Ich bin ja nun wirklich ein angepasster, pflegeleichter Untertan, der in der Schule nie gefehlt hat, seiner Wehrpflicht nachgekommen ist, keinen Tag seines Lebens arbeitslos war, pünktlich seine Steuern zahlt, stets aufmerksam an den Lippen der Machthaber hängt, und jeder deren Anordnungen folgt. Ich glaube jedes Wort, das dem Gehege der Zähne dieser noblen, unermüdlich fürs Volkswohl wirkenden Damen und Herren entflieht. Ich glaubte ihnen beispielsweise, dass die heißersehnte Impfung gegen das grassierende Teufelsvirus, den angekündigten "Gamechanger" und das Ende aller repressiver Maßnahmen bedeuten würde, die notgedrungen ergriffen werden mussten, um das Allerschlimmste zu verhindern (ok, das war halt nix).
Ich glaubte fürderhin, "…für Geimpfte wird die Pandemie vorbei sein" (© Sebastian Kurz), um alsbald schmerzlich erkennen zu müssen, dass selbst der "Booster" nicht hilft, dieses Ziel zu erreichen.
Obrigkeitshöriger Steuersklave der ich bin, war ich bisher auch bereit zu glauben, monatelang auf persönliche Kontakte verzichten zu müssen und nahm es sogar hin, dass der Polizeiminister mir bis ins Wohnzimmer hineinregiert – alles im Sinne des Gemeinwohls, wie ich nach wie vor überzeugt bin. Jetzt wird mir von regierungsaffinen Experten erzählt, dass die Impfrate dringend auf 90 Prozent erhöht werden muss, nachdem zu Beginn der schrecklichsten Seuche aller Zeiten noch von 65 Prozent die Rede war. Schließlich grassiert bekanntlich die verheerende Delta-Variante. Und da um die Ecke herum mutmaßlich schon die Gamma-Variante des lautlosen Killers lauert, werden bald 95 Prozent notwendig sein – geschenkt.
Als noch nicht restlos Hirntoter frage ich mich allerdings, wie ich es wohl anstellen würde, die beklagenswert geringe Impfbereitschaft im Lande zu "boosten". Was könnte man zu diesem Zweck tun? Da kämen mir, neben evidenzbasierten Appellen und Aufrufen allerlei Anreize, welcher Art auch immer sie sein mögen, in den Sinn – jedenfalls keine gefährlichen Drohungen.
Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, dem Vernehmen nach Mediziner, hat indes eine viel originellere Idee: Er will (so die am 15. November durch die Medien katapultierte Meldung) Ausgangssperren für Geimpfte und dazu noch verpflichtende PCR-Tests für den Besuch von Gastronomieeinrichtungen einführen. Das ist die wohl schrägste Methode, die einem einfallen kann, um impfskeptische Zeitgenossen zur Kooperation zu bewegen: Strafen für den Gehorsam, für die Befolgung des Aufrufs, sich impfen zu lassen.
Abgesehen vom bislang weitgehend erfolglosen Herumfuhrwerken der Obertanen, stellt sich zunehmend die Frage, wer das Wegräumen der Trümmer bezahlen soll, die als Folge der erratischen Regierungspolitik liegen bleiben: Die Hotellerie steht am Rande das Abgrunds, die Gastronomie, die Fitnessbranche und "körpernahe Dienstleister" stehen nach der 2G-Verodnung mit einem Bein im Handelsgericht, der Einzelhandel (mit Ausnahme der Lebensmittelbranche) klagt über gewaltige Umsatzeinbrüche und man kann bis über den großen Teich herüber hören, wie sich Jeff Bezos die Hände reibt. Steht der Ministerrat am Ende auf der Lohnliste von Amazon?
Spätestens seit Mitte des Jahres 2020 war klar, dass das Virus gekommen ist, um zu bleiben. Spätestens zu dieser Zeit wären strategische Weichenstellungen erforderlich gewesen – zum Beispiel in Richtung einer Erhöhung der Kapazitäten der intensivmedizinischen Abteilungen. Da das nicht geschehen ist, ertönt heute dasselbe dissonante Lied wie vor zwei Jahren: "Die Kapazitätsüberlastung der ICUs muss unbedingt vermieden werden, um nicht zur Triage gezwungen zu sein!"
Auch dass die Wirtschaft, gleich welche Branche, Planungs- und Rechtsicherheit braucht, um erfolgreich arbeiten zu können, scheint der Regierung entgangen zu sein. Das darf allerdings auch keinen wundern, da ja kaum einer der Politverantwortlichen sein Geld je unter Marktbedingungen verdient, sondern stets in geschützten Werkstätten gewerkt hat.
Das macht eben den Unterschied zwischen der Welt des freien Marktes und der des staatlichen Zwanges: In ersterer zahlt stets derjenige, der Fehler macht und Schaden stiftet. In letzterer immer der Steuerzahler. Fazit: Wer Politikern die Entscheidung über das eigene Leben in die Hände legt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.