Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Zuerst hat man es für eine der üblichen Beschimpfungen in Zeiten des Krieges gehalten. Aber jede Stunde mehr wächst das Gefühl, dass die Aussage mehrerer britischer wie ukrainischer Politiker wirklich stimmen könnte: nämlich dass Wladimir Putin wahnsinnig geworden sei. Hat doch der Diktator ohne jeden Grund nun auch die russischen Atomstreitkräfte in Gefechtsbereitschaft gebracht. Hat ihn der Umstand um den klaren Verstand gebracht, dass die Dinge lange nicht so gut laufen, wie er es sich vorgestellt hat? Putins Verhalten erinnert jedenfalls beängstigend an Adolf Hitler, der in seiner Schlussphase den Untergang ganz Deutschlands wünschte, weil es nicht imstande war, den Krieg zu gewinnen. Wenn ich untergehen muss, soll auch das Deutsche Reich untergehen. Hitler kämpfte daher bis fast zum letzten 15-Jährigen. Aber er hatte zum Glück keine Atomwaffen. So hatte sein Wahnsinn "nur" zum Tod von vielen Millionen im Krieg und im Holocaust geführt und zur 40-jährigen Herrschaft der Russen über ganz Europa.
Tatsache ist, dass es heute auf der Welt absolut kein Mittel gibt – außer der vagen Hoffnung auf eine Befehlsverweigerung durch russische Offiziere –, um Putin von einer solchen Tat abzuhalten, sollte er wirklich wahnsinnig geworden sein. Denn die einzig positive Seite der wechselseitigen atomaren Vernichtungsmöglichkeit kann ja nur solange funktionieren, solange beide Seiten rational handeln. Solange das alle wussten, hat die Welt eine relative lange Friedensperiode ohne Konflikte in den Dimensionen eines Weltkriegs oder darüber hinaus erleben dürfen.
Ost wie West haben gewusst: Wenn sie miteinander in eine konventionelle Kriegs-Auseinandersetzung geraten, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass eine Seite den Atomzünder zieht, sobald sie "konventionell" ins Hintertreffen gerät. Daher haben beide darauf verzichtet, im konventionellen Bereich gegeneinander aufzutreten. Diese Abschreckungswirkung hat sicher eine Zeitlang funktioniert.
Genau um das zu vermeiden, haben es die Amerikaner vermieden, den Bitten der Ukrainer nachzukommen und ihnen durch eigene Truppen zu helfen. Das haben sie den Russen auch schon vor dem Einmarsch klar signalisiert, ihnen also damit freie Hand gelassen.
Umso kranker ist es, dass Putin jetzt dennoch eine atomare Drohung auffahren lässt, obwohl niemand aus dem Westen der Ukraine zu Hilfe gekommen ist. Und noch kranker ist es, gegen einen Nicht-Atomstaat wie die Ukraine solche Drohungen auszusprechen.
Sollte es im Kopf des einsam und aufgedunsen an riesigen Tischen hockenden Mann aber doch noch rational zugehen, dann ist die Versetzung der Atomraketen-Truppen in Alarmbereitschaft ganz klar Folge der Tatsache, dass die letzten Tage für ihn alles andere als so verlaufen sind, wie Putin es sich im Zeitpunkt des Angriffsbefehls wohl vorgestellt hat:
Das alles heißt aber auch: Putin muss erstmals ernsthaft damit rechnen, dass er auch persönlich für seinen absolut einsamen Kriegs-Beschluss zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Auch wenn unklar bleibt, ob irgendein Gremium imstande ist, ihn zu stürzen, so ist klar, dass er seinen Terror – und Beschuss ziviler Wohngebäude ist nichts anderes als Terror – immer mehr intensivieren muss, um nicht ganz persönlich in Gefahr zu geraten.
Tatsache ist jedenfalls, dass er sich statt der Anerkennung auf Augenhöhe, die er mit seinen Aktionen eigentlich erpressen wollte, den Hass der ganzen Welt zugezogen hat. Sich persönlich, aber auch seinem – in Wahrheit unschuldigen – Volk. Es gibt keinen Weg, der erzwingen könnte, dass sich Hass in Liebe oder den verlangten Respekt verwandelt. Das kann keine demokratische Regierung von ihrem Volk verlangen, selbst wenn sie es wollte.
Die Ukrainer zeigen, dass sie lieber sterben wollen, als sich von Putin versklaven lassen. Und der Rest der Welt bewundert sie dafür und nicht Putin.
Das macht aber zugleich die Situation so ausweglos wie gefährlich. Denn selbst wenn er nicht wahnsinnig geworden sein sollte, scheint es für Putin keinen Ausweg mehr zu geben, bei dem er nicht trotz militärischer Überlegenheit sein Gesicht verlieren würde. In ausweglosen Situationen ist aber auch bei nicht-wahnsinnigen Menschen wirklich mit allem zu rechnen.