„Die Scheiß-Christin“ und unsere Journalisten

TV-Konsumenten, denen die einseitige und repetitiv-penetrante Berichterstattung im ORF auf die Nerven geht, haben eine interessante Alternative. Sie können jeden Abend um 19.20 Uhr – also zehn Minuten vor der ZIB1 – auf ServusTV schalten und dort Dinge erfahren, die der Staatsfunk bewusst verschweigt.

Umgekehrt verzichtet der Privatsender dankenswerter Weise gerne auf die x-te Wiederholung bereits bekannter Sachverhalte und versteht sich auch nicht als Schulmeister dort, wo der ORF bei den Hörern und Sehern noch starke Wissensdefizite ortet – von der mangelnden Willkommenskultur über die schwache LGBT-Awareness bis zum Nachholbedarf in der Feminismus- oder Genderpolitik. Auf ServusTV wird auch nicht "getschendert" – eine Wohltat! (Lediglich in Corona-Fragen hat sich der Privatsender einer stark impfskeptischen Linie verschrieben – ein echter Wermutstropfen, leider).

Besonders entlarvend für die falsche Prioritätensetzung im ORF war, als die Anwälte der von afghanischen Asylwerbern ermordeten Leonie (es gilt selbstverständlich – anders als bei Politikern – die Unschuldsvermutung) in einer bemerkenswerten Pressekonferenz konkrete Vorschläge an die Politik präsentierten und auch die Eltern des Opfers zu Wort kamen.

ORF-Seher erfuhren nichts davon.

Nur die Zuseher bei ServusTV wurden von diesem denkwürdigen und berührenden Ereignis informiert; insbesondere auch davon, was der gebrochene Vater der 13-jährigen Leonie berichtete: "Mein Kind könnte noch leben, hätten wir eine andere Asylpolitik. In Österreich werden die Grenzen überrannt, und dann dürfen wir nicht einmal abschieben. Da wir auch Akteneinsicht haben, möchte ich auch einen der Täter zitieren: ,Die Scheiß-Christin hat das ja nicht anders verdient.‘ Mein Kind hat mit dem höchsten Preis diese Einladungspolitik bezahlt, aber vielleicht kann man andere Kinder noch schützen, und das wünsche ich mir von der Regierung."

Der ORF wollte seinen Sehern weder die beklemmende Anklage der Eltern noch die ungeheuerliche Aussage eines der Täter zumuten. Und der Staatsfunk war mit seiner Zurückhaltung nicht allein. Auch in den Printmedien fanden sich – soweit ich feststellen konnte – keine nennenswerten Berichte von den Aussagen des Vaters, von den Worten des Täters ganz zu schweigen.

Über die Motive für diese vorauseilende Zensur soll sich jeder selbst ein Urteil bilden, vor allem angesichts der Tatsache, dass unsere Medien bei anderen heftigen Zitaten nicht so zurückhaltend sind, wie man ja insbesondere in der letzten Zeit täglich feststellen kann. Da wird munter aus – an sich der Vertraulichkeit unterliegenden – Akten zitiert, was das Zeug hält.

Zigmal werden mittlerweile sattsam bekannte Texte gebracht, wenn es ins redaktionelle Konzept passt. Gefühlte hundert Male wurden wir mit immer denselben Ibiza-Fotos traktiert, und manche von uns kennen bestimmte Chat-Nachrichten mittlerweile wohl besser als deren Urheber.

Dem "ungebildeten" Leser, Seher oder Hörer, der nicht über das ideologisch gefestigte Sensorium des interessensgeleiteten Journalisten verfügt, sind daher vernünftiger Weise nur solche Nachrichten zuzumuten, für die er auch "reif" genug ist.

Denn wohin kämen wir, wenn sich engagierte Bürger aufgrund seriöser, faktenbasierter und wertungsfreier (!) Berichte ihr eigenes Urteil bilden?

PS: Machen wir ein Gedankenexperiment: Was wäre wohl in der österreichischen Medienlandschaft losgebrochen, hätte etwa ein Österreicher einen Asylwerber ermordet und diesen als "Scheiß-Moslem" bagatellisiert? Die Medien hätten versucht, einander an Empörung zu übertreffen, nicht nur mit einem Bericht, sondern tagelang, wochenlang, immer wieder. Und die habituellen Betroffenheits-Heuchler des Juste Milieus hätten einander an Entrüstung überboten.

Die ermordete Leonie war "nur" eine Christin und damit keine Zeile wert. Irgendetwas stimmt nicht mit unserem Journalismus.

Dr. Herbert Kaspar ist Publizist und Kommunikationsexperte und hatte lange wichtige Funktionen im Österreichischen Cartellverband inne.

 

 

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