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Dieser „Asyl“-Fall zeigt die totale Zahnlosigkeit des Rechtsstaats

Die Asylentscheidungen des Verfassungsgerichtshofe und des Bundesverwaltungsgerichts ist wieder einmal in den Hauptnachrichten angekommen. So reagierten die Gerichte sofort auf die Entwicklungen in Afghanistan, wie etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der eine Abschiebung nach Afghanistan verhinderte, oder der VfGH, der die Aufhebung einer Schubhaft für einen Afghanen anordnete. Die Auswirkungen auf das Asylrecht in Bezug auf Afghanistan können ganz einfach zusammengefasst werden: JEDER. DER. KOMMT. WIRD. BLEIBEN.

Während 50.000 Taliban, mit Mopeds, alten Kalaschnikows und Schlapfen soeben ein 40 Millionen Land mit einer hochgerüsteten Armee von 300.000 Mann in ein paar Tagen ohne jeden Widerstand erobert haben, werden bald hunderttausend Asylfälle in europäischen Gerichten auftauchen von Menschen, die für den Westen gekämpft, übersetzt, spioniert, studiert haben und nun Schreckliches von den neuen Herrschern im Land zu gewärtigen haben. Wie Ebrahim Afsah in der NZZ zu dem nur für den Westen überraschend raschen Zusammenbruch nüchtern feststellt: "Der Unterschied zwischen der Weltsicht der Taliban und jener der gewöhnlichen Bevölkerung [ist] allenfalls graduell, keineswegs kategorisch." Sprich, es wird schwierig sein, Anhänger des westlichen Gesellschaftsmodells in Afghanistan zu finden. Was aber niemanden davon abhalten wird, dennoch in Europa um Asyl anzusuchen.

Der Fall W180 2244238-1/18E: Der Beschwerdeführer (BF) stellte im November 2017 einen Asylantrag, behauptete aus Libyen zu stammen und gab ein (im Urteil unkenntlich gemachtes) Geburtsdatum an. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), schenkte als erste Instanz den Angaben keinen Glauben. Ein in Auftrag gegebenes Altersgutachten ergab ein anderes Mindestalter. Weiters wurde eine Sprachanalyse durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass das Arabisch des BF mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Herkunft aus Ägypten und nicht Libyen deutet.

Währenddessen war der BF schon nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) zu 2 Monaten bedingter Haft mit 3 Jahren Probezeit verurteilt worden. Es folgte eine weitere Verurteilung nach dem SMG sowie wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung mit einem Strafmaß von 6 Wochen.

Das BFA lehnte danach den Asylantrag ab, erkannte keinen subsidiären Schutzgrund, erteilte eine Rückkehrentscheidung und erkannte einer möglichen Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zu.

Wer nun glaubt, dass damit die gerichtsanhängige Geschichte des BF in Österreich langsam zu Ende geht und wir endlich zum vorliegenden Fall kommen – denn immerhin hat der BF sowohl sein Geburtsdatum als auch sein Heimatland erfunden und zudem schon 2 Gerichtsverurteilungen am Konto – der hat sich noch nicht ausreichend mit dem Asylwesen befasst: Wir befinden uns mit der Fallschilderung jetzt erst im Dezember 2018.

Zunächst folgen 2019 weitere Verurteilungen mit geringen Strafen und am 2. 9. 2019 ein Erkenntnis des BVwG (2. Instanz), in dem die Beschwerden des BF gegen den Bescheid des BFA abgelehnt wurden.

Die Behörden bemühten sich 2019 um ein Ausreisezertifikat: Die lybische Delegation lehnte die Ausstellung ab, da laut Konsul der BF nicht aus Libyen stamme, sondern aus Ägypten. Der nächste Versuch führte zu einer Ablehnung seitens Tunesiens und danach dehnten die Behörden ihre Bemühung auf Marokko und Algerien aus.

Es folgten weitere Verurteilungen zu 10 Monaten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt im Juni, zu 8 Monaten im Oktober wegen Erpressung, und zu 9 Monaten im Dezember wegen Körperverletzung und tätlichem Angriff auf einen Staatsbeamten.

Diese Verurteilungen ergingen, als sich der BF bereits in Haft befand. Das ganze Jahr 2020 und den Jänner 2021 verbrachte er ebenfalls im Gefängnis.  Am 31. 1. 2021 endete der Gefängnisaufenthalt und der BF meldete sich wie aufgetragen bei einer Betreuungseinrichtung, die er aber am gleichen Tag wieder verließ und untertauchte.

Am 8. 3. wurde der BF zufällig bei einer Personenkontrolle aufgegriffen. Dem Gesetz entsprechend wurde das gelindeste Zwangsmittel über den BF verhängt und er hätte sich täglich bei der Polizei melden sollen, was er aber kein einziges Mal tat.

Am 20. 3. wurde der BF erneut bei einer Personenkontrolle aufgegriffen und dann am 21. 3. 2021 Schubhaft über ihn verhängt.

Es folgten 2 Hungerstreiks, die der BF selbst beendete, und zwei Verlegungen in eine Sicherheitszelle wegen Selbstgefährdung (einmal wegen einer verschluckten Rasierklinge).

Schubhaftprüfungen wurden monatlich mit dem Ergebnis durchgeführt, dass die Verlängerung der Schubhaft jeweils gerechtfertigt war, da der BF sich an keine Auflagen hielt, verschiedene Identitäten annahm, unterschiedliche Angaben machte etc.

Der Grund für die lange Schubhaft lag im fehlenden Ausreisezertifikat. Mittlerweile hatte auch Ägypten abgelehnt und es liefen nur noch Bemühungen in Algerien und Marokko.

Das BVwG hatte im nunmehrigen Fall zu entscheiden, ob eine Verlängerung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

Die Entscheidung

Der Beschwerde gegen die Schubhaftverlängerung wird nicht stattgegeben und eine weitere Schubhaft ist somit möglich:

  • - Gegen den BF liegt eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor und das BFA bemüht sich aktiv um ein Heimreisezertifikat.
  • - Es besteht sowohl Flucht als auch Sicherungsbedarf, wie sich aus der Nichtbefolgung der Meldeauflagen und dem Verhalten in Schubhaft ergibt.
  • - Die Schubhaft ist verhältnismäßig, wie sich aus den aufgezählten Straftaten ergibt.

Erkenntnisse

Der vorliegende Fall zeigt wieder einmal den vollkommenen Verfall des Asylwesens in Österreich und darüber hinaus sicher auch in ganz Europa.

Geschaffen, um Menschen vor Verfolgungen zu schützen, ist das Asylsystem zusammengebrochen und nicht mehr imstande zwischen denen, die Asyl benötigen, und denen, die dieses fälschlich fordern, zu unterscheiden. Zunächst gibt es die Gruppe der nicht abschiebbaren, weil subsidiär Schutzberechtigen: das sind Menschen, die fälschlicherweise Asylgründe vorgaben, denen aber aus allerlei humanitären Abwägungen, kein Leben mehr außerhalb Österreichs zugemutet werden kann (auch wenn sie zuvor 30, 40 Jahre im Ausland lebten und sich nur 3, 4 Jahre von einem Verfahren zum andern hantelnd in Österreich aufhielten).

Dazu kommt, wie der vorliegende Fall zeigt, eine Gruppe von nicht abschiebbaren Menschen, die erfolgreich ihre Identität verschleiern. Die Gerichtsunterlagen legen eine Staatsbürgerschaft aus Ägypten nahe. Ägypten hat aber die Ausstellung eines Rückkehrzertifikates bereits verweigert und so werden die Bemühungen der Behörden auch in Bezug auf Marokko und Algerien scheitern. Spätestens aber nach 18 Monaten läuft auch die letzte Frist für die Schubhaft aus und es ist kein Szenario im Rahmen der derzeitigen Gesetze denkbar, in dem der BF, der seit seiner Ankunft reihenweise Straftaten beging und die Behörden anlog, dieses Land wirklich verlassen muss.

Insgesamt haben wir also wieder einen Fall, eines Asylwerbers, bei dem keine Instanz jemals irgendeinen Asylgrund finden konnte und der die österreichischen Gerichte in Dutzenden Verfahren beschäftigt. Die vorliegende Entscheidung – 8.700 Wörter lang – betrifft daraus nur einen Aspekt: eine Beschwerde gegen die Verlängerung der Schubhaft.

Der Fall zeigt deutlich die persönliche Tragik auf, die Asylentscheidungen immer enthalten. Zugleich wird die gesellschaftliche Brisanz der derzeitigen Asylpolitik deutlich und er enthält auch eine Portion Komik, zu welchen Turnübungen die Behörden hier verpflichtet werden.

Zuerst zur persönlichen Tragik: Rätseln kann man nur über die unglaubliche Sturheit, mit der sich der BF weigert, das Land zu verlassen. Die langen Gefängnisaufenthalte, die zahllosen verlorenen Verfahren sollten doch ausreichend signalisieren, dass der Aufenthalt in Österreich nicht gewünscht ist. Dennoch wählt der BF diesen Weg, anstatt einfach in die ihm selber ja bestens bekannte Heimat auszureisen. Welche Gründe kann es dafür geben:

  1. Er will. Ein Leben am Rand der Gesellschaft in Österreich wird besser bewertet als ein Leben im Heimatland, da das unterste Sicherungsnetz hier höher ist, als das, was der BF glaubt, selbst in der Heimat erreichen zu können.
  2. Er kann: Der BF weiß offenbar, dass er am längeren Ast sitzt, dass er nur durchhalten muss, da die Asylgesetze letztendlich zu seinen Gunsten arbeiten. Die Schubhaft ist mit 18 Monaten begrenzt. Die Verlängerung war nur möglich, weil noch Versuche der Behörden laufen, ein Heimreisezertifikat zu erlangen. Lehnen, wie zu erwarten, die verbliebenen 2 Länder ebenfalls ab, so ist der BF jedenfalls frei. In einigen (wenigen?) Jahren wird dann eben doch ein humanitärer Aufenthaltsgrund vorliegen, da der BF dann den Großteil seines Erwachsenenlebens in seiner neuen Heimat verbracht haben wird.

Vor allem der letzte Punkt ist interessant, sitzt doch überall sonst der Rechtsstaat am längeren Ast. Versuche, eine Einkommenssteuer oder sogar eine simple Parkstrafe nicht zu zahlen, werden allesamt scheitern. Schlussendlich kommt ein Exekutor, nimmt Auto und Fernseher mit oder aber es wird eine Haftstrafe verhängt. Versuche, Aufenthalt und die damit verbundene umfangreiche finanzielle Unterstützung dieses Staates bis ans Lebensende zu erzwingen, erweisen sich dagegen als äußerst viel versprechend. Der westliche Rechtsstaat ist mittlerweile so zahnlos, dass er paradoxerweise nur mehr Wirkung auf an sich gesetzestreue Bürger entfaltet, während er gegen Menschen, die sich außerhalb des Rechtsstaates setzen, wenig, bis keine Zwangsgewalt ausübt.

Genau darin besteht die gesellschaftliche Brisanz des Asylrechtes. Selbst in einem Punkt, in dem sogar parteienübergreifend Konsens besteht, nämlich Straftätern Asyl zu verweigern und sie abzuschieben, sieht man in der Praxis, dass dies nicht funktioniert. Entweder weil das Heimatland angeblich zu unwirtlich ist oder weil der Betroffene mit den zur Verfügung stehenden Mitteln gar nicht außer Landes gebracht werden kann.

Der vorliegende Fall zeigt somit, wie sehr das Asylsystem unkontrollierte Zuwanderung fördert, auf mögliche Gefährdung von Staatsbürger pfeift und wie Staatskassen und Gesundheitskassen mir nichts dir nichts zur Finanzierung herangezogen werden. Die einzige Leistung des BF lag darin, 2018 irgendwie nach Österreich zu kommen und das Zauberwort "Asyl" zu äußern. Trotz einer langen Reihe von Straftaten, der völligen Weigerung beim Asylverfahren konstruktiv mitzuwirken, nachgewiesener Lügen über fundamentale Tatsachen wie Alter oder Staatsbürgerschaft, ist diese Leistung ausreichend österreichische Behörden und Gerichte mit zahllosen Verfahren zu beschäftigen und nun bereits das 4. Jahr verköstigt zu werden.

Die unfreiwillige Komik liegt hier eindeutig in den Versuchen der Behörden, das Heimatland des BF zu finden und dieses dazu zu bringen, ein Heimreisezertifikat auszustellen. Es erinnert an ein Spiel mit einem Kleinkind, das sich unter den Tisch setzt und sich die Augen zuhält. Der Vater sucht redlich das ganze Zimmer nach dem Kind ab, das bei jedem Fehlversuch – "unterm Sofa ist er auch nicht" – immer lauter lacht. Der noch immer erfolglose Vater blickt sogar unter den Tisch: "Na woher ist er denn, der Beschwerdeführer? Von daher ist auch nicht!" und setzt seine Suche unbeirrt fort.

("Karl Berger" ist ein Pseudonym. Der Autor ist bei einer international aktiven Beratungsfirma tätig und muss daher um Anonymität bitten. Er betreibt unter https://asylwatchinoe.blogspot.com einen Internet-Blog, der sich auf die Analyse der Asylentscheidungen insbesondere des Verfassungsgerichtshofs spezialisiert hat.)

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