Freiheit für alle Menschen hat es in der Geschichte nie gegeben. Zumindest ein Teil der Menschheit lebte stets in Unfreiheit und litt unter den verschiedensten Ausprägungen von Unterdrückung. Errungene Freiheit ist nicht ein bleibender Zustand, sondern muss stets verteidigt und errungen werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich ein Teil Europas in freien und demokratischen Gesellschaften entwickeln und stieg wirtschaftlich beständig auf. Ein anderer Teil verharrte in Unfreiheit und blieb auch im Hinblick auf den Wohlstand zurück. Das Jahr 1989 markierte die Wende, als wie durch ein Wunder auch der Rest Europas auf gewaltfreiem Weg das Joch der kommunistischen Diktaturen abschütteln konnte. Bis vor kurzem glaubten wir, dass zumindest in den demokratischen Ländern Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auf ewig Gültigkeit haben würden. Doch die Erfahrung der letzten Jahre hat uns gelehrt, dass selbst in Europa und in stabilen Demokratien die Freiheit stets verteidigt und immer wieder neu errungen werden muss. Sie ist kein selbstverständlicher Zustand, sondern ist immer wieder bedroht.
Ein wesentlicher Hebel, wie Unfreiheit, Kontrolle und Zwang durchgesetzt werden können, ist die Angst. Je größer die Angst vor realen oder vermeintlichen Gefahren ist, desto mehr sind Menschen bereit, Einschränkungen, Überwachung, ja selbst Gewalt zu akzeptieren. Die am stärksten Angst auslösenden Momente sind dabei Krankheit und Tod sowie Krieg. Es hat sich in der Geschichte gezeigt, dass die Muster von Angst, Aggression, Gewalt und Unterdrückung einander stets sehr ähnelten. Es änderten sich nur die Begründungen, die Methoden und die Opfer.
Die Mechanismen, wie aus einer freien und offenen Gesellschaft eine unfreie und geschlossene geformt werden kann, sind nicht neu. Diese Muster finden sich in der Geschichte immer wieder, sie wechseln nur ihr Gewand. Schon der griechische Philosoph Platon entwarf in seiner berühmten Schrift "Der Staat" eine Gesellschaft, in der eine Elite das Volk in sein vorgebliches Glück zwingt. Ende des 19. Jahrhunderts führte der Nationalismus in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Der Kommunismus und die verschiedenen Ausprägungen des Faschismus etablierten totalitäre Systeme, die in Unterdrückung, millionenfachen Mord und Kriege mündeten.
Auch heute existieren, trotz dieser Erfahrungen, totalitäre Staaten, wie etwa China oder Nordkorea. Durch die neuen technischen Möglichkeiten im Bereich der Überwachung, durch die Globalisierung und die Konzentration riesiger Vermögen sind neue Formen totalitärer Systeme entstanden oder im Entstehen begriffen.
Es war der Österreicher Karl Popper, der unter dem Eindruck der Gräuel durch Nationalsozialismus und Kommunismus eine freie und offene Gesellschaft einforderte.
Diese Forderung ist nach wie vor aktuell, denn auch freie und demokratische Gesellschaften können unter bestimmten Bedingungen unfrei werden und totalitäre Züge annehmen. Totalitäre Systeme etablieren sich nicht über Nacht, sie entwickeln sich allmählich und zunächst unbemerkt. Langsam durchtränken sie freie Gesellschaften mit ihrem Gift, sie kleiden ihre Ziele in schöne Worte und verdecken sie mit Moral. Wenn das Totalitäre dann seine Maske fallen lässt, ist es mitunter schon zu spät.
Es geht darum, die Handlungen, die Körper, Gedanken und Meinungen der Menschen zu beherrschen und zu kontrollieren. Es geht um die totale Macht über jeden Einzelnen. Niemand kann sich entziehen. Dem Totalitarismus geht es nicht nur um die Schaffung einer starren Hierarchie, der man sich unterzuordnen hat, dies ist das Charakteristikum von Diktaturen. Sondern es ist ein dynamischer Prozess, der nichts weniger als einen "neuen Menschen" nach bestimmten Parametern formen will und die Weltherrschaft anstrebt.
Diese Durchdringung der Gesellschaft, Wirtschaft, ja jedes Einzelnen geht allmählich vor sich und wird letztlich mit Druck, Zwang bis hin zu Gewaltanwendung durchgesetzt. Es bleibt am Ende kein Spielraum mehr für individuelle Entfaltung, Anschauung, persönliche Freiheit oder Privatheit. Der Einzelne hat sich den Interessen der Gesamtheit unterzuordnen. Die Gemeinschaft, die als Masse in Erscheinung tritt, hat in allem Vorrang. Dazu setzt der totale Staat eine umfassende Propaganda und Überwachung der Bevölkerung ein. Jeder bespitzelt jeden, ständig werden Feindbilder erzeugt, gegen die die Bevölkerung aufgehetzt wird, jeden kann es treffen. Freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit werden sukzessive unterdrückt.
Die Rechtsprechung dient nicht den Rechten der Individuen, sondern den Interessen der Führung des totalen Staates. Die Gewaltentrennung zwischen Justiz, Exekutive und Legislative wird aufgehoben. Die Unabhängigkeit dieser Instanzen wird abgebaut und sie werden zentral gesteuert und kontrolliert.
Das ist ein Auszug aus dem Buch "Wie wir unfrei werden – Der Weg in die totalitäre Gesellschaft", das die Mechanismen beschreibt, die die Freiheit zerstören, welche Voraussetzungen totalitäre Systeme brauchen und welche Ziele sie verfolgen. Die Autorin Gudula Walterskirchen ist Historikerin, Autorin und freie Publizistin. Ihre Bücher wurden mehrfach Bestseller. Sie war bis 2005 Redakteurin bei der "Presse", schrieb von 2014-2022 in dieser Zeitung eine wöchentliche Kolumne. Von 2017-2021 war sie Herausgeberin der "Niederösterreichischen Nachrichten". Aktuell ist sie Kolumnistin unter anderem in den "Salzburger Nachrichten", der Monatsschrift "Cato" und in der "Die ganze Woche".