Russen, die einst die Welt gerettet haben

Vier Russen, die die Welt vor dem Schlimmsten bewahrt haben – vor einem nuklearen Weltkrieg. Das war 1961 Andrej D. Sacharow, 1962 Vassilij Archipow, 1983 Stanislaw Petrow und 1985 Michail S. Gorbatschow.

Die vier herausragende Persönlichkeiten im Einzelnen:

Andrej D. Sacharow:  1961 – 1963 – 1968 – 1986

Der Nuklearphysiker, geboren 1921, verheiratet ab 1972 mit der jüdischstämmigenen Elena Bonner, war schon an der Entwicklung der sowjetischen Atombombe unter Akademik Igor Kurtschatow beteiligt und konzipierte 1953 die erste sowjetische Wasserstoffbombe wesentlich mit. Mit 32 Jahren war er der jüngste sowjetische Atomphysiker. Innerhalb weniger Monate wurde Sacharow zum Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften ernannt – der jüngste Physiker, dem diese Ehre je zuteil wurde. Er erhielt auch den Stalin-Preis und wurde mit dem Titel "Held der Sozialistischen Arbeit" ausgezeichnet.

1961 plant und exekutiert er für den Kremlherren Nikita Chruschtschow die größte Wasserstoffbombe aller Zeiten. Am 30. Oktober wird die "Zaren-Bombe" in der Mitjuschikabucht auf der arktischen Insel Nowaja Semla gezündet. Das war bis zum heutigen Tag die stärkste je zur Explosion gebrachte Wasserstoffbombe. Sie wurde von einem Tu-95-Bomber in 10.000 Meter Höhe abgeworfen und explodierte 4000 Meter über dem Meer. Der Bomber wurde dabei einen Kilometer nach unten gerissen. Der Atompilz stieg auf 64 Kilometer Höhe. Die Druckwelle umrundete die Erde drei Mal. Das Gerät entfaltete eine Sprengkraft von 57 Megatonnen TNT (die stärkste US-Bombe: 15 Megatonnen im Südpazifik 1954).

Sacharow hatte vor der Explosion seiner "Zarenbombe" versucht, Chruschtschow vom Zünden der Bombe abzuhalten. Der Wissenschaftler rechnete dem Kommunistenboss vor, dass die Zarenbombe langfristig 500.000 Menschen weltweit und noch in zehntausend Jahren den Strahlentod bringen wird. Aber Chruschtschow war vom Erfolg seines Weltraumprogramms geblendet – Juri Gagarin war eben der erste Mensch im Weltraum. Der Atomblitz überstrahlte ganz Sibirien und den Nordpol.

Sacharow wurde nun wiederholt im Kreml vorstellig. Er pochte darauf, dass das mit tausenden Atomversuchen jährlich im Freien nicht so weitergehen darf. Das würde auch das genetische Erbe der sowjetischen Bevölkerung vernichten. Chruschtschow blieb taub bis zum Herbst 1962, als sein Versuch, Atomraketen auf Kuba zu stationieren, von den Amerikanern entdeckt und mit einer Seeblockade beantwortet wurde. Im Raum hing die Drohung des US-Generalstabs, auf Kuba mit 120.000 Mann zu landen, die Raketen zu zerstören und Fidel Castro zu verhaften.

Chruschtschow lenkte ein und zog seine Raketen zurück. Er wurde dafür 1964 von Leonid Breschnejw und Michail Suslow gestürzt. Aber davor konnte er noch mit John F. Kennedy ein Atomteststopp-Abkommen verhandeln und Kurs auf eine kleine Wirtschaftsreform nehmen.

Auch als Breschnjew 1968 die CSSR besetzen ließ, blieb Andrej Sacharow nicht stumm. Gemeinsam mit dem Physiker und Dissidenten Juri Fjodorowitsch Orlow gründete er eine Plattform für Reformen im Sowjetreich. Sacharow war für die Sowjetbevölkerung eine Ikone. Man wagte es nicht, ihn als verdienten Wissenschaftler und Standartenführer der Opposition auf die übliche Art zu behandeln. Er wurde in die Verbannung nach Gorki geschickt (heute wieder so wie zur Zarenzeit: Nischnij Nowgorod). Dennoch gelangen immer wieder Interviews mit ihm, die als Kassiber im Westen veröffentlicht wurden.

1975 erhielt er dafür den Friedensnobelpreis. Mit dem Geld davon stiftete er seinerseits den Sacharow-Preis zur Förderung der Menschenrechte. 

1986 holte der Reformer Michail Gorbatschow den ergrauten Superdissidenten nach Moskau zurück und verschaffte ihm sogar ein Mandat im Obersten Sowjet, dem Parlament der Sowjetunion. Dort kreuzte er oft mit dem Generalsekretär der KPdSU verbal die Klinge und forderte frech noch viel weitgehendere Reformen für das marode Staatsgebilde ein. Gorbatschow musste ihn bremsen, weil er bereits die Gefahr eines Putsches durch Armee, Geheimdienste und den konservativen Teil der kommunistischen Partei in seinem Rücken spürte (den es dann 1991 gab).

Andrej Sacharow starb am 14. Dezember 1989 mit 68 Jahren – inmitten des Zusammenbruchs der kommunistischen Herrschaft in den osteuropäischen Staaten. 

 

Vassilij Archipow – Kommandant über sowjetische U-Boote vor Kuba, Oktober 1962  

5. August 1962: Marilyn Monroe, 36, stirbt in ihrem Haus in Brentwood, Los Angeles, an einer Überdosis Schlafmittel. Am selben Tag entdecken die Auswerter der US-Luftwaffe und des CIA auf Bildern von U-2-Überfliegern die Errichtung von Abschussrampen für sowjetische Atomraketen auf Kuba. Am 14. Oktober werden von U-2-Flugzeugen sowjetische Mittelstreckenraketen entdeckt. SS 4 und SS 5 kamen mit Frachtschiffen. Sofort tagt ab nun in Washington ein kleiner Stab von Experten – Executive committee - Excom – unter der Leitung von Präsident John F. Kennedy in Permanenz. (Die Gespräche werden aufgezeichnet und 1997 veröffentlicht). Tauben stehen gegen den Falken, den Befehlshaber der Air Force, Curtis Le May. Präferiert werden sofortige Luftangriffe mit einer folgenden Invasion von 120.000 GIs. Geplant sind sieben Tage lang massive Luftangriffe – 1091 allein am ersten Tag. Raketenbasen, Luftabwehrsysteme und sämtliche Flugplätze auf Kuba sollen zerstört werden. In den Gewässern um Kuba werden drei Flugzeugträger, zwei schwere Kreuzer und sechs Zerstörer stationiert.

Nikita Chruschtschow wollte Kuba vor einer Invasion schützen. 40 Raketen auf Kuba hätten das sowjetische Atomarsenal verdoppelt. Es gab für sowjetische Atombomben allerdings keinen Sicherheitsmechanismus. Deshalb waren die Bomben getrennt von den Flugzeugen und Raketen stationiert. Als die Krise begann, wurde aufmontiert – mit dem sehr hohen Risiko, dass es zu einer unbeabsichtigten Atomexplosion kam, was in Moskau gewiss als Angriff der USA gedeutet worden wäre.

22. Oktober, 13.00 Uhr. Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Pierre Salinger, kündigt für 19.00 Uhr eine Rundfunk- und Fernsehansprache des Präsidenten von "höchster nationaler Dringlichkeit" an. John F. Kennedy schlägt darin Alarm wegen der Raketen auf Kuba. 100 Millionen Amerikaner schauen zu. Der Präsident kündigt eine Quarantäne an, eine Seeblockade um Kuba. Sollte auch nur eine Rakete von Kuba abgeschossen werden, werde dies einen massiven Vergeltungsschlag gegen die Sowjetunion zur Folge haben. Die amerikanischen Streitkräfte sind auf Alarmstufe 3 eingestellt (Defcon 1 wäre Atomkrieg). 204 Interkontinentalraketen im Westen der USA werden startklar gemacht. 12 U-Boote mit 140 Polarisraketen an Bord werden an die Küsten der UdSSR beordert. Weitere 220 werden auf den Flugzeugträgern der USA einsatzbereit gemacht. 62 B-52 Bomber mit 196 Wasserstoffbomben an Bord sind nun ständig in der Luft. 628 weitere Bomber mit mehr als 2000 Atombomben rund um die Welt sind in Alarmbereitschaft.

Aber auf den russischen Abschussrampen auf Kuba wird zugleich mit Hochdruck weitergearbeitet.

26. Oktober: Das sowjetische Frachtschiff "Grosny" wird von der US-Marine vor Kuba abgefangen. Es gab U-Boote zur Begleitung. 4 davon waren atomar bewaffnet – mit Torpedos 1,5 Hiroshima. Die Boote hatten Elektromotoren. In einem gab es einen Defekt, und die Temperatur im Mannschaftsraum stieg auf 60 Grad Celsius.

27. Oktober: Fidel Castro befürchtet eine Invasion und drängt Chruschtschow, einen Atomschlag gegen die USA zu führen. Auf Kuba sind 8 Basen mit Mittelstreckenraketen einsatzbereit. Die Nuklearsprengköpfe wurden bereits herangeschafft – 8 Megatonnen. 8 weitere Mittelstreckenraketen stehen in Reserve. Drei Cruise Missiles mit "Hiroshima"-Bomben sind auf den US-Stützpunkt Guantanamo gerichtet. (Das wurde erst 2008 bekannt). Insgesamt waren 80 Cruise Missiles gefechtsbereit.

Eine U-2 wird über Kuba abgeschossen und der Pilot getötet. Im Excom fällt der Satz: "Die Sowjets haben den ersten Schuss abgefeuert". Oberstleutnant Petrow berichtet in der "Presse" vom 8. Dezember 2012, dass er die Geschichte von einem Mitglied der damaligen Beratermannschaft auf Kuba so gehört habe: "Es kam der Befehl ,zu den Waffe‘. Aber die undisziplinierten Kubaner scherten sich nicht darum, saßen da und wollten nur fressen. Da sprang ein russischer Offizier auf und schrie sie zusammen. ,Oh der Russki Comandero ist böse‘. Also gingen sie zu den Abwehrkanonen. Und dort flog ein Höhenaufklärer. Fidel Castro kommt zur Kommandostelle, schlägt mit den Fäusten auf den Tisch: ,Schieß ihn ab‘. Da wurde er halt abgeschossen. Angst vor einem Krieg hatten wir damals in Moskau nicht."

Gleichzeitig kommt über Alaska eine U-2 vom Kurs ab und dringt in den sowjetischen Luftraum ein. Die Sowjets vermuten eine Vorbereitung für einen Erstschlag. MIG-Abfangjäger steigen auf: Verteidigungsminister McNamara schreit: "Das bedeutet Krieg mit Russland." Kennedy: "Irgendein Idiot muss immer alles vermasseln." Die Stabschefs fordern einen massiven Schlag gegen sämtliche russische Basen auf Kuba am Montag mit anschließender Invasion. Kennedy widersprach nicht. Ihm drohte bei Verweigerung ein Absetzungsverfahren.

Der U-2-Pilot in Alaska wird von mit Atomwaffen bestückten MiG-Abfangjägern verfolgt. Der Sprit der U-2 ging aus, aber sie erreichte noch US-Gebiet. Die MiG hatten ihn in 33 Kilometern Höhe nicht erreichen können.  

US-Botschafter Llewellyn Thompson findet die Kompromissformel: Verpflichtung der USA, Kuba nicht anzugreifen und nach einem halben Jahr Abbau der Jupiter-Raketen in Anatolien. Papst Johannes XXIII. hält einen flammenden Friedensappell und vermittelt hinter den Kulissen. Robert Kennedy spricht am Abend mit Botschafter Dobrynin: "Die Raketen müssen weg, dafür keine Invasion auf Kuba, und Abzug der Raketen aus der Türkei nach 6 Monaten." Eine Antwort müsse bis zum Morgen des nächsten Tages erfolgen. Das sei eine Bitte, kein Ultimatum. Am Sonntagmorgen lässt Chruschtschow über Radio Moskau mitteilen, dass die Anweisung erteilt sei, abzuziehen, die Raketen auf Kuba zu demontieren, einzupacken und in die Sowjetunion zurückzubringen.

Der KGB hatte von einer für 12.00 Uhr im Weißen Haus angesetzten Pressekonferenz Kennedys berichtet. Chruschtschow hielt das für die Ankündigung einer Invasion. Er hielt Kennedy für zu schwach, den Militärs zu widerstehen. Er befürchtete einen Regimewechsel in Washington mit anschließendem Raketenangriff auf Kuba und atomarem Erstschlag auf die Sowjetunion.

Fidel Castro nannte das Verrat und Chruschtschow einen "Bastard". Chruschtschow antwortet: "Sie verstehen natürlich, wohin uns das geführt hätte. Es wäre nicht ein einfacher Angriff gewesen, sondern der Beginn eines atomaren Weltkrieges. Die Vernichtung der Sowjetunion wäre die Konsequenz. Und das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein."

Die Krise dauert 13 Tage. Sowjet-U-Boote hatten schon in Moskau den Befehl erhalten, bei einer Bedrohung zu schießen. U-Boot B-539 hat Maschinenschaden, kann aber wegen der amerikanischen Schiffe nicht auftauchen. Die pflasterten das Meer mit Wasserbomben. Aber die Amerikaner wissen nicht, dass eines der U-Boote über einen Atomtorpedo verfügt.

B-539 war schon drei Tage nicht an der Oberfläche. 

Kapitän Sawitzky von B-539 will einen Atom-Torpedo scharf machen. Torpedo-Offizier Vassilij Archipow weigert sich. Er hat auch das Kommando über die vier U-Boote vor Kuba inne. Dennoch beharrt Sawitzky auf einen Abschuss auf die US-Blockadeflotte. Droht sogar mit seiner Dienstpistole. Aber nun stellt sich die ganze Mannschaft gegen ihn. Er gibt knurrend nach. Beim Auftauchen winken ihnen amerikanische Matrosen fröhlich zu. Die sowjetische U-Bootmannschaft erfährt nun, dass die Krise bereits vorbei ist. Sie hatten wegen der Verfolgung durch US-Schiffe nicht auftauchen können, um Funkmeldungen zu empfangen. Der Torpedo hätte die Stärke von 1,5 Hiroshima-Bomben entfaltet.

Sawitzky bekam nach der Rückkehr vom Marineoberkommando einen Orden. Archipow wurde verwarnt. Mit Beginn der Perestroika wurde der Weltenretter dann von Deutschland geehrt.  Archipow starb im Wendejahr 1989. Er hat mit seiner Besonnenheit einen Atomkrieg verhindert. 

Die Folge der Kubakrise war der Sturz Nikita Chruschtschows durch Leonid Breschnew, Gromyko, Ustinow und Suslow im Sommer 1964, und in der Folge ein gigantisches Rüstungsprogramm, das ab 1975 zu einem Gleichgewicht des Schreckens führte, aber letztlich – 24 Jahre später – wegen Überdehnung der sowjetischen Kräfte den Untergang des Kommunismus bewirkte.

 

Stanislaw Petrow, Kommandant der Raketenkontrolle in Serpuchow          

 

1983, Herbst: Pershing II-Raketen werden in Deutschland als Antwort auf sowjetische SS-20 stationiert. Das erfolgte nach einem "Nato-Doppelbeschluss", den die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl für Deutschland durchsetzten. Die Pershing kann Moskau erreichen.               

1983, 1. September: Sowjetische Kampfjets schießen den südkoreanischen Jumbo KAL 007 über der Südspitze von Sachalin ab. 269 Menschen sind tot. Der Flieger kam von Anchorage Richtung Seoul über Sachalin ab (Vermutlich, weil der südkoreanische Pilot Treibstoff sparen wollte, dafür gab es bei Korean Air Prämien).  Abschuss nach 5 Stunden und 26 Minuten seit dem Abheben in Alaska. Die Abweichung von der internationalen Flugroute betrug 584 Kilometer. Eine Suchoi 15 schießt ab. Vorher war eine Staffel wegen Alkoholexzessen nicht startbereit gewesen. KP-Chef Juri Andropow liegt mit einem Nierenleiden in einem Moskauer Krankenhaus. US-Präsident Ronald Reagan nennt den Abschuss "ein Massaker", spricht über das "Reich des Bösen" und kündigt das SDI-Programm zum Abschuss von nuklear bestückten Interkontinentalraketen an.

Ähnliches wie 1962 vor Kuba passierte erst wieder am 23. September 1983, als ein russischer Satellit den Angriff von 5 Atomraketen vermeldete. In der Zentrale Serpuchow stand man Kopf. Der diensthabende Offizier, Kommandant Oberstleutnant Stanislaw Petrow reagiert besonnen und wartet ab, bis Entwarnung kommt. Zögert mit der Anordnung eines Gegenschlags. Ein Angriff von fünf Raketen einer Supermacht erscheint für Petrow unlogisch. Aber der Countdown beginnt. Es ist Freitag. Wie sich später herausstellt, war der Computer falsch programmiert. Der Satellit hat reflektiertes Sonnenlicht zwischen Wolken über dem Huron-See in Kanada als startende Raketen gedeutet.

Oberstleutnant Stanislaw Petrow wird in Moskau die Rettung der Welt nicht gedankt, stattdessen wird er für seine Entscheidung später gemaßregelt. (Wieder war es Deutschland, das ihn ehrte, im Jahr 1998).

Die beiden Ereignisse vor Kuba und in Serpuchow zeigen, wie gefährlich absurd die Mentalität an den militärischen Spitzenkommandostellen offenbar ist (das erleben wir ja auch bei Putins Invasion in der Ukraine). Andererseits haben wir zwei Menschen vor uns, die die Welt vor einer Vernichtung gerettet haben. Beide Retter hatten eine professionelle Ausbildung bekommen und von irgendwoher einen aufrechten Charakter geerbt. Religiös waren beide nicht.

Vielleicht kann man daraus doch die Hoffnung ableiten, dass sich auch jetzt, April 2022, in Moskau jemand findet, der eine Atomkatastrophe abwendet, nachdem Putin unverhohlen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht hat.

Auf politischer Ebene erinnern sich noch die meisten von uns an die Wende von 1989/91, die im Wesentlichen ein Mann herbeigeführt hat:

 

Michail Sergejewitsch Gorbatschow

Der an der Moskauer Lomonossow-Universität absolvierte Jurist, verheiratet mit der Kommilitonin Raissa, hatte 1954 einen interessanten Zimmerkollegen aus der CSSR bekommen: Zdenek Mlynar. Während des Studiums diskutierten die beiden nächtelang eine mögliche Reform des Kommunismus. Mlynar besuchte mit Genossen 1967 erstmals Paris und sagte zu seinen Reisegefährten: "Mein Gott, der Westen ist uns in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung weit voraus. Wir haben an unserem Volk ein Verbrechen begangen."

Dieses Umdenken hatte schon mit den jungen Studenten an der Lomonossow-Universität in den 50er-Jahren begonnen. Der Aufstand in Ostdeutschland brannte da gleich in die Zimmer der Studenten. Stalin war ein Jahr davor gestorben, und das Leben in Moskau etwas leichter geworden. Ilja Ehrenburg schrieb seinen Roman "Tauwetter". Und mit der Freigabe von Österreich hat 1955 die Sowjetunion ein liberales Zeichen gesetzt (und der Nato einen Riegel zwischen Bayern und Norditalien geschoben).

1956 demontierte Nikita Chruschtschow das Andenken an Stalin in seiner später berühmten "Geheimrede". Der Georgier war ein Schlächter, Kriegsverbrecher und Tyrann (um es in den Worten von Joe Biden über Putin auszudrücken). Ungarn reagierte mit einer Absetzung seines stalinistischen Parteichefs Mátyás Rákosi und ermöglichte dem Reformer Imre Nagy an die Macht zu kommen. Der sprach alsbald von einem Ausstieg aus dem Warschauer Pakt und von einem neutralen Ungarn. Das behagte der Sowjetmacht überhaupt nicht. Sie schickte Panzer, um Generalstabschef Pál Maleter und Premier Imre Nagy abzusetzen.

Das Volk reagierte mit einem Aufstand, und es kam zu einem neuerlichen Aufmarsch der Panzer. 2000 Menschen starben, 200.000 flüchteten nach Österreich, Deutschland und in die USA. Es folgte der Quisling Janos Kadar, der nun seinerseits ab 1966 den etwas liberaleren "Gulaschkommunismus" einführte.

Es begann mit Prag

1967 leitete Kardinal König ein Seminar im tschechischen Marienbad über ostwestlichen Dialog. Dort fand sich auch Zdenek Mlynar ein, nun bereits Chef des Zentralkomitees der tschechischen kommunistischen Partei (1988 konnte ich mit Zdenek Mlynar bei der IASA ein Interview für die "Deutsche Prawda" führen. Im Mai 1968 erlebte ich am Beginn meines volkswirtschaftlichen Studiums Eduard Goldstücker im Audimax der Universität Wien. Er war Kulturminister mit jüdischem Hintergrund, Mitglied des Politbüros und Leitfigur des "Prager Frühlings".)

Der Slowake Alexander Dubcek wurde zum KP-Chef gewählt und hielt die Reformagenda gegen den Widerstand aus Moskau aufrecht. Ein liberaler Kommunismus war für die alternden Apparatschiks in Moskau ein Anathema.

Schließlich kam es am 21. August 1968 zur Intervention des Warschauer Paktes mit 500.000 Soldaten unter Teilnahme von polnischen, ungarischen und bulgarischen Kontingenten. 50.000 Soldaten der ostdeutschen Nationalen Volksarmee, NVA, hielt man in der DDR in Bereitschaft. Aber die Tschechen und Slowaken revoltierten nicht, und der Westen war ratlos.  

Gorbatschow hatte all dies hellwach verfolgt. 1970 war er Kreisleiter der Region Stawropol nahe dem Kaukasus geworden. Er strebte eine Reform der Landwirtschaft an und war darin erfolgreich. Die Erträge der Kolchosen und Sowchosen stiegen um 30 Prozent. Irgendjemandem in der Partei war dies aufgefallen und man beschuldigte Gorbatschow "kapitalistischer Tendenzen". Man zwang ihn, die Reformen zurückzunehmen. Und das tat er auch unverzüglich ohne den geringsten Protest.

Aber als Kreisvorsitzender dieser Region um Rostow am Don hatte der Jungpolitiker eine interessante Aufgabe. In seinem Rayon gab es ein bekanntes Thermalbad, "Mineralnije Wodyj", und dort hatte der Kreisvorsitzende die oftmals anreisenden geriatrischen Politbüromitglieder zu empfangen und zu betreuen. So war auch KGB-Chef Andropow, ab 1982 Sowjetführer, ein oft gesehener Gast. Dadurch erfuhr Gorbatschow alles über die Interna der Sowjetunion, und umgekehrt fragte man ihn, den Jungen, wie dieses Land wieder auf die Beine kommen könnte.

In den frühen 80er-Jahren ließ der ukrainische Dissident Alexander Sinowjew, ein Mathematiker und Philosoph, mit folgender These aufhorchen:

"Wahrscheinlich wird eine Wende in der Sowjetunion vor allem durch einen Beitrag des KGB zustandekommen. Der Geheimdienst ist die einzige Institution in der UdSSR, welche die volle Wahrheit über den desolaten Zustand der Sowjetunion kennt. In seinen Reihen arbeiten viele gut ausgebildete Leute. Die aktuelle Situation in den Mitgliedstaaten und die Befehle von einer überalterten und verknöcherten Nomenklatura bewirken in diesen Menschen eine schmerzhafte kognitive Dissonanz, welche zum Umsturz führen wird."

Am 11. März 1985 ereignete sich im Politbüro des Kreml ein völliger Wandel. 20 hochbetagte Mitglieder des höchsten politischen Gremiums der Sowjetunion wählten Michail Sergejewitsch Gorbatschow im zarten Alter von 54 Jahren zum Generalsekretär ihrer Machtgruppierung. 

Diese Entscheidung basierte auf einem Irrtum beziehungsweise auf "Zufall und Notwendigkeit", wenn man so will. Das heißt auf einer Evolution im historischen Geschehen.

Um die Machtbasis zu verjüngen, hatte der letzte Kremlchef, Juri Andropow, langjähriger Chef des KGB, den Juristen und Kreisleiter der russischen Kaukasus-Region Stawropol, Gorbatschow, 1980 ins Politbüro geholt. Dort ziert eine Unterschrift des Neumitglieds den Mordbefehl an Papst Johannes Paul II. (Es gehörte jedoch zu den Usancen dieses Gremiums die Unterschrift Abwesender zu den Protokollen ohne Rückfragen hinzuzufügen).

Ein Wüstenkrieg zwingt die UdSSR in die Knie

Die Krise der russischen Wirtschaft gab es in Wahrheit seit dem Umsturz vom 7. November 1917, aber besonders krass wurde es durch ein allgemein übersehenes Phänomen: Als Saddam Hussein 1980 die iranische Provinz Khusistan besetzen wollte, handelte er sich einen achtjährigen grausamen Krieg mit den Ajatollahs ein. Saudi-Arabien, seit jeher ein Konkurrent und Feind von Persien, flutete die Erdölproduktion, um den Preis auf dem Weltmarkt tief nach unten zu drücken. Das half unbeabsichtigt dem Amerika Ronald Reagans zu einer Hochkonjunktur, traf die Kriegsanstrengung des Iran ins finanzielle Mark und bewirkte als Kollateralschaden einen katastrophalen Einbruch der sowjetischen Wirtschaft. Außer Öl und Gas hatte Moskau der Welt nämlich nichts anzubieten. Vielmehr konnte nur durch den Import von Weizen ein Verhungern der russischen Bevölkerung verhindert werden. Es war also dieser Wüstenkrieg am Persischen Golf, der die Perestroika zum Entgleisen brachte. Als Erich Honecker im Frühjahr 1989 in Moskau um eine Erhöhung der Ölzufuhr aus Sibirien bettelte, stand Gorbatschow mit leeren Händen da.

Vom eisernen Besen zum Weltbeweger                         

Andropow hatte es mit dem eisernen Besen und einer Rückkehr zu Stalins Härte versucht. Er hatte Grund zu der Annahme, der energische und tatkräftige Gorbatschow wäre der geeignete Mann, diese Politik fortzuführen. Tatsächlich war dann eine der ersten Maßnahmen des Michail G. eine Reduzierung des Weinanbaus in Georgien, um den endemischen Alkoholismus der Russen einzuschränken.

Aber offenbar hatten intelligente Mitarbeiter des KGB ein paar wesentliche Kapitel über M.G. vor Andropow unterschlagen, zum Beispiel dessen Freundschaft mit Zdenek Mlynar oder die frühe Reformpolitik in Stawropol. Im Politbüro und manchmal auch vor dem Obersten Sowjet begründete Gorbatschow seine Reformagenda mit Zitaten von Wladimir Iljitsch Lenin, der ja seinerseits 1924 mit einer "Neuen Ökonomischen Politik" den Kollaps der jungen Sowjetunion verhinderte. Im Westen gab es einige, darunter den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, die im neuen Sowjetherrn einen Wolf im Schafspelz vermuteten, oder ihm gar Goebbelsche Rhetorik unterstellten.

Das Echo im Westen

Kaum im Politbüro, Andropow war gerade verstorben, führte Gorbatschow im Auftrag vom neuen Generalsekretär, Konstantin Tschernenko, eine sowjetische Delegation nach London und sprach lange mit Margaret Thatcher, einer Kommunistenfresserin. Sie meinte jedoch nach diesem Gespräch: "Mit diesem Mann können wir verhandeln. Er wird sein Land verändern"

Und so geschah es. Die berühmte Losung "Glasnost und Perestroika" wurde schon vier Tage nach Einzug in den Kreml ausgegeben und versetzte das Land in eine optimistische Stimmung. Der Bann auf die Religionen wurde aufgehoben, allenthalben wurden Kirchengebäude renoviert und später auch neue gebaut. In die politischen Entscheidungsprozesse wurden demokratische Elemente eingebaut. Die tödliche Rüstungsspirale gegenüber dem Westen gestoppt. 

Die Agenda von Genf

1985 trafen sich Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan in Genf. Der amerikanische Film-Cowboy händigte Gorbatschow folgende Liste aus: Abbau der Mauer in Berlin, Abbau des Stacheldrahts, der Europa trennte, Abzug aus Afghanistan, Beendigung der Präsenz von 400.000 kubanischen Truppen und deren sowjetischen Beratern in Angola, Mozambique und Äthiopien, ein Ende der Unterstützung der palästinensischen Terrororganisation PLO. Die Welt fand dies unerhört, wie konnte der US-Präsident so etwas von seinem sowjetischen Gesprächspartner fordern! Historisches Faktum ist jedenfalls, dass diese Liste bis 1989 von Gorbatschow erfüllt wurde. Und der KGB hat bei all dem mitgespielt.

Eine Welt ohne Atomwaffen

1986 trafen sich Reagan und Gorbatschow auf Island, in Reykjavik. Es ging um die atomare Abrüstung. Erstaunlicherweise waren beide Seiten bereit, bis 1999 alle Atomwaffen abzurüsten. Aber die Sowjets forderten eine Beendigung des amerikanischen Programms zur Abwehr von Interkontinentalraketen. Dazu war Reagan dann doch nicht bereit. Er bot jedoch ein gemeinsam zu entwickelndes Abwehrsystem an.

Noch härterer Widerstand kam von der britischen Premierministerin. Sie hielt eine totale Atomabrüstung für Utopie und schon gar nicht bis 1999 für möglich. Ein Jahr später einigten sich Reagan und Gorbatschow in Washington D.C. zumindest auf die Eliminierung der Mittelstreckenraketen in Europa. SDI – Strategische Verteidigungsinitiative, vulgo "Sternenkrieg" – wurde zurückgefahren. Immerhin entsprangen daraus jene Abwehrraketen, die Israel 1991 im Golfkrieg gegen irakische Scudraketen schützten. Heute tut dies mit noch größerem Erfolg das Abwehrsystem "Iron Dome" gegen Raketenbeschuss von Terrororganisationen aus dem Libanon und dem Gazastreifen. Ende Mai 1988 war Ronald Reagan Gast in Moskau, dann im Dezember Gorbatschow zu Besuch in New York. Mit dem SALT-II-Abkommen wurden die Interkontinentalraketen auf hohem Niveau beschränkt. Erst 2019 wurde dieser Vertrag von Putin aufgekündigt.

Der Riss im Eisernen Vorhang

1989 zeigte sich die Dramatik der Wende in Europa zuerst in Ungarn durch einen Abbau des Stacheldrahts an der Grenze. Freilich wartete man vorerst auf ein Signal des großen Bruders in Moskau. Als Premier Miklós Nemeth in Moskau vorstellig wurde, konfrontierte er den Reformer im Kreml mit seiner Absicht, den Eisernen Vorhang an der Grenze zu Österreich abzubauen. Der sagte nur: "Das ist eine Entscheidung Ungarns. Wir werden uns da nicht einmischen." Nemeth besuchte daraufhin Helmut Kohl im Bonner "Kanzlerbunker". Der Deutsche war vom ungarischen Plan gerührt, telefonierte aber trotzdem noch mit Gorbatschow. Auf die Frage, ob es wahr sei, dass die UdSSR einem Abbau des Stacheldrahts nicht entgegenstehen werde, schwieg der Russe ein paar Sekunden, dann sagte er. "Nemeth ist ein sehr guter Mann" und legte auf. Nemeths Vater war auf der Seite des antikommunistischen Aufstands vom Oktober 1956 gestanden, die Familie hatte unter Janos Kadar darunter zu leiden. Mit 20 beschloss Miklós der KP beizutreten, weil er Karriere machen wollte. Als Premier ließ er 1988 den Helden von 1956, Imre Nagy, aus einem Niemandsgrab ins Zentrum von Budapest umbetten.

Das Bukarester Komplott

In Polen gab es schon die Einrichtung eines "Runden Tisches" mit der Solidarnosc, und schließlich am 9. November die Öffnung der Berliner Mauer. Noch bevor es dazu kam, versuchten die Reaktionäre des Ostblocks um Erich Honecker, Vasil Bilak, Nicolae Ceausescu und dem Russen Jegor Ligatschow (Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU) im Juli 1989 den Pfad der Geschichte umzudrehen. Gorbatschow sollte bei einer Konferenz des Warschauer Paktes in Bukarest entmachtet, vielleicht sogar getötet werden. Es waren Elemente des KGB, die davon Wind bekommen hatten und das Manöver entgleisen ließen. Erich Honecker war davon so betroffen, dass er mit Magenblutungen heimgeflogen werden musste. Davon kaum erholt, hatte er Demonstrationen in Dresden und Leipzig zu gewärtigen und Gorbatschow bei der Feier zum 40. Geburtstag der DDR in Berlin die Wangen zu küssen. Mittendrin der KGB-Resident Wladimir Putin, der aufmerksam die Rufe der Massen hörte: "Wir sind das Volk".

Ein Jahr später diente er als rechte Hand dem liberalen Leningrader Bürgermeister Anatoli Sobtschak und stellte sich als Taufpate von dessen Tochter Xenia zur Verfügung. Er organisierte jene Volksabstimmung, die der 4-Millionenstadt an der Newa den alten Namen "St. Petersburg" zurückgab. Ein Jahr später wurde er Chef der Geheimdienste, 1999 Premierminister und im Jahr 2000 Präsident der Russischen Föderation.

Die Einkreisung

Immer noch wissen viele nicht, dass in den vier Tagen nach Öffnung der Mauer unter Verteidigungsminister Heinz Keßler 70.000 Mann der Volksarmee NVA zusammengezogen wurden, um Berlin abzuschnüren und zu besetzen. In den Memoiren dieses Herren liest sich das dann so, als wäre er es gewesen, der die Welt vor einem Atomkrieg durch Befehlsverweigerung gegenüber Egon Krenz rettete. Krenz erinnerte sich umgekehrt: Er hätte den Wahnsinnsvorschlag von Keßler vereitelt. In Wahrheit war es so: Schon bei Beginn der Montagsdemonstrationen hat der KGB die DDR-Kreisleiter in persönlichen Gesprächen gewarnt: "Und wenn sie euch heute hängen, unsere Truppen werden keinen Finger rühren."

Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse freilich präzisierte den Demonstranten gegenüber: "Wenn heute auch nur ein einziger sowjetischer Soldat zu Schaden kommt, können wir die Rote Armee nicht mehr im Zaume halten."

Die Wende in Deutschland war ein Wunder.

Keßler starb 2017 in Berlin mit 97. Er hatte in der hochdotierten Pension das Buch geschrieben: "Ohne der Mauer hätte es Krieg gegeben". Das hatte im August 1961 auch John F. Kennedy so gesehen, als sich am Checkpoint Charly amerikanische und sowjetische Panzer bis auf wenige Meter gegenüberstanden. Keßler wurde 1991 wegen der Mauertoten zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, die er fast zur Gänze absaß. Er entstammte einer kommunistischen Familie und war 1940 zur Wehrmacht eingezogen worden. Dort musste er im Juni 1941 an Hitlers Überfall auf die Sowjetunion teilnehmen. Bald jedoch konnte er die Seiten wechseln und überlebte den Zweiten Weltkrieg in Moskau an der Seite von Walter Ulbricht und Herbert Wehner im "Hotel LUX". Die Verurteilung erfolgte nicht nach westdeutschem Recht, sondern auf Basis der KSZE-Akte von Helsinki 1975, die Erich Honecker unterschrieben hatte.

Die Dominos kippen um

Unmittelbar auf den Fall der Berliner Mauer folgte der Aufstieg des Literaten und langjährigen Häftlings Vaclav Havel auf die Prager Burg. Hier durfte der KGB eine merkwürdige Rolle spielen. Noch während die Massen am Wenzelsplatz und auf dem Letna-Feld gegen die kommunistischen Apparatschiks demonstrierten, verbreiteten KGB-Agenten das Gerücht, ein Student sei erschossen worden. Was die Demonstranten erst recht anspornte. Gorbatschow hatte die Macht, und der machtgewohnte KGB folgte auf dem Fuße. Es sieht so aus, dass man sich für den Versuch, Gorbatschow in Bukarest zu beseitigen, revanchieren wollte. Nach Hinweisen aus verschiedenen Quellen gab es auch im KGB reformorientierte Kräfte, die sich jetzt im globalen Spiel einbrachten. Das zeigte sich dann beim nächsten Zug auf dem Schachbrett. Während die kommunistische Macht in der DDR und CSSR kollabierte, brach zusätzlich ein Aufstand in Rumänien los. Diktator Nicolae Ceausescu hatte versucht, eine überbordende Auslandsschuld durch extreme Sparmaßnahmen in Rekordtempo zu tilgen. Gleichzeitig hat er begonnen, alte Stadtviertel für den bombastischen Neubau eines Regierungspalastes plattzuwalzen. Und er, der 1968 noch für Dubcek Partei ergriffen hatte, koalierte nun mit den Fossilen eines stalinistischen Herrschaftssystems.

Lazlo Tökesz, ein ungarischstämmiger, lutheranischer Priester, begann mit zunehmendem Erfolg in dieser Lage für mehr demokratische Rechte und für Autonomie der Ungarn, Zigeuner und Siebenbürger Sachsen zu demonstrieren. Bei einer Rede in Bukarest vom Balkon eines Regierungsgebäudes vor herbeigekarrten Parteijublern musste Ceausescu plötzlich innehalten, denn unten auf dem Platz begann das Volk zu murren, dann zu schreien, schließlich die Stiegen zu ihm hochzujagen. Ein herbeigeeilter Securitate-Hubschrauber nahm den aufs Dach geflüchteten Diktator auf, und dann hörte man eine Zeit lang nichts mehr von ihm.

Aber schon am nächsten Tag tauchten während einer TV-Sendung Soldaten auf, übernahmen das Studio und erklärten sich als Vertreter eines "Komitees zur Rettung der Nation". General Ion Iliesco ergriff die Zügel. Er kam aus dem Nichts. Wochen zuvor war er noch bei einem Kurs an der Moskauer Frunse-Militärakademie gewesen. Im Land ging es drunter und drüber. Ein Femegericht verurteilte den Diktator und seine Frau, eine Militäreinheit erschoss die beiden vor einer Betonmauer. Im Land Hunger und Mangel an allem überall. Securitate-Helikopter schossen auf Armee und Demonstranten.

In dieser Situation telefonierte Gorbatschow mit dem US-Präsidenten George H.W. Bush. In der Folge flogen sowjetische Antonow-Transporter in die Türkei, luden dort auf Nato-Stütz-punkten Sidewinder-Raketen ein und brachten sie zur Armee nach Rumänien. Damit wurden dann die Securitate-Kampfhubschrauber einer nach dem anderen abgeschossen. So erzählt im kleinen Kreis 1990 bei ÖVP-Wien-Chef Wolfgang Petrik vom damaligen österreichischen Verteidigungsminister Robert Lichal.

Aus ganz Europa strömten Hilfskonvois heran. Allein die Wiener Volkspartei unter Petrik und Christian Zeitz organisierte 22 Konvois. Ich selber war mit dem dritten Konvoi zu Weihnachten 1989 im winterlichen, aufständischen Rumänien unterwegs. Der erste Konvoi mit dem Arzt Dr. Csaaky war bei Arad noch unter Beschuss geraten.

Der Putsch, der dreimal kam

So viel zur Interaktion von KGB und Sowjetarmee mit der Freiheitsbewegung im Ostblock. Albanien und Bulgarien kippten ohne Blutvergießen kurz darauf ebenfalls um. Der Kommunismus war bis auf Kuba und Nordkorea hinweggefegt. Nach einer Gipfelkonferenz in Helsinki am 9. September 1990 zwischen Gorbatschow und George Bush dem Älteren zur Besiegelung der deutschen Wiedervereinigung (2+4-Vertrag), gab es auffällige Militärmanöver in Moskau. 100.000 Mann waren zur "Kartoffelernte" rund um Moskau einberufen worden. Ein russischer Offizier schrie daraufhin Alarm und enthüllte den Plan zur Absetzung von Gorbatschow, Alexander Jakowlew und anderen Reformern. Statt seine Kontrahenten zu verhaften, reagierte Gorbatschow merkwürdig gelähmt. Er hoffte darauf, dass deutsche Zahlungen den Apparat beruhigen würden. Man hatte ihm in Bonn bereits offiziell 20 Milliarden D-Mark gewidmet, und, wie man später erfuhr, weitere 40 Milliarden "unter der Tuchent".

Jetzt brach zu allem Überfluss noch der Golfkrieg los. Bush hatte 250.000 US-Soldaten und 100.000 Alliierte mit UN-Mandat zur Rückeroberung von Kuwait in Saudi-Arabien aufmarschieren lassen. Die UdSSR stimmte zum ersten Mal im Sicherheitsrat mit den Vereinigten Staaten. Nur einmal, 1948 bei der Abstimmung über die Gründung von Israel war dies ebenfalls der Fall gewesen (Stalin glaubte damals in Israel einen sozialistischen Bruderstaat vor sich zu haben). Es zeigt, wie nahe Gorbatschow bereits dem westlichen Denken im Bereich der internationalen Friedenssicherung war. 

Am 17. März, dem Tag der Befreiung von Kuwait durch die internationale Streitmacht, tauchte um 5.00 Uhr früh der Stellvertretende Oberkommandierende der sowjetischen Streikräfte, Igor Warennikow, in der Moskauer US-Botschaft auf, um Bush zu warnen:

"Wenn ihr Saddam Hussein entmachtet, stürzen wir Gorbatschow."

Doch zunächst waren sowjetische Omon-Truppen (Sicherheitspolizei) am 13. Jänner mit einer Eroberung des Fernsehsenders von Vilnius, Litauen, beschäftigt. Zugleich gab es Aufstände in Georgien, Aserbeidschan und Moldawien.

Am 11. Juni 1991 wurde Boris Jelzin in der ersten demokratischen Wahl Russlands zum Präsidenten der RSFSR gewählt. Als im August darauf KGB, Partei und Armee doch noch gegen Gorbatschow putschten, brach die Sowjetunion wie ein Kartenhaus zusammen. Michail Gorbatschow hatte es nicht geschafft, wirksame Wirtschaftsreformen umzusetzen. Der Widerstand im Apparat war zu groß, und er selber verstand nicht, welche schnellen Maßnahmen das Gebot der Stunde waren. Er redete nach wie vor von einem Gelingen des Kommunismus, obwohl der Bevölkerung längst klar war, dass das ganze System verrottet und reformunfähig war. In dieser Stunde punktete Boris Jelzin mit einer klaren Sprache und logischen Absichten. (Manchmal zu viel Alkohol bei einem Politiker war für Russen kein Problem) Gorbatschow verlor die Unterstützung im Volk und damit auch die Bereitschaft der Reformkräfte im KGB, sich zu engagieren.

(Im August 1993 war ich auf Einladung des Philosophen Christof Günzl und seiner Frau Magdalena und mit meiner Tanja beim XIX. Weltkongress der Philosophie in Moskau. Dort begegnete uns bei einem Hörsaal Michail Gorbatschow, und Tanja überreichte ihm ein Buch von Günzl in russischer Sprache. Günzl verehrte Gorbatschow, weil er in dem Weltbeweger einen Anwender der Evolutionsphilosophie erkannte).  

Der dritte Putsch in Moskau ereignete sich dann schon ganz ohne Gorbatschow. Im Oktober 1993 verschanzten sich 100 kommunistische Abgeordnete des Parlaments ebenda. Vizepräsident Ruzkoi bestärkte sie in ihrem Widerstand, das Parlament zu verlassen. Jelzin lag wieder einmal im Alkoholkoma. Plötzlich marschierte die Armee auf und ballerte in das Gebäude.

Ruzkoi und alle anderen hatten das Parlament mit erhobenen Händen zu verlassen.

Erst jetzt war der Kommunismus wirklich tot. Den Schießbefehl hatte Premierminister Tschernomyrdin gegeben.

China erwacht

In China hatte sich 1976 nach dem Tod Mao Tse Tungs der Reformer Teng Hsiao Ping durchgesetzt. Der gelbe Riese setzte nun wahrhaft zum großen Tigersprung an. Investoren aus Hongkong, Malaysia, Singapur, Taiwan, Südkorea, Japan, British Columbia und Kalifornien fluteten das Land mit Kapital und Knowhow. Heute regiert die KPCh nach wie vor kommunistisch dem Namen nach, in der Substanz aber rein marktwirtschaftlich. Bald folgten auf diesem Weg auch Vietnam, Laos und Kambodscha. Ironischerweise haben damit die USA nun ganz ohne Militär den Vietnamkrieg doch noch gewonnen.

Putins Russland

Das neue Russland war in der Wirtschaftsreform langsamer, und wieder regierte ein KGB-Agent das Land. Die Wirtschaft wurde endlich reformiert – sogar eine Flat-Tax mit 13 Prozent eingeführt – und Wladimir Putin durfte vor dem Wirtschaftsforum in Davos den Westlern erklären, wie Marktwirtschaft funktioniert. Die russisch-orthodoxe Kirche wurde vollkommen restituiert, Religionsunterricht bis in die Hauptschule staatlich verordnet. Macht und Religion haben in der lateinischen Kirche oft zusammengespielt, in Russland war dieses Verhältnis seit jeher eng verzahnt. Der große russische Strom ist mit der Wende in sein altes Flussbett zurückgekehrt.

Die noch schwache Demokratie freilich wurde rückgebaut, die Verbreitung von Fake News und Internetattacken hat man Troll-Häusern anvertraut, und es gelang, Hillary Clinton aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft zu werfen sowie Großbritannien aus der EU zu kippen. Und als das Blutregime in Syrien in die Knie zu gehen drohte, schickte Putin Flugzeuge, Panzer und Spezialkräfte. So etwas hätte sich der alte KGB nicht so leicht getraut.

Was zusätzlich kam, sind Wahlfälschungen am laufenden Band, Morde an Journalisten, an gegnerischen Politikern im eigenen Land und mit hochgefährlichen Giften an abtrünnigen Geheimdienstlern im Ausland, speziell in London. Aggressive Provokationen mit Bombern und Kampfflugzeugen gegen amerikanische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer, im Ärmelkanal und über den Nordpol hinweg wurden zur Norm.

Anders als unter dem Kommunismus sind diesmal in Russland keine nennenswerten demokratischen Kräfte auszumachen – weder im politischen System noch in den Sicherheitskräften. Die Einverleibung der Krim und Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine, ja sogar der brutale Einmarsch in der Ukraine stoßen in der russischen Bevölkerung auf breite Zustimmung.

Das Wunder der Deutschen Einheit

9. November 1989: Auf den Tag genau 51 Jahre nach der Reichskristallnacht fällt die Berliner Mauer – 28 Jahre nach ihrer Errichtung, 40 Jahre nach Schaffung der Deutschen Demokratischen Republik Russischer Nation. Welche Faktoren waren an diesem Hauptgeschehen im "Annus Mirabilis" beteiligt?

  • Da war Michail Gorbatschow, der, ohne es so zu wollen, mit Glasnost einen Schlüssel zur Demontage des Kommunismus gefunden hatte.
  • Da waren die mutigen protestantischen Prediger, die dem Volk der DDR in ihren Kirchen etwas Freiraum verschafften, und die Demonstranten, die von dort ausgehend die falsche Republik umstürzten (Aber sie wären nicht erfolgreich gewesen, wenn ihnen nicht Gorbatschow in Moskau die Stange gehalten hätte).
  • Da war ein Kanzler Helmut Kohl, damals bereits sieben Jahre Regierungschef in Westdeutschland. (Die Wiedervereinigung bescherte ihm noch zwei weitere Amtsperioden und so regierte er mit insgesamt 16 Jahren im Bundeskanzleramt sogar länger als Rekordhalter Konrad Adenauer mit 13 Jahren). Kohl packte ohne zu zaudern zu, als der Mantel der Geschichte an ihm vorüberrauschte, inhalierte die schrottreife DDR über Paragraph 23 Grundgesetz in die Bundesrepublik und integrierte sie scheinbar im Handumdrehen auch gleich in EU und Nato. Die Wiedervereinigung Deutschlands, so lange herbeigesehnt, und so lange für unmöglich gehalten, war plötzlich ein Faktum. Freiheit über Nacht von einer brutalen und durchorganisierten Diktatur, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde. Ein Wunder der Weltgeschichte!

Was bleibt von Gorbatschow?

Die Deutschen werden ihm auf ewig dankbar sein. Sogar Atheisten und Agnostiker sehen die Wiedervereinigung als ein politisches Wunder. Papst Johannes Paul II. marschierte bei seinem Deutschlandbesuch 1996 zu Fuß durch das Brandenburger Tor in Berlin, um deutlich zu machen, dass Gott in die Geschichte eingegriffen hatte.

Der Zusammenbruch des Kommunismus kam jedenfalls nicht zufällig. Es war Gorbatschows Wille und Vision, einen Kommunismus ohne Diktatur zu schaffen. In Prag 1968 mit seinem Freund Zdenek Mlynar hatte es da ja schon einen Versuch dazu gegeben. Der freilich wurde von den Machtapparatschiks damals per Invasion im Keim erstickt.

Aber es war Gorbatschow, der dem ungarischen Premier Miklós Nemeth im Sommer 1989 bei der Öffnung des Stacheldrahts ausdrücklich den Rücken stärkte. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, der das gar nicht glauben konnte, rief zur Sicherheit in Moskau an, ob das so auch stimmen konnte. Als Gorbatschow das bestätigte, war den Deutschen sofort klar, was folgen würde: Der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des ganzen Ostblocks. Und bei jedem weiteren Domino, das fiel, stärkte Gorbatschow den Reformkräften den Rücken. So in Polen der Solidarnosc, in Prag dem Vaclav Havel, In Rumänien dem Laszlo Tökes und dem Reformmilitär Ion Iliescu etc.

Bei all dem aber zerbröselte unter ihm die Sowjetunion, die baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen bildeten Menschenketten von Talinn bis Vilnius und rissen sich aus dem Leib des sowjetischen Monsters. Aserbeidschan und Armenien gerieten sich in die Haare.

Genauso Moldawien und Transnistrien. In Litauen freilich ging Gorbatschow gegen eine Besetzung des Fernsehturms von Litauen durch Nationalisten auf Druck der Armee mit Waffengewalt vor. 13 Tote. Aber schnell machte Gorbatschow einen Rückzieher. Heute ist das Baltikum Teil der Nato (Was einen Putin in den Wahnsinn treibt).

Gorbatschow hatte für sein Imperium durchaus eine moderne Lösung im Auge: die GUS – Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Eine lose Form des ehemals strengen eurasiatischen Verbundes. Das, was sein Nachfolger Boris Jelzin dann umsetzte, hatte das vorige Team im Kreml schon durchdacht und vorbereitet. Weißrussland, die Ukraine und Russland setzten das Konzept der GUS durch und sprengten damit die Sowjetunion endgültig. Am 31. Dezember 1991 saß ein einsamer und trauriger Michail Gorbatschow vor den Kameras und verkündete das Ende der Sowjetunion mithin auch des früheren Zarenreiches. Es war auch sein Ende als Präsident der Union. Und sein Ende als Politiker. Bei den nächsten Wahlen im unabhängigen Russland gewann Gorbatschow gerade mal 2 Prozent der Stimmen.

Ist Gorbatschow gescheitert?

Viele Russen sehen das so. Aber wir und die Welt verdanken ihm wahrscheinlich das Leben. Wäre Gorbatschow nicht gekommen, dann wäre vermutlich Grigori Romanow auf Juri Andropow gefolgt. Und unter ihm hätte es 1984, 1985 oder 1986 zu einer atomaren Konfrontation mit dem Westen kommen können. Der konservative Parteichef von Leningrad, Grigori Romanow, hatte sich selber aus der Kreml-Nachfolge geschossen. 1983 feierte er die Hochzeit seiner Tochter in der Eremitage. Sie zerschellten dort nach alter russischer Elitentradition sündteures, kulturell wertvolles altes Keramikgeschirr an den Wänden des früheren Zarenpalastes. Das war nun auch der abgebrühten Nomenklatura zu viel. Romanow verschwand in der Versenkung, seinen Platz in der Machtpyramide nahm nun Gorbatschow ein.

Gorbatschow scheiterte aber nicht an der Außenpolitik, oder an den Zerreißproben in der Sowjetunion. Vielmehr war dafür sehr viel Pech verantwortlich. Wir haben schon beschrieben, wie aus dem Krieg Irak–Iran ein Kollaps des Ölpreises entstand und die Sowjetunion just am Höhepunkt der Perestroika wesentliche Teile der Einkünfte aus ihrem Öl- und Gasexport verlor. Gerade als erste kleine Wirtschaftsreformen einen Effekt zeigten, brach die Wirtschaft flächendeckend zusammen. Wichtige Technologien konnten nicht mehr eingeführt werden und obwohl die Führung in Moskau die Militärausgaben reduzierte, reichte das Budget nicht mehr aus, um eine Verarmung zu vermeiden. Die Bevölkerung hatte keine Ahnung von den internationalen Zusammenhängen und kein Verständnis für die Mechanismen einer Wirtschaftsreform.

Erst fünf Jahre nach Ankündigung einer Perestroika legte Akademik Stanislaw Schatalin sein "Programm für Umstellung auf Marktwirtschaft in 500 Tagen" vor. Es war brillant und wurde von Boris Jelzin 1992 auch umgesetzt. Aber Gorbatschow zögerte, weil sein Premierminister Ryschkow zögerte und weil der Oberste Sowjet zögerte. Alle hatten Angst vor einer Abschaffung der Staatsplanwirtschaft (Schon 1974 hatten russische Philosophen zu meinem Freund Professor Günzl beim Philosophenkongress in Varna gesagt: "Wir würden gerne die Marktwirtschaft einführen, aber wir wissen nicht, wie man das ohne Brüche anstellen könnte"). Und so war es dann auch. Selbst der entscheidungsstarke Jelzin rannte in eine Katastrophe, Löhne und Pensionen konnten monatelang nicht ausgezahlt werden, die Kriminalität explodierte, weil kein Geld für die Polizei da war. Usw. Die Liste ist lang.

Dennoch war die Wirtschaftsreform nach zehn Jahren ein Erfolg. Heute stehen modernste Supermärkte an jeder Ecke des Reiches. Warenvielfalt und Qualität übertreffen jene im Westen. Die Wirtschaft hat sich diversifiziert. Viele neue Unternehmen wurden gegründet. Die Agrarwirtschaft explodierte. Hatte der kommunistische Koloss seit Lenin riesige Mengen Weizen importieren müssen, sehen wir seit zehn Jahren Russland und die Ukraine an der Spitze der Weizenproduzenten der Welt. So war es ja noch unter dem Zaren gewesen, Russland überschwemmte damals die Weltmärkte mit Weizen, Roggen, Hafer, Sonnenblumen usw.

Im Russland gab es nach dem Putsch von 1991 eine Vielfalt an Zeitungen und Radio/TV-Stationen. Millionen Russen bevölkern die Strände der Türkei, Ägyptens, Tunesiens, Italiens, Frankreichs und Spaniens. In der nun unabhängigen Ukraine konnte man nur staunen und zuschauen. Die alte sowjetische Funktionärsschicht blockierte auch hier alle Reformen, bis es 2005 zu einer ersten Rebellion unter Julia Timoschenko und Wiktor Juschtschenko kam – die "Orangene Revolution" – , und 2013 zu einer zweiten – dem legendären "Maidan". Ab 2014 nahm die Ukraine an Fahrt auf. Ein junger Staatspräsident, eine junge Regierung und ein junges Parlament regieren nun erfolgreich das Land sogar im Krieg.

Was Russland betrifft, hat sich etwas nicht bewahrheitet, worauf man 1992 gehofft hatte: Die Vorstellung im Westen war, dass Russland mit einer Marktwirtschaft die alten Kader abschütteln könnte und Demokratie und Rechtsstaat gestärkt werden würden. Das Gegenteil geschah.

Putin stopfte in die wichtigen Machtpositionen seine alten Freunde vom KGB und demontierte die Demokratie, so gut er konnte. Und er erweist sich gefährlicher als Stalin. Der war ein grässlicher Diktator, aber immerhin vorsichtig. Putin liebt die Konfrontation. Er glaubt, dass er allen Entscheidungsträgern im Westen überlegen sei, weil er Schamloses blitzartig befehlen könne. So hat er Anfang März zum beginnenden Ukraine-Krieg vier Jagdflugzeuge in den schwedischen Luftraum eindringen lassen – zwei davon waren mit Atomwaffen bestückt.

Es gibt aber eine Hoffnung. Russland bietet neben genialer Technik und einer reichen und vielfältigen Kultur immer wieder auch rettende Persönlichkeiten. Wird es diesmal jemandem in Moskau gelingen, uns von einem Diktator zu befreien, der ein friedliches Volk massakriert, und der es liebt, mit Atombomben zu drohen?

Paul Fischer ist langjähriger Redakteur, er hat mehrere Bücher geschrieben.

 

                                   

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