Von vermeintlichen und tatsächlichen „Femiziden“

Huch!!! Eine feministische Gouvernante namens Beate Hausbichler findet es "erschreckend", dass es Leute gibt, die den neuerdings in gewissen Medien auftauchenden Neologismus "Femizid" für entbehrlich und ein wenig läppisch halten. Besonders schlimm findet sie, dass solche Ansichten offenbar sogar im Leserforum des "Standard" geäußert werden dürfen, wo sie doch eigentlich erwartet hätte, dank emsiger Moderatoren wenigstens dort einen safe space vorzufinden, in dem gesellschaftspolitisch fortschrittliche Sprachregelungen von niemandem hinterfragt werden . . .

Fremdworte sollte man im Allgemeinen nur dann verwenden, wenn in der eigenen Sprache kein entsprechendes Wort zur Verfügung steht; ansonsten sieht man schnell aus wie jemand, der ständig seine Bildung zur Schau stellen möchte. Peinlich wird es aber, wenn das Bildungsversatzstück nur in der Fantasie des Verwenders, aber nicht in der vermeintlichen Ursprungssprache existiert: Dann wird die gewählte Ausdrucksweise schnell zum Bauchfleck.

Die Ursprungssprache des Wortes "Femizid" soll offenbar Latein sein – doch wie echte Kenner der lateinischen Sprache wissen, gibt es dort nur das Wort homicidium, Mord. Dieses Wort bezeichnet als generischer Begriff jeden Mord an einem Menschen, egal ob es sich beim Opfer um einen Mann oder eine Frau handelt, weil das lateinische Wort homo nicht nur "Mann", sondern auch "Mensch" bedeutet. Und um allen Missverständnissen vorzubeugen: nein, mit "homo-" wie in "Homosexualität" (von altgr. ὁμός) hat das homicidium nichts zu tun; auch Heterosexuelle fallen ihm zum Opfer.

Gewiss, so tot ist die lateinische Sprache auch zweitausendeinhundert Jahre nach Cicero noch nicht, dass nicht aus alten Wortstämmen ein neues Wort gebastelt werden könnte (also "Femizid" in Anlehnung an Genozid, Herbizid, Fungizid, Insektizid, und andere -zide), wenn es dafür ein tatsächliches Bedürfnis gäbe. Worin könnte aber im Fall des Neologismus "Femizid" ein solches Bedürfnis bestehen?

Im Deutschen gibt es seit jeher den Begriff "Frauenmord". Er bezeichnet nicht etwa einen Mord, der von einer Frau begangen wird, sondern einen, dessen Opfer eine Frau ist. Noch genauer gesagt: Er bezeichnet einen Mord, der von einem Mann an einer Frau begangen wird, denn die Bezeichnung eines von einer Frau an einer Frau begangenen Mordes als Frauenmord entspricht, wiewohl sachlich nicht unzutreffend, nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Wenn aber dies die Bedeutung des Wortes "Frauenmord" ist, wozu bedarf es dann des neuen Wortes "Femizid"? Besteht etwa darüber hinaus noch ein Differenzierungsbedarf, der es rechtfertigt, dass feinsinnige Kolumnistinnen einen neuen Begriff entwickeln und durch möglichst häufige Wiederholung in den allgemeinen Sprachgebrauch einzuschleusen versuchen? Warum ist der Chronikteil des Standards plötzlich voll von sogenannten "Femiziden"?

Glaubt man Frau Hausbichler, dann beschreibt der Begriff Femizid "das, was hier eigentlich passiert: dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind". Demnach geht es also um die Motivlage: ein "Frauenmord" wäre der Mord an einer Frau aus irgendwelchen anderen Motiven, der "Femizid" hingegen der Mord an einer Frau "weil sie eine Frau ist".

Wie Frau Hausbichler ferner schreibt, hat es seit Jahresanfang in Österreich bereits 22 Morde an Frauen gegeben, wobei aber "bei zweien davon noch nicht restlos geklärt" sei, "ob es sich um einen Femizid handelt". Woraus im Umkehrschluss wohl folgt, dass bei den übrigen zwanzig Taten "restlos geklärt" ist, dass Frauen nur deshalb ermordet wurden "weil sie Frauen sind".

Man wüsste jetzt natürlich gern Genaueres über diese beiden nicht restlos geklärten Fälle: Wurde da eine Polizistin im Dienst getötet? Oder eine Bankangestellte bei einem Raubüberfall?

Wenn – wie Frau Hausbichler sich auszudrücken beliebet – ein Mann "Frauen mordet, weil sie Frauen sind", dann soll das wohl heißen, dass es ihm im Grunde ganz egal ist, welche Frau er ermordet, solange es sich nur um eine Frau handelt. Das Motiv wäre dann also ein allgemeiner Frauenhass, vergleichbar dem Judenhass der Nazis oder ähnlichen gruppenbezogenen Hassmotiven. Nun mag es natürlich sein, dass in einem kleinen Land wie Österreich die Anzahl von 22 Frauenmorden von Jänner bis Oktober eine ungewöhnliche Häufung darstellt, die Anlass zur Sorge gibt – bei den weitaus meisten dieser Fälle scheint es sich allerdings um Beziehungstaten gehandelt haben, also um Taten, bei denen der Täter nicht einfach "irgendeine Frau" umbringen wollte, sondern in denen eine konkrete Beziehung in Brüche gegangen ist, was Hass und Aggression ausgelöst hat.

In solchen fehlschlagenden Beziehungen sind Hass und Gewalt freilich keine Einbahnstraße; dem letztendlichen Gewaltausbruch gehen oft jahrelange gegenseitige Kränkungen, Erniedrigungen und Beleidigungen voraus. Nichts davon kann einen Mord rechtfertigen, aber das Deutungsmuster, dass immer die eine Seite alleinschuldig, die andere nur Opfer ist, ist doch etwas gar zu einfach gestrickt. Und selbst wenn im Einzelfall die alleinige Schuld beim männlichen Teil des Beziehungsdramas liegen sollte, folgt daraus immer noch nicht, dass sein Motiv in einem allgemein gegen alle Frauen gerichteten gruppenbezogenen Hass liegt und nichts mit der Person des Opfers zu tun hat.

Man fragt sich auch, aufgrund welcher ferndiagnostischer Fähigkeiten Frau Hausbichler über die Motive der Täter, die, wie man meinen sollte, von Staatsanwälten, Gutachtern und Richtern erst in monatelanger Kleinarbeit eruiert werden müssen, so genau Bescheid weiß? Verfügt sie zu diesen Ermittlern über ähnlich gute Kontakte wie Florian Klenk zur WKStA? Oder weiß sie in Wirklichkeit gar nichts, sondern fantasiert sich alles so zusammen, wie es in ihr feministisches Weltbild passt?

So entsteht der ungute Eindruck, dass der neuentwickelte Begriff "Femizid" überhaupt nicht dem Zweck eines sorgfältigeren Differenzierens zwischen unterschiedlichen Fallkonstellationen dient, sondern einem genau entgegengesetzten Zweck: der pauschalierenden Diffamierung. Für diese Art der Stimmungsmache dürfte der Begriff tatsächlich nützlich sein: beim Hörer oder Leser wird die Vorstellung geweckt, dass in diesem Land eine größere Anzahl von Unholden frei herumlaufen, die undifferenziert und grundlos "Frauen hassen", und das gleich in solchem Maß, dass sie sie umbringen wollen "weil sie Frauen sind".

Ich frage mich, ob jemand, der derartige Klischeebilder in Umlauf bringen will, nicht selbst von einem gruppenbezogenen Hass getrieben ist.

Wo Frauenmorde im großen Stil erfolgen

Noch eine Schlussbemerkung: dass Frauen "getötet werden, nur weil sie Frauen sind", kommt leider tatsächlich vor – und zwar jedes Jahr millionenfach. Allerdings geschieht dies in einem Zusammenhang, an den Feministinnen nur sehr ungern erinnert werden. Die Rede ist von der selektiven Abtreibung von Mädchen, die weltweit in einem solch massenhaften Umfang betrieben wird, dass der Economist schon vor zehn Jahren von "etwa 100 Millionen fehlenden Mädchen" schrieb. In Ländern wie China oder Indien beträgt das Geschlechterverhältnis zwischen neugeborenen Mädchen und Buben inzwischen ca. 100 zu 106; der Grund hierfür liegt allein in der geschlechterselektiven Abtreibung. Beizukommen wäre dem Problem nur, wenn man Abtreibung entweder ganz verbieten oder doch zumindest auf bestimmte eng umgrenzte Sachverhalte einschränken würde. Solange man aber den freien Zugang zur Abtreibung für einen sozialen Fortschritt oder gar für ein "Recht der Frau" hält, wird das nicht geschehen.

Für die geschlechterselektive Abtreibung, die Mädchen viel häufiger betrifft als Buben, gibt es übrigens seit längerem ein Wort: gendercide. Auch dieses Wort gefällt nicht jedem.

Dr. Jakob Cornides ist Beamter der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Außenhandel. Dieser Beitrag gibt die Privatmeinung des Autors wieder und ist der Institution, für die er arbeitet, in keiner Weise zurechenbar.

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