Vom Scherz zur Realität? Vor einem halben Jahrhundert kursierte ein Witz: Auf einem Gewerkschaftskongress bejubelt ein Redner die Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden. Das sei aber nur ein Etappenziel. Man müsse die 30-Stunden-Woche einführen und dann weiterkämpfen. Am Ende solle nur noch mittwochs gearbeitet werden. Worauf ein Zwischenruf aus dem Publikum ertönt: "Jeden Mittwoch?"
Das Arbeitszeitproblem ist so alt wie die industrielle Revolution, deren Anfänge mit dem Wort "Ausbeutung" nur unzulänglich beschrieben werden. Die englische "Moral and health act" 1802 – richtig gelesen: 1802 – beschränkte die Tagesarbeitszeit für Kinder – richtig gelesen: für Kinder – auf zwölf Stunden. 1847 führte die "Ten ours act" für Kinder (!) den Zehn-Stunden-Tag ein. Und diese "acts" dienten der Verbesserung eines noch viel schlimmeren Zustands!
2023 diskutieren wir die Vier-Tage-Woche. Gesellschaft und Wirtschaft haben sich in den vergangenen 200 Jahren bis zur totalen Unvergleichbarkeit verändert. Die Sozialgeschichte wird dabei auch durch die Verkürzung der Arbeitszeit geprägt, und bei jedem dieser Schritte gab es Widerstand und ebenso die Bewältigung der neuen Situation.
Nur hat auch das Zusammenleben der Menschheit seine Naturgesetze. Aus einem großen Fass kann man lange schöpfen. Wenn es leer ist, gehen auch alle Wünsche und Forderungen ins Leere. Die gestoppten Zeiten der 100-Meter-Läufer sind seit den ersten modernen Olympischen Spielen 1896 immer kürzer geworden. Man kann sie sicher nicht mehr halbieren.
Die neuerdings gebetsmühlenartig propagierte "Work-Life-Balance" taugt vielleicht als Wahlschlager, der sich aber ebenso als Rohrkrepierer erweisen könnte wie der mittlerweile begrabene Feministen-Schlachtruf "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Eine Statistik zeigt die Richtung: 1970 starb der Durchschnittsösterreicher nach 43 Arbeitsjahren und 34 Nicht-Arbeitsjahren (Kindheit, Ausbildung, Pension). 2010 waren es 35 Arbeitsjahre und 48 Nicht-Arbeitsjahre. 2023 klafft die Schere durch verlängerte Ausbildung und verlängerte Lebenszeit noch weiter auseinander. Die Balance wird zur Schräglage.
Nein, Mitleid mit den Großkonzernen braucht wegen der Vier-Tage-Woche niemanden zu plagen, und viele Wirtschaftszweige werden sie verkraften. Doch am Wegrand werden wohl einige verendete Firmenkadaver und vielleicht ganze Berufsgruppen liegen bleiben. Denn in anderen Teilen dieser Welt arbeitet man ganz anders, und die Vier-Tage-Läufer werden im globalisierten Zielraum erst nach der Siegerehrung ankommen.
Manche Aspekte drohen noch trister: Was macht der arbeitsfreie Österreicher bei Zahnweh? Drei Tage warten? Was tut man gegen einen unaufhaltsam rinnenden Toilettenabfluss? Drei Tage warten? Wer bringt einem in der reichlichen Freizeit im Schanigarten einen Kaffee oder ein Bier? Wer führt die Freizeitgesellschaft mit Bahn oder Bus ins Grüne? Wie können die ständig mehr werdenden Hochbetagten lebenswert betreut werden?
Wie bewältigt man in vier Tagen eine Sieben-Tage-Landwirtschaft? Gibt man das Melkvieh drei Tage bei der Gewerkschaft oder der Arbeiterkammer ab? Wie hält man die Landjugend für eine Sieben-Tage-Woche am Hof? Und wenn die jungen Frauen und Männer nachhaltig in die Vier-Tage-Woche abwandern: Woher kommt dann auf kurzem Transportweg das regionale, genfreie Mittagessen?
Wer garantiert die Sicherheit, wenn die Polizei wöchentlich drei arbeitsfreie Tage einschiebt? Ihre Tätigkeit lässt sich nur beschränkt digitalisieren, und für einen geregelten Turnusdienst fehlen sowohl das ausgebildete Personal als auch die Geldmittel. Sollten Manager ihre Arbeit um einen weiteren Tag verkürzen, erspart man sich mangels ihrer Erfolge allerdings die Debatte über Bonuszahlungen.
Schließlich stellt sich die Frage nach dem Selbstwertgefühl der Menschen. Man ist Krankenschwester, Buchhalter, Dachdecker, Müllentsorger, Rechtsanwältin, Reisemanagerin, Tankwart, Verkäuferin, Weinbauer. Die unverzichtbaren Berufserfahrungen eignet man sich nur in der Praxis an.
Ein Künstler ist immer Künstler, sieben Tage in der Woche. Wer nur vier Tage in der Woche Journalist sein will, ist keiner und wird nie einer werden.
Wenn die Vier-Tage-Woche Allgemeingut wird, sieht die Wochenbalance so aus: 136 Stunden Freizeit, 32 Stunden Arbeit.
Ohne Arbeit bleibt innere Leere, und viel Freizeit leert die Geldbörse. Was liegt für den Installateur und die Masseurin näher als Schwarzarbeit? Dann (nur dann) kann man sich notfalls auch die Privatpraxis eines Vier-Tage-Spitalsarztes leisten, denn der Operationstermin einer Krankenkassenbehandlung liegt absehbar vier Tage nach Eintritt des Todes. Und die Doppelberufstätigkeit zeitigt neue Einkommensunterschiede und damit neues Konfliktpotential.
Viele Menschen finden in ihrer Tätigkeit Erfüllung. Es ist heute nicht vorhersehbar, wie sich künftig Menschen an ihrem Lebensabend fühlen werden, die in ihrem Dasein nichts anderes gehabt haben, als was sie für Spaß hielten.
Vorerst ist es besser, sich weiter an das kluge Wort zu halten: Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst dein ganzes Leben lang nicht zu arbeiten.
Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokal-geschichtliche Themen.