Die evangelische Kirche der Steiermark hat beschlossen, die Fußwaschung wieder einzuführen, und zwar öffentlich an Passanten. Ein säkularer Mensch erwidert dazu erwartungsgemäß: Zu solchen Unsitten hat euch euer Jesus in Geiselhaft genommen? Als nachfolgende Mittäter und Mitdenker, denn es ist Euer Gewissen, das in Sack und Asche geworfen wird: weil jene, die sich nicht (freiwillig) zum aktiven Fußwaschen melden, gleichfalls vom bösen Gewissen betroffen sind, eine heilige Pflicht nicht erfüllt zu haben. (Die Kant unverblümt als "Afterdienst" demaskiert hätte.)
Wenn der Papst zu ausgesuchten Opfern der Fußwaschung fährt, diesmal auf der vermeintlich realen Opferseite: zu vermeintlich an (bibelantiker) Krätze leidenden Häftlingen oder "Flüchtlingen", sind auch die säkularen Menschen bereit, dies unter symbolischer Religionshandlung abzuhaken und zu dulden. (Moslems, Inder und Juden haben noch "ganz andere" Riten in ihrem überkommenen Religionsgepäck anzubieten.)
Das Problem ist unlösbar und man hat nur die Möglichkeit "in der Aporie" auszuhalten. Der Säkulare verstößt gegen ein Gebot, das ihm nach seinem Tod, wenn er es zu Lebzeiten erfüllt hätte, großen Gewinn in seinem Ewigen Leben gewährt hätte. Der halbe Christ, jener der die öffentliche Fußwaschung vermeidet, kommt am Schlechtesten weg, denn er hätte wissen müssen, was jeder wahre Christ zu wissen und zu tun verpflichtet ist.
Auch der Säkulare ist in der Aporie: hat er doch vom ewigen Gebot gehört, weiß davon, also auch sein Gewissen.
Bleibt noch das Problem der Passanten, die nun, womöglich in Graz am Hauptplatz, ihre ungewaschenen Füße (freiwillig) vorzeigen sollen, um auch ihrerseits ihre Heiligung nicht zu verfehlen.
Wenn es aber anfangs geheißen hat: "Die evangelische Kirche hat beschlossen", ist auch dieser Satz schon in der Geiselhaft geschrieben und dementsprechend unwahr und korrumpiert. Es sind einige Gemeindemitglieder, vielleicht auch "obere", die anraten, angesichts davonlaufender Protestanten in Europa, den PR-Wert des Fußwaschens nicht zu unterschätzten. (Jetzt müssen sie nur noch im ORF einige gewissensgeplagte Journalisten und Kameraleute finden, um die Sache öffentlichkeitswirksam über die Bühne zu führen.)
Auch Kants These vom Afterdienst appelliert letztlich an ein "öffentliches Gewissen": Denn die Enthaltung von "antiken" oder anderen Religionssitten sei der Vernunft aller Menschen und deren Gewissen vorgelegt, auch sie müssen unterschreiben. Zwei Geiselhaften gleichsam: wählt und entscheidet.
Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.