Nun liegt sie also vor, die Regierungsvorlage zur Regelung der Suizidbeihilfe. In knapp acht Wochen soll das Gesetz in Kraft treten, da bleibt leider nicht mehr sehr viel Zeit zum Nachdenken und Nachbessern. Ist das Absicht?
Natürlich ist es sehr zu begrüßen, dass die Regierung versucht, die vom VfGH mit seiner verantwortungslosen "Rechtsprechung" in den Schutz des Lebens alter, kranker, oder sonstwie schutzbedürftiger Personen geschlagene Bresche im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu flicken. Der ganze Vorgang zeigt schlaglichtartig den bejammernswerten Zustand unserer Verfassungswirklichkeit auf: Der zur Gesetzgebung nicht berufene VfGH setzt – nicht etwa aufgrund ernstzunehmender verfassungsrechtlicher Erwägungen, sondern auf der Basis eines eher dürftigen "philosophischen" Gedankenganges, der das Niveau von einem mittelmäßig talentierten Oberstufengymnasiasten verfassten Deutschschularbeit kaum erreicht – das Verbot der Suizidbeihilfe außer Kraft; er schafft damit sehenden Auges eine Rechtslage, die evidentermaßen so nicht bestehen bleiben kann und soll, weil sie, wie der Gerichtshof selbst weiß, dem Missbrauch Tür und Tor öffnet.
Dem eigentlichen Gesetzgeber, also dem Parlament, bleibt nur noch die undankbare Aufgabe, den Schaden zu begrenzen – dies freilich nur nach Maßgabe der VfGH-Entscheidung. Das Verhalten des Höchstgerichts erinnert an einen Brandstifter, der sagt, jemand anderer solle jetzt doch bitte schnell einmal die Feuerwehr rufen, bevor das von ihm angezündete Haus ganz abbrennt.
Immerhin, wenn Schwarz-Türkis und Grün sich auf einen Gesetzesentwurf einigen können, dann kann man hoffen, dass der Wunsch, die Suizidbeihilfe einschränkend zu regeln, einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens abbildet. Die Grünen sind ja sonst nicht gerade die Partei des Lebensschutzes, jedenfalls nicht, solange nur das Leben von Menschen und nicht jenes von Juchtenkäfern auf dem Spiel steht.
Gut gemeint ist freilich nicht immer gut gemacht. Bei näherem Hinsehen erweist sich der nunmehr vorliegende Entwurf in vieler Hinsicht als verbesserungsbedürftig.
Im Wesentlichen besteht der Regelungsansatz darin, für die Suizidbeihilfe ein spezielles Verfahren vorzusehen, bei dessen Einhaltung sie für den "Suizidhelfer" straflos bleiben soll. Dieses Verfahren sieht vor, dass der Suizidwillige eine schriftliche Verfügung verfasst, die verschämt als "Sterbeverfügung" bezeichnet wird (warum nennt man nicht Ross und Reiter beim Namen und bezeichnet sie als das, was sie ist, nämlich ein "Ersuchen um Suizidhilfe"?), gegen deren Vorlage er selbst oder der Suizidhelfer dann bei einer Apotheke ein tödliches, schnell wirkendes Gift (im Entwurf euphemistisch als "Präparat" bezeichnet) erhalten kann. Das Verfahren wird durch die verpflichtende Beratung durch zwei Ärzte eingehegt. Im Übrigen soll die Möglichkeit eines assistierten Suizids nur schwerkranken Personen offenstehen; die sogenannte "Sterbeverfügung" soll höchstpersönlich nur von Personen getroffen werden können, die voll geschäftsfähig sind, was Minderjährige oder Demenzkranke ausschließt.
Eher inkongruent liest sich freilich die vorgeschlagene Neufassung des § 78 StGB:
Mitwirkung an der Selbsttötung
- 78.(1) Wer eine andere Person dazu verleitet, sich selbst zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer
1.einer minderjährigen Person,
2.einer Person aus einem verwerflichen Beweggrund,
3.einer Person, die nicht an einer Krankheit im Sinne des §6 Abs.3 des Sterbeverfügungsgesetzes (StVfG), BGBl.I Nr.##/2021, leidet, oder
4.einer Person, die nicht gemäß §7 StVfG ärztlich aufgeklärt wurde,
dazu physisch Hilfe leistet, sich selbst zu töten.
Nimmt man diese Formulierung beim Wort, dann wäre das Vorliegen einer "Sterbeverfügung" für die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe gar nicht erforderlich. Strafbar wäre die Suizidbeihilfe ausdrücklich dann, wenn sie einem Minderjährigen geleistet würde (bei einem Demenzkranken hingegen nicht!), oder wenn der Suizidwillige nicht die vorgeschriebene ärztliche Aufklärung erhalten hätte. Im letzteren Fall fragt es sich aber, wo die Beweislast liegt: Könnte der Suizidhelfer nicht sagen, der Suizident habe ihm mündlich versichert, ein solches Gespräch geführt zu haben, und er habe ihm eben geglaubt? Wenn das Vorliegen einer schriftlichen "Sterbeverfügung" nicht notwendig ist, dürfte diese Verantwortung ausreichen, um einer Verurteilung zu entgehen.
Ferner scheint es für die Straflosigkeit gar nicht erforderlich zu sein, dass der Suizid tatsächlich in jener Weise erfolgt, die der Gesetzesentwurf vorsieht, nämlich durch die Einnahme eines "Präparats". Fazit: auch derjenige, der dem Sterbewilligen dabei hilft, sich zu erhängen, sich zu erschießen, oder sich von einer Brücke zu stürzen, bliebe straflos. Dies ist merkwürdig, da doch im VfGH-Erkenntnis (wie auch in den zugrundeliegenden Individualbeschwerden) so viel von einem "würdigen Tod" mithilfe eines in einer Apotheke zu besorgenden Giftpräparats die Rede war.
Auch ist nicht klar, weshalb es der Einschränkung auf "physische" Hilfeleistungen bedarf.
Mangelhaft ist der Entwurf auch im Hinblick auf die Gewissensklausel, die sicherstellen soll, dass niemandem ein Nachteil droht, der sich weigert, Suizidbeihilfe zu leisten. Denn einerseits ist nicht zu verstehen, dass in dieser Bestimmung auf die Erteilung der ärztlichen Aufklärung und die Errichtung der "Sterbeverfügung" ausdrücklich Bezug genommen wird, aber nicht auf die Abgabe des Giftpräparates durch den Apotheker – haben die letzteren nicht dasselbe Recht auf Achtung ihrer Gewissensgründe, wie es Ärzten oder Juristen zugedacht wird? Andererseits aber ist nicht einzusehen, weshalb jemandem, der Suizidbeihilfe leistet, kein Nachteil drohen soll: Was wird dann zum Beispiel aus dem institutionellen Tendenzschutz eines Krankenhauses in kirchlicher Trägerschaft, wenn es gezwungen ist, das Beschäftigungsverhältnis mit einem Arzt, der sich als Suizidhelfer betätigt (und somit dem hippokratischen Eid zuwiderhandelt) aufrecht zu erhalten?
Ungeachtet der fehlgeleiteten Entscheidung des VfGH, dass die Suizidbeihilfe nicht ausnahmslos in allen Fällen strafbar sein solle, scheint es doch völlig unangemessen (und dem Ethos des Arztberufes entgegengesetzt), die Leistung und die Verweigerung der Mitwirkung rechtlich ganz einfach auf dieselbe Stufe zu stellen.
Nach dem Prinzip "Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass" ist auch das Werbeverbot in § 12 des Entwurfs ausgefallen: Im ersten Absatz wird zwar die Werbung für Suizidbeihilfe verboten, im zweiten Absatz heißt es dagegen, dass der "Hinweis" eines Arztes oder Apothekers, zur Mitwirkung an einem Selbstmord bereit zu sein, nicht als "Werbung" zu verstehen sei. Was aber ist Werbung anderes als der an die potentielle Kundschaft gerichtete Hinweis, bestimmte Waren und Dienstleistungen anzubieten? Hier wird also quasi in ein- und demselben Atemzug dieselbe Handlung zuerst verboten, dann aber erlaubt. Für die Kohärenz der Rechtsordnung ist so etwas sehr schädlich.
Überhaupt lässt die legistische Qualität des Referentenentwurfs sehr zu wünschen übrig. Schuld daran ist vor allem das – allen bekannten und anerkannten Regeln der Grammatik zum Trotz – in unseren Ministerien und Amtsstuben Einzug haltende Gender-Kauderwelsch, in dem sich die übereifrigen Nutzer selbst verheddert zu haben scheinen. So heißt es z.B. in § 1 Abs. (2) des Entwurfes:
"Eine Sterbeverfügung ist in Österreich nur wirksam, wenn die sterbewillige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder österreichische Staatsangehörige ist."
Nimmt man dies beim Wort, so ist eine sogenannte "Sterbeverfügung" nur dann wirksam, wenn sie von einer Frau stammt, denn nur eine Frau kann eine "österreichische Staatsangehörige" sein. Die von einem Mann errichtete Verfügung wäre demnach von vornherein unwirksam, mag dieser auch im Gesetz als "sterbewillige Person" bezeichnet werden – Pech für den Suizidhelfer. Es ist bizarr, dass die politisch korrekten Sprachverhunzer in unseren Amtsstuben zwar einerseits verbissen gegen das "generische Maskulinum" ankämpfen, das, obgleich es dem seit jeher anerkannten Sprachgebrauch entspricht, von ihnen für "diskriminierend" gehalten wird, andererseits aber nunmehr ein "generisches Femininum" durchsetzen wollen, das genauso diskriminierend wäre, aber obendrein noch dem üblichen Sprachgebrauch nicht entspricht. Das kann nur zu Missverständnissen führen.
Weniger missverständlich, aber schlicht überflüssig ist der Gebrauch (und die vorangehende Definition) von "ärztlichen Personen", "sterbewilligen Personen", etc.: Dies alles lässt den Text sehr gespreizt klingen und führt nur zu einer erschwerten Lesbarkeit beziehungsweise zur Verschwendung von Papier, Tinte und Zeit. Es wäre wünschenswert, wenn unsere staatlichen Institutionen sich das Gender-Kauderwelsch wieder abgewöhnen und sich um sprachliche und inhaltliche Klarheit bemühen könnten.
Als grundsätzlicher Gegner der Suizidbeihilfe bin ich freilich nicht dagegen, wenn ihr Anwendungsbereich eingeschränkt wird, und wäre es nur dank der Ungeschicklichkeit des Legisten.
Insgesamt besteht bei dem Entwurf noch ein dringender Nachbesserungsbedarf. Man sollte sich dabei nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Wenn das Gesetz erst einige Wochen nach dem Jahreswechsel in Kraft treten sollte, so wäre dies weniger schlimm als eine dauerhaft mängelbehaftete Regelung. Für ein zwischenzeitliches Mehraufkommen an Suizidbeihilfefällen sollten sich dann die Herren Höchstrichter verantwortlich fühlen.
Dr. Jakob Cornides ist Beamter der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Außenhandel. Dieser Beitrag gibt die Privatmeinung des Autors wieder und ist der Institution, für die er arbeitet, in keiner Weise zurechenbar.