Der Respekt vor dem Leben kommt in unserer Gesellschaft zu kurz

In der vergangenen Woche fand im Rahmen des »Weltalzheimertages« ein bundesweiter »Aktionstag Demenz« statt. Damit wurde aus sicher guten Gründen auf diese Krankheit aufmerksam gemacht, und noch sicherer sollte vor allem wohl »was mit Bewusstsein« geschaffen werden. Vorausschicken darf ich, dass ich bei den bald den Jahreslauf überschreiten werdenden »Aktionstagen« lange jeden Überblick verloren habe. Und ich darf mitschicken, dass solche Tage intensiver Beschäftigung mit der Thematik sinnvoll sind und vor allem den Alzheimer- oder eben Demenzpatienten – und auch ihren Angehörigen – sehr helfen können.

In zwei, drei Sendungen auf Radio Ö1 habe ich, mit halbem Ohre mithörend, erfahren, dass an solchen Krankheiten leidende Menschen auch noch oft mit »Stigmatisierung« und »Tabuisierung« zu kämpfen hätten. Es würde sich über sie lustig gemacht und sie wären sogar oft Spott und Häme ausgesetzt.

Was die Tabuisierung betrifft, bin ich mir nicht sicher, eine Welt als bessere zu erkennen, in der ich voller Inbrust jeden damit behellige, ich sei dement. Ich denke, es liegt in der Natur von schweren Krankheiten – und in der des Menschen –, sie als intim, sie als höchstpersönlich zu verstehen. Und mit ihnen demnach diskret umzugehen. Sich also nur einem Arzt oder einer sonstigen Vertrauensperson und selbstverständlich der Familie anzuvertrauen.

Bei der Stigmatisierung, naja, da helfen im Grunde nur Erziehung und Ausbildung weiter. Erziehung zum einen dazu, vor alten Menschen Respekt zu haben, und zum anderen dazu, selbst so stark zu werden, sich der Selbstverständlichkeit bewusst zu sein, dass eine Krankheit nie und nimmer etwas sein kann, wofür man sich »zu schämen« hätte.

Das Wichtigste aber erscheint mir der Respekt vor dem Leben überhaupt, und der droht mir in unserer Gesellschaft, in der uns jeder zweite Werbefilm was von Respekt vorträllert, in der jede Sportmannschaft sich »Respekt« in großen Lettern auf die Trikots leerformelt, klamm und heimlich abhanden zu kommen. Jedenfalls, was die Ränder, was die zu allen Zeiten Schwächsten betrifft. Da raffen sich etwa zwei Bundesländer dazu auf, endlich (möchte ich meinen!) einen wenigstens kleinen (und freiwilligen!) statistischen Überblick über Abtreibungszahlen zu erfassen und die Hilfe zur Vermeidung dieser Ultima Ratio auszubauen, schon wird das jedem Pawlowschen Hund zur Ehre gereichend mit brüsken und aufgeregten Kommentaren beantwortet. »Das Recht auf Abtreibung«, dass es bei uns so übrigens gar nicht gibt, wird als gefährdet angesehen, anstatt wenigstens eine Minute darüber nachzudenken, dass jede nicht erfolgte Abtreibung ein Menschenleben rettet.

Und am anderen Lebensende hat – wieder einmal – die Europäische Union das Ihre dazu getan, den Respekt vor »den Alten« mit einer vermeintlichen Sicherheitsmaßnahme gar nicht allzu unterschwellig zu schmälern. Neue Bestimmungen sollen ab dem 60. Lebensjahr die Lenkberechtigung von Personenkraftwagen drastisch einschränken bzw. durch mit zunehmendem Alter zeitlich immer engmaschigeren ärztlichen Kontrollen der Fahrtüchtigkeit, erschwert werden. Selbstverständlich können alte Menschen fahruntüchtig werden. In aller Regel erkennen sie das aber selbst oder werden durch ihre Familie darauf aufmerksam gemacht. Was nicht immer leicht ist, dem Vater oder der Mutter klarzumachen, dass es an der Zeit ist, mit dem Fahren aufzuhören. Geschweige denn, wenn es sich um Menschen handelt, die nicht in einer Großstadt leben.

Schaut man sich Unfallstatistiken an, so sind es Junge und Fahranfänger, die die meisten Unfälle verursachen. Nach dieser Bausch- und Bogenstrategie der EU dürfte gar niemandem mehr ein Führerschein ausgestellt werden. Die Botschaft an unsere alten Menschen, ihr seid zu alt, fördert nicht den Respekt vor den Alten, sondern tut Gegenteiliges. Hier müssen kreativere Ansätze her, die das Zeug dazu haben könnten, der ganzen Gesellschaft zu dienen. Etwa eine zweijährliche obligate – nicht verpflichtend aber mit Steuerbonus prämierte – Gesundenuntersuchung ab 25 oder 30, durch die Krankheitsprävention gefördert würde und die Fahrtüchtigkeit automatisch mitkontrolliert werden kann. So oder anders kann ein behutsamer – und respektvoller! – Umgang mit unseren Alten aussehen. Dann werden sich auch nur mehr die Witzfiguren über einen alten Menschen lustig machen. Und wen juckt sowas schon.

 

Christian Klepej ist Unternehmer und gibt in Graz das Monatsmagazin Fazit heraus. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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