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Der Rückschritt, der keiner ist

Mit "Das ist ja ein Rückschritt!" unterbrach die Moderatorin eine Frau, die erklärte, dass sie sehr gerne Hausfrau wäre, dass sie sich gern um Haushalt, Garten, Erledigungen kümmere, natürlich besonders für die Kinder, sofern der Mann genug zum Leben heimbrächte. Ich hätte dieser Mutter gerne assistiert.

Ich hätte berichten können, dass immer mehr Kinder erhebliche Auffälligkeiten böten und an vielen Störungen litten:

  • Jedes siebente Kind in Wien braucht eine Sprachförderung (in Berlin jedes dritte!), weil die "Sprachlehrerinnen unserer Kinder", die Mütter, nicht mehr ausreichend da sind.
  • 80 Prozent der Schulkinder haben bereits Erfahrung mit Kopfschmerz, haben Konzentrationsschwächen, eine geringe Frustrationstoleranz.
  • Viele Buben plagen die Lehrer mit dem AufmerksamkeitsDefizitHyperaktivitätsSyndrom, das einen produktiven Unterricht sehr erschwert.
  • Viele Mädchen leiden an Depressionen und Essstörungen.
  • Kinder bewegen sich viel zu wenig im Freien, ein Laufen ohne Ball im Sportunterricht wird schon als Schikane gesehen.
  • Es gibt immer mehr Haltungsschwächen.
  • Das Übergewicht nimmt zu; es wird verstärkt durch viel zu viel Beschäftigung mit den elektronischen Verführern PC und Smartphone.
  • Bis zu 30 Prozent der Schulabgänger können elend schlecht lesen, schreiben und rechnen.
  • Wieder etwa so viele junge Burschen werden bei der Musterung zum Präsenzdienst wegen Untauglichkeit abgelehnt.

Der schreckliche Satz, "eine Stunde am Tag ist genug" hat sehr viel Übles angerichtet, weil Kinder das viele, was sie von ihren Bezugspersonen lernen sollen und wollen, in dieser kurzen Zeitpanne niemals verarbeiten, erwerben können. Eine Kompetenz zur kultivierten Lösung von Konflikten, früher in der Großfamilie erlernt, fehlt immer mehr, Gewalt nimmt zu. Disziplinverfall, mangelndes Wissen (das Handy reicht bei blanker Unkenntnis ja nicht aus), mangelnde Pünktlichkeit und Arbeitshaltung lassen sachliche Beobachter fürchten, "dass wir nicht auf die nächste Generation zählen können".

Ältere Menschen beklagen immer seltener anzutreffende Sekundärtugenden wie Ordnungssinn, Verlässlichkeit, Treue. Starke Egozentrik, man spricht von der "Generation Me", macht viele junge Leute selbstbewusster, erfolgreich – aber zu unglücklichen Einzelgängern.

Als Ursache dieser unerfreulichen Entwicklung viel zu vieler Kinder unserer Nachfolgegeneration wird der Rückgang der Familie erkannt. Da sind die Väter nicht so wichtig, denn die Mütter sind die besseren Erzieher. Daher spielt die weit verbreitete Vollberufstätigkeit der Mütter eine Rolle bei den angeführten Defiziten und Fehlentwicklungen.

Die intensive Bindung zwischen Mutter und ihrem Kind, verstärkt durch das Bindungshormon Oxytocin, macht das Kind stark, lässt es sich in ihrer Nähe, ihrem Geruch, ihrer Stimme, ihrer Wärme, ihrer Liebe bestmöglich entwickeln. Diese Bindung darf nicht abrupt und viel zu früh von den Großen gelöst, sondern sollte schrittweise vom Kind gelockert werden, nur vom Kind.

Beide genießen den Schutz und die Sicherheit durch den Vater, die Großfamilie. Jetzt leben die Großeltern in Villach oder in Imst oder in Baden, die Großfamilie ist dahin.

Und die Kernfamilie ja auch: Es gibt immer mehr Scheidungen und Lebenspartnerschaften. Ich habe Kinder gesehen, die den vierten Papa hatten.

"Die Essen ist im Kühlschrank" reicht zur Ernährung, nicht aber zur notwendigen und wichtigen Unterhaltung nach der Schule. Da sollen die Schulkinder ihre Erlebnisse, Freude, Spaß, auch Ärger loswerden können.  Ein Glück, wenn das eine gute Nachbarin übernimmt. Bis zu 80 Prozent der Schulkinder wären nach der Schule lieber zuhause, Mädchen mehr als Buben. Aber es geht oft nicht anders, zum Nachteil der Kinder.

Der "Rückschritt" wäre besser für die Kinder, aber wie dreht man die Uhr zurück zu Zeiten, als die meisten Kinder beim Heimkommen von Mutter, Vater oder Großeltern empfangen wurden? Diese Betreuung, diese Aufsicht hat uns, obwohl oft lästig, gut getan.

Aber es ist nicht Aufgabe der jungen Eltern zu erkennen, wie sehr sie der gesunden Entwicklung ihres Kindes schaden können, wenn sie ihr Kind viel zu früh in Krippen, Tagesstätten, Kindergärten geben. Vielmehr muß unser Staat etwas gegen den zunehmenden Schaden an seinem Nachwuchs unternehmen: Die jungen Mütter müssen eine Entlohnung für ihre Arbeit am Kind bekommen, sind sie doch die einzigen, die leer ausgehen: Jeder weitere, der sich mit den Kleinen beschäftigt, wird entlohnt, von den Geburtshelfern, den Hebammen bis zu den Lehrern in den Schulen. Nur sie nicht!

All das beschreibe ich ausführlich in meinem Buch "Erlebnisse und Gedanken eines alten Kinderarztes" mit dem Untertitel: "Machen wir nicht vieles falsch mit unseren Kindern?" Diese Berichte werden angereichert und aufgelockert mit Episoden aus der Studentenzeit, der Arbeit im Landeskrankenhaus, mit Erlebnissen in der eigenen Praxis und auf Reisen als junger "Solist" und später mit der Familie.

(Bestellbar im lokalen Buchhandel beim VindobonaVerlag Frankfurt am Main. ISBN 9783 9468 1097 – 1)

Dr Gerd Seyerl ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde,

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