Fußball und die politische Korrektheit

Es wird wenige Zeitungsleser geben, die sich nicht an dieses Bild von der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar erinnern: Die deutsche Nationalmannschaft steht mit zugehaltenem Mund vor der Kamera. An sich hatten sich ja die deutschen Spieler vor allem für die Endrunde qualifiziert, um vor weltweiter Bühne mehr Verständnis für das Verhalten einiger sexueller Identitäten zu einzufordern ‒ zugegeben das drängendste Problem der heutigen Welt. Tormann-Ikone Manuel Neuer schlief angeblich schon Wochen vor dem Anpfiff mit bunter Kapitänsschleife. Leider hielt er beim Spiel gegen Japan dann seine Hand vor den Mund und nicht dorthin, wo der Ball ins Netz flog. Der ostasiatische Fußballzwerg gewann 2:1, die Deutschen schieden letztlich aus und halten nun nicht mehr die Hand vor den Mund, sondern diesen.

Was hier nur als Satire beschrieben werden kann, ist die Folge der politischen Korrektheit, die vorschreibt, "was man denken und sagen darf", wie einmal der Salzburger Verfassungsrechtler Helmut Schreiner beklagte. Und diese politisch-korrekte Diktatur hat als faule Frucht die Cancel Culture geboren, beschönigend als Absagekultur übersetzt, die aber in Wahrheit das Gegenteil von Kultur ist und auch nicht absagen heißt, sondern vernichten. Also Vernichtungskultur und Kulturvernichtung. Und Meinungsterror.

"Die Verdammung und Verleugnung des geschichtlich Gewordenen zugunsten einer scheinbar unumstößlichen Wahrheit lauert auch im Herzen der Political Correctness", hieß es in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": Heute seien es nur Bilder, Wörter und Statuen, die "gereinigt" werden. "Morgen könnten es Köpfe sein."

Eine beklemmende Vision, die beklemmende Realität zu werden beginnt. Der deutscher Sozialdemokrat Wolfgang Thierse erfuhr im Vorjahr am eigenen Leibe, wie schnell man die politisch-korrekte Unschuld verlieren kann. In einem aktuellen Buch ist der unglaubliche Vorgang nachzulesen.

Thierses öffentliche Kritik am Vordringen einer "rechten, aber auch linken "Cancel Culture" provozierte so abwertende Reaktionen der SPD-Führung und des parteinahen "Netzes", dass er sich veranlasst sah, seinen Parteiaustritt anzubieten.

Was hatte der Politiker so Schreckliches geschrieben? Ein Buchauszug:

"Diskussionen (…) zu verweigern, das ist genau das, was als Cancel Culture sich zu verbreiten beginnt. Menschen, die andere, abweichende Meinungen haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs in den Medien oder aus den Universitäten auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten."

Der 77-jährige Schreiber kann wahrlich nicht als Hinterbänkler abgetan werden: Wolfgang Thierse war sieben Jahre Präsident und acht Jahre Vizepräsident des Deutschen Bundestags. 15 Jahre fungierte er als stellvertretender Vorsitzender der SPD und leitete zwanzig Jahre deren Grundwertekommission.

Was hatte den Unmut des damals neuen SPD-Doppelvorsitzes so erregt, dass solche demokratisch eigentlich selbstverständlichen Aussagen für "beschämend" befunden wurden? Thierse hatte den linken Ideologen der Partei, welche die weitestgehende Zersplitterung der Gesellschaft in "Identitäten" forcieren, den roten Schweiß auf die Stirne getrieben:

 

  • Thierse fragte nämlich, ab wann eine solche Politik eine Gesellschaft spaltet.
  • Er erinnerte daran, dass solche Fraktionierungen der Gesellschaft in der Vergangenheit immer wieder zu heftigen, gar blutigen Konflikten geführt haben. "Sollte sich Geschichte unter anderem Leitbegriff etwa wiederholen?"
  • Wörtlich: "Wenn Vielfalt friedlich gelebt werden soll, dann muss diese Pluralität mehr sein als das bloße Nebeneinander sich voneinander nicht nur unterscheidender, sondern auch abgrenzender Minderheiten und Identitäten. Dann bedarf es grundlegender Gemeinsamkeiten, zu denen selbstverständlich die gemeinsame Sprache gehört, natürlich auch die Anerkennung von Recht und Gesetz." Das muss in den Ohren führender Genossen ja fast so konservativ klingen wie Law and Order – Gesetz und Ordnung!
  • "Heimat und Patriotismus, Nationalkultur und Kulturnation (...) sind nicht reaktionäre Residuen einer Vergangenheit, die gerade vergeht. (…) Die Nation ist keine erledigte historische Größe. (...) Das Bedürfnis nach sozialer und kultureller Beheimatung (…) nicht wahrhaben zu wollen, halte ich für elitäre, arrogante Dummheit."
  • Und noch viel mehr verlangt Thierse zum Entsetzen von Spitzenpolitikern der SPD: die Anerkennung von Regeln und Verbindlichkeiten und den Respekt vor Mehrheitsentscheidungen, denn "auch Mehrheiten haben berechtigte kulturelle Ansprüche, die nicht (…) denunziert werden sollten."

Für die SPD-Führung sind das "beschämende" Gedanken. Beschämend für die SPD.

 

Dieser Text entstammt zum Teil dem Buch von Willi Sauberer: "Die gescholtene Kriegsgeneration", 2. Auflage, Salzburg 2022. 248 Seiten. € 25.--. Buchhandel oder Österreichischer Milizverlag (Mail milizverlag@miliz.at. Tel. 050201 80 40950).

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokal-geschichtliche Themen.

 

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