Wenn ein Pokerspieler trotz schlechter Karten (mehrmals) in einem Spiel den Einsatz erhöht, dann handelt es sich um einen Bluff. Dies geschieht in der Hoffnung, andere Spieler damit zur Aufgabe zu bewegen – sollte das jedoch nicht gelingen, so wird daraus eine kostspielige Art, die eigene Niederlage hinauszuzögern.
Eine ähnliche Strategie haben die großen Notenbanken in den letzten Jahrzehnten zur Bekämpfung der verschiedenen Wirtschaftskrisen verfolgt, indem durch Zinsmanipulation der Konsum künstlich angeheizt wurde. Bei jeder Krise lief der Bluff Gefahr aufzufliegen. Der Einsatz musste erhöht werden, sodass aus finanzökonomischer Sicht zunehmend zentrale Akteure des Wirtschaftskreislaufs zur Beseitigung der Brandherde eingesetzt wurden. Nachdem mittlerweile alle anderen Wirtschaftsteilnehmer "verbraucht" wurden, geht es in der sich anbahnenden nächsten Krise um die Zentralbanken selbst bzw. die Stabilität der Währungen.
Begonnen wurde der Bluff spätestens mit dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre, als Unternehmen in finanzielle Schieflage gerieten und das Absenken der Leitzinsen auf neue Tiefststände die Rezession kurzhielt. Damals verursachten die niedrigen Hypothekarsätze der Banken eine Immobilienpreis-Hausse in den USA und manchen europäischen Ländern, der vermeintliche neue Wohlstand steigerte den Konsum. Schließlich platzte diese gigantische Preisblase in den Krisenjahren 2007/08 mit katastrophalen Folgen für die finanzierenden Banken. Und wieder ging es in der finanzwirtschaftlichen Hackordnung eine Stufe nach oben, diesmal mussten die Staaten die Geschäftsbanken retten. Unterstützt wurde dies von den Notenbanken durch die Nullzinspolitik und vielfältige Anleihen-Ankaufprogramme, wodurch sich viele europäische Länder zu negativen Zinssätzen verschulden konnten. Die Folge war ein Jahrzehnt der budgetären Entspannung, das schließlich in der hemmungslosen Schulden-Bonanza der Pandemiejahre gipfelte.
Durch die in lichte Höhen steigende Inflation werden die Notenbanken jedoch nun aufgefordert, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Nachdem die verschiedenen Rettungsaktionen der vergangenen Jahrzehnte sämtliche Wirtschaftsakteure vom billigen Geld abhängig machten, können die Währungshüter nur noch zwischen Skylla und Charybdis wählen: Entweder die Leitzinsen werden rasch erhöht, was mit der üblichen Verzögerung zu baldigen Asset-Crashs und Wirtschaftseinbruch führen wird – ein Weg, den die US-amerikanische Fed zur Bekämpfung der Preissteigerungen wählen dürfte. Oder man ignoriert das Problem weitgehend und tut nichts, wie es bisher die Politik der EZB ist, die ja immer noch mit Anleihen-Ankäufen Öl ins Inflationsfeuer gießt. Die Gefahr der sich verfestigenden Inflationserwartung ist dabei groß, und der Konflikt mit dem EZB-Mandat der Preisstabilität offensichtlich.
Die Logik der EZB-Strategie ist vor dem Hintergrund der desolaten Staatsfinanzen vieler Eurostaaten und der etablierten "Whatever-it-takes"-Mentalität jedenfalls durchschaubar: Wirtschaftlich schwächere Staaten, die vor dem Euro regelmäßig durch Währungsabwertungen ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen konnten, sollen so bei der Stange gehalten werden.
Allerdings ist es fraglich, ob das Ziel, den Euroraum zu erhalten, auf diese Art erreicht werden kann. Denn in einem Umfeld galoppierender Inflation kann es erstmals seit Bestehen des Euros auch für traditionelle Hartwährungsländer rational werden, einen Ausstieg aus der gemeinsamen Währung anzustreben. Die Inflation wäre in diesem Szenario nicht beseitigt – und den Mega-Crash gäbe es noch als Draufgabe.
Mag. Rudolf Tuppa, MBA arbeitet seit über 20 Jahren im Portfoliomanagement bei diversen österreichischen und europäischen Banken.