Was die Grundsätze und Programme der Grünen wert sind

Verlängerung der Wehrpflicht um drei Monate, Wiedereinführung des Milizsystems, Aufrüstung des Bundesheers und eine eigene Panzerproduktion im Land – diese weitreichenden Forderungen stammen  nicht etwa von der Österreichischen Offiziersgesellschaft oder vom Österreichischen Kameradschaftsbund, sondern von den Grünen. Der grüne Wehrsprecher – den gibt es tatsächlich –, Zivildiener David Stögmüller, hat  sie vor wenigen Wochen formuliert. Auch sein Chef, Vizekanzler Werner Kogler, ist für eine Verlängerung des Wehrdienstes und will mehr Geld für das Bundesheer ausgeben. Die Grünen haben angesichts des Krieges in der Ukraine eine 180-Grad-Wende hingelegt. Nur der Betreuer ihrer Webseite wurde davon noch nicht informiert. Auf www.gruene.at steht unter "Grundwerten" noch immer "gewaltfrei".

Die Grünen, die in ihren Anfänge mit dem Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" auf die Straße gegangen sind, sind am 24. Februar dieses Jahres über Nacht zu Militaristen geworden. Das ist wirklich bemerkenswert. Denn die Wurzeln dieser Partei liegen genauso in der Friedens- wie in der Umweltbewegung. Freda Meissner-Blau, Andreas Wabl und viele andere grüne Galionsfiguren der ersten Stunde waren umtriebige Friedensaktivisten.

Pazifismus und Gewaltfreiheit waren – unter Ausklammerung linksextremer Gewalt – wichtige Säulen der grünen Ideologie. Grüne Politiker haben sich stets für Abrüstung, Waffenverbote, Entmilitarisierung etc. engagiert. Laut einer OGM-Studie aus dem Jahr 1983 waren 77 Prozent der ALÖ-Anhänger (Die Alternative Liste war die Vorgängerpartei der Grünen) für eine Abschaffung des Bundesheeres. 1986 initiierte ein gewisser Peter Pilz ein Anti-Draken-Volksbegehren und hat danach über Jahrzehnte das österreichische Bundesheer mit allen Mitteln bekämpft.

Seit ihren Anfängen kämpfen die Grünen für die Abschaffung oder Verkleinerung des Bundesheeres bzw. für eine Umwandlung in eine Katastrophenschutztruppe. Im "Programmatischen Manifest" der ALÖ heißt es in den 1980er Jahren: "Das Militärbudget soll von Jahr zu Jahr verringert werden. Die freiwerdenden Kräfte und Finanzmittel sollen für den Aufbau einer solidarischen Gesellschaft und damit für den Übergang zur sozialen Verteidigungen eingesetzt werden (…) Stopp der Waffenproduktion. Umstellung der Rüstungsbetriebe auf zivile Produktion, wobei die Arbeiter der betroffenen Abteilungen mitentscheiden."

1989 fordern die Grünen "die gänzliche Abschaffung des Bundesheeres und die Einführung einer Grenzschutztruppe". Ein Jahr später setzt sich der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Franz Floss, sogar für die "ersatzlose Abschaffung des Bundesheeres" ein. An dieser Position hat sich bis zum 23. Februar 2022 wenig geändert.

Auch der derzeitige Oberbefehlshaber des Bundesheeres, Alexander Van der Bellen, hatte während seiner grünen Parteikarriere nur wenig Sympathien für das Heer. Er wollte seine Stärke halbieren und das Kommando der UNO übertragen: "Schweres Gerät wie beispielsweise Kampfpanzer sollen langsam verschrottet werden." Den Ankauf von Abfangjägern lehnte er  kategorisch ab: "In einer Zeit, wo jeder Schilling bei einem Notstandshilfe-Empfänger überprüft wird, ist nicht einzusehen, dass wir für etwas, das wir nicht brauchen, Milliarden ausgeben."

Im Wahlkampfprogramm der Grünen von 1999 schreibt Van der Bellen: "Weg von der Sicherheit durch Rüstung, hin zur Sicherheit durch soziale Gerechtigkeit". Wie man sich mit "sozialer Gerechtigkeit" vor einem militärischen Angriff schützen kann, könnte er jetzt den Ukrainern erklären. Doch damals fragt niemand nach, schon gar nicht die linken Journalisten.

Jetzt, wo in unmittelbare Nähe – nur die Slowakei bzw. weniger als 400 Kilometer Luftlinie trennen Österreich von der Ukraine – ein Krieg ausgebrochen ist, haben die Grüne ihre Überzeugungen, die sie 40 Jahre lang zum Teil aggressiv vertreten haben, entsorgt. Ohne einzugestehen, dass man falsch gelegen und damit dem Land und dem ganzen Kontinent schweren Schaden zugefügt und die Bevölkerung großen Risken ausgesetzt hat. Kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Entschuldigung.

Wie selbstverständlich fordern die Grünen nun eine robuste militärische Landesverteidigung, nachdem sie mit ihrem großen gesellschaftspolitischen Einfluss mitgeholfen haben, das Bundesheer in jenen erbärmlichen Zustand zu versetzen, in dem es heute ist. Wer für die Einsicht, dass eine eigenständige Nation eine gut gerüstete Armee benötigt, einen Krieg in unmittelbar Nachbarschaft braucht, ist als politischer Verantwortungsträger ein Sicherheitsrisiko.

In Deutschland, wo die Grünen dieselbe Wende hingelegt haben, sagte der Kopf der Partei, Wirtschaftsminister Robert Habeck: "Pazifismus ist im Moment ein ferner Traum." Dieser Aussage ist ein politischer Offenbarungseid und zeigt – je nach Betrachtungsweise – die Naivität, Verkommenheit oder Verantwortungslosigkeit der Grünen.

Pazifismus ist ein infantiler Traum, eine Utopie, die man nur in Friedenszeiten träumen kann. Ein Pazifist, der beim ersten Konflikt sofort lautstark nach der Armee ruft, ist kein Pazifist, sondern nur jemand, der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nie verstanden hat. 

Die Grünen haben mit ihrer Kehrtwende vor allem eines bewiesen: Auf ihre Konzepte, Ideen und Strategien ist kein Verlass. Ihre auf grünen Grundwerten aufbauende politisch Programme sind Kartenhäuser, die beim ersten realen Windhauch zusammenbrechen. Was gestern noch grüne Überzeugung war, ist heute längst vergessen.

Das ist für eine Gesellschaft, für ein Land, in dem die Grünen in der Regierung sitzen, hochgradig gefährlich: Mit derselben Inbrunst, mit der die Grünen jahrzehntelang Pazifismus und Entmilitarisierung gepredigt haben, setzen sie sich auch für Massenzuwanderung aus den Islamgürtel oder die Energiewende ein.

So wie der Krieg in der Ukraine den grünen Pazifismus gekillt und bloßgestellt hat, könnte ein langer, großflächiger Blackout, mit all seinen (blutigen) Folgen, die grüne Energiewende als das entlarven, was sie ist: als ideologischer Irrsinn. Die ersten landesweiten ethnischen Unruhen – wie sie sich in Schweden und Frankreich bereits abzeichnen – würden unmissverständlich allen zeigen, dass die grüne Willkommens- und Integrationspolitik von Anfang an selbstzerstörerisch  und verantwortungslos war. Bis es so weit ist, schwelgen die Grünen und ihre Freunde in Medien und Kultur  in bunten Multikultiphantasien.

Auch die grünen Kernthemen Energiewende und Multikulti sind so durchdacht wie der "Pazifismus" der Grünen: Sie sind nur ideologische Hirngespinste, die die Realität, also Naturgesetze, menschliche Natur und historische Erfahrungen, ausblenden.

Das wissen auch die meisten Bürger, die Grünen kommen – trotz der massiven medialen Propaganda – selbst im besten Fall nur auf zehn bis 20 Prozent Wähleranteil. Angesichts der massiven Unterstützung und Aufwertung durch Medien, Kultur, ÖVP, Kirche etc. können die Grünen ihren politischen Blindflug allerdings weiter fortsetzen.

Werner Reichel ist Autor und Journalist. Er hat zuletzt das Buch "Europa 2030 – Wie wir in zehn Jahren leben" bei Frank&Frei herausgegeben.

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