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Die in weniger als acht Wochen bevorstehende Bundespräsidentenwahl droht zu einem Tiefpunkt in der Demokratiegeschichte dieses Landes zu werden. Noch nie werden sich so viele Österreicher für keinen der antretenden Kandidaten entscheiden können. Noch nie war die Auswahl wahrscheinlich so groß und noch nie so katastrophal (mit nachträglicher Ergänzung).
In einem in der Bevölkerungsbreite noch immer sehr obrigkeitsgläubigen Land scheint es so gut wie aussichtslos, gegen einen amtierenden Bundespräsidenten zu kandidieren. Im Unterschied zu anderen Republiken oder gar zur urdemokratischen Schweiz wird der jeweils amtierende Präsident ja noch immer fast wie der Kaiser behandelt. Jedes kritische Wort gilt vielen noch immer fast als Hochverrat, während der Bundespräsident im ORF regelmäßig Gratisauftritte für seine linkspopulistische Selbstvermarktung zur besten Sendezeit bekommt.
Deswegen scheint es aufs erste nachvollziehbar, dass sowohl ÖVP wie SPÖ, die beiden – relativen – Großparteien, die sich seit vielen Jahren bei Umfragen als relative Nummer eins abwechseln, nicht bereit sind, das knappe Geld der Parteikasse für einen aussichtslosen Wahlkampf auszugeben. Noch dazu, wo beiden sowohl die innere Motivation als auch qualitativ geeignete Persönlichkeiten für einen solchen Wahlkampf fehlen.
Der SPÖ fehlt schon deshalb die Motivation, weil sie im Grund ja keinerlei inhaltliche Probleme mit Alexander van der Bellen hat. Es hat keine einzige Situation gegeben, wo sich dieser merklich anders verhalten hat als ein von der SPÖ kommender Präsident. Höchstens, dass er ein paarmal häufiger in Klimapanik gemacht hat, als es bei der SPÖ üblich ist. Und dass er keinerlei Kritik am offenen Gesetzesbruch durch die Verkehrsministerin (in Sachen Umfahrung Wiens) geäußert hat.
Die ÖVP hat inhaltlich viel mehr Gründe, auf klare Distanz zu Van der Bellen zu gehen. Aber einerseits ist auch bei ihr das Geld knapp. Andererseits wäre es für die ÖVP extrem mühsam geworden und belastend für die eigene Glaubwürdigkeit, Van der Bellen zuerst im Wahlkampf scharf zu kritisieren und nachher wieder nach außen so zu tun, als ob Bundeskanzler und Bundespräsident ein Herz und eine Seele wären.
So ist es ja zumindest bisher zwischen den beiden Seiten des Ballhausplatzes üblich gewesen. Meistens. Lediglich Wolfgang Schüssel hat im Jahr 2000 offenen Dissens mit Thomas Klestil gewagt. Dieser Dissens hat Schüssel nachweislich nicht geschadet, sondern sogar genutzt, weil er dadurch Leadership ausgestrahlt hat, und weil Klestil populistisch nur auf "Krone" und ORF gesetzt hat – aber die Bevölkerungsmehrheit gegen sich hatte. Schüssel hat jedenfalls nach dem offenen Zerwürfnis dann 2002 den weitaus höchsten ÖVP-Sieg des letzten halben Jahrhunderts eingefahren.
Aber die ÖVP hat nicht nur dieses Problem, dass sie als Regierungspartei glaubwürdig bleiben will. Sie hängt auch sonst politisch schwer in den Seilen. Aus zwei Gründen: Einerseits ist sie Opfer der rechtsstaatlich bedenklichen Intrigen von WKStA und Verfassungsgericht, andererseits ist sie Opfer der eigenen katastrophalen Fehlentscheidung des Jahres 2019, den Koalitionspartner zu wechseln. Daher gibt es bei den Schwarzen keinerlei Kraft, jetzt durch einen Wahlkampf gegen den Amtsinhaber noch eine zusätzliche Front aufzumachen, an der sie annehmen müssen, neuerlich zu verlieren.
Tatsache ist aber ebenso, dass die ÖVP mehr als bei allen anderen früher amtierenden Präsidenten einen massiven Grund hat, eigentlich offen gegen Van der Bellen anzutreten, antreten zu müssen. Denn dieser hatte im Jahr 2019 der ÖVP einen langfristig schwer nachwirkenden Schlag versetzt.
Er hat damals massiv die oberste politische Pflicht eines Staatsoberhaupts verletzt, sich für die Stabilität der Republik und damit für den Bestand der Regierung einzusetzen. Van der Bellen hat vielmehr das Gegenteil getan: Er hat (zusammen mit zwei ÖVP-Landeshauptleuten) gegen die schwarz-blaue Koalition intrigiert – zugegebenermaßen tat er das geschickt, gleichsam über die Bande. Er hat den politisch unroutinierten Bundeskanzler Kurz überredet, auch den Rücktritt von Innenminister Herbert Kickl zu verlangen, nachdem zwischen ÖVP und FPÖ eigentlich schon der Weiterbestand der Regierung (nach Rücktritt des durch die Ibiza-Intrige kompromittierten Vizekanzlers H.C. Strache) fixiert gewesen ist. Dieser plötzliche Meinungswechsel wurde damals damit begründet, dass ein FPÖ-Innenminister Kickl nicht gegen einen FPÖ-Ex-Vizekanzler (Strache) ermitteln könne. Diese Argumentation war absolut skurril, weil seit fast 20 Jahren, seit der verunglückten Strafprozessreform des FPÖ-Justizministers Böhmdorfer, die (dem Innenministerium unterstehende) Polizei ebenso wie der unabhängige Untersuchungsrichter im Strafverfahren total entmachtet sind. Die gesamte Macht der Strafverfolgung liegt seither in Händen der Staatsanwälte des Justizministeriums (die das ja auch immer wieder sehr willkürlich ausnutzen).
Dennoch hat dieses von Van der Bellen gestützte und höchstwahrscheinlich auch angeregte Anti-Kickl-Ultimatum die schwarz-blaue Regierung zum Platzen gebracht. Es hat Kickl in einen ressentimentgeladenen Amokläufer der Innenpolitik verwandelt. Und es hat zum Regierungseintritt der Grünen, also der "ehemaligen" Partei des Van der Bellen, geführt. Das hat wiederum zur Auslieferung des Justizministeriums an die linksradikale Alma Zadic geführt, die dem zweiten frustrierten Amokläufer der Republik, also dem Peter Pilz, politisch nach Angaben aus dem Justizministeriums bis heute sehr nahesteht. Das hat wiederum direkt zum steilen Absturz der ÖVP geführt.
Nichts von dieser unheilvollen Entwicklung ist auf Widerstand des Bundespräsidenten gestoßen. Er hat sie vielmehr in mehreren Etappen entscheidend unterstützt, und höchstwahrscheinlich auch strategisch beabsichtigt (während er nach außen über die Eleganz der Verfassung schwadroniert hat).
All das sind massive Gründe, warum Sympathisanten der ÖVP und jene Mehrheit, die mit der schwarz-blauen Regierung zufrieden war – zufriedener als mit schwarz-grün –, eigentlich keinesfalls Van der Bellen wählen können.
Dafür, dass Van der Bellen auch für etliche andere eigentlich nur sehr schwer wählbar ist, gibt es noch einen weiteren Grund: Das sind seine merkbaren Alterserscheinungen. Diese ähneln frappant denen des fast gleichalten (14 Monate älteren) US-Präsidenten. Diesem raten genau wegen seines Alters sogar schon viele seiner Parteifreunde von einer Kandidatur ab – obwohl in den USA eine Amtsperiode nur vier, nicht sechs Jahre dauert wie bei uns.
Trotz all dieser Gründe haben die beiden Großparteien auf eine Gegenkandidatur verzichtet. Traurig, aber wahr.
Umso größer ist außerhalb von ÖVP und SPÖ die Zahl jener, die sich in diesen Tagen um die nötigen Unterschriften für eine Kandidatur bemühen. Zwar sind die meisten von ihnen noch(?) nicht wirklich profiliert. Aber zumindest bisher kann die Quantität nicht einmal annähernd die nötige Qualität der Gegenkandidaten ersetzen. Vor vier Jahren war das noch ganz anders: Die Namen Griss, Hofer, Hundstorfer und Khol standen von Anfang ihrer Kandidatur an für deutlich profiliertere Persönlichkeiten.
Dazu gab es noch Richard Lugner als Kandidaten für die Spaß- und Adabei-orientierten Wähler. Diese werden sich jetzt zwischen einem Kronenzeitungs- und Bierpartei-Kandidaten entscheiden müssen. Ebenso wird sich die noch immer impfpanische Minderheit der Österreicher zwischen gleich drei Kandidaten mit solchen Ideen entscheiden müssen.
Von der FPÖ als dritter relativ großer Partei ist immerhin ein Kandidat aufgestellt worden. Freilich haben die Blauen nicht etwa eine interessante oder gar überparteiliche Persönlichkeit mit echten Siegeschancen ausgewählt, sondern einen Parteisoldaten aus der zweiten Reihe, der primär den Auftrag hat, während des Präsidentschaftswahlkampfes weiter die Themen der FPÖ zu trommeln. Dementsprechend verunsichert wirkte Walter Rosenkranz schon in den ersten Wochen.
Doppelt verunsichert ist er nun durch Antreten eines Kronenzeitungs-Kandidaten, war doch diese Boulevardzeitung einst sehr oft sehr freundlich zur FPÖ. Der Krone-Kolumnist Wallentin hat auch eine überraschende Unterstützungserklärung durch den seit Jahren auf der österreichischen Bühne eigentlich verstummten 89-jährigen Frank Stronach erhalten.
Unverständlicherweise hat sich Rosenkranz auch noch auf jenes Glatteis führen lassen, auf dem einst schon Klestil schmerzhaft ausgerutscht ist: Er hat nämlich öffentlich und anscheinend ernsthaft davon gesprochen, dass er nach seiner Wahl die Regierung hinauswerfen könnte.
Dümmer geht’s nimmer – auch wenn das kein "Putsch" ist, wie Van der Bellen gleich gestänkert hat; und auch wenn man die Motive durchaus verstehen kann, warum ein Blauer Schluss mit Schwarz-Grün machen will.
Aber erstens verfehlt Rosenkranz damit völlig die innere Stimmung der Österreicher: Diese wollen nicht Unsicherheit und weitere politische Destabilisierung haben, sondern einen Vater des Vaterlandes. Würde Rosenkranz – oder würden seine Berater – ein wenig über den Tellerrand ins Ausland schauen, denn würden sie erkennen, wie sehr Stabilitäts-orientierte Beruhigungsaktionen sowohl in Italien wie Frankreich den jeweiligen Spitzenfrauen einer den Freiheitlichen nahestehenden Partei genutzt haben.
Und zweitens ist seit Klestil völlig klar: Die Koalition und der Bundeskanzler werden einzig und allein dadurch bestimmt, wofür es im Parlament eine Mehrheit gibt. Das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten ist ein netter, aber völlig irrelevanter Schnörksel der Verfassung. So musste Klestil zähneknirschend, aber doch im Februar 2000 einen Bundeskanzler angeloben, den er nicht wollte, und dem er keinen Auftrag zur Regierungsbildung gegeben hat (dementsprechend hat auch Van der Bellen erst dann die Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein angelobt, nachdem er sich hinter den Kulissen vergewissert hatte, dass eh die Mehrheit des Nationalrates für diese Lösung war).
Noch ein paar solche Fehler von Rosenkranz und noch ein paar FPÖ-Affären um Selbstmordversuche und gegenseitige parteiinterne Strafanzeigen, und Wallentin landet vor dem FPÖ-Kandidaten an zweiter Stelle. Auch dieser ist übrigens so wie Rosenkranz (und ein weiterer Kandidat aus der Impfgegnerszene) Rechtsanwalt. Aber auch bei diesem hat man bisher nicht die Überzeugung einer gefestigten Persönlichkeit gewinnen können. Vielmehr hat Wallentin schon seit langem eher den Verdacht erregt, dass er eigentlich ein zweiter Lugner ist. Also dass seine publizistisch-politische Tätigkeiten eigentlich insgeheim den Zweck haben, das nichtpolitische Hauptgeschäft preisgünstig im Marketing zu unterstützen: Das ist einerseits Lugners Baumeisterei sowie Einkaufszentrum und andererseits Wallentins Rechtsanwaltskanzlei.
Nun: Noch sind acht Wochen Zeit, damit man vielleicht doch noch von einem der Kandidaten den Eindruck gewinnen kann, dass er wählbar wäre. Sonst wird es wohl Van der Bellen schon im ersten Durchgang schaffen – aber wohl nicht einmal die Hälfte der Stimmen der Wahlberechtigten erhalten haben.
PS: Die wirklich größte Sauerei dieses bisherigen Wahlkampfes ist das Verhalten des ORF-"Experten" Filzmaier: Einerseits vergibt er sehr subjektive und meist sehr schlagseitige Noten über Politik und Politiker – und dann stellt er sich andererseits als Aktivist an die Spitze einer alten linken Agitation: Das ist die Forderung, dass alle aus welchem Grund immer derzeit hier lebenden Ausländer wählen dürfen, obwohl sie kein Interesse haben, Österreicher zu werden – oder zu kurz im Lande sind, um den Pass bekommen zu können, wie es bei deutschen Studenten, syrischen Flüchtlingen oder rumänischen Gastarbeitern oft der Fall ist (Freilich: Um den trotz hoher Steuerlast und rasant ansteigender Verschuldung kaum mehr finanzierbaren Sozialstaat ausnutzen zu können, genügt es, einen Fuß über die österreichische Grenze gesetzt zu haben – vom Gratisstudium über die Grundversorgung bis zu tausend anderen Geldflüssen). Und ein solcher radikaler Aktivist wie Filzmaier wird im ORF als "unabhängiger Experte" ausgegeben. Man fasst es nicht.
(Nachträgliche Ergänzung: Wie wenn es eine offizielle Bestätigung für die oben gemachte Anmerkung gebraucht hätte, dass einige ÖVP-Landeshauptleute in ihrer Naivität regelmäßig mit Van der Bellen gegen die Interessen ihrer Partei intrigiert haben (so auch 2019): Nach dem steirischen Altlandeshauptmann Schützenhöfer hat sich nun wenige Stunden nach Erscheinen dieses Textes der neue Tiroler Möchtegern-Landeshauptmann Mattle öffentlich für den grünen Bundespräsidenten ausgesprochen.)