Genitalbeschneidung, Zwangsheirat, Menschenhandel auch in Österreich

Anfang März lud ich zu einer Kinovorführung des bewegenden Films Wüstenblume in die Donaustadt, zu der die Protagonistin Waris Dirie persönlich erschien. Der Film zeigt die Geschichte des Supermodels vom Flüchtlingskind zur vielfach ausgezeichneten Menschenrechtsaktivistin, Beststeller-Autorin und UN-Sonderbotschafterin: In Somalia geboren und als Fünfjährige genitalverstümmelt, floh sie mit nur elf Jahren allein durch die Wüste vor einer Zwangsheirat. Ihre Route führte sie bis nach London, wo sie in der somalischen Botschaft zur Arbeit ausgebeutet wurde.

Solche Horrorszenarien wollen wir uns in Österreich nicht einmal vorstellen. Dennoch geschehen sie in unmittelbarer Nähe.

Menschenhandel: Österreich ist Ziel- und Transitland

Eine Sozialarbeiterin erzählte mir, dass sie eines Nachts zwei Prostituierte in Wien ansprach, ob sie etwas benötigten. Die beiden fragten sie in schlechtem Englisch: "Wir würden gerne wissen, in welcher Stadt wir uns befinden." Österreich ist Transit- und Zielland im Menschenhandel. In der österreichischen Justiz sagen jährlich ca. 100 bis 130 Zeuginnen aus, daraus lassen sich Dunkelziffer und Mafiastrukturen ableiten.

Dass bei uns Asylwerberinnen in der Prostitution arbeiten dürfen, bietet den Menschenhändlern einen bequemen rechtlichen Rahmen. Experten sprechen von der Notwendigkeit der Eindämmung der Nachfrage, die OSZE fordert von Österreich klarere strafrechtliche Bestimmungen gegen Sexkauf von einem Opfer. Die Verbrecher sind uns meist einen Schritt voraus: Nun muss auf technologie-basiertes Trafficking über das Internet (75 Prozent bei Kinderausbeutung, 80 Prozent bei Frauen) effektiv reagiert werden.

Auch Kinder- und Zwangsheirat gibt es in Österreich

Eine Richterin berichtete mir über ihre Erfahrungen im Bereich Gewalt an Frauen: "Was vor zehn Jahren ein Einzelfall war, ist heute zum Regelfall geworden", sagte sie. Über die Zahl der im Ausland geschlossenen Kinderehen gibt es in Österreich kein genaues Datenmaterial, immer wieder werden allerdings Fälle bekannt. Es wird von tausenden Zwangsehen in Österreich ausgegangen.

Laut einem Leitfaden von "Orient Express" betrifft das Thema Zwangsheirat häufig Minderjährige, welche bereits in zweiter oder dritter Generation in Österreich leben: "Die hauptsächlich weiblichen Jugendlichen werden unter Druck gesetzt, im Heimatland ihrer Eltern einen oftmals für sie unbekannten Mann oder nahen Verwandten zu heiraten. Durch die frühe Heirat wird sichergestellt, dass die Betroffenen jungfräulich heiraten und so die Familienehre gewahrt bleibt", so der Leitfaden.

Dies geht auch aus einer Studie der Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres aus dem Jahr 2018 hervor, welche außerdem Fälle von Zwangsheirat als Einreisemethode beschreibt, die Frauen aus Verzweiflung ergreifen und aus der sie sich aufgrund der Abhängigkeit vom Ehepartner nur schwer befreien können. "Diese Form der Zuwanderung ist schon seit längerem bekannt und hat weiterhin Relevanz im Kontext der Zwangsheirat", so der Bericht. Ein Handbuch des ÖIF, Roten Kreuzes und von FEM Süd – "Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen" – beschreibt ehrkulturelle Gewalt, Zwangsheirat, Kinderehe und Mehrfachehe, Frauenhandel, Genitalverstümmelung: "Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund sind laut der EU-Grundrechtagentur einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt." Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund, heißt es weiter, würde durch die jeweilige Kultur und Verhaltensregeln legitimiert, die von Generation zu Generation weitergeben werden.

Weibliche Genitalverstümmelung mitten in Österreich

Laut WHO-Angaben gibt es weltweit 200 Millionen Frauen und Mädchen, die einer weiblichen Genitalverstümmelung (FGM, female genital mutilation), unterzogen wurden. Bei der grausamen Praktik werden die weiblichen Geschlechtsteile mithilfe von Rasierklingen und Glasscherben amputiert oder schwerstens beschädigt. Oft unter unhygienischen Bedingungen erleiden Mädchen dies meist im Säuglingsalter oder vor bzw. während der Pubertät. Wer die Prozedur überlebt, leidet lebenslang an Folgen wie körperliche Schmerzen und Beschwerden, chronische Entzündungen im Unterleib, schwerwiegende Komplikationen bei der Geburt, sowie psychische Probleme wie Depressionen und Traumata.

Ziel dieser in einigen Regionen Afrikas prävalenten brutalen Praxis ist der Schutz der Jungfräulichkeit und damit der Erhalt der Heiratsfähigkeit der Mädchen. Dabei handelt es sich eher um ein kulturelles als ein religiöses Phänomen. EZA-Experten berichten dann von flächendeckenden Erfolgen, wenn lokale religiöse Leitungspersonen den Kampf gegen FGM mitunterstützen. 

Obwohl in Österreich illegal, ist diese grausame Praxis auch bei uns angekommen: Eine Studie aus dem Jahr 2006 berichtete von 8000 bestätigten Fällen in Österreich, wobei die Dunkelziffer um einiges höher geschätzt wird. Durch Einwanderung aus den 28 Staaten im westlichen und nordöstlichen Afrika, wo FGM hauptsächlich praktiziert wird, könnte die Zahl noch weiter gestiegen sein.

Konkrete Beispiele aus dem Alltag brachte in der Diskussion mit Waris Dirie der VP-Bezirksvorsteherstellvertreter und Direktor einer Mittelschule in Wien-Floridsdorf, Christian Klar: "Die Schwester einer unserer Schülerinnen sollte nach Ägypten fliegen, um verstümmelt zu werden, weil sie ansonsten keinen ,richtigen‘ Ehemann finden würde. Das war der erste Fall, der uns bekannt wurde, und das ist kein Einzelfall in Österreich." Und weiter: "Auch Zwangsehen gibt es bei uns: Ich hatte einen Fall vorliegen, wo ein Mädchen vergewaltigt, geschlagen und zwangsverheiratet wurde. Mitten in Wien: Diese Menschenrechtsverletzungen sind also weder abstrakt noch eine Seltenheit!"

Während in Wien lebende Mädchen in den Ferien in den Herkunftsländern verstümmelt werden, gibt es auch Berichte von Beschneiderinnen, die von den betroffenen Ländern aus nach Wien kommen, um hier ihre unheilvollen Praktiken vorzunehmen. Mittlerweile gibt es in Europa und in Österreich mehrere Kliniken, die darauf spezialisiert sind, den betroffenen Mädchen und Frauen zu helfen. Dabei leistet die Desert Flower Foundation Pionierarbeit. 

Wie kann Österreich antworten?

Zuerst müssen wir Scheuklappen ablegen: Hier geht es nicht um kulturelle oder religiöse Diversität, sondern um gravierende Menschenrechtsverletzungen, die durch Migrationsbewegungen nun auch in Österreich angekommen sind und denen wir ohne Toleranz begegnen müssen.

Um gegen Kinder- und Zwangsehen vorzugehen, muss das Ehealter ausnahmslos auf 18 Jahre angehoben werden.

Aufmerksamkeit auf das Thema FGM zu lenken, kann verhindern, dass Mädchen in den Ferien in ihren Ursprungsländern beschnitten werden. Dazu ist es ebenso notwendig, die Communities und die Berufsgruppen, die mit Betroffenen zu tun haben – von Kinderärzten zu Lehrern – zu sensibilisieren. Medizinische Ansprechpartner braucht es auch in den Bundesländern. Betroffene Frauen müssen wissen, wo sie hingehen können, wenn sie Hilfe brauchen. Ob eine Anzeigepflicht zielführend ist oder dazu führt, dass Betroffenen medizinische Akuthilfe verwehrt wird, muss genau geprüft werden.

In den Bereichen Bildung, Erziehung und Integration braucht es engagierte Präventionsarbeit.  Waris Dirie sprach sich für einen Fokus auf die richtige Erziehung der Kinder aus: Diese beginne nicht erst in der Schule, sondern bereits bei den Eltern, deren Verantwortung heutzutage oft außer Acht gelassen würde. Die Jugend brauche Wahrheit, Regeln und Respekt. Denn sie müsse bereits im jungen Alter lernen, sich gegenseitig zu respektieren. Im Speziellen müssen die Buben lernen, Mädchen zu respektieren.

Eine von Frauenministerin Susanne Raab ins Leben gerufene Koordinierungsstelle hat im Jahr 2022 175 von FGM betroffene oder bedrohte Frauen beraten. Dort gibt es Information, Beratung, Präventionsarbeit und Unterstützung für Hilfesuchende und Fachkräfte. Die Ministerin hat kürzlich eine Studie in Auftrag gegeben, um Zahlen und andere notwendige Daten zu eruieren. Der österreichische Integrationsfonds (ÖIF) koordiniert zahlreiche Projekte. Das Parlament behandelt diese und ähnlich Themenbereiche häufig, die Europäische Union und die OSZE beschäftigen sich damit.

Auch wenn es nie genug ist: Nulltoleranz gegenüber solchen Menschenrechtsverletzungen an Mädchen und Frauen und entschlossenes Vorgehen sind ein Muss.

 

Die Nationalratsabgeordnete MMag. Dr. Gudrun Kugler ist ÖVP-Bereichssprecherin für Menschenrechte und Vertriebene. Die promovierte Juristin, Master der Theologischen Studien zu Ehe und Familie und Magistra der Gender Studies, ist verheiratet und Mutter von vier Kindern. Weitere Informationen: www.gudrunkugler.at

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