Ja, die Bekämpfung einer Pandemie bedarf auch unpopulärer Maßnahmen, die zu Schäden an anderer Stelle führen. Dennoch muss die Bevölkerung immer das Gefühl haben, dass die gelindesten Mittel eingesetzt werden, die möglich sind. Diesen Eindruck hat man in Österreich sehr oft nicht.
Es wäre eine kostengünstige und treffsichere Maßnahme gewesen, die besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu schützen, also die über 65-Jährigen, die ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben. Es wäre einfach gewesen, eine umfangreiche Datenbasis zu erarbeiten, um zielgenaue Maßnahmen treffen zu können. Das Fehlen einer solchen Datenstruktur bemängeln viele Experten seit Monaten. Es wäre einfach und kostengünstig, einen Basisprozess zu definieren und zu kommunizieren, was denn jemand, der positiv getestet wurde, nun tun soll und kann, um seine Heilungschance zu maximieren.
Im Unterscheid zu anderen Ländern haben wir das nach wie vor nicht, sondern es werden die Menschen mit ihrem Testergebnis allein gelassen. Glücklich der, der zufällig einen Hausarzt hat, der ihn da unterstützt, das dürfte jedoch die Ausnahme sein. Warum bekommt ein "Positiver" nicht mit dem Testergebnis sofort einen Onepager, auf dem ihm gut verständlich (in mehreren Sprachen) erklärt wird, was er/sie nun tun kann, worauf es ankommt, und dazu ein Fieberthermometer, ein Sauerstoffmessgerät und andere hilfreiche Utensilien, wie dies in anderen Ländern Standard ist? Wenn so jemand Glück hat, bekommt er/sie nach vielen Tagen einen Bescheid, der ihm/ihr in juristischem Fachchinesisch erklärt, was er nicht tun darf.
Viele an Corona Erkrankte werden in Österreich mit diesem Befund furchtbar alleingelassen nach dem Motto: "Du bist krank, warte was passiert, wenn du Glück hast, ist es ein leichter Verlauf doch wenn du Pech hast, wirst du sterben – kann man nicht viel machen!" Darauf, dass man mit einer positiven Corona-Diagnose doch viel machen kann, beziehungsweise darauf, dass man im Falle des Falles rechtzeitig ins Spital eingeliefert werden muss, haben Ärzte immer wieder hingewiesen und gleichzeitig betont, dass die Menschen oft gar nicht wissen, wann sie ein Spital brauchen. Kommen sie dann doch, ist oft wertvolle Zeit vertan, wenn nicht gar alles zu spät. Das kann es nicht sein! Nicht in einem medizinisch und gesellschaftlich so hochentwickelten Land wie Österreich!
Verfolgt man die Entwicklung der Pandemie in anderen Staaten, muss man neidvoll anerkennen, dass vielerorts Corona-Patienten auch Zuhause großartig unterstützt werden und dass gerade der Frage nach den Auswirkungen der Pandemiebekämpfung auf den Zustand der Qualität der bestehenden Demokratie wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als hierzulande. Man hört dann Stimmen aus höchsten politischen Kreisen, die klarstellen, wie wichtig die Pandemiebekämpfung ist, die aber gleichzeitig keinen Zweifel daran aufkommen lassen, welche Grenzen dies in einer Demokratie haben muss und dass man die Menschen auf keinen Fall vor den Kopf stoßen und schon gar nicht spalten dürfe. In Österreich herrscht dazu fast völliges Schweigen.
Ein Riss durch die Gesellschaft, eine Spaltung der Gesellschaft ist Gift für jede Demokratie, denn sie lähmt das Volk, das ja die Grundlage dieses Staatssystems darstellt. Wenn jedoch der Souverän handlungsunfähig wird, ist es um die Demokratie geschehen, auch dann, wenn Eliten dieses neue Vakuum füllen und die Früchte der Spaltung für sich ausbeuten sollten. "Divide et impera" ist ein totalitärer Ansatz – und zu glauben, man könne so in einer Demokratie verfahren, ist naiv. Wer so agiert, muss in einer Demokratie die Konsequenzen tragen und wird eher früher als später sein Amt verlieren. Spätestens dann, wenn klar wurde, wohin eine solche Spaltung geführt hat, und in den Menschen die Sehnsucht nach einem neuen gemeinsamen Weg wächst. Eine Sehnsucht, die im besten Falle den Ruf nach einem "Friedensstifter" laut werden lässt, im schlechtesten Falle aber in das Geschrei nach einem Führer ausartet.
Ja, man kann schon über einen Lockdown für Ungeimpfte nachdenken, wenn man davor alle gelinderen Mittel ausgeschöpft hat und wenn man sich dessen bewusst ist, was man damit anrichtet. Das Gleiche gilt für eine allgemeine Impfpflicht. Über eine Impfpflicht für die besonders vulnerablen Gruppen nachzudenken, nachdem man alles getan hat, um diese zu einer (auch dritten!) Impfung zu motivieren, ist eine Sache. Doch ohne eine solche Kampagne eine generelle Impfpflicht auch den Menschen aufzuerlegen, die nachweislich ein äußerst geringes Covid-Risiko aufweisen, ist schon starker Tobak!
Man bekommt damit sicherlich viel Applaus aus der großen Gruppe der Geimpften, für die eine solche Impfpflicht keinerlei Auswirkungen entfaltet. Dass man damit jedoch gleichzeitig eine ohnmächtige und schier unbändige Wut bei jenen erzeugt, die nun einem Staat gegenüberstehen, den sie bis jetzt geachtet haben, der nun jedoch die große Sorge um ihren Körper nicht ernst nimmt und sich über sie via Zwangsmaßnahmen hinwegsetzt, hat eine hochgefährliche Dimension. Der Vulkan, der damit wahrscheinlich zum Gären gebracht wird, könnte schließlich in einer Eruption ausbrechen und vieles unter sich begraben, was unserer Gesellschaft gut und teuer ist.
Mag. Johannes Leitner ist verheiratet und Vater von sechs Kindern. Er war Leiter eines genossenschaftlichen Revisionsverbandes sowie einer christlichen Laiengemeinschaft im Raum Wien. Er ist Mitautor des 2012 im Domverlag erschienenen Buches "Sexueller Missbrauch in Organisationen; Erkennen–Verstehen–Handeln".