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Der Keil quer durch Mitteleuropa

Wie hält es Österreich mit den vier Visegrad-Staaten? Und umgekehrt: Wie halten es die Visegrad-Staaten mit Österreich? Diese zwei Fragen sind nie wirklich beantwortet worden und schweben seit vielen Jahren über Mitteleuropa. Sie führen freilich sofort zu den zwei nächsten unbeantworteten Fragen: Was ist Mitteleuropa? Wo ist Mitteleuropa? Das ist im Grunde seit über 150 Jahren eine nie geklärte und heikle Herausforderung, der man deshalb in Österreich meist aus dem Weg geht. Aber auch von Seiten der Visegrad-Staaten ist – mit Ausnahme von ein paar zaghaften Versuchen Viktor Orbáns in früheren Jahren – das Interesse an Österreich trotz aller Nähe und Nachbarschaft ein zwar freundschaftliches; aber ernstzunehmende Anläufe für eine echte politische Kooperation mit der Alpenrepublik hat es auch bei den V4 nie gegeben.

Im Gegenteil: Der brutale russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine hat auch der Visegrad-Kooperation selber die fundamentale Sinnfrage gestellt, die man für längst geklärt hielt. Auch wenn man offene Differenzen weitgehend vermeidet, so ist doch allen Beteiligten klar: Visegrad kann kaum mehr als eine oberflächliche Liaison sein, wenn man in einer so zentralen Frage zutiefst andere Antworten hat – nicht nur rational, sondern insbesondere auch emotional.

Die Frage "Wie halten wir es mit Putins Russland?" scheint zumindest derzeit die vier Nationen mehr zu spalten, als sie die gemeinsame Gegnerschaft gegen die Bevormundung durch ein allzu zentralistisches, allzu linksliberal-antichristliches Europa einen könnte. Der unberechenbare Riese im Osten ist damit wiederum zur wichtigsten Determinante in der mitteleuropäischen Politik geworden, wie er es schon zwischen den 40er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Leidwesen aller Nationen dieses Raumes gewesen ist.

Ist Russland wieder der mit aller Energie abzuwehrende Hauptfeind, der in der Ukraine gezeigt hat, dass er zwar nicht mehr kommunistisch, aber in seinem nationalistischen Imperialismus mindestens genauso gefährlich ist wie einst das leninistisch-stalinistische Imperium? Davon sind zumindest die Polen und die Balten, aber auch viele Westeuropäer tief überzeugt. Oder ist es möglich, mit Russland zu einer friedlichen Koexistenz zu gegenseitigem Nutzen zu kommen, wie es zumindest im letzten Jahr die ungarische Devise geworden sein dürfte (wobei freilich der aus einer anderen Epoche kommende Ausdruck "friedliche Koexistenz" von niemandem mehr in den Mund genommen wird)?

Seit diese grundsätzliche Frage offen ist, kann man es (erstmals) Österreich gar nicht vorwerfen, dass es auch von seiner Seite nicht einmal versucht, zu einer Klärung seines Verhältnisses zu diesen unmittelbaren Nachbarn zu kommen. Steht doch die Alpenrepublik in ihrer Haltung gegenüber Russland irgendwo zwischen Polen und Ungarn. Scheinen doch diese beiden Länder in dieser zentralen Frage derzeit voneinander weiter entfernt zu sein als Österreich von einem der beiden.

Zusätzlich wird jede Annäherung aber schon von Anfang an dadurch erschwert, dass Österreich verfassungsrechtlich noch immer "immerwährend neutral" ist, während alle Visegrad-Staaten Nato-Mitglieder geworden sind.

Die inneren Differenzen unter den Visegrad-Ländern sind für Österreich in Wahrheit gar nicht unangenehm. Denn sie ersparen dem Land die innere Befassung mit der unmittelbaren Nachbarschaft, also mit den Visegrad-Vieren als einzig relevanter mitteleuropäischen Struktur. Das ist freilich langfristig eine billige Ausrede.

Denn in Österreich war auch vor dem Ukraine-Krieg die diesbezügliche Willensbildung höflich ausgedrückt nicht sehr weit gediehen. In Wahrheit ist das mitteleuropäische Denken im Vergleich zu früheren Zeiten in Österreich sogar schwächer geworden. Es fehlen in den letzten eineinhalb Jahrzehnten große Persönlichkeiten wie Erhard Busek, Jörg Mauthe, Alois Mock und Wolfgang Schüssel, die noch einen persönlichen emotionalen Zugang zu Mitteleuropa hatten. Die diesen immer wieder auch in ihren politischen Aktivitäten als Minister, als Stadträte und als Bundeskanzler zu realisieren versucht haben.

Sie gehörten alle der Volkspartei an. Hingegegen war und ist Mitteleuropa den anderen Parteien, also auch den lange regierenden österreichischen Sozialdemokraten, noch nie ein Herzensanliegen gewesen. Bruno Kreisky, der letzte große Außenpolitiker der SPÖ, war komplett auf Nahost-Themen und auf seine USA-Kritik konzentriert. Er befasste sich sogar mehr mit Afrika als mit den Nachbarn in Mitteleuropa. Auch für die FPÖ, die dritte größere Partei Österreichs, ist Mitteleuropa uninteressant. Das hängt schon mit ihren historischen Wurzeln zusammen. Ist die FPÖ doch das Erbe des deutschnationalen Lagers in der Monarchie, in dem sich jene fanden, die sich stets von den nicht-deutschsprachigen Völkern in der Habsburger-Monarchie abwenden wollten, und die damals immer nur nach Deutschland geblickt haben.

Wohl ist die FPÖ im 21. Jahrhundert von ihrer deutschnationalen Ausrichtung abgegangen und zu einer betont österreichnationalen Rhetorik gewechselt. Ihre wichtigsten außenpolitischen Eckpunkte – sofern sie sich überhaupt für das Geschehen außerhalb der eigenen Grenzen interessiert – hat sie aber heute ausgerechnet in Moskau und Belgrad gefunden. Dahinter steht auch das FPÖ-Interesse an den nicht unbeträchtlichen Wählerstimmen der Austroserben. Daher ist die Ukraine-Invasion für die FPÖ ein besonderer Schock, von dem sie sich bisher nicht erholen konnte. Jedenfalls ist eine klare Linie der FPÖ nirgendwo zu finden. Der Schock hat sie gleichsam sprachlos gemacht. Sie befasst sich lieber weiterhin mit Corona-Themen, weil sie noch keine Orientierung gefunden hat. Dort allerdings, wo sie sich äußert, ist es eher im Sinne Moskaus: So wird die Neutralität bei der FPÖ massiv überinterpretiert (ganz im Gegensatz zu den übrigen Neutralen Europas, die gerade mehrheitlich ins Nato-Lager hinüberwechseln oder an diese heranrücken). Die FPÖ lehnt es sogar ab, dass die Ukraine den simplen und von Kiew selbst als völlig unzureichend empfundenen Status eines EU-Beitrittskandidaten erhält, wie ihn etwa schon seit Jahrzehnten die Türkei genießt.

FPÖ wie SPÖ haben auch noch aus einem anderen Grund immer ein gewisses Misstrauen gegen die Mitteleuropa-Begeisterung der Volkspartei gehegt: Sie vermuten dahinter eine restaurative Nostalgie des christdemokratisch-konservativen Lagers, das sich vermeintlich nach dem k. und k. Staat der Habsburger sehnen würde.

Freilich war auch in jener Geschichtsepoche der Begriff Mitteleuropa von vielen Fragezeichen umgeben. So haben deutsche Politiker immer wieder darauf gepocht, dass auch Deutschland zu Mitteleuropa gehören würde. Dabei hätte nach der von Bismarck durchgesetzten kleindeutschen Lösung eines Deutschen Reiches ohne das viele Jahrhunderte im deutschen Sprachraum dominierende Haus Österreich eigentlich klar sein können und müssen: Erstens, Österreichs Platz ist in Mitteleuropa. Und zweitens, Mitteleuropas Zukunft ist die einer multiethnischen Kooperation mehrerer kleiner und mittelgroßer Nationen, die sich zwischen dem großen deutschen und dem noch größeren (aber weniger entwickelten) russischen Reich auf gleicher Augenhöhe zusammentun.

Jedoch: Diese Perspektive ist nie verwirklicht worden. Nicht einmal innerhalb des Habsburger-Reiches. Aus zwei Gründen:

  • Viele deutschsprachige Österreicher spürten, dass sie in einem solchen Mitteleuropa ja nur noch eine Minoritätenrolle hätten, und blinzelten daher weiter ständig nach Deutschland, obwohl sie aus diesem gerade hinausgedrängt worden waren.
  • Viele Ungarn wiederum wollten es 1867 und dann bis zum Monarchie-Ende mit aller Kraft verhindern, dass aus dem bipolaren "Ausgleich" zwischen Wien und Budapest ein multipolares Gebilde wird, in dem insbesondere die Slawen neben kleineren italienischen und rumänischen Inseln eine starke Stimme hätten (auch wenn völlig unklar war, ob die Slawen der Monarchie überhaupt untereinander ihre Differenzen beilegen hätten können).

Aber auch in der Zwischenkriegszeit fanden die Mitteleuropäer zu keiner brauchbaren Gemeinsamkeit. Außerhalb der kleinen Republik Österreich war eine Zurückhaltung gegenüber dem so viele Jahrhunderte dominierenden Wien spürbar. Und in Österreich blickten nach 1918 anfangs alle drei großen Lager sehnsuchtsvoll über die Grenze ins Deutsche Reich. Vor allem in Bezug auf die Tschechoslowakei stand das Schicksal der nach mehr als einem halben Jahrtausend erstmals vom restlichen Österreich getrennten deutschsprachiger Altösterreicher in Böhmen und Mähren hindernd im Weg, die sich nun einer tschechischen Mehrheit gegenübersahen.

Als die Christlichsozialen dann in den Zwanziger Jahren doch versuchten, stärker mit den mitteleuropäischen Nachbarn zu kooperieren, wurden innerösterreichisch wieder sofort die Sozialdemokraten nervös; und die Großdeutschen sowieso. Sie sahen darin unterschwellige restaurative Tendenzen Richtung Habsburger-Staat. Der aber war allen österreichischen Sozialdemokraten bis zumindest in die 70er Jahre total verhasst, obwohl sie in der Monarchie bis zum ersten Weltkrieg dem Kaiserhaus gar nicht so ablehnend gegenübergestanden waren. Aber nach 1918 wurde es für sie zur Identifikation hilfreich, alles Übel auf die Habsburger abzuwälzen.

Der zweite Weltkrieg und die NS-Herrschaft haben es erst recht verhindert, dass sich eine mitteleuropäische Identität entwickeln konnte. Die Nazis haben vor allem in Österreich, Ungarn, Kroatien und der Slowakei, aber auch im Baltikum eine gefährliche interne Polarisierung zwischen umworbenen Mitläufern und verfolgten Gegnern ausgelöst. Hingegen sind Polen und Tschechen von den Nazis zwar am meisten verfolgt, aber dadurch umgekehrt auch national innig zusammengeschweißt worden.

Die tiefste Trennline zwischen Österreich und den anderen Mitteleuropäern wurde aber zweifellos durch die sowjetische Machtergreifung in Mittelosteuropa und die Todesgrenze des Eisernen Vorhangs gezogen. Eine ganze Generation Österreicher ist ohne jede Ahnung aufgewachsen, was sich nur wenige Kilometer entfernt im Osten abspielt, was für Menschen dort leben. Man war heilfroh, 1955 selbst die Sowjets losgeworden zu sein, man half auch durchaus ordentlich 1956 den ungarischen Flüchtlingen, 1968 denen aus der Tschechoslowakei und 1980 vielen Polen. Aber darüber hinausgehendes Interesse an diesen Völkern gab es nicht. Alles hinter dem Eisernen Vorhang schrumpfte für die meisten Österreicher zu einer grauen, unbekannten bis bedrohlichen Masse.

Dann, endlich, kam es zur Wende von 1989. Das war zwar gewiss ein Freudenjahr für alle europäischen Völker in Ost wie West (halt bis auf Wladimir Putin und seine Gesinnungsgenossen). Aber ausgerechnet in diesem Jahr hat Österreich knapp vor den Wendemonaten seinen Beitrittsantrag bei der EU abgegeben. Das bedeutete für die Republik neuerlich, wenn auch aus einem ganz anderen Grund als vorher: Alle Augen Richtung Westen. Volle Konzentration auf den wirtschaftlichen Integrationsprozess.

Was in der nun offenen mitteleuropäischen Nachbarschaft vor sich ging, wurde ab 1989 in Österreich zwar mit freundlichem Interesse und Wohlwollen, aber wieder ohne jede politische Perspektive verfolgt. Es gab und gibt zehntausende erfolgreiche Kooperationen im Klein- und Mittelgewerbe und bei den Banken, wie auch auf diversen kulturellen Ebenen. Umgekehrt brachten über hunderttausend Arbeitskräfte aus den Reformländern die österreichische Wirtschaft in eine steile Überholkurve. Aber das war es. Politische Visionen? Fehlanzeige. Lange blickten die Österreicher sogar mit gewissem Hochmut auf die armen Nachbarn herab. Irgendwie glaubten sie, dass der eigene Wohlstandsvorsprung erstens eigenes Verdienst und zweitens dauerhaft sein werde.

Umgekehrt blickten auch die nun frei gewordenen Völker Mittelosteuropas ebenfalls ohne politische Visionen Richtung Wien. Ihnen waren in der neuen Freiheit die USA als Sicherheitsgaranten und das mächtige und unter Helmut Kohl noch besonders wohlwollende Deutschland als dominierende Wirtschaftsmacht Europas viel wichtiger. Dahinter stand natürlich die Perspektive EU und Nato. Sich da mit mitteleuropäischen Sonderwegen abzugeben, wäre nur eine Ablenkung gewesen. Noch dazu, wo niemand mit dieser komischen Neutralität Österreichs etwas anfangen konnte, die ja nach dem Kollaps der Sowjetunion völlig sinnentleert – aber den Österreichern erstaunlich lieb geworden war.

Österreich hat es Anfang der 90er Jahre versäumt, seinen Staatsvertrag und das damit indirekt zusammenhängende Neutralitätsgesetz so zu entsorgen, so, wie es Finnland sofort nach Ende der Sowjetunion mit seinem knebelnden Freundschaftsvertrag mit Moskau gemacht hatte. Österreich hätte, so wie die Finnen, erklären können, die Sowjetunion ist untergegangen, daher sei auch ein mit ihr abgeschlossener Vertrag naturgemäß obsolet. Das wurde aber vergessen. Oder man traute sich nicht.

Die Alpenrepublik konzentrierte sich in den Jahren zwischen 1989 und 1995 ganz auf die Beitrittsverhandlungen mit der EU und hat es daher nicht nur versäumt, die aus einer anderen Zeit stammenden Dokumente Staatsvertrag und Neutralität zu entsorgen, sie hat auch geistig überhaupt nicht richtig registriert, dass da in Visegrad zwei (beziehungsweise nach Teilung der Tschechoslowakei drei) unmittelbare Nachbarn und ein mittelbarer zusammenrücken. Es hat keinerlei ernsthafte Diskussionen gegeben, wie weit man da nicht vielleicht mitmachen sollte und könnte.

Die Österreicher blickten ebenso wie die Visegrad-Staaten intensiv nach Westen. Aber sie taten das nicht miteinander, sondern gleichsam parallel zueinander.

Gleichzeitig gab es in Österreich aber auch einen eindeutigen, wenn auch nie direkt ausgesprochenen Hochmut gegenüber diesen mittelosteuropäischen Nachbarn: Man glaubte, diese seien in Sachen Wirtschaft, Lebensstandard, Demokratie und Rechtsstaat soweit zurück, dass es überhaupt nicht passen würde, mit diesen allzu eng zu fraternisieren.

Die emotionale Begeisterung konservativer Politiker in Österreich für die östliche Nachbarschaft konkretisierte sich politisch nur einmal, dafür dann aber kräftig – jedoch in einer anderen Region Mitteleuropas. Das war die massive Unterstützung vor allem von Außenminister Mock für den Schritt Sloweniens und Kroatiens in die Unabhängigkeit. Ohne ihn und ohne die dann von Mock mobilisierte deutsche Hilfe hätten diese Nationen den Weg in die Unabhängigkeit möglicherweise nie gewagt.

Objektiv betrachtet waren tatsächlich in den ersten Jahren der Freiheit bei den Visegrad-Ländern die Herausforderungen zwar untereinander sehr ähnlich, aber ganz anders als in Österreich: Der Umbau einer Zentralverwaltungswirtschaft in eine Marktwirtschaft, das Schreiben neuer Verfassungen, der Nato-Beitritt als oberste Priorität, die inneren Reformen einer von Kommunisten durchsetzten und korrumpierten Verwaltung und Justiz, sowie der Weg in die EU zehn Jahre, nachdem Österreich dort Mitglied geworden war.

Dazu kamen auf der anderen Seite einige absonderliche Eigenheiten der Österreicher: Das war neben der Neutralität vor allem der skurril-missionarische Glaube, anderen Ländern die Atomkraftwerke ausreden zu müssen und können. Freilich: In der Realität importiert Österreich nicht zuletzt aus Tschechien kräftig Atomstrom ...

Immer öfter zeigt sich in den letzten Jahren aber auch, dass die Visegrad-Staaten in vielerlei Hinsicht dabei sind an Österreich vorbeizuziehen. So sind sie durch die Flat Tax, durch wesentlich niedrigere Steuersätze und liberalere Regulierungsgesetze inzwischen schon deutlich attraktiver für die Ansiedlung internationaler Unternehmen geworden als die Alpenrepublik (was Ungarn freilich zuletzt mit de-facto-Strafsteuern für Ausländer wieder zerstört hat). So finden die österreichischen Unternehmen für die Zehntausenden Arbeitskräfte aus Osteuropa, vor allem Polen, keine jungen Nachfolger mehr, weil es sich für kaum einen noch auszahlt, nach Österreich zu gehen. So habe ich erst dieser Tage mit einem polnischen Facharbeiter geplaudert, der mir erzählt hat, dass er seine Familie wieder nach Polen zurückgeschickt hat, weil die Schulen in seinem Wiener Bezirk durch die Überzahl von bildungsfremden Zuwanderern aus nichteuropäischen Kulturen zu schlecht geworden seien.

Es ist wie verflixt: So logisch ein gleichberechtigtes und kooperatives Zusammenwachsen der mitteleuropäischen Völker auch wäre, so ähnlich sie sich – bei allen sprachlichen Unterschieden – in kultureller, zivilisatorischer und auch juristischer Hinsicht auch sind (man denke beispielsweise an die gemeinsame Erbschaft der Institution des Grundbuches, das rechtlich wie wirtschaftlich von gewaltiger Bedeutung ist), so unterschiedlich laufen seit vielen Generationen jeweils die Rahmenbedingungen. Es passte einfach nie richtig. Und es fehlte oft am Weitblick politischer Persönlichkeiten.

So macht es heute fast fassungslos, dass Österreichs Politik, also auch die eigentlich konservativ-christlichsoziale ÖVP die dümmliche Hetze der europäischen Linken gegen Ungarn und Polen mitmacht. So gibt es in Wien weit und breit keinen Politiker mehr, der emotional mitteleuropäisch denken würde. Statt dessen sind selbst die konservativen Politiker in Sachen Schwulen- und Transideologie ganz von der linken Political Correctness gehirngewaschen. Statt dessen will auch die ÖVP ein Vorzugsschüler des EU-Zentralismus werden.

Denn alle handelnden Akteure Österreichs sind inzwischen durch die EU geprägt. Zugleich ist der Informationsfluss durch das noch immer dominierende Gebührenfernsehen ORF so stark links geprägt, dass dort über Ungarn oder Polen seit langem kein positives Wort mehr zu hören war.

Man könnte diese Haltung der ÖVP auch selbstbeschädigend finden. Sie merkt gar nicht, wie sehr sie sich da auch durch Unterlassen einer strategischen Nachbarschaftspolitik verirrt hat, weil auch unter den anderen politischen Parteien links und rechts von ihr oder in den Medien keine relevante mitteleuropäische Stimme mehr zu hören ist, die das kritisieren würde. Es ist für alle bequemer geworden, beim Orbán-Bashing mitzutun, als eine eigene mitteleuropäische Linie zu entwickeln.

Nun sei nicht missverstanden: Es kann keine Entschuldigung geben, wenn der Verdacht besteht, dass gemeinsam aufgebrachte EU-Finanzmittel in Ungarn durch korrupte Methoden missbraucht werden. Solche Vorwürfe sind selbstverständlich auch gegenüber den mitteleuropäischen Nachbarn genau zu prüfen. Nur sollte das unbedingt gegenüber allen EU-Mitgliedern mit genau der gleichen Konsequenz erfolgen!

So weiß ganz Europa, dass in den Mittelmeer-Ländern, insbesondere Italien, der weitaus umfangreichste und schlimmste Missbrauch europäischer Gelder durch korrupte Praktiken stattfindet. Aber daran hat man sich offenbar irgendwie gewöhnt. Das scheint in Hinblick auf diese Länder irgendwie als lokale Folklore abgelegt zu werden, ohne dass da große "Rechtsstaatsverfahren" angedroht werden.

Daher ist besonders ärgerlich, dass das die gleichen Länder sind, deren horrende und durch Disziplinlosigkeit entstandene Staatsverschuldung durch den fast als kriminell zu bezeichnenden Nullzinskurs der Europäischen Zentralbank immer weiter finanziert wird. Also insbesondere durch alle Sparer im Euro-Gebiet, die so um satte Beträge beraubt worden sind.

Es macht viele Bürger Österreichs fassungslos, dass die EU an der Korruption in ihrem Land selber völlig desinteressiert ist, während sie Ungarn und Polen ständig tadelt. Dabei ist die österreichische Korruption ganz offiziell dokumentiert: Das sind alljährlich dreistellige Euro-Millionen, die von Politikern freihändig – also ohne jede Kontrolle, ohne jede Objektivierung, ohne jede Ausschreibung – an ihnen nahestehende Medien, an Zeitungen, die wohlwollend über sie berichten, in Form von Inseraten und "Kooperationen" vergeben werden. Das ist nichts anderes als Bestechung, um sich das Wohlwollen der Zeitungen zu erkaufen. Dabei sind alle regierenden Parteien Mittäter, sobald sie irgendwo regieren. Weitaus am schlimmsten tut das seit Jahrzehnten die sozialistisch geführte Stadtverwaltung von Wien.

Bisher hat niemand erklären können, wieso von der EU dieser österreichische Skandal völlig ignoriert wird, während ununterbrochen mit betroffener Miene erklärt wird, dass in Ungarn der Rechtsstaat bedroht sei, weil dort regierungsnahe Unternehmen mit Vorliebe in regierungsfreundlichen Medien inserieren. Dabei ist es doch eigentlich weit schlimmer, wenn Politiker sich bei den Steuermitteln bedienen, als wenn Unternehmer ihr eigenes Geld im Interesse eines Politikers einsetzen.

Insgesamt führt der Blick auf Mitteleuropa zu einem betroffenen Fazit: Statt dass zusammenwächst, was nach aller Logik und Emotion zusammengehört, trennt heute noch immer die Nachwirkungen des schon seit mehr als 40 Jahren gefallenen Eisernen Vorganges die Nationen. Noch mehr aber treibt politische, mediale und kulturelle Unfähigkeit einen immer tieferen Keil in dieses Mitteleuropa.

Schade.

(Dieser Text erschien mit weitgehend ähnlichem Inhalt in der "Hungarian Review".) 

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