24 Kerzen im Fenster: Josif Vissarionovic Džugašvili, genannt Stalin

War es Speichelleckerei, Berechnung oder Ahnungslosigkeit, die den Kanzler der Provisorischen österreichischen Staatsregierung, Karl Renner, am 9.Mai 1945 einen Brief an Josef Stalin mit einem handgeschriebenen Nachsatz enden ließ? Dieser lautete: "Und bieten Ihnen, Herr Marschall, persönlich sowie dem russischen Volke aufrichtige Glückwünsche zur siegreichen Beendigung des Krieges. Die Glorie Ihres Namens ist unsterblich!"

Genau fünfundvierzig Jahre später, 1990, als schon längst keiner der seinerzeitigen Akteure mehr lebte, war keine Rede mehr von unsterblicher Glorie. Die Sowjetbürger waren aufgerufen, 24 Kerzen in ihre Fenster zu stellen, je eine für eine Million Menschen, die entweder im Krieg ihr Leben verloren hatten oder aber auf Geheiß Josef Stalins Opfer der von ihm geübten Diktatur geworden waren. Man war ans Zusammenzählen gegangen und hatte die massenhaft umgebrachten Gegner der kommunistischen Zwangsherrschaft, die systematisch dem Hungertod preisgegebenen Bauern, die während der sogenannten großen Säuberung Ermordeten, die in Arbeitslagern Verreckten und die Toten des Großen Vaterländischen Kriegs von 1941 bis 1945 in einer ungefähren Zahl auszudrücken versucht.

Für Stalin wäre ein derartiges Vorhaben wohl nicht einmal eine wegwerfende Handbewegung wert gewesen. Hundert Tote, so hatte er einmal gemeint, wären ein Unglück, Tausend eine Katastrophe, Zehntausend – bloße Statistik. Er selbst hatte sich damit begnügen wollen, von 5,5 Millionen sowjetischen Opfern von Krieg und nationalsozialistischem Besatzungsregime zu sprechen. Mehr, so wurde nach Stalins Tod im Jahr 1953 gemutmaßt, hätte er deshalb nicht eingestehen wollen, weil seine Opferkategorien andere waren und er den Menschen der Sowjetunion die Größe der eigenen Verluste nie bewusst machen wollte. Sie hätten womöglich an der Ruhmwürdigkeit des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und Generalissimus zu zweifeln begonnen.

Doch kaum war er tot, fing auch schon die Abrechnung an. Und ein System begann sich zu rechtfertigen, das ganz zufrieden war, einen Sündenbock gefunden zu haben, um die Verbrechen jahrzehntelangen Terrors zu personalisieren. Wie für Deutschland und seine ehemaligen Verbündeten dann Adolf Hitler alles zu erklären schien, was zu Massenmord und Katastrophe geführt hatte, meinte man, mit Stalin jemanden benennen zu können, der an allem schuld war.

Es wurde allerdings auch zu fragen begonnen: War er überhaupt Russe? Hatte ihn Lenin nicht zuletzt noch verstoßen? War er nicht seinerseits "Opfer" geworden, weil untergeordnete Organe ohne sein Wissen und gegen seinen Willen gehandelt hatten? War er nicht als tragischer Fall väterlicher Misshandlungen im Kindesalter zu sehen?

Nur eines wurde nicht in Zweifel gezogen, dass er sich nämlich in eine von Grausamkeiten strotzende russische Geschichte und noch viel mehr in jene des sowjetischen Kommunismus einfügte. Oder waren auch da Zweifel angebracht?

Verurteilung und Rechtfertigung gingen Hand in Hand. Bis heute. Für seine Tochter Swetlana war er der gütige Vater; für nicht wenige Georgier der größte Sohn der Heimat; für die Angehörigen der Opfer schlichtweg ein Mörder; für Roosevelt und andere "Westler" ein achtbarer Verbündeter; für Hitler ein Spiegelbild, das er am liebsten zerbrochen hätte; für seine Nachfolger, die ihn an Grausamkeit ohnedies nicht übertreffen konnten, ein Negativbezug, um sich selbst besser darstellen zu können; für manche Kriegsveteranen und Nostalgiker der Sowjetunion gleichzeitig "Väterchen" und Inbegriff von furchtgebietender Macht.

Natürlich hatte er von alledem etwas an sich, der am 21. Dezember 1879 geborene Josif Vissarionovic Džugašvili. Sein Vater war ein armer georgischer Bauer, der dann Schuster wurde, sich versoff, seine Frau Jekaterina und den einzigen überlebenden Sohn verkommen ließ, prügelte und schließlich verließ. Josif, von der Mutter liebevoll "Sosso" genannt, wäre mit fünf Jahren fast an den Pocken gestorben, doch er überlebte Krankheit und Vater. Die Mutter brachte ihn in einer griechisch-orthodoxen Grundschule in Gori unter und später noch in einem Priesterseminar in Tiflis, ehe sie an Tbc starb. Mit zwanzig floh Josif Džugašvili aus dem Priesterseminar, zeigte bürgerliche Ansätze, als er 1902 Jekaterina Swanidse heiratete, zum ersten Mal Vater wurde, seine Familie aber im Stich lassen musste, da er nach Ostsibirien deportiert wurde.

Er hatte sich zwar nicht entschlossen, Politiker, wohl aber Berufsrevolutionär zu werden. Ebenso oft wie er verbannt wurde, floh er, wurde Bolschewik, nannte sich dann Stalin, der "Stählerne", und traf mit Lenin zusammen. Ab 1917 half Stalin den Bolschewiki den Terror zu organisieren, während Trotzki die Armee formierte.

Er hatte einen schier untrüglichen Instinkt, wie man sich an die Macht brachte. Zunächst Sekretär, ab 1922 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, konnte Stalin seinen Einfluss Schritt für Schritt ausbauen. Dass ihn Lenin zuletzt von seiner Nachfolge ausschließen wollte, ignorierte er. Trotzki nannte er ein falsches Datum des Lenin-Begräbnisses, so dass der Konkurrent um die Macht diesen wichtigen Termin versäumte.

Von da an und immer unter Berufung auf Lenin sicherte Stalin nicht nur seine Herrschaft ab, sondern begann auch mit Hilfe einiger handverlesener Kreaturen alle zu vernichten, die ihm hinderlich schienen. Weggefährten und Menschen, die manchmal idealistisch, manchmal ähnlich brutal wie Stalin ihren Weg gemacht hatten, wurden plötzlich zu "Ungeheuern". Bucharin, Sinovjev, Kamenev, Trotzki, Tuchačevskij mussten sterben. Doch sie waren nur Exponenten.

Sickerte von den Gräueln etwas durch, dann wurde das als Propagandalüge bezeichnet. Sowjetische oder auch (alte) russische Staatsbürger im Ausland, die sich weigerten zurückzukehren, galten als vogelfrei. Floh jemand umgekehrt aus Überzeugung in den Arbeiter- und Bauernstaat, wie der Chef der ungarischen Räterepublik, Bela Kun, oder suchte er ihn in der irrtümlichen Hoffnung auf, hier Zuflucht und Heimat zu finden, dann konnte es ihm so ergehen wie den österreichischen Sozialdemokraten und Kommunisten, die nach dem Februar 1934 in die Sowjetunion geflohen waren und wenig später – mit welcher Begründung auch immer – umgebracht wurden.

In der Sowjetunion folgte eine Terrorwelle der anderen. Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die alten Eliten, die Intelligenzija, Geistliche, Bauern, Altbolschewiken, Rechtsabweichler, Linksabweichler, schließlich die Armeeführung – alle kamen dran.

Die Geschöpfe, die den Terror organisierten, übernahm Stalin zunächst von Lenin, so den Chef der Geheimpolizei GPU, Felix Dserschinski (dessen Denkmäler noch immer in St. Petersburg und Stalingrad/Wolgograd stehen). Die Nachfolger des "eisernen Felix", vor allem Lavrentij Berija, suchte sich Stalin selbst aus und orientierte sich wohl nur an deren willfähriger und skrupelloser Effektivität. Sie organisierten Innenministerium, Polizei und Geheimpolizei, bauten den Überwachungsstaat aus, gefielen sich in Statistiken, in denen scheinbar feinsäuberlich Opferkategorien und Opfer verzeichnet waren, und fachten immer dann, wenn es Stalin angebracht schien, den Terror mit dem Hinweis auf noch immer nicht erlahmenden Widerstand neu an.

Einmischung von außen hatte man sich verbeten. Nicht einmal Hilfe sollte angenommen werden, um beispielsweise die Hungerkatastrophe der zwanziger Jahre und die zweite Hungersnot Anfang der dreißiger Jahre zu lindern. Denn es ging ja um die Bestrafung der Bauern, die sich nicht ihr Letztes nehmen lassen wollten, aber auch gar nicht in der Lage gewesen waren, die exorbitanten Steuer- und Abgabenforderungen zu erfüllen.

Um die Einheit von Partei, Staat und Völkern der Sowjetunion herzustellen, schien jedes Mittel recht. Die Kollektivierung der Landwirtschaft forderte 9,5 Millionen Tote. Ein Drittel von ihnen war erschossen, unzählige gefoltert worden oder sie kamen auf langen Todesmärschen um. Rund sechs Millionen verhungerten.

Um der "absolut wahren" Idee des Kommunismus zum Sieg zu verhelfen, wurden Opfer verlangt. Also suchte man weiterhin Klassenfeinde aus. Und wieder gingen diese in die Hunderttausenden und Millionen. Das Schicksal des Einzelnen war belanglos, das der Vielen die schon erwähnte bloße Statistik. Die Große Tschistka (Säuberung), die 1939 endete, forderte wieder eine Million Tote. (Andere meinen, "nur" 700.000). Fünf Millionen wurden verhaftet. Dabei berief sich Stalin immer wieder auf Lenin, dessen legitimer Erbe und Vollender er sein wollte.

1939 war Stalin sechzig Jahre alt. Es erschien seine siebente offizielle Biographie mit einer Auflage von 18 Millionen Exemplaren und von Stalin selbst redigiert, wo es unter anderem hieß: "Das Banner Lenins, das Banner der Partei wurde von Stalin, dem hervorragenden Schüler Lenins, dem besten Sohn der bolschewistischen Partei, dem würdigen Nachfolger und großen Fortsetzer der Werke Lenins, hoch erhoben und vorwärts getragen."

Doch Stalin feilte nicht nur an seiner (Auto-)Biographie. Vielmehr erschienen nach und nach dicke Wälzer, die seine Werke enthielten. Dazu gehörte nicht nur seine Erstlingsarbeit über "Die nationale Frage und die Sozialdemokratie", zu der er 1912 auf einer Reise nach Krakau und Wien angeregt worden war, sondern auch Aufsätze über Leninismus, Revolution, Konterrevolution, Sozialismus, Imperialismus, Diktatur des Proletariats, Strategie und Taktik des Klassenkampfs, Freund, Feind, immer schön schwarz-weiß, so dass man wusste, wo die Schurken waren.

Er schrieb manchmal einen regelrechten Telegrammstil, vereinfachte die kompliziertesten Fragen und passte sie an seine eigene schematische und duale Sichtweise an. Und dass dabei dem Nationalsozialismus und anderen faschistischen Bewegungen eine besondere Bedeutung zukam, lag wohl auf der Hand. Und das, obwohl sie immer wieder ähnlich gelagerte Interessen vertraten und in der Machtpolitik mit Stalins Sowjetunion durchaus konkurrieren konnten.

Dann, am 23. August 1939, schien das alles nicht mehr zu gelten. Die Sowjetunion und das Deutsche Reich schlossen einen Freundschafts- und Grenzvertrag auf Kosten Polens, das acht Tage später von der deutschen Wehrmacht angegriffen wurde. Der Krieg, der dann zum Zweiten Weltkrieg wurde, nahm seinen Anfang. Nach der Niederwerfung Polens teilten sich Deutsche und Sowjets Polen, und jeder führte seine Gefangenen nach Hause, siedelte um und verübte Massenmorde. Was in Katyn und anderswo geschah, wo über 25.000 Polen auf Stalins Befehl umgebracht wurden, sollte allerdings für die Russen auch lange nach Stalin ein Geheimnis bleiben.

Die Sowjetunion nützte den Krieg, um mit deutscher Duldung die baltischen Staaten zu annektieren und dann gegen Finnland Krieg um Karelien zu führen. Doch Hitler und Stalin waren sich wohl nur zu sehr bewusst, dass sie ihre Völker gegeneinander hetzen mussten. Bis jüngst wurden dabei immer wieder Spekulationen angestellt, dass die Sowjets knapp daran gewesen seien, den Angriff auf Deutschland zu beginnen, und dass man ihnen deutscherseits am 22. Juni 1941 mit dem "Unternehmen Barbarossa" gerade noch zuvorgekommen wäre. Richtig ist daran wohl nur, dass Stalin durch seine Spione gewarnt war und sich der Illusion hingab, einen deutschen Angriff grenznah auffangen und dann eine Gegenoffensive mit dem Ziel Berlin beginnen zu können.

Doch die Rote Armee schlitterte in die Katastrophe, Armeen wurden eingekesselt, und die deutschen Erfolgsmeldungen, in denen jeweils von Hunderttausenden Kriegsgefangenen und Vorstößen bis Leningrad, Moskau und schließlich Stalingrad die Rede war, schienen auf die nahe Auflösung der Sowjetunion hinzuweisen. Vielleicht hat dazu auch wirklich nicht viel gefehlt. Doch die nationalsozialistische Führung Deutschlands wollte keine Gegenrevolution in Russland, war nicht an einem russischen Volk interessiert, das dem stalinistischen Terror entkommen wollte, sondern überbot das alles noch.

Daher konnte Stalin zum "Väterchen" mutieren, den "Großen Vaterländischen Krieg" proklamieren und jegliches Opfer verlangen. Es schien ihn auch nicht zu interessieren, dass sein eigener Sohn in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet und umkam. Denn man ergab sich dem Feind nicht. Alles schien gerechtfertigt zu sein, was nur im Entferntesten mit der Abwehr der deutschen Aggression zu tun hatte.

Und das auch im Nachhinein. Denn wie sonst wäre es wohl zu erklären, dass es heute im Süden Moskaus ein Stalin-Museum gibt, neben dem vielleicht größten Flohmarkt der Welt, im Dunstkreis der kaukasischen Mafia und zugänglich über ein Stadion, wo ein selbsternannter Prinz Räume nachbauen ließ, die angeblich am Ende einer U-Bahnlinie liegen, die vom Kreml an den Stadtrand führte – für den Fall der Fälle, dass der Generalissimus zur Flucht gezwungen sein sollte. Unter der Erde und geschützt durch Zuschauertribünen wurden Besprechungs- und Schlafräume eingerichtet. Man kann sich seit einigen Jahren mit etwas Phantasie vorstellen, dass von hier aus Stalin, der Stählerne, die Schlacht um Moskau leitete. Vier Jahre später teilte er mit Roosevelt und Churchill in Yalta die Welt und überwand im Juli 1945 sogar seine Flugangst, um zur Siegerkonferenz nach Potsdam zu kommen.

Erst während des Kriegs hatte Stalin begonnen, sich stärker um die Meinung anderer zu kümmern. Er saß in der Stawka, dem obersten sowjetischen Kommando, und im Politbüro, machte Notizen, zeichnete Dreiecke und Kreise, Tiere mit eckigen Umrissen, die er dann rot anmalte. Seine Entscheidungen galten als unumstößlich, auch wenn sie nicht immer klar formuliert waren. Doch ein gewisser Interpretationsspielraum ließ Möglichkeiten offen, so oder so. Stalin begann sich auch persönlich um die Staatsfinanzen zu kümmern, vor allem um den Goldschatz der Sowjetunion. Aber nicht das Finanzministerium sollte für die Goldgewinnung und -verarbeitung zuständig sein, sondern das Ministerium für Staatssicherheit. Millionen Sklavenarbeiter mussten dafür in den entlegensten Regionen schuften und hungern, und wieder hielt der Tod tausendfache Ernte.

Als die sowjetischen Kriegsgefangenen nach Hause zurückkehren konnten – in den deutschen Lagern hatte ohnedies nur jeder Zweite überlebt – wurden sie in Umerziehungslager gesteckt; andere kamen unter nichtigen Anschuldigungen in Straflager. Solschenizyns "Iwan Denissowitsch" erzählt davon. Nach Sibirien, Kasachstan und in den Ural wurden ganze Völker und Volksteile deportiert, Volksdeutsche, Tschetschenen, Inguschen, Krimtataren und andere, die dann als "Umsiedler" oder "Sonderumsiedler" bezeichnet wurden. Sie vermehrten die Zahl von -zig Millionen Entwurzelten, denen von Stalin und seinen Helfern die Heimat genommen wurde. Seit 1943 gab es Zwangsarbeit. Die Lagerkapazitäten wurden laufend ausgeweitet. Kein Wunder, dass das Ministerium für Staatssicherheit, das mit Hilfe der Häftlinge Straßenbauprojekte realisierte, Wohnhausanlagen errichtete, Bergwerke und Fabriken betrieb, Billigstbieter war und die Termine einhielt. Wo es deutsche Gräber und Friedhöfe gegeben hatte, wurden sie zum Verschwinden gebracht. Nichts sollte mehr daran erinnern, dass Deutsche bis in Sichtweite des Kremls vorgedrungen waren. Stalin befahl es, und so geschah‘s.

Anfänglich zeigten auch die übrigen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, dass sie gesonnen waren, Stalin und der Sowjetunion, die zweifellos einen erheblichen Beitrag zur Niederringung des Großdeutschen Reichs und seiner Verbündeten geleistet hatten, manches nachzusehen. Nur als dann Zentral- und Südosteuropa sowjetisiert wurden und die Drohung eines sowjetischen Vorstoßes bis an den Ärmelkanal und die Pyrenäen im Raum stand, begannen die Amerikaner mit einer Eindämmungspolitik, die letztlich erfolgreich war.

Und Österreich? Ende März 1945 hatte Stalin eher beiläufig gefragt, ob Karl Renner noch am Leben sei. Man sollte ihn suchen – und fand ihn. Stalin gab Renner die Möglichkeit, eine gesamtösterreichische Regierung zu bilden. Er erwartete wohl eine gewisse Dankbarkeit und bekam zumindest schmeichelhafte Phrasen zurück. Dann forderte er von den Westmächten die rasche Repatriierung aller Russen, der Kriegsgefangenen aber auch der schon längst geflohenen Andersdenkenden. Also wurden Kriegsgefangene ebenso repatriiert, wie die nach dem Ersten Weltkrieg aus Russland emigrierten Kosaken samt Frauen und Kindern ausgeliefert wurden. Auch hinter der in Österreich operierenden 3. Ukrainischen Front wurden im Frühjahr 1945 zehn Lager errichtet, durch die alle aus der Kriegsgefangenschaft kommenden und repatriierungswilligen Rotarmisten und Sowjetbürger durchmussten. Dort wurden sie durch die Abwehrorganisation Smersch (Tod den Spionen) überprüft. Rund die Hälfte der in österreichischen Lagern vorgefundenen Sowjetbürger wanderte schnurstracks in die Arbeitslager des Gulag-Systems.

Im Übrigen interessierte sich Stalin nicht nennenswert für Österreich – und das war wohl gut so. Er beließ es dabei, dass das Land geteilt und von Besatzungsmächten kontrolliert wurde. Dafür hatte er seine Satrapen. Doch Stalin ließ keinerlei Anstalten erkennen, daraus eine definitive Teilung werden zu lassen. Ganz im Gegenteil: Wäre es nach Stalin gegangen, hätte es schon 1949 einen österreichischen Staatsvertrag gegeben. Dann aber gab es einen von Nordkorea in Absprache mit Stalin begonnenen Krieg in Korea.

Europa schien weniger wichtig, ja Stalin machte dem geteilten Deutschland 1952 sogar den Vorschlag, seine Wiedervereinigung bei gleichzeitiger Neutralisierung zu erlangen. Die Stalin-Note blieb folgenlos, und schließlich erstarrte die internationale Politik. Sie wurde sklerotisch – wie Stalin. Noch einmal setzte er zum Terror an. Diesmal waren es prominente Ärzte, denen sein Hass galt und deren Verfolgung er befahl. Er umgab sich nur mehr mit der sowjetischen Spielart von Hofschranzen, wurde von Berija, Molotov, Chruschtschov, Kaganowitsch, Bulganin und einigen anderen regelrecht belauert.

Doch als er nach einem Schlaganfall stundenlang in seiner Datscha in Kunzewo gelähmt auf dem Boden lag, war keiner bei ihm. Vier Tage dauerte sein Sterben, dann, am 5. März 1953 war er tot.

Gott Lob!

 

Manfried Rauchensteiner, bekannter Historiker, Universitätslehrer und langjähriger Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, Autor zahlreicher Bücher und historischer Essays zur politischen und militärischen Geschichte. Dieser Text stammt aus seinem neuen Werk "Betrifft Geschichte. Ein Streifzug durch die Zeiten".

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