Wissenschaft und Verschwörung: Von den Götzen unserer Zeit

In den Diskursen über die Corona-Pandemie (oder auch um CO2 und Klimawandel) hört man immer öfter das Wort Verschwörung, beziehungsweise Verschwörungstheorie. Verschwörungen finden statt und haben immer stattgefunden. Daher stellt sich zuerst einmal die Frage: Handelt es sich um richtige oder falsche Verschwörungstheorien?

Meistens sind ja mehr oder weniger große Teile entsprechender Theorien richtig; nur ganz selten die gesamte Theorie. Ganz abgesehen davon, scheint es sich jedoch bei den Verschwörungen ähnlich zu verhalten, wie beim Aberglauben: Der Aberglaube ist immer der Glaube der anderen – und die Verschwörer sind auch immer die anderen

Was jedoch unabhängig davon beobachtet werden kann: dass aus kleinen Irrtümern, Fehlern oder Lügen immer größere werden; dass sich Propaganda und Fehlinformation gegenseitig hochschaukeln; dass immer weniger Menschen wissen, was sie noch glauben können oder sollen. Die Auslöser können anfangs durchaus klein sein – sich jedoch nach und nach, per Schneeballeffekt, vergrößern.  

Irgendjemand behauptet etwas, was von anderen – speziell wenn sie Macht, Einfluss oder Geld haben – als falsch (oft zu Unrecht) oder schädlich (oft zu Recht) angesehen wird. Diese fühlen sich dann bemüßigt und berechtigt, sozusagen mit – anfangs relativ kleinen, "edlen platonischen Lügen" (Robert Malone) – darauf zu reagieren. Also mit Zensur oder Verbreitung manipulativer Information. 

Doch dieses Verhalten kann oft nach hinten losgehen. Denn wenn auch die meisten Menschen nicht merken oder wissen mögen, dass/ob eine Information nicht ganz richtig ist – so gibt es doch immer einige, die einfach spüren, dass irgendetwas nicht stimmt. Dies sind meist eher sensible, oft leicht paranoide Personen – die dann häufig überreagieren und sich und anderen, mit teils abstrusen und an den Haaren herbeigezogenen Erklärungsmustern, die Situation verständlich zu machen versuchen. Diese Personen werden dann oft als Verschwörungstheoretiker bezeichnet.

Meist haben sie zumindest teilweise darin recht, dass irgendetwas "faul" ist; meistens sind aber ihre konkreten Erklärungen dann eben bestenfalls teilweise, schlechtesten Falles völlig falsch! Dies wiederum nimmt natürlich die andere Seite zum Anlass zu sagen: Seht her: Wir haben recht, wir müssen gegen diese Wahnsinnigen vorgehen. Was diese wiederum nur noch paranoider und fanatischer macht…

Und so schaukelt sich die gesamte Angelegenheit immer weiter hoch. Oft basierend auf einem relativ nichtigen Anlass. Leider beginnt jedoch mit der Zeit der Zweck – für beide Seiten – fast alle Mittel zu rechtfertigen. Was wir ja derzeit erleben.

Was beide Seiten gemeinsam haben: dass sie sich im Besitz der einzigen und alleinigen Wahrheit wähnen; oder dies zumindest bekunden. (Innere Zweifel mögen ja vorhanden sein – paradoxerweise den Fanatismus dann oft sogar noch verstärken; denn nichts beschwichtigt ja eigene Zweifel besser, als die Bekehrung anderer! – man lässt es sich aber zumindest nicht anmerken.) 

Es ist völlig normal geworden, dass sich dabei jeder auf (vermeintliche) Fakten, Statistiken – besser noch: auf "die Wissenschaft" – beruft. Niemand begnügt sich mehr damit, von seiner subjektiven Meinung, seinen persönlichen Interessen etc. zu sprechen. Alle beanspruchen – wie selbstverständlich – für sich, die eine, objektive und unumstößliche Wahrheit zu verkünden. 

Doch die Sache hat einen Haken. Menschen sind keine Nummern und das Leben ist keine Statistik. 

Objektives Wissen kann es nur bezüglich Objekten geben. Menschen sind aber Subjekte. Lediglich die Mathematik ist eine wirklich exakte Wissenschaft, mit absolut beweisbaren Postulaten. (Natürlich ist es verführerisch, diese Beweisbarkeit, Wiederholbarkeit, Eindeutigkeit auch auf den Menschen, auf das Leben zu übertragen. Doch diese vermeintliche Präzision geht dann leider notwendigerweise auf Kosten der inhaltlichen, qualitativen Aussagekraft.)

Beispiel Schulmedizin: Diese definiert sich selbst als Statistik – und Statistik bedeutet Normalverteilung. Das heißt also, dass sich Zusammenhänge in etwa 80 Prozent (Gauß, Pareto) der Fälle nachweisen lassen – in etwa einem Fünftel der Fälle jedoch nicht. Dies lässt sich auch relativ einfach erklären: Menschen sind einander mehr oder weniger ähnlich, aber sie sind nicht gleich!

In keinem anderen Bereich hat eine übertriebene Gleichheitsideologie es geschafft, in solch unwidersprochener und allgemein akzeptierter Form zu manifestieren, wie in dem, was wir Wissenschaft nennen. Und damit ist eben nicht die Mathematik oder vielleicht auch noch die Physik (obwohl ja auch in der Physik zum Teil sehr "metaphysische" Theorien kursieren) gemeint, sondern jene Wissenschaften, die sich auf den Menschen und das Leben beziehen. Diese können nämlich keine Gewissheiten liefern, also auch keine absoluten Wahrheiten – sondern immer nur Wahrscheinlichkeiten. Weil der Mensch und das Leben immer zumindest ein bisschen unberechenbar bleiben; weil alles (wohl zum Glück) immer noch ein gewisses Mysterium ist …

Womit wir bei den Fakten und bei dem allseits beliebten "Faktencheck" wären: Das Problem liegt hier eindeutig darin, dass oft Äpfel mit Birnen verglichen werden. Denn egal wie groß auch eine Studie angelegt sein mag: Wenn die Subjekte (oder besser Objekte, denn so werden sie letztlich meist behandelt) nicht gleich sind (und das können und sollen sie ja gar nicht sein), dann können ja auch die Ergebnisse, wie immer diese schließlich geartet sein mögen, unmöglich auch für alle anderen Menschen gültig sein, sondern eben immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, für eine gewisse Mehrheit der Menschen.

Zurück zur Schulmedizin. Vielleicht etwas polemisch formuliert, könnte man sagen: Für durchschnittlich jeden fünften Menschen weltweit stimmt sie schlicht und einfach nicht. Und das erklärte auch die Unversöhnlichkeit der Kontroversen. Denn wenn sich Zusammenhänge mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder reproduzieren lassen – aber eben auch mit (deutlich geringerer) Wahrscheinlichkeit, sehr oft nicht reproduzieren lassen, dann bekommen wir ein Problem. Es sei denn, wir könnten a priori akzeptieren, dass eben all die Ergebnisse empirischer Studien, immer nur für den Großteil der Menschen, aber eben keineswegs für alle gültig sein müssen.

Doch dazu sind wir offensichtlich immer weniger bereit. Ein gewisser ideologischer Totalitarismus scheint mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Die meisten Menschen tendieren dazu, ihre eigene Meinung (auch wenn diese oft auf sehr subjektiven Interessen beruhen mag) als die alleinige und absolute Wahrheit darzustellen. Und umgekehrt.

Das Resultat sehen wir derzeit deutlich. Sich auf "die Wissenschaft" berufend, sind wir immer weniger dazu bereit, anderen einen anderen Weg als den eigenen zuzugestehen. Es geht um alles oder nichts. Wir oder die. Kategorischer Imperativ… 

Diese Polarisierung mit gegenseitiger Schuldprojektion muss geradezu zu einer unversöhnlichen Spaltung führen. Ob dies nun gewollt sein mag oder nicht, das Resultat ist klar. Die "Untertanen" erheben sich nicht gemeinsam gegen die "Obrigkeit", weil sie damit beschäftigt sind, gegenseitig aufeinander loszugehen. Oft wegen relativ nebensächlicher Anlässe.

Während es bisher nicht gelungen ist, alle Menschen zu einem Kollektiv zu formen, scheint es viel einfacher zu sein, sie in zwei Gruppen zu spalten, die einander feindlich gegenüberstehen – und damit letztlich das System stabilisieren. Es bedeutet das Ende jeder Art von Individualismus; der persönlichen Urteilskraft und der dezentralen Entscheidungsfindung. Und eine nie dagewesene Möglichkeit zur zentralen Steuerung – und Überwachung, nicht zuletzt durch gegenseitige Denunziation.

Der belgische Psychologieprofessor und Statistiker Mattias Desmet nennt es "Massenbildung durch Hypnose". Alles dreht sich nur noch um eine Sache, ein Problem. Und um ein Patentrezept, mit dem dieses Problem gelöst werden soll: Etwa Probleme um Masken, Tests oder Impfungen – oder die Bekämpfung der drohenden "Klima-Apokalypse" mit allen nur erdenklichen Mitteln, bis zum Blackout … Hypnose bedeutet fokussierte Aufmerksamkeit. Man könnte es auch Message control nennen.

Mit Angst erreicht man Kontrolle. Und Kontrolle braucht man, um an der Macht zu bleiben. Speziell in Zeiten, in denen die Schulden hoch, die Ressourcen knapp – nicht zuletzt aber auch weltweit die Politiker so inkompetent und korrupt sind, wie schon lange nicht mehr.

Noch selten zuvor wurden Angst-Narrative so sehr betont und so oft wiederholt wie in letzter Zeit. Obwohl Angst ohne Zweifel der Gesundheit schadet; Urteilsvermögen, Motivation und Leistungsfähigkeit schwächt; und dabei die Lebensqualität aller massiv beeinträchtigt.

Was auch immer der konkrete Inhalt sein mag (Covid, CO2 etc.): Man nehme ein vorhandenes Problem und übertreibe es konsequent und so lange, dass/bis sich eine Mehrheit der Menschen – anfangs freiwillig, mit der Zeit immer widerwilliger – teils gegen bessere Vernunft und das eigene Empfinden einem bestimmten Narrativ fügt; während eine kleine, dafür immer fanatischer werdende Minderheit, sich diametral dagegen stellt.

Dies führt letztlich zusehends dazu, dass fast niemand mehr wirklich seine eigene, differenzierte Meinung vertritt; sondern dass immer mehr Menschen einfach nur noch für oder gegen vorgegebene Inhalte oder Ideologien sind.

Nicht Lügen sind dabei letztlich am gefährlichsten, sondern Halbwahrheiten, die als die ganze Wahrheit ausgegeben werden. Denn glatte Lügen sind ja viel leichter durchschaubar. Teilwahrheiten hingegen, schwächen das Urteilsvermögen des Individuums – und treiben immer mehr Menschen an den Rand des Wahnsinns.

Es soll hier übrigens nicht behauptet werden, dass Covid oder auch die Zerstörung der Natur durch den Menschen keine ernsten Probleme wären – es soll nur behauptet werden, dass man alles übertreiben kann. Dass man immer sowohl links als auch rechts am Ziel vorbeischießen kann.

Soll man Wissenschaft auf das reduzieren, was sich eindeutig messen, beweisen und verallgemeinern lässt? Man könnte dann überspitzt über die Schulmedizin oder überhaupt jede Wissenschaft, die auf den Menschen und das Leben bezogen ist, die aber zugleich für universell gültig, eindeutig und in sich widerspruchsfrei gehalten wird, formulieren: Sie ist dann gleichsam die vielleicht perfekteste Verkörperung eines "real existierenden Sozialismus", die es je gegeben hat. Gewissermaßen Materialismus und Kollektivismus, fast in Reinkultur.

Keine zwei Menschen waren jemals ganz gleich, können (oder sollten) jemals gleich gemacht werden. Die Menschen sind einander mehr oder weniger ähnlich! Daher lassen sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit Gesetzmäßigkeiten finden, die für die meisten Menschen im großen Ganzen zutreffen. Aber es kann keine absoluten Gesetze geben, die für jeden Menschen, in jeder Situation mit Sicherheit gelten.

Wenn wir schon bei der Polemik sind: Nicht der Mammon ist der größte Götze unserer Zeit (weil er von vielen hinterfragt wird), sondern "die" Wissenschaft (weil sie von fast niemanden hinterfragt wird). Wissenschaft ist zu einem Synonym für Wahrheit geworden. Für absolute, geradezu unwiderlegbare Fakten. Dabei sollte doch gerade die Wissenschaft immer auf ihrem Fundament, der Falsifizierbarkeit, stehen. Was muss passieren, damit wir unsere Meinung ändern?

Das Problem der Falsifizierbarkeit finden wir aber auch noch in vielen anderen Bereichen, die einst als Errungenschaften aufgeklärter, liberaler, weltoffener Menschen galten. In der Politik sind es die Instrumente der Demokratie, mit ihren Checks and Balances. In der Ökonomie ist es der Markt, mit seinem Wettbewerb. In den Medien ist es die Meinungsfreiheit und das Recht, die Dinge anders zu sehen. Und in der Justiz schließlich, ist es das Prinzip, dass selbst der schwerste Verbrecher einen Verteidiger bekommen soll. 

Oft wird behauptet, wir näherten uns einer Diktatur. (Manchmal sogar mit dem Argument, eine Diktatur sei immer noch besser als ein Bürgerkrieg.) In Wahrheit aber haben wir zum Glück keine Diktatur, aber ein immer totalitäreres System. Wir wollen nur noch eine Meinung oder Ideologie gelten lassen. Wir wollen keinen Wettbewerb mehr – weder auf dem Markt, noch bei den Ideen. Wir sehen nur noch die eigenen Rechte, nicht jedoch Pflichten und Verantwortung. Und wir schieben in jedem Konflikt, wie selbstverständlich, den jeweils anderen die Beweislast zu. 

Und wir werfen ohne jegliche Skrupel, dann all jene in einen Topf, die nicht exakt die gleiche Meinung oder dieselben Interessen haben, wie wir selbst. Wie unterschiedlich diese "anderen" letztlich auch sein mögen...

Vielleicht sollten wir uns öfter an den weisen Laotse erinnern: Schöne Worte sind nicht wahr. Wahre Worte sind nicht schön.

 

PS: Die Verdienste der Schulmedizin bei Unfällen und Notfällen können nur schwer überschätzt werden. Bei chronischen Erkrankungen sieht es hingegen weniger gut aus.

 

PPS: Die Kritik an "der" Wissenschaft soll sich nicht auf seriöse Forschung auf höchstem Niveau beziehen – eher auf jene, die leichtgläubig fast alles übernehmen, was ihnen als "wissenschaftlich erwiesen" präsentiert wird – oder, wie es so schön heißt: Es ist besser zu wissen, dass man glaubt – als zu glauben, dass man weiß.

 

Christoph Bösch, freier Publizist, dem eine möglichst direkte Demokratie, Meinungs- und Vertragsfreiheit sowie ein offener Wettbewerb der Ideen, ein großes Anliegen sind. 

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