Mein Vorhaben, die Karwoche zu einer Reflexion über die Lage und die mögliche Zukunft der römisch-katholischen Kirche in Österreich zu nützen, wurde beschleunigt durch die jüngsten öffentlichen Äußerungen unseres Kardinals Christoph Schönborn. Ein Provinzial der Salesianer Don Boscos meinte einmal in unserer Runde der Pfarrgemeinderatsmitglieder zum Thema der Gestaltung der sonntäglichen Messfeiern, dass Liturgie letztlich sich nicht viel von einer Theaterregie unterscheide. Die Messbesucher wollen nicht nur anregende Lesungen und Predigten hören, sie wollen auch was sehen ... eine schöne Mess’ soll’s sein!
Und die "schöne Messe" hat in Österreich eine seit vielen Jahrhunderten lange Tradition, vor allem und ganz besonders an den hohen Feiertagen. Da kommt der Gläubigen Sehen und Hören auf ihre Rechnung. Alles wird aufgeboten, was die Pfarrgemeinde zu bieten hat. Vom festlichst mit Blumen geschmückten Altar und einer großen Ministrantenschar, bis zum Kirchenchor und der Trachtenmusikkapelle.
Immer mehr wird die Heilige Messe für immer weniger werdende Gläubige zu einer Art "Brauchtumspflege mit religiösem Beiwerk".
Der Palmsonntag markiert den Beginn der Karwoche. Die von Weiden abgeschnittenen frühblühenden Zweigerln werden zu schönen Palmkatzerln gebunden und werden ein wichtiges Element bei Palmweihe und Palmprozession.
Sind wir uns heute noch bewusst, dass wir damit einen Höhepunkt unseres Kirchenjahres feiern? Dass das mehr ist als so eine traditionelle Zusammenkunft besonders gläubiger Katholiken? Ist für die meisten Menschen der Palmsonntag nicht der Tag im Kalender, mit dem der Osterurlaub beginnt?
Ein noch viel markanteres Beispiel für den Verlust ihrer religiösen Bedeutung sind die Fronleichnamsfeiern. Kinder streuen Blumen, ehrenwerte Männer dürfen den "Himmel" tragen, engagierte Pfarrmitglieder gestalten die Prozessionsaltäre ...
Ja, das alles findet den Höhepunkt in den Bootsprozessionen auf so manchem schönen See oder in einer Reiterprozession mit den Flursegnungen. Veranstaltungen zum Gefallen Schaulustiger und vieler Touristen, organisiert vom Fremdenverkehrsverband?
Da werden dann sogar farbenfrohe Berichte im Fernsehen gebracht, meist ohne auch nur ein Wort über den religiösen Inhalt dieses Hochfestes zu verlieren. Ist halt so Brauch bei uns.
Das Kirchweihfest war auch so ein markanter Höhepunkt im Jahresablauf. Aber auch dieses wurde mit der Zeit reduziert auf einen Kirtag mit Musik und Tanz, Hendlbraterei und Fassbier. Unvergesslich bleibt mir eine solche Festmesse in Oberösterreich, im Freien mit Heurigenbänken und Sonnenschirmen. Wo sonst auf zwei Tafeln die Reihenfolge der Lieder aus dem Gotteslob angeschrieben waren, wurden die Gläubigen links und rechts vom Freiluftaltar über die Preise eines Krügel Biers, eines Grillhendels oder eines Paar Würstel informiert, und gleichzeitig mit dem Glaubensbekenntnis hörte man von der Seite her das Kommando "Würstel eini!"
Hat sich also der Katholizismus bei uns auf Brauchtumspflege reduziert, so wie die Goldhaubenträgerinnen? Als Faktor für unsere Tourismuswerbung? Ich behaupte, dass es zumindest in diese Richtung geht. Da auch die in der Pfarrgemeinde notwendigen "Brauchtumspfleger" immer weniger werden – das alles hat doch in unserer modernen, aufgeschlossenen Zeit keinen Platz mehr – bemerke ich eine Parallelentwicklung.
Die aktiven Gläubigen werden immer weniger, weil die heutigen Generationen mit historischen Traditionen generell nichts mehr anzufangen wissen und damit auch nichts mehr mit einer mit Brauchtumselementen geschmückten Religion.
Traurige selbst erfahrene Tatsache: Wenn es einer Religionslehrerin nicht gelingt, auch nur ein einziges Kind ihrer Klasse zur Firmung zu bringen, dann gilt der Spruch nicht mehr, dass sich die Kinder mit der Firmung von der Religion verabschieden. Das passiert jetzt bereits mit der Erstkommunion ...
Verstärkt wird das alles noch von den neuen "Glaubensinhalten": Sich nur nicht binden, "Nobody tells me what to do" und "Do your own thing!" Nicht eine 2.000 Jahre festgeschriebene Religion sei deins – schreibe dir deine Religion selbst! Siehe die vielen Evangelikalen Gruppierungen in den USA. Religion wird TV-Show, Prediger werden Multimillionäre.
Ich sehe die längerfristige Zukunft der "echten" katholischen Kirche in meiner Heimat reduziert in kleine Gruppen, von den anderen belächelt als erzkonservative Betschwestern und Betbrüder - so wie halt auch die vorhin erwähnten Goldhaubenträgerinnen. Auf der anderen Seite wird es weiterhin eine zwar auch schrumpfende Massenbewegung der Taufscheinkatholiken geben, de facto kirchenfern lebend, aber zahlenmäßig noch immer signifikant. Eine Quantität mit wenig realem Inhalt.
Und das bringt mich jetzt noch zu Kardinal Schönborn.
Aus freien Stücken, ohne gefragt worden zu sein, bekannte er kürzlich in einem Interview mit unüberhörbarem Stolz: "Ich bin ein Alt-68er!" Damit wollte er den Klimapickern sagen, dass er einer von ihnen ist. Ein Revoluzzer. Fehlte nur noch der Zusatz, dass ihm nur sein hohes Alter davon abhalte, es ihnen gleich zu tun. Wer weiß, vielleicht beauftragt er seinen Dompfarrer, der ja für seine vielfältigen Segnungen bekannt ist, demnächst eine Straßenblockade mit Weihwasser zu besprengen ...
Ich kann mich nicht erinnern, während der vergangenen Jahre auch nur eine Zeile eines Hirtenbriefs von ihm vernommen zu haben – zum Stichwort Brief fällt mir nur der unter die Tür geschobene ein –, soll ich vielleicht dieses "Ich-bin-ein-Alt-68er" als eine Art Botschaft seines Hirtenbriefs an die Gläubigen verstehen?
Man kann dem Kardinal viel nachsagen: Dass die österreichische Kirche unter seiner Leitung immer weniger Priester und Gläubige hatte und Österreich nicht mehr als das bezeichnet werden kann, was es mehr als tausend Jahre lang war: ein katholisches Land. Dass Kirchengebäude verkauft oder verschenkt werden mussten, dass Pfarren aufgelöst oder zu großen Pfarrverbänden zusammengelegt wurden, dass es um die einmal gestartete Aktion der Stadtmission still geworden ist, und dass wir andererseits ausländische Pfarrer aus zum Teil fernen Kontinenten brauchen, um die Wiener zu missionieren ...
Aber Schönborn wird uns als der Alt-68er-Kardinal in Erinnerung bleiben.
Dr. Günter Frühwirth ist Jurist und begeisterter Bahnfahrer. Die gesellschaftspolitische Entwicklung Österreichs verfolgt er mit aktivem Interesse.