Was sind Antisemiten? Und wie unterscheiden sie sich? Der Antisemitismus war eines der schrecklichen Zentralthemen des 20. Jahrhunderts. Stichwort Auschwitz. Man kann über den "Antisemitismus" Bücher schreiben, nein, es sind viele Bücher über den Antisemitismus geschrieben worden. Unbestritten war die Problematik nicht neu. Die Gelehrten mögen darüber streiten, ob der Antisemitismus 2000 oder 3000 Jahre alt und wie er entstanden ist. Aber sicher gab es ihn in vielen Völkern und vielen Formen.
Neu waren in der Mitte des 20. Jahrhunderts Holocaust und Auschwitz.
Der bedeutendste Wiener Bürgermeister aller Zeiten war der christlich-soziale Dr. Karl Lueger, der 1897 bis 1910 im Rathaus an der Ringstraße saß.
Die wichtigsten kommunalen Aufgaben der damaligen Kaiserstadt und heutigen Bundeshauptstadt wurden – immer noch erfolgreich nachwirkend – von ihm geregelt: die Wiener Hochquellenwasserleitung, die Energieversorgung mit Elektrizität und Gas und vieles andere bis zum Bestattungswesen.
Seine Baugrundvorsorge ermöglichte dem späteren "Roten Wien" die Errichtung vieler Gemeindebauten. Er trotzte erfolgreich dem von Kaiser Franz Joseph massiv unterstützten wirtschaftsliberalen und demokratiefeindlichen Zeitgeist.
Hundert Jahre später begann ein neuer Zeitgeist eine pausenlose Kampagne gegen den "Antisemiten" Karl Lueger.
Geschichte lässt sich seriöserweise immer nur aus der Zeit heraus begreifen, so auch Luegers Antisemitismus, der mit der Unmenschlichkeit der nachfolgenden Jahrzehnte nur das Wort gemein hat. Kein Jude wurde durch Karl Luegers Wirken wegen seiner rassischen oder religiösen Zugehörigkeit eingesperrt oder gar an Leib oder Leben geschädigt.
Aber in seine Amtszeit fiel ein merkliches Wachstum des jüdischen Einflusses in Wien, wobei die israelitische Führung nichts so sehr fürchtete wie die Integration ihrer Mitglieder in die bestehende, durch fast zwei Jahrtausende gewachsene Kulturgemeinschaft, deren Wurzeln tief in einem christlich-jüdischen, also das Alte Testament mit einbeziehenden weltanschaulich-religiösem Boden stecken. Stichwort: die zehn Gebote, die immer noch den obersten ethischen Wertmaßstab bilden.
Wie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die wachsende Präsenz jüdischen Lebens in Wien in Teilen der Bevölkerung empfunden wurde, wurde damals so ausgedrückt: "Während sie in unserer Jugend noch bescheiden in der Leopoldstadt saßen (heute der 2. Wiener Gemeindebezirk, Anm.), haben sie jetzt Mariahilf und alle Bezirke überschwemmt."
Aber das hat nicht Lueger gesagt und auch nicht irgendeiner irgendwo, sondern ein namhafter sozialdemokratischer Abgeordneter im österreichischen Nationalrat, nämlich Dr. Karl Renner, der am Beginn der Ersten und Zweiten Republik Staatskanzler war und dann der erste österreichische Bundespräsident nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dr. Karl Renner,
- dem die Israelitische Kultusgemeinde schon vor dem Ersten Weltkrieg antisemitische Flegeleien vorgeworfen hatte,
- der nach der Nationalratswahl 1920 im Parlament die bürgerliche Mehrheit aufrief, "die Judenfrage zu klären",
- der den katholischen Prälaten Ignaz Seipel im Parlament beschuldigte, "die Unterordnung des ganzen Kleinbürgertums unter die Führung des jüdischen Großkapitals zur Tatsache zu machen",
- der wegen der Beiziehung jüdischer Experten den katholischen Prälaten (und Bundeskanzler) Seipel als "Judenliberalen in der Soutane" angriff,
- der nicht gegen "die Schleichhändler" wetterte, sondern stets gegen die "jüdischen Schleichhändler," gegen das "jüdische Großkapital" und gegen die "jüdischen Banken".
Als Karl Renner seine sozialdemokratischen Genossen beim Anschluss 1938 aufrief, für Großdeutschland und "für Adolf Hitler" zu stimmen, ja, "für Adolf Hitler", und dies nach eigener Aussage "spontan und in voller Freiheit" getan hatte, da gab es in Deutschland bereits seit fünf Jahren Konzentrationslager, in denen Juden umkamen, und da galten schon seit 1935 die Nürnberger Rassengesetze.
Von den Nazis erwartete Karl Renner keine weittragenden Absichten – "höchstens dass man den Juden etwas tut". Diese Wahrscheinlichkeit hat Karl Renner offensichtlich nicht gestört.
Nach dem Krieg, nach Holocaust und Auschwitz und Dachau und Buchenwald, warnte Renner davor, "jeden kleinen jüdischen Kaufmann oder Hausierer zu entschädigen".
2012 schrieb der durchaus links zu verortende Kommunikationswissenschafter Maximilian Gottschlich: "Das antisemitische Übel saß nicht nur in den nachgeordneten Ämtern, sondern auch ganz oben in der Staatskanzlei." Dort saß Karl Renner.
Die politischen Umstände und geschehenen historischen Verbrechen geben dessen Antisemitismus eine ganz andere, viel schrecklichere Qualität.
Was also sind Antisemiten und wie unterscheiden sie sich?
Dem Antisemiten Karl Renner werden Denkmäler errichtet, und Straßen und Plätze sind nach ihm benannt, sogar jener Teil der Wiener Ringstraße, an dem das Parlament steht.
Das Wort "Schande" aber schreiben rote Fanatiker auf den Sockel des Lueger-Denkmals, was einmal mehr beweist, dass es ihnen nie um die Bekämpfung des Antisemitismus gegangen ist, sondern wie immer um den Missbrauch der Geschichte für tagespolitische Zwecke.
Den Antisemiten Karl Lueger, für den die "Judenfrage" eine Machtfrage in Wirtschaft und Gesellschaft war und der nie etwas in Richtung der physischen Vernichtung gesagt oder gar getan hat, trifft die ganze Wut der roten Parteiagitation.
Der Vergleich zwischen Lueger und Renner fällt eindeutig aus und beantwortet die eingangs gestellte Frage nach dem Unterschied zwischen den Antisemiten.
Karl Lueger war der bisher bedeutendste Bürgermeister von Wien. Aber er war kein Linker. Daher muss die Erinnerung an ihn gänzlich getilgt oder zumindest nachhaltig beschädigt werden.
Das österreichische Parlament tagt nach wie vor am Dr.-Karl-Renner-Ring, und die sozialdemokratische Zweite Präsidentin des Nationalrats, Doris Bures, würdigte Renner noch im Dezember 2020 als "Säulenheiligen österreichischer Unabhängigkeit und Freiheit".
Der Fall Lueger ist ein neues Beispiel – eines von vielen – für die beschönigend "Cancel Culture" genannte Technik, die Fakten nachhaltig zu verfälschen.
In Wahrheit handelt es sich dabei um eine Totschlag-Kultur gegen alle antimarxistischen Meinungen, um Gesinnungsterror gegen nicht linientreue Wissenschaftler, Politiker und Buchautoren, also um nichts anderes als die praktische Umsetzung der wissenschaftlichen Direktiven des Stalinismus: "Geschichte ist, was der Partei nützt".
Wir merken die Gegenwärtigkeit des Massenmörders Stalin täglich in den Medien, am Buchmarkt, im Straßenbild und im politischen Alltag.
Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokal-geschichtliche Themen.