Bis vor ein paar Tagen war sich ganz Österreich über den Charakter von Thomas Schmid einig. Mit seinen Aussagen bei der WKStA hat sich das geändert. Für die einen hat sich Thomas Schmid vom Saulus zum Paulus gewandelt, für die anderen von der Hure der Reichen zur Hure der WKStA.
Bis auf ein paar Staatsanwälte und linke Journalisten dürften allerdings die meisten Menschen in Österreich der Ansicht sein, dass Thomas Schmid ein unverbesserlicher Intrigant ist. Nach all den krummen Sachen, die selbst für ihn "nicht in Ordnung" gewesen sein sollen, habe er nun seinen eigenen Anwalt hintergangen, um geläutert zur Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu pilgern.
Bei den Verhandlungen über den sogenannten Kronzeugenstatus für Thomas Schmid wäre man gern ein kleines Mäuschen. Beide Seiten haben viel zu gewinnen – und auch zu verlieren. Jeder wird mit Sicherheit versuchen, den anderen über den Tisch zu ziehen. Da haben sich die Richtigen gefunden.
Jede Seite weiß: Die besten Lügen sind jene, die zu 90 Prozent wahr sind.
Wenn WKStA und Thomas Schmid einen Pakt schmieden und den Strafanspruch des Staates fallen lassen, wäre dies tatsächlich eine Sensation. Viele werden in diesem Fall denken, dass sie die WKStA auf das Niveau des Delinquenten herabbegeben habe. Staatsfeinde unter sich.
Übrig bliebe ein Schaukampf "Alle gegen Kurz", der nicht mehr auf der Straße, sondern zunächst in den Medien und anschließend im Gerichtssaal stattfinden soll.
Damit sind wir bei der Verwilderung des Strafverfahrens angelangt. Im Kampf um die Glaubwürdigkeit Kurz gegen Schmid geht es um die vorprozessuale Debattenhoheit. Juristischer ausgedrückt: Es geht um die Vorverurteilung und damit auf die außerprozessuale Beeinflussung der Justiz.
Was wir in den vergangenen Tagen erlebt haben, ist ein weiteres Kapitel in der Entzivilisierung des Strafverfahrens. In Ländern mit einer modernen Strafrechtskultur gehört die Durchführung eines Strafverfahrens in einem möglichst neutralen, vorurteilsfreien Klima der Unbefangenheit zum selbstverständlichen Teil eines "Fair Trial". In solchen Ländern ist die gezielte Beeinflussung der Öffentlichkeit mit strafrechtlich irrelevanten Charakterinformation aus der Privatsphäre verpönt. In solchen Ländern ist das Anfüttern der öffentlichen Meinung mit selektiven Aktenteilen sogar strafbar. Bei uns hingegen glauben manche das Gegenteil: Die gezielte Beeinflussung der vorprozessualen öffentlichen Meinung sei eine Art aufklärerischer Heldentat.
Dass sich die Beschuldigten wegen des Überraschungsmoments, der fehlenden Waffengleichheit und der absichtlich herbeigeführten Informationsasymmetrie spontan meist nur mehr oder weniger tollpatschig verteidigen können, scheinen die Verfolger gerne in Kauf zu nehmen.
Die jahrzehntelange Tradition der Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Regierungsinserate kann man durchaus als Korruption bezeichnen. Noch viel schlimmer erscheint allerdings die Korrumpierung des Strafverfahrens durch die außerprozessuale Meinungsbeeinflussung, wie sie in Österreich gang und gäbe ist. Wäre dem Justizministerium der Rechtsstaat tatsächlich eine Herzensangelegenheit, müsste es dem Kampf gegen diese Verluderung Priorität einräumen.
Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.