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Dazu kann man wirklich gratulieren: Österreich und Erdogan

Noch bedrückender als der Sieg des türkischen Machthabers Erdogan bei den dortigen "Wahlen" sind die Gratulationen des österreichischen Bundespräsidenten und Bundeskanzlers an den Mann aus Ankara. Ihre Motive dabei sind rätselhaft und zeugen jedenfalls von einem blamablen Verlust der Republik an Selbstachtung. Nicht erfreulicher, aber wenigstens erklärbar sind die westlichen Reaktionen auf Erdogan.

Denn die Nato hat allen Grund zu fürchten, dass sich Erdogans Schaukelpolitik zugunsten Moskaus neigen könnte, würde der Westen kritisch zu den Vorgängen im Nato-Mitgliedsland Türkei Stellung nehmen. Schließlich kontrolliert das Land den Zugang zum Schwarzen Meer und wird deshalb von Moskau trotz der jahrhundertealten Rivalitäten und Konflikte zwischen beiden Mächten seit Ausbruch des Ukraine-Krieges innig umworben. Schließlich kann die Türkei den Beitritt Schwedens zum westlichen Bündnis blockieren, solange sie selbst in der Nato Mitglied ist. Schließlich sitzt Erdogan am Hahn, mit dem er jederzeit den Strom asiatischer und afrikanischer Migranten Richtung Griechenland und Europa wieder aufdrehen kann.

Aber nichts davon ist ein Grund dafür, dass auch der österreichische Bundespräsident dem Recep Erdogan zu seiner Wieder-"Wahl" gratuliert und von einer "positiven Entwicklung unserer bilateralen Zusammenarbeit" brabbelt. Hier gäbe es endlich wirklich einen Grund dafür, die von Van der Bellen immer so betonten "Werte" aus der Mottenkiste hervorzuholen. Doch in diesem Fall lässt er sie lieber drinnen.

Was für ein Unterschied zu Van der Bellens Haltung etwa gegenüber dem Nachbarn Ungarn! Dort spricht er offen von Meinungsverschiedenheiten und sagt: "We agree to disagree." Mit der Türkei erkennt er aber offenbar überhaupt keine Uneinigkeit.

Dabei kann es überhaupt keine Frage sein: Keines der Verbrechen, die Erdogan vorzuhalten sind, ist Ungarn vorzuwerfen. Und selbst die bei Linken für so viel Empörung sorgende Tatsache, dass in Ungarn "Informationen" an Jugendliche zu den Themen "Trans" und Homosexualität verboten sind, ist harmlos gegen die Situation von Schwulen & Co in der Türkei.

Sollten Bundespräsident und Bundeskanzler aber deshalb so kritiklos gegenüber Erdogan sein, weil sie meinen, wir müssen auf dessen Sensibilität Rücksicht nehmen, dann gilt das umso mehr für die Sensibilitäten eines unmittelbaren Nachbarlandes wie Ungarn. Und warum bringt Van der Bellen nicht einmal einen kritischen Halbsatz gegenüber Erdogan unter, wenn er bei anderer Gelegenheit in undemokratischer Attitüde in Aussicht stellt, Herbert Kickl nicht zum Bundeskanzler machen zu wollen, selbst wenn der die Wahlen gewinnt?

Gewiss, Kickl ist Österreicher. Da kann und soll man als Bundespräsident schon kritischer hinschauen. Und gewiss ist seine Politik in zwei wichtigen Fragen inhaltlich tatsächlich problematisch (einerseits war das sein Verhalten in der Corona-Krise, und andererseits ist das seine unkritische Liebe zum Aggressorstaat Russland); aber das gibt keinen Grund, einerseits einen eventuellen Wahlsieg Kickls ignorieren zu wollen, falls die Österreicher bereit sein sollten, diese Inhalte hinzunehmen, und andererseits einen Diktator zu hofieren.

Es gäbe übrigens auch sehr aktuelle Gründe für den Bundespräsidenten, gegen einen Andreas Babler als Bundeskanzler ausdrückliche Bedenken zu deponieren. Kommt dieser doch möglicherweise in wenigen Tagen an die Spitze einer der drei führenden Parteien des Landes. Hat doch der Linksradikale aus Traiskirchen sowohl Bundesheer wie auch die EU-Mitgliedschaft mit dümmlichem Schimpfen aus der untersten Lade in Frage gestellt (etwa: Die EU sei das "aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat"). Diese Haltung ist deutlich schlimmer als das skurrile Propagieren von untauglichen Corona-Medikamenten. Aber dazu fällt Van der Bellen interessanterweise gar nichts ein. Obwohl er sich sonst gerne als Erfinder und oberster Schutzherr von EU wie Heer ausgibt.

Und alle miteinander, ob Orbán, Kickl oder Babler, sind letztlich geradezu Gentlemen gegen Erdogan, der aus vielen guten Gründen als Diktator zu bezeichnen ist. Diese Qualifikation ist schon an Hand der jüngsten Wahlen beweisbar, genauso wie durch viele andere Fakten:

  1. Die Wahlbeobachter des Europarates erklärten, dass diese Wahlen in einem Umfeld stattgefunden haben, das "in vielerlei Hinsicht nicht die Bedingungen für demokratische Wahlen" bietet. Sie kritisierten die "Voreingenommenheit der Medien" und die "anhaltende Einschränkung der Meinungsfreiheit". Trotz der geschwurbelten Sprache heißt das eindeutig: Die Türkei ist keine Demokratie und kein Rechtsstaat.
  2. Die Wahlbeobachter der OSZE wiederum konstatierten eine "Bevorteilung" Erdogans: Alleine die Beschlüsse dieser beiden europäischen Gremien müssten eigentlich reichen, von einer Gratulation abzusehen. Um Wahlen als demokratisch einzuordnen, genügt es eben nicht, dass die Menschen einen Zettel ausfüllen können.
  3. Erdogan hat wie ein mittelalterlicher Kaiser offen Geldscheine unters Volk verteilt (was in jeder rechtsstaatlichen Demokratie einen Wahlwerber vor den Strafrichter bringen würde).
  4. In der Türkei gibt es seit längerem politische Gefangene, darunter prominente Oppositionspolitiker und Journalisten.
  5. Immer wieder werden dort Medien wegen des Inhalts ihrer Berichterstattung verfolgt.
  6. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden ignoriert.
  7. Gegen die türkischen Kurden läuft seit vielen Jahren eine massive Hetz- und Hasskampagne.
  8. Erdogan ist neben Putin der einzige europäische Staatschef, der Teile fremder Länder militärisch erobert hat: sowohl in Nordzypern wie auch in Nordsyrien. Wie kann man das ignorieren, wenn man – völlig zu Recht – Putins Ukraine-Invasion scharf verurteilt?
  9. Erdogan droht dem Nachbarland (und EU-Mitglied) Griechenland immer wieder, ihm militärisch einige Inseln abzunehmen.
  10. Erdogan hat ein Gesetz auf den Weg geschickt, das den Schutz der Frauen deutlich einschränkt.
  11. Türkische Agenten, die als Journalisten getarnt sind, spionieren im westlichen Ausland lebende Türken aus.
  12. Erdogan ist eindeutig Islamist, der mehrfach große Enge zu den in den meisten Ländern verbotenen Muslimbrüdern gezeigt hat.
  13. Seine Anhänger bejubeln Erdogans Sieg mit dem faschistischen und in den meisten Ländern verbotenen Wolfsgruß.
  14. Erdogans Regime hat viele Jahre entgegen den gesetzlichen Vorschriften auch in den erdbebengefährdeten Gebieten unsichere Häuser bauen lassen, weil deren Errichtung viel billiger war.
  15. Erdogan hat eine so verantwortungslose Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben, dass 2022 die Inflation die 72-Prozent-Grenze überstiegen hat.

Und so einem Mann gratulieren Bundespräsident und Bundeskanzler. Man fasst es nicht. Als Bürger Österreichs kann man ihnen nur zurufen: Nein, so sind wir nicht.

Dabei hätte es viele Gelegenheiten, geradezu Pflichttermine gegeben, statt zu gratulieren, kritische und auch selbstkritische Fragen zu stellen:

  • Was ist da in Österreich los, was für ein Demokratiebild ist da den Zehntausenden Türken vermittelt worden, die in Österreich zur Schule gegangen sind, wenn ausgerechnet dieser Erdogan hier so einen hohen Stimmenanteil errungen hat wie in keinem anderen Land der Welt?
  • Warum hat Erdogan in Musterdemokratien wie der Schweiz nur 43 Prozent, oder wie in Großbritannien nur 20 Prozent, in Österreich hingegen 74 Prozent bekommen?
  • Fließt hierzulande seine hetzerische Propaganda wirklich völlig ungefiltert?
  • Warum wird der Wiener Bezirk Favoriten schon von vielen als türkisches Hoheitsgebiet empfunden?
  • Warum hat niemand kontrolliert, ob nicht auch österreichische Staatsbürger heimlich den türkischen Pass besitzen und gewählt haben – obwohl es am Wahltag ganz einfach zu kontrollieren gewesen wäre?

Ganz nebenbei: Würde sich der Bundespräsident für Österreichs Probleme interessieren, dann hätte er in den letzten Stunden empörte Worte dafür gefunden, dass die Zadic-Justiz – offensichtlich in ihrem Hass auf Schwarz und Blau schon völlig blind geworden – jenen Mann (angeblich irrtümlich!) mit einer bedingten Strafe davonkommen hat lassen, der den Wiener Allerheiligen-Attentäter mit einer Kalaschnikow versorgt hat. Dann hätte Van der Bellen seine Empörung darüber gezeigt, dass der Bundeskanzler diese Ministerin nicht zur Entlassung vorgeschlagen hat.

Wir aber müssen uns fragen, warum sich die Republik so vor dem türkischen Sultan in den Staub wirft:

  • Fürchten wir uns vor irgendwelchen neuen Hassausbrüchen des Cholerikers aus Ankara?
  • Bangen wir, dass uns wieder einmal verboten wird, im Interesse der Türkei – und auf Kosten der österreichischen Steuerzahler – die antike griechische Stadt Ephesos weiter auszugraben?
  • Fürchten wir uns davor, dass die türkischen Faschisten wieder in Favoriten randalieren würden?
  • Oder bangen die hiesigen Parteien um die Stimmen der Türken mit der verheimlichten Doppelstaatsbürgerschaft?

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