Die Wiederwahl in Amt liefert dem Politfunktionär in der Demokratie den entscheidenden Antrieb für sein Handeln. Was für ihn alleine zählt, ist der Erfolg im Kampf um einen Platz am Futtertrog. Er wird dafür jedes mutmaßlich uneinlösbare Versprechen abgeben, um sich den Wählern attraktiv darzustellen. Der Politikerberuf wirkt – solange er nicht mit persönlichen Haftungsrisiken verbunden ist – auf eine Negativselektion von Zeitgenossen anziehend. Der Ökonom und führende libertäre Denker Hans-Hermann Hoppe spricht sogar von einem "Wettbewerb der Gauner".
Wie ein Blick in Parlamente und auf Regierungsbänke erkennen lässt, ist die von dem libanesischen Mathematiker und Erfolgsautor Nassim Taleb festgestellte Abwesenheit von "Skin in the Game" – neben der für bürgerliche Berufe und wertschöpfende Arbeit meist fehlenden fachlichen und charakterlichen Eignung – der Hauptgrund für die Mehrheit der dort Anwesenden, ein politisches Mandat anzustreben. Denn die meisten Politiker erzielen dank ihres Mandats ein deutlich höheres Einkommen, als sie es in der Privatwirtschaft je verdienen könnten.
Selbst einfache Hinterbänkler in den Parlamenten, nicht wenige von ihnen verfügen über keinerlei Kenntnisse, die sich erfolgreich auf dem Markt verwerten lassen, dürfen sich über Bezüge freuen, die in der Privatwirtschaft leitenden Angestellten, erfolgreichen Unternehmern und Freiberuflern vorbehalten sind – ohne allerdings deren Geschäftsrisiko tragen zu müssen. Den oft und gerne zitierten "kleinen Mann von der Straße" repräsentieren sie nicht. Wirtschaftlich erfolgreiche Menschen schon gar nicht. Die Tatsache, dass Zeitgenossen ohne jede fachliche Qualifikation und/oder Berufsausbildung in politische Spitzenämter aufsteigen und Minister oder gar Regierungschef werden können, sagt alles über die von ihnen zu erwartenden Leistungen.
In diesem Zusammenhang sind Max Webers in seinem 1919 gehaltenen Vortrag "Politik als Beruf" geäußerten Einsichten interessant. Vieles hat sich in den vergangenen 100 Jahren nämlich nicht grundlegend geändert. Die für moderne Demokratien typische Figur des wirtschaftlich von seinem Mandat abhängigen Berufspolitikers, bestimmt deren problematische Entwicklung. Endstation: Ochlokratische Oligarchie.
Nach erfolgreichen Unternehmern, Managern, Naturwissenschaftlern, Freiberuflern oder nicht am Staatstropf hängenden Künstlern, sucht man in den Parlamenten und an der Spitze von Ministerien weithin vergebens. Vielmehr herrscht ödes Mittelmaß. Spießer und Zivilversager, wohin das Auge blickt. Hauptberufliche Partei- und Kammerfunktionäre, freigestellte Beamte, Studienabbrecher, Narzissten, die sich nach dem Ende ihrer Berufskarriere mit einem politischen Amt schmücken wollen oder fanatische Weltverbesser, die zur Verwirklichung ihrer Utopien auch vor dem Einsatz roher Gewalt nicht zurückschrecken. Der Zweck heiligt ja vorgeblich die Mittel, und wenn das Ziel edel und gut ist, fallen sämtliche Hemmungen. "Wer den Menschen nicht dienen will, der will sie beherrschen", stellte der Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig von Mises treffsicher fest. Und je weiter sich die politische Landschaft nach links verschiebt – und das tut sie seit der 1968-Revolution mit beängstigender Geschwindigkeit –, wird es immer schlimmer.
Um einen Ausweg aus dieser Misere zu finden und den Absturz ins Chaos zu verhindern, ist es notwendig, das bestehende, völlig falsche Anreize bietende System grundlegend zu verändern. Denn wenn es attraktiver ist, sein Einkommen nicht durch Arbeit, sondern mittels Umverteilung zu erzielen, wird sich ein immer größer werdender Teil der erwerbsfähigen Bürger darauf einstellen. Wenn kaum Differenzen zwischen marginalen Erwerbseinkommen und Transfereinkommen bestehen, wozu dann tagtäglich zum Arbeitsplatz pilgern?
Ist erst einmal der Punkt erreicht, an dem eine Mehrheit der Bürger ihr Leben aus steuerfinanzierten Transfers bestreitet, ist die Sache auch schon gelaufen. Vermeintlich "wohlerworbene Rechte" zurückzunehmen, ist nahezu unmöglich – zumindest dann, wenn man als Politiker wiedergewählt werden will. Der rote Kanzler Bruno Kreisky konstatierte einst zurecht: "Keiner lässt sich gerne etwas wegnehmen." Stimmt! Soziale Errungenschaften verfügen über einen Sperrklinkeneffekt, der ein Zurück unmöglich macht.
"Sobald mehr als die Hälfte der Bevölkerung eines Landes ihr Einkommen ganz oder teilweise vom Staat bezieht, ist eine Umkehr auf dem Weg in die Knechtschaft nicht mehr möglich. Die Stallgefütterten wollen und können auf ihren Futtermeister nicht mehr verzichten. Ihr Schicksal ist dann vorgezeichnet: Füttern, melken, schlachten."
Roland Baader (1940–2012)
Der Schlüssel zur Umkehr ist eine radikale Senkung der Staatsquote. Schließlich ist es die so gut wie unbeschränkte Verfügungsgewalt über das Geld der Untertanen, die es dem Staat ermöglicht, eine Mehrzahl der Bürger zulasten der ständig weniger werdenden Leistungsträger zu korrumpieren.
Euroland hält derzeit bei knapp 50 Prozent Staatsquote – dank Corona und "Green Deal" bei steigender Tendenz. Um ein Staatswesen ausreichend zu dotieren, also Rechtsprechung und Sicherheit im Inneren und nach außen zu finanzieren, reichen indes 15 Prozent des BIP, wie der US-Ökonom Dan Mitchell vom US-Cato-Institut schlüssig vorrechnet.
Da sich die arbeitenden Menschen mittlerweile daran gewöhnt haben, mehr als die Hälfte ihres Einkommens an den Staat abzuliefern und sich gegen diese brutale Enteignung auch keinerlei erkennbare Widerstände formieren, ist es schwierig, "mehr Netto vom Bruttolohn" durchzusetzen. Unabdingbar für eine Umkehr vom Weg aus der Unmündigkeit ist es dennoch.
Genauso wichtig ist die Einführung einer Politikerhaftung, wie auch immer sie juristisch einwandfrei gestaltet sein mag. Es ist nicht hinnehmbar, dass politische Entscheidungen vorgenommen werden, die sowohl das Eigentum, als auch die Persönlichkeitsrechte der Bürger gefährden, ohne dass die dafür verantwortlichen Funktionäre haftbar gemacht werden können.
Zweifellos handelt es sich bei der Einführung einer Politikerhaftung um eine delikate Angelegenheit, die wohl durchdacht sein will. Immerhin sind es oft vielköpfige Gremien und nur selten einzelne Akteure, die politische Entscheidungen treffen. Daher ist Augenmaß gefragt. Die Lösung dieses Problems ist indes ebenso entscheidend für die Richtung, in der sich die westlichen Gesellschaften entwickeln, wie die Begrenzung der Staatsquote.
An der Erkenntnis, dass verantwortliche Handlungen nur von Personen erwartet werden können, die dafür, um es mit den Worten Nassim Talebs auszudrücken, "ihre Haut aufs Spiel setzen", ist nicht herumzukommen. Inwieweit daran zu denken ist, neben den Gewählten auch die Wähler in die Pflicht zu nehmen und für ihre Wahlentscheidungen haftbar zu machen, ist eine andere, in der Praxis wohl unlösbare Frage. Das gilt besonders auf höherer politischer Ebene, wo kein Bürger mit den Funktionsträgern persönlich bekannt ist.
Einen Schritt in die richtige Richtung würde wohl eine Stimmgewichtung nach der für das Gemeinwesen erbrachten Steuerleistung bringen. Ein "Zensuswahlrecht", wie es in Deutschland und Österreich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestanden hat. Das auf dem Markt herrschende Prinzip "wer zahlt, schafft an", würde damit auf die politische Ebene übertragen. Auf dem Markt bedeutet jeder ausgegebene Cent eine Stimme. Demokratie pur.
Das Gute daran: Wer seine politische Macht dazu nutzt, seine Steuerleistung zu verringern, verliert an Stimmgewicht. Ein selbst stabilisierendes System. Die derzeit herrschende Vernachlässigung der Nettosteuerzahler wäre behoben, das Stimmenübergewicht der Alimentierten beseitigt und die Staatsmacht würde auf ein Maß reduziert, wie es vor dem Ersten Weltkrieg geherrscht hat. Wir wären in jene Ära zurückgekehrt, in der Europa das stärkste Wirtschaftswachstum und die schnellste Wohlstandszunahme der Geschichte zu verzeichnen hatte.
Doch ehe sich nicht die Einsicht durchsetzt, dass die Staatsquote sich umgekehrt proportional zum kollektiven Wohlstand verhält; ehe nicht die Steigerung der Produktion anstatt des Versuchs einer erzwungenen Gleichverteilung des Wohlstands das Hauptziel der Politik ist; ehe politische Entscheidungsträger nicht die zivil- und strafrechtliche Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen; ehe nicht die ungehinderte Interaktion freier Individuen Vorrang vor der Umsetzung politischer Utopien erhält – solange wird eine Emanzipation der Bürger vom paternalistischen Leviathan nicht gelingen.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.