75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden die Antifaschisten immer mutiger. Zwei junge Ministerinnen, von denen wir selbstverständlich annehmen dürfen, dass sie sich bereits damals, als es lebensgefährlich war, heldenhaft im Widerstand gegen den Nationalsozialismus betätigt hätten, kompensieren das Unglück ihrer späten Geburt durch den Vorschlag, das Verbotsgesetz "nachzuschärfen" und "zu verbessern", um "noch schlagfertiger und noch treffsicherer gegen jede Form von NS-Wiederbetätigung und Rechtsextremismus vorgehen zu können.
Während ich dieses schreibe, ist der genaue Wortlaut der von den beiden Ministerinnen präsentierten Regierungsvorlage noch nicht im Internet auffindbar; ich beziehe mein Wissen darüber aus einer Meldung in der Tageszeitung "Der Standard". Demnach soll die angestrebte Verbesserung des Verbotsgesetzes (unter anderem?) aus den folgenden Komponenten bestehen:
- Zum einen sollen antisemitische Vorfälle, die in Österreich strafbar sind, aber im Ausland im Internet gesetzt werden, hierzulande juristisch geahndet werden können.
- Zweitens sollen NS-Devotionalien eingezogen werden können, auch wenn sich aus den Gegenständen selbst keine strafrechtliche Verantwortlichkeit ableitet. Bisher konnten die Gegenstände nur dann von den Behörden eingezogen werden, wenn nachweislich eine Wiederbetätigung vorlag, weil der bloße Besitz nicht strafbar ist.
- Drittens soll nicht bloß die Leugnung des Holocaust oder seine "gröbliche Verharmlosung", sondern jede Form der "Verharmlosung" verboten werden. Als Beispiel hierfür nannte die Justizministerin ausdrücklich die bei den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen oft gezogenen Vergleiche zwischen der Ausgrenzung ungeimpfter Personen aus dem öffentlichen Leben und der systematischen Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben im Dritten Reich, die dem Massenmord in den Gaskammern voranging. So habe das Tragen des abgewandelten "Judensterns" bei den Corona-Demonstrationen "zu Recht für Diskussionen gesorgt".
- Zu guter Letzt soll zukünftig jede rechtskräftige Verurteilung nach dem Verbotsgesetz bei Beamten automatisch zu einem Amtsverlust führen – unabhängig von disziplinarrechtlichen Schritten.
In einer Zeit, in der ein neues Gesinnungs- und Meinungsstrafrecht einen vor wenigen Jahren noch völlig unvorstellbaren Wildwuchs erlebt, muss man wohl bei jeder Stellungnahme äußerst vorsichtig sein – doch zugleich scheint mir die immer rascher voranschreitende Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit derart demokratiegefährdend, dass ich darüber nicht guten Gewissens schweigend hinweggehen kann. Auch auf die Gefahr hin, dass mir bereits eine vorsichtige und fundierte Kritik an diesem (sicherlich gutgemeinten) Gesetzesvorschlag die Verdächtigung einträgt, ein heimlicher "Nazi-Sympathisant" zu sein, oder vielleicht gar den Vorwurf, mit dieser Kritik selbst schon eine Form von verbotener "Nazi-Verharmlosung" zu begehen, möchte ich in aller Form vor kriminalpolitischen Hüftschüssen warnen und die Regierung dazu auffordern, den Entwurf zurückzuziehen.
Es ist, meine ich, nicht ernstlich zu bestreiten, dass sich in die österreichische Strafrechtspflege seit Jahren ein politisch motivierter Doppelstandard eingeschlichen hat. Dies lässt sich beispielsweise beim odiosen Thema der Inseratenkorruption beobachten: ostentatives Wegschauen bei den Inseratenvergaben der ÖBB und des Verkehrsministeriums unter der Ägide des seinerzeitigen Verkehrsministers und späteren Bundeskanzlers Werner Faymann; ostentatives Wegschauen bei der fortgesetzten Praxis der Inseratenschaltungen des Wiener Rathauses; andererseits aber doppelt genaues Hinsehen bei der Frage, ob Sebastian Kurz von dem sogenannten "Beinschab-Tool" wusste oder es sogar in Auftrag gegeben hat (was zwar nahezuliegen scheint, wofür allerdings auch nach fast zwei Jahren intensiver Ermittlungen noch kein Beweis aufgetaucht ist). Allgemein gesprochen verfestigt sich immer mehr der Eindruck einer Politisierung der Strafjustiz insbesondere im Tätigkeitsbereich der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die bei rechten bzw. konservativen Politikern einen geradezu obsessiv scheinenden Verfolgungseifer entwickelt, während sie es tunlichst vermeidet, gleiche oder gleichartige Sachverhalte, in die linke bzw. grüne Politiker verwickelt sind, zum Gegenstand ihrer Ermittlungen zu machen. Die Folge ist, dass es in Österreich bald einen merkwürdigen neuen Weltrekordhalter geben dürfte: es ist Heinz-Christian Strache, der Mann mit den meisten eingestellten Ermittlungsverfahren und gerichtlichen Freisprüchen.
Genau derselbe Doppelstandard ist aber auch im Bereich der (tatsächlichen oder vermeintlichen) NS-Wiederbetätigung festzustellen. Schludrige und böswillige Nazi-Vergleiche gehen nämlich zumeist nicht von Rechtsextremisten aus; vielmehr gehören sie – nicht nur in Österreich, aber auch hier – bereits seit Jahrzehnten zum bestens eingeübten und mit großer Routine eingesetzten Repertoire linker und linksextremer Gruppierungen und ihrer publizistischen Wasserträger: Jeder Politiker, der auch nur ein paar Zentimeter rechts der Mitte steht, muss jederzeit damit rechnen, von den Vertretern des linksliberalen Juste milieu als "Nazi" oder "rechtsextrem" bezeichnet, oder zumindest in irgendeinen Zusammenhang mit diesen Begriffen gestellt zu werden. Freilich hat man noch nie davon gehört, dass irgendein solcher Nazi-Vergleich, wenn er von einem Vertreter des linken politischen und publizistischen Spektrums angestellt wurde und sich gegen Vertreter einer rechten oder konservativen politischen Gruppierung richtete, als "Nazi-Verharmlosung" und "Wiederbetätigung" geahndet wurde.
Beispielsweise fand am 15. Oktober dieses Jahres in der Wiener Innenstadt der alljährlich von christlichen Abtreibungsgegnern organisierte "Marsch für das Leben" statt. Wie stets in solchen Fällen berichtete die linksliberale Tageszeitung "Der Standard" in einer feindselig-gehässigen Tonalität, die ersichtlich darum bemüht war, die Teilnehmer des Marsches, deren Anliegen es ist, unschuldige Kinder vor der willkürlichen Vernichtung zu schützen, in die Nähe eines "Extremismus"-Verdachts zu rücken: "Im Publikum waren auch bekannte Gesichter aus der rechtsextremen Szene zu sehen. Inmitten von streng katholischen ‚Lebensschützern‘, wie sie sich selbst bezeichnen, wie der ÖVP-Nationalratsabgeordneten Gudrun Kugler und der Sprecher für Christdemokratie der Wiener ÖVP Jan Ledóchowski, war auch Martin Sellner von den Identitären zu erspähen, aber auch Fußball-Hooligans oder von Corona-Demonstrationen bekannte Aktivisten."
Diese Art der Berichterstattung ist bereits an sich ein perfektes und sehr unappetitliches Beispiel für die von den "Standard"-Redakteuren bis zur Perfektion entwickelte Kunst, jemandem taxfrei und ohne jedes Tatsachensubstrat eine üble Gesinnung zu unterstellen, ohne dabei jene feine Grenze zu überschreiten, ab der die Diffamierung dann ein klarer Fall für den Staatsanwalt wird. Die "bekannten Gesichter aus der rechtsextremen Szene", "die "Fußball-Hooligans" und die "Aktivisten" werden vorsichtshalber namentlich nicht genannt, so dass letztlich nicht klar ist, ob sie überhaupt anwesend waren, oder ob der Schreiber des Artikels sie nur herbeiphantasiert.
Vielleicht könnte es ja auch sein, dass diese Personengruppen, die dem "Publikum" (und somit nicht den Teilnehmern) des Marsches zugerechnet werden, in Wirklichkeit zu den weiter unten im Bericht erwähnten "Gegendemonstranten" zählten, die den Marsch (wie man zwischen den Zeilen lesen muss: mit gewalttätigen Mitteln) "stoppten", was einen Polizeieinsatz auslöste.
Dies resultierte in 30 verwaltungsstrafrechtlichen Festnahmen, 24 Identitätsfeststellungen und 48 Anzeigen nach dem Versammlungsgesetz, wobei der "Standard"-Reporter es unterlässt, darauf hinzuweisen, dass diese Maßnahmen selbstverständlich nur die linken Gegendemonstranten und nicht die friedlichen Lebensschützer betrafen. Offensichtlich hofft man, beim unsorgfältigen Leser den Eindruck zu erwecken, die Gewaltbereitschaft und die Delinquenz seien auf beiden Seiten zu beobachten gewesen; man nimmt also in Kauf, den Lebensschützern die rechtswidrigen Handlungern ihrer Gegner in die Schuhe zu schieben. Der namentlich genannte Martin Sellner wird (korrekt) als "Identitärer" bezeichnet; diese Gruppe ist tatsächlich im rechten Spektrum zu verorten, doch ist man sich wohl bewusst, dass eine Punzierung als "Nazi" oder "rechtsextrem" sachlich schlicht unzutreffend wäre. Wer gegen (illegale) Einwanderung agitiert, ist, ob man dieses Anliegen nun teilt oder nicht, deswegen noch kein "Extremist" oder "Nazi".
So funktioniert Diffamierung. Der "Standard"-Redakteur weiß genau, wie weit er gehen kann und er nützt seinen Spielraum geschickt aus. Weitaus weniger Zurückhaltung scheinen sich dagegen die Teilnehmer des "Standard"-Leserforums aufzuerlegen, die – im Schutz der (vermeintlichen) Anonymität des Internets – den Beitrag des Redakteurs u.a. mit den folgenden Postings kommentiert haben:
(c) Screenshots / "Der Standard"
Hier werden also die Lebensschützer – also Leute, die, soweit man weiß, weder einen Weltkrieg ausgelöst, noch einen rassistisch motivierten Massenmord begangen haben, sondern nichts anderes tun, als gegen die an Kindern verübte Gewalt demonstrieren – kollektiv als "Nazis", "Nazibrut", oder "rechtsextrem" bezeichnet. Dies dürfte nicht nur als üble Nachrede (§ 111 StGB), Beleidigung (§ 115 StGB) oder Kreditschädigung (§ 152 StGB) strafrechtlich relevant sein, sondern es stellt sich – im Licht der jüngsten Judikatur, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird – darüber hinaus auch die Frage, ob durch solche Nazi-Vorwürfe nicht eine strafbare Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen vorliegt.
Im Unterschied zu übler Nachrede, Beleidigung und Kreditschädigung, die nur auf Antrag des Opfers zu verfolgen sind, ist aber die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen gem. § 3h VerbotsG ein Offizialdelikt, bei dem die Staatsanwaltschaft von Amts wegen tätig werden muss. (Wenn die Zeitung, deren Leserforum angeblich moderiert wird, solche Postings stehen lässt, ist im Übrigen zu fragen, ob der Staatsanwalt nicht auch gegen sie vorgehen müsste, da sie solchen "Nazi-Verharmlosungen" offenbar wissentlich und willentlich eine österreichweit einzusehende Bühne bietet.)
Niemand ist weiter davon entfernt, ein "Nazi" zu sein, als jemand, der sich friedlich für den Schutz der schwächsten, kleinsten und schutzlosesten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft einsetzt. Die Nazis waren Massenmörder, die Abtreibungsgegner hingegen kämpfen gegen den schlimmsten Massenmord unserer Zeit, dem nach seriösen Schätzungen jährlich an die 50 Millionen Kinder zum Opfer fallen. Insofern lässt sich wohl auch keine extremere und absurdere Form der Verharmlosung des Nationalsozialismus denken als jene, die darin besteht, ihn ausgerechnet mit der Lebensschutzbewegung gleichzusetzen.
Nachdem sich das Reformvorhaben insbesondere auch gegen Nazi-Verharmlosungen richten soll, die im Ausland begangen werden, aber über das Internet auch hierzulande zugänglich sind, darf man die Frage stellen, ob nicht auch die folgende Karikatur (der "ZDF-Heute-Show") eine solche Verharmlosung darstellt, die dann ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft nach sich ziehen müsste:
© Foto: heute show / ZDF
Man muss Elon Musk nicht mögen – aber ihn in dieser Weise als "Nazi" (oder sogar als Wiedergänger Joseph Goebbels‘) darzustellen ist völlig absurd. Diejenigen, die sich darüber erregen, dass Musk den Kurznachrichtendienst Twitter übernommen hat, tun dies deswegen, weil er angekündigt hat, die in letzter Zeit bei Twitter zu beobachtende Zensur von gegen "die Gemeinschaftsstandards" verstoßenden (d.h. rechte und konservative) Tweets wieder abzuschaffen. Der Verteidiger der Redefreiheit wird also von denen, die es vorziehen würden, in einer linken Blase zu verharren, in der nur linke und linksextreme Standpunkte geäußert werden können, als "Nazi" diffamiert. Die Gegner der Freiheit attackieren denjenigen, der sie schützen will.
Freilich ist der von linken Gruppierungen gegen ihre politischen Gegner erhobene "Nazi"- und "Rechtsextremismus"-Vorwurf nicht immer so extrem unangebracht wie bei Elon Musk oder der Lebensschutzbewegung. Wenden wir uns also einem anderen Beispiel zu: es gibt in der Online-Enzyklopädie Wikipedia einen eigenen Eintrag über "rechtsextreme und neonazistische Vorfälle in der FPÖ". Erkennbar stellt diese Auflistung einen publizistischen Versuch dar, der Reputation der FPÖ zu schaden; dass hier die Kategorien "rechtsextrem" und "neonazistisch" undifferenziert nebeneinandergestellt und miteinander vermengt werden, ist gewiss kein Zufall, sondern bewusste Kommunikationsstrategie, die darauf abzielt, dass jeder der gelisteten Vorfälle als "neonazistisch" wahrgenommen werden kann, obwohl kein einziger von ihnen ausdrücklich so bezeichnet wird. Trotz all dieser Vorfälle schiene es aber völlig unangemessen – und daher eine "Verharmlosung des Nationalsozialismus" –, die FPÖ pauschal und undifferenziert als "Neonazi-Partei" zu bezeichnen. Wahr ist allerdings auch, dass die gelisteten Vorfälle äußerst unappetitlich und besorgniserregend sind, weshalb die Erstellung und Veröffentlichung einer solchen Liste als ein legitimer Versuch, "den Anfängen zu wehren", gedeutet werden kann.
"Wehret den Anfängen!" Dieser Slogan ist immer wieder zu hören, wenn es um tatsächliche oder vermeintliche neonazistische Umtriebe geht. Wenn aber bereits den "Anfängen" entgegengetreten werden soll, dann bedeutet dies ja, dass man nicht erst den Beginn eines Weltkrieges oder die Errichtung von Gaskammern abwarten muss, um auf besorgniserregende gesellschaftliche Entwicklungen hinzuweisen. Wenn es zulässig und sogar geboten ist, im Dunstkreis der FPÖ nach solchen "Anfängen" zu suchen und sie anzuprangern, dann kann für den Rest der Gesellschaft nichts anderes gelten.
Es kann ja wohl nicht sein, dass sowohl das (die tatsächlichen Nazis verharmlosende) Denunzieren aller politisch Andersdenkenden als "Nazis", als auch das Ausfindigmachen und Anprangern tatsächlicher "Nazi-Verharmlosungen" ein exklusives Privileg linker und linksextremer Gruppen sein soll. Insoferne darf man mit Spannung darauf warten, wann die Staatsanwaltschaften sich dazu bereitfinden werden, auch einmal gegen die Nazi-Verharmloser im "Standard"-Hassforum vorzugehen.
Hier nun ist der Punkt erreicht, an dem ich auf die neueste Judikatur zum Verbotsgesetz und auf die darauf aufbauende Initiative der Bundesregierung zur "Nachschärfung" eingehen muss. Denn sowohl diese Judikatur als auch die von der Regierung vorgeschlagene "Nachschärfung" erscheinen nicht nur krass unangemessen, sondern laufen geradezu darauf hinaus, das Gesetz in sein Gegenteil zu verkehren: neue Formen des Totalitarismus könnten dann im Windschatten dieses Gesetzes blühen und gedeihen.
Die Justizministerin hat in ihrer Pressekonferenz eine der Hauptstoßrichtungen des verschärften Verbotsgesetzes bekanntgegeben: Als Beispiel für eine Handlung, deren Strafbarkeit hierdurch klargestellt werden soll, nannte sie den von Gegnern der Corona-Maßnahmen gezogenen Vergleich zur Judenpolitik des Dritten Reichs, der insbesondere durch das Tragen von Armbinden zum Ausdruck kam, die durch ihre graphische Gestaltung an den im Dritten Reich von allen Juden zu tragenden "Judenstern" erinnerten.
Bereits vor einigen Monaten sind zwei bis dahin unbescholtene Impfgegner, die bei einer Demonstration solche Armbinden getragen hatten, wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung nach § 3h des Verbotsgesetzes von einem Geschworenengericht zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden. Diese Judikatur scheint die Bundesregierung durch die nunmehr vorgeschlagene Verschärfung des Gesetzes "absichern" zu wollen, was zwei unterschiedliche Schlussfolgerungen nahelegt: erstens, dass sie mit der Verurteilung der Impfgegner einverstanden ist und auf weitere solche Verurteilungen hinwirken will; zweitens aber, dass sie nicht davon überzeugt ist, dass die Judenstern-Armbinden wirklich als "gröbliche" Verharmlosung des Holocaust zu deuten sind, weshalb sie sich von der Weglassung des Wortes erhofft, die Schwelle für ein Tätigwerden der Staatsanwaltschaft noch ein wenig abzusenken.
Tatsächlich stellen die Armbinden und der mit ihnen implizierte Vergleich aber weder eine "gröbliche", noch überhaupt eine "Verharmlosung" der Verbrechen des Nationalsozialismus dar. Die beiden Impfgegner sind zu Unrecht verurteilt worden, weil ihnen einerseits keine Absicht unterstellt werden kann, sich "im nationalsozialistischen Sinne" wiederzubetätigen, anderseits aber der von ihnen angestellte Vergleich mit der systematischen sozialen Ausgrenzung der Juden im Dritten Reich keineswegs unangemessen erscheint.
Richtig ist, dass es im Corona-Jahr 2021 in Österreich keine Pogrome, keine Vernichtungslager und keine Gaskammern gab. Aber das hatten die beiden Impfgegner auch nicht behauptet. Die Armbinden implizierten eine solche Behauptung nicht, sondern stellten einen völlig zutreffenden Hinweis dar, dass der von der Bundesregierung selektiv gegen alle Ungeimpften verhängte Lockdown gewissen Maßnahmen, denen die Juden im Dritten Reich in der ersten Phase der Verfolgung ausgesetzt waren, frappant ähnlich sah.
Der Holocaust hat ja nicht damit angefangen, dass eines schönen Tages plötzlich Vernichtungslager und Gaskammern errichtet wurden, sondern es gab zunächst ein jahrelanges Crescendo von Maßnahmen, mit denen Juden sozial ausgegrenzt, verächtlich gemacht, und aus dem Land geekelt werden sollten. Begleitet wurden diese Maßnahmen von Hass und Hetze: Regierungsmitglieder und andere Meinungsführer definierten einen Personenkreis, dessen fortschreitende Entrechtung und Ausgrenzung mit seiner moralischen Minderwertigkeit begründet wurde. Die Bevölkerung wurde ermutigt, an dieser Hetzjagd teilzunehmen.
Wenn wir uns nach wie vor einig sind, dass angesichts zu beobachtender faschistoider Tendenzen in der Gesellschaft bereits den Anfängen entgegengetreten werden soll, dann scheint es nicht nur zulässig, sondern geradezu geboten, Vergleiche zwischen den verantwortungslosen Äußerungen, die im Corona-Jahr 2021 zu hören waren, und der Rhetorik der Nazis zu ziehen, selbst wenn das damalige Ausmaß der Verrohung noch nicht erreicht wurde.
Die mit drohendem Unterton vorgetragene Ankündigung des Kurzzeit-Bundeskanzlers und Noch-immer-Ministers Alexander Schallenberg, den Ungeimpften stehe ein "ungemütliches Weihnachtsfest" bevor, ist jedenfalls der zynischen Äußerung Herrmann Görings nach den Pogromen der "Reichskristallnacht" im Jahr 1938, er wolle jetzt kein Jude in Deutschland sein, nicht ganz unähnlich. Der französische Präsident Emmanuel Macron machte weltweit Schlagzeilen, als er in wenig druckreifen Worten, auf deren Übersetzung ich wegen ihrer Unappetitlichkeit verzichte, seine Politik, Impfgegner gezielt zu schikanieren, in die folgenden Worte fasste: "Eh bien, là, les non-vaccinés, j’ai très envie de les emmerder. Et donc, on va continuer de le faire, jusqu’au bout. C’est ça, la stratégie." Jenen, die die Impfkampagne der Regierung kritisierten, sprach er kurzerhand das Bürgerrecht ab: "Un irresponsable n’est plus un citoyen."
Wenn sich Staats- und Regierungschefs in dieser Weise äußern, ist die allgemeine Verrohung des öffentlichen Diskurses die unvermeidliche Folge. In Deutschland schwadronierte der Präsident des Weltärztebundes Frank-Ulrich Montgomery in klassischer Täter-Opfer-Umkehrung von einer "Tyrannei der Ungeimpften", denen man "Peitsche statt Zuckerbrot" androhen müsse, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bezeichnete Kritiker der Impfpolitik pauschal als "Bekloppte", ein Bundestagsabgeordneter der FDP schrieb von "gefährlichen Sozialschädlingen, die hoffentlich bald nicht mehr unter die Leute gehen dürfen".
Die übelste Entgleisung leistete sich aber zweifellos eine Moderatorin der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ZDF, die die Impfverweigerer als "ziemlich weit rechts unten" liegenden "Blinddarm der Gesellschaft" bezeichnete, der "für das Überleben des Gesamtkomplexes nicht essentiell" sei; sie übernahm damit fast wortgleich die Diktion eines Anstaltsarztes im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, der den Holocaust mit der Bemerkung rechtfertigte, die Juden seien "ein entzündeter Blinddarm, der aus dem Volkskörper entfernt werden muss". (Die Frau hat sich übrigens bis heute nicht von ihrem Nazi-Jargon distanziert und darf weiterhin völlig unbehelligt im Zwangsgebührenrundfunk ihre kruden Ansichten kundtun …)
Spätestens hier stellt sich nun die Frage, wer sich "im nationalsozialistischen Sinne wiederbetätigt": Sind es jene, die ganze Personengruppen in Nazi-Diktion pauschal als Blinddarm bezeichnen, der aus dem Volkskörper entfernt gehöre? Sind es jene, die gesetzliche Maßnahmen beschließen, mit denen die solcherart bezeichneten Personengruppen aus dem sozialen und wirtschaftlichen Leben ausgegrenzt werden? Oder sind es jene, die die Frechheit besitzen, auf die Ähnlichkeit dieser Vorgänge mit gewissen historischen Ereignissen hinzuweisen?
Die zunächst von der Judikatur und nunmehr auch von der Bundesregierung vorangetriebene "Verschärfung" des Verbotsgesetzes droht den Sinn dieses Gesetzes in sein völliges Gegenteil zu pervertieren: das Aufkommen einer neuen Spielart des Totalitarismus wird so nicht verhindert, sondern gegen Kritik in Schutz genommen. Dies geschieht mithilfe einer merkwürdigen Gedankenakrobatik, die stark an das von Orwell beschriebene "Zwiedenken" erinnert und in den folgenden drei Punkten zusammengefasst werden kann.
- Erstens: Die Verbrechen der Nazizeit haben – egal, was die Zukunft vielleicht bringen mag – für alle Zeiten als einzigartig und inkommensurabel zu gelten, weshalb jeder Vergleich zwischen heute und damals, ob er nun zutreffend ist oder nicht, als "Verharmlosung des Nationalsozialismus" zu deuten ist.
- Zweitens: Demjenigen, der sich einer solchen "Verharmlosung" des Nationalsozialismus" schuldig macht, darf unterstellt werden, dass er gewissermaßen doppelt über die Bande spielt, um auf diese raffinierte Weise auf die Wiedererrichtung der nationalsozialistischen Herrschaft hinzuwirken; eines Nachweises darüber, dass tatsächlich eine solche Absicht vorliegt, bedarf es selbstverständlich nicht. Mit anderen Worten: Wenn jemand mit dem Judenstern am Arm gegen Ausgangssperren und Berufsausübungsverbote demonstriert, dann kommt es nicht darauf an, was er damit tatsächlich sagt oder sagen will, sondern es wird ganz im Gegenteil davon ausgegangen, dass dasjenige, wogegen er demonstriert, in Wirklichkeit das Ziel ist, das er anstrebt.
- Drittens: Diese Dialektik des absichtlichen Missverstehens und des faktenbefreiten Unterstellens kommt nur selektiv zur Anwendung. Linke Hassposter im Online-Forum des "Standard", die friedliche Lebensschützer als "Nazibrut" u. dgl. beschimpfen, müssen sich selbstverständlich keine Sorgen darüber machen, dass irgendein österreichischer Staatsanwalt sie wegen "Verharmlosung des Nationalsozialismus" anklagen könnte; sie dürfen davon ausgehen, dass ihre Hassparolen die klammheimliche Unterstützung jenes politischen Milieus genießen, dem auch die Justizministerin zuzurechnen ist.
Das Verbotsgesetz erweist sich damit als extrem missbrauchsanfällig: Es eignet sich dazu, Kritiker einer langsam in den Totalitarismus der (gewiss wohlmeinenden) "Gutmenschlichkeit" abdriftenden Bundesregierung mundtot zu machen. Just zu dem Zeitpunkt, in dem das zuvor erwähnte Urteil gegen die Impfgegner belegt, dass ein derartiger Missbrauch nicht nur theoretisch möglich ist, sondern auch tatsächlich erfolgt, wird die "Verschärfung" dieser Vorschrift vorgeschlagen. Dass die grüne Justizministerin einen solchen Vorschlag macht, sollte vielleicht niemanden überraschen; dass aber die größere Regierungspartei diesen Vorschlag mitträgt, ist erstaunlich und spricht nicht gerade für ihre politische Urteilskraft.
Das zeitliche Zusammenfallen zwischen der angestrebten Verschärfung der im "Kampf gegen Rechts" zur Verfügung stehenden Mittel und der allgemein zu beobachtenden Verluderung und Politisierung der Strafjustiz unter der Oberaufsicht einer Justizministerin, der enge Verbindungen sowohl mit extrem linken als auch mit islamistischen Kreisen nachgesagt werden, ist wohl kein Zufall, sondern sollte all jenen zu denken geben, denen die Rechtsstaatlichkeit ein Anliegen ist. Dieser Person und den ihr nachgeordneten Behörden neue Strafrechtstatbestände an die Hand zu geben, in denen äußerst dehnbare Begrifflichkeiten wie "Hass" oder "Verharmlosung" es ermöglichen, einerseits ausgerechnet diejenigen mit strengsten Sanktionen zu belegen, die zutreffend auf jene totalitären und freiheitsfeindlichen Tendenzen hinweisen, die in unserer Gesellschaft tatsächlich zu beobachten sind, während auf der anderen Seite echte Hetze und Nazi-Verharmlosung weder verfolgt noch angeklagt wird, ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.
Insgesamt fragt es sich, ob das Verbotsgesetz sich in der bisherigen Form nicht überlebt hat. Die Aufarbeitung der Geschichte sollte eher durch seriöse historische Forschung als mit den Mitteln des Strafrechts erfolgen; die Tabuisierung durch Redeverbote kann sich geradezu als kontraproduktiv erweisen, weil der verheerende Eindruck entstehen kann, dass hier mit politischen Mitteln eine bestimmte Geschichtsdoktrin durchgesetzt werden soll, die der Konfrontation mit einer offenen Diskussion nicht standhalten könnte. So kann selbst die absurdeste Geschichtslüge gerade dadurch, dass sie unter Strafe gestellt wird, in dafür empfänglichen Milieus eine gewisse Glaubwürdigkeit erlangen.
Auch sollten Gesetze, die die Meinungs- und Redefreiheit einschränken, dies anhand genereller und abstrakter Kriterien tun, die gleichzeitig klar genug sind, um eine einfache, diskriminierungsfreie und vorhersehbare Anwendung zu ermöglichen. Es sollte auch klar sein, worum es eigentlich geht: nicht die bloße Leugnung irgendeiner historischen Tatsache ist das Problem, sondern der Umstand, dass im konkreten Fall des Holocaust (und anderer, vergleichbarer politischer Großverbrechen wie des Genozids an den Armeniern, des Holodomor, etc.) die Opfer verhöhnt und die Überlebenden beleidigt und eingeschüchtert werden. Das Interesse an der Verfolgung solcher Geschichtslügen ist allerdings eher orts- und zeitgebunden: Es wird langsam verblassen, sobald die Erlebnisgeneration ausstirbt.
Bedauerlich ist dagegen, dass in Österreich und Westeuropa gegen die Leugnung der gigantischen Verbrechen des Kommunismus nicht mit demselben Eifer vorgegangen wird. Ehemals kommunistische Funktionsträger sitzen in vielen europäischen Staaten noch immer oder schon wieder an den Schaltstellen der Macht, was sich über die EU und den Europarat indirekt auch auf Österreich auswirkt. Dies hat derzeit auf unser politisches Leben viel erheblichere Auswirkungen als die (vermeintliche) "Verharmlosung" des Holocaust durch Gegner der Corona-Impfung.
Dr. Jakob Cornides ist Beamter der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Außenhandel. Dieser Beitrag gibt die Privatmeinung des Autors wieder und ist der Institution, für die er arbeitet, in keiner Weise zurechenbar.