osten und weltweit in der Geiselhaft von Iran, Hisbollah, Hamas, Kassam, Jihad und anderen arabischen und schiitischen Mächten, staatlichen und halbstaatlichen. Und neuerdings auch im Visier ihrer westlichen Helfershelfer, deren Ideologie die altlinke (antikolonialistische) Liebe zu Palästina wiederentdeckt hat.  

Die Lektüre der Verfassungen und politischen Ziele fast aller islamischen Staaten und "Bewegungen" kann jeden, der lesen kann, von allen Zweifeln befreien: ohne Zerstörung und Beseitigung Israels keine Zukunft im Nahen Osten. Daraus folgert Israel unausweichlich, im kommenden Überlebenskampf die Eliminierung seiner zum Endsieg entschlossen Feinde ausführen zu müssen. Denn die Alternative führe zu einem letalen Ende Israels, behauptete Golda Meir bereits 1948: Nach jeder erlittenen Niederlage machen unsere Feinde weiter; nach einer Niederlage Israels existiert keines mehr, das weitermachen könnte.  

Aber die UNO kennt einen noch "weiteren Kontext" im Nahen Osten, und dies seit Anbeginn des "Konflikts" vor bald hundert Jahren. Jede Einseitigkeit im Nahostkonflikt zu vermeiden, sei immer schon das Gütesiegel ihrer Politik gewesen und werde es auch bleiben. Daher kennt sie entweder kein "feindseliges Gegeneinander" im Nahen Osten, oder beliebt, keines zur Kenntnis zu nehmen. Wird diese Blendung wieder einmal von der Realität der Geschichte gerächt, weil alle Religionen-Dialoge und gemeinschaftlichen "Divan-Orchester" nicht geholfen haben, bleibt doch das Vermeiden jeder "Einseitigkeit" als Mutter aller Dogmen zur Zweistaaten-Lösung unverändert bestehen. Ist schon das Sich-Ausruhen auf verdienten Lorbeeren eine gefährliche Versuchung, ist das Sich-Ausruhen auf nur eingebildeten und illusionären Lorbeeren eine bleibende Quelle neuer Verbrechen und Kriege. 

Der weiteste und letzte Kontext

Doch gibt es einen noch viel weiteren "Kontext", einen fast unüberbietbar weiten Kontext: In diesem haben die heutigen Imame, erweckte Nachfolger des Begründers der Muslimbruderschaft Hasan al-Bannā (1906-1949), den künftigen Fahrplan der Weltgeschichte entdeckt und auch bereits veröffentlicht.

Danach ist die Eroberung und Beseitigung Israels nur der erste Teil eines weit größeren, eines wahrhaft "globalen" Eroberungsplanes. Da der Islam durch eine Verkettung unglücklicher Umstände am Ende des (europäischen) Mittelalters seine großen Provinzen in Europa verlor (hätte nicht das tapfere osmanische Imperium bis zuletzt heroischen Widerstand geleistet, wäre das Licht des Propheten in Europa fast gänzlich erloschen), kann nur noch eine radikale Schubumkehr helfen und korrigieren: Rückeroberung und Unterwerfung der Ersten Welt, nicht nur Berlin und Rom steht auf der Speisekarte der unaufhaltsam vorrückenden Bataillone des Propheten.

Und ein Kalifat nicht nur in Deutschland, sondern in jedem Land Europas: Die Mitgliedschaft in der EU kann bei dieser Transformation überaus hilfreich sein: Nirgendwo wird die Religionsfreiheit besser überwacht als im neuen Europa der EU. Nach unbestätigten Meldungen soll auch das "dritte Rom" (Moskau) auf dem Speiseplan stehen, einige Popen der orthodoxen Kirche Russlands hätten bereits gültige Fahrkarten in die neue Zukunft gelöst und gesammelt.

Eine neue "Achse des Bösen" formiert sich: Ein Senior-Denker der Hamas, Ali Baraka, erklärt am 2. November 2023 in einem libanesischen TV-Kanal, dass der Iran zwar nur die "zionistische Entität" und einige US-Basen in der Region angreifen könne. Aber ohne Zweifel besitze Nordkorea die Fähigkeit zum direkten Angriff auf die USA. An Bodentruppen aus Nordkorea dürfte der globale Hamas-Stratege dabei wohl nicht gedacht haben. Offenherzig freute er sich über den Sieg der neuen Taktik: "Alle Feinde der USA sind Teil unserer Allianz." Und nicht weniger war er vom erreichbaren Endziel der großen islamischen Mission überzeugt: Schon in absehbarer Zeit werden die USA kollabieren wie seinerzeit die UdSSR. Man mag diese heftigen Ausbrüche als Hilfeschreie in höchster Not abtun. Aber Tatsache ist ein reger Verkehr zwischen den "Envoys" Russlands, Chinas, Hamas und deren Gesinnungsgenossen.

Im Klartext: Die Hamas möchte die neue Al-Kaida von morgen werden. Auf gut Österreichisch: sie "plant" einen unheimlich starken Abgang. Denn gegen das Al-Kaida-Projekt der Hamas und ihrer Mitverschworenen müssen der Iran und seine Vasallen starke und unüberwindliche Einwände vorbringen.

Der nur noch schwach verborgene Grund dieser Unüberwindlichkeit (der einige Prinzipien vieler künftiger Ursachen in sich vereint) wird dunkel bereits erkennbar: Die Islamische Welt hat ihren Dreißigjährigen Krieg erst noch vor sich. Dieser wird religiös zwar hauptsächlich zwischen den beiden großen islamischen Konfessionen, realpolitisch jedoch zwischen den wirklichen Mächten der Zukunft im islamischen Gürtel ausgetragen. Die Analogien zum europäischen Krieg von 1618 bis 1648 sind uns vertraut.

Auch zwischen katholischen und protestantischen Fürsten und Staaten waren temporäre Allianzen immer wieder möglich. Leibniz‘ Versuch, die tödlich verfeindeten Konfessionen des Christentums wieder zu vereinigen, war ebenso zum Scheitern verurteilt, wie sein langjähriges diplomatisches Bemühen, die europäischen Mächte (Dynastien und Staaten) von der Notwendigkeit eines unvermeidbaren Krieges gegen das vorgerückte osmanische Imperium zu überzeugen.  

Wenn die heutige islamische Welt ihren Schisma-Bürgerkrieg verhindern möchte, indem sie sich zuvor noch rasch die ganze nicht-islamische Welt unterwirft, kann dieses große Traumprojekt des Propheten nur gelingen, wenn sich in der westlichen und übrigen Welt genügend Dumme und Fünfte Kolonnen finden. Wenn der "gelernte Österreicher" dieses Unheil einer sich überstürzenden Weltlage erblickt, hält er zunächst ratlos inne, horcht kurz und unterhaltsam zerstreut auf seine neuen Ali Bablers, um dann mit einem vertrauten Reim sein Philosophieren über den argen Weltzustand abzuschließen: "Nix is‘ fix."

 

Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.

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