Der gesellschaftliche Grundkonsens und seine woken Feinde

Was derzeit passiert ist so besorgniserregend wie einfach erklärt. Es geht der klassenübergreifende kulturelle Grundkonsens in unserer Gesellschaft verloren. Kaum noch etwas kann/darf als unbestritten und allseits akzeptiert angesehen werden, obwohl weite Teile der Bevölkerung genau diesen kulturellen Grundkonsens bereitwillig mittragen würden.

Die aus den USA überschwappende und von den europäischen Linken mit Begeisterung aufgenommene Wokeness-Ideologie hat daran einen maßgeblichen Anteil. Oder wie es der deutsche Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz so treffend formuliert hat: "Politische Korrektheit/Wokeness läuft auf das Verbot heraus, noch irgendetwas als normal zu betrachten." 

Anbei nur einige Beispiele, worüber in den vergangenen Jahren jeglicher Grundkonsens verloren gegangen ist:

  • Etwa, dass es mit Mann und Frau nur zwei biologische Geschlechter gibt. 
  • Etwa, dass die Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter der Demokratie ist und selbstverständlich das Recht beinhaltet, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen. (Und nein, nicht jede andere Meinung ist Hetze, Schwurbelei oder Fake News.) 
  • Etwa, dass jede Form von Rassismus verabscheuungswürdig ist, es aber natürlich auch Rassismus gegen Weiße geben kann und leider gibt. 
  • Etwa, dass Religionsfreiheit ein hohes Gut ist und wir gerade deshalb klar Kante gegen zunehmende Christenverfolgungen zeigen müssen, so wie Antisemitismus nie mehr einen Platz in unserer Gesellschaft haben darf. (Bedauerlicherweise konnte mir noch niemand schlüssig erklären, weshalb Kritik an linken, jüdischen Philanthropen immer, Kritik an rechten Ministerpräsidenten allerdings nie antisemitisch sei. Klar muss sein, dass die politische Auseinandersetzung natürlich immer erlaubt sein muss.) 
  • Etwa, dass Autofahrer-Bashing ebenso deplatziert ist wie Flugscham, es aber die massive, von der Politik eingeforderte Forcierung technischer Innovationen braucht, um auch die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. 
  • Etwa, dass das Prinzip der Eigenverantwortung beinhaltet, dass jeder Mensch für seine Ernährungsgewohnheiten, seinen Medienkonsum, sein Mobilitätsverhalten selbst verantwortlich ist und das auch tunlichst so bleiben sollte, ohne dass ein überbordender Staat ihm in Orwell’scher Manier Vorschriften macht. 

Wir reden gerne vom europäischen Erfolgsmodell der liberalen Demokratie.

Zu Recht.

Erkennen wir dann allerdings auch, dass deren Erfolgsrezept darin liegt, den Menschen als Individuum mit all seinen Unterschiedlichkeiten anzuerkennen statt woke in absurde (Denk-)Verbote abzutauchen? Wagen wir mehr individuelle Freiheit statt eines intellektuellen Biedermeiers, in dem das Kollektiv festhält, dass nur sein kann, was sein darf.

 

Mag. Manfred Juraczka (54) ist dritter Präsident des Wiener Landtags (ÖVP) und im Zivilberuf Geschäftsführer des Fontana-Resorts in Oberwaltersdorf.

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