Dieses bekannte Zitat eines der prominentesten SPÖ-Politiker der Zweiten Republik müsste heute seinen eigenen Parteigenossen gesagt werden. Goethes Satz aus dem zweiten Teil des "Faust" kann auch für Karl Lueger gesagt werden: "Bewundert viel und viel gescholten": Der einstige Bürgermeister hat Wien zu einer Großstadt gemacht, aber benützte den damals populären Antisemitismus als Mittel zum politischen Erfolg.
Da Lueger aber viele jüdische Freunde hatte, stammt von ihm der Ausspruch "Wer a Jud is, bestimm i!" – leider vom NS-Gewaltigen Göring übernommen und zu trauriger Berühmtheit gelangt. Lueger war kein ideologischer, sondern ein pragmatischer Antisemit
Durch die industrielle Revolution fühlten sich viele Klein- und Mittelstandsbetriebe bedroht. Die Liberalisierung des Judentums im 19. Jahrhundert führte zu Erfolgen sowohl jüdischer Unternehmer als auch kleiner jüdischer Straßenhändler – und damit zu einem nicht rassistisch, sondern soziokulturell geprägten Antisemitismus.
Selbst aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend gelang es Lueger nach einigen Fehlschlägen der wohl bekannteste Bürgermeister Wiens und Mitbegründer der Christlichsozialen Partei zu werden. Da Gutes leider leichter vergessen wird als Negatives, erinnere ich an seine Verdienste: Gaswerk, Kommunalisierung der Straßenbahn und der E-Werke, zweite Hochquellenwasserleitung, Parks, Bau des Versorgungsheimes Lainz – Wohlfahrt für arme Alte, aber nicht für Arbeitsfähige –, Vergrößerung des Zentralfriedhofs mit dem Bau der Lueger-Kirche und des Wald- und Wiesengürtels um die Stadt. Das alles geschah ohne Verschuldung, was heutige Politiker anscheinend vergessen haben ("kommunaler Sozialismus").
Aufgrund dieser vielen Verdienste wurde Lueger nach seinem Tod nicht nur durch die Christlichsozialen, sondern auch durch die damaligen Sozialisten und durch die Israelitische Kultusgemeinde geehrt, gemeinsam wurde das Denkmal für ihn beschlossen.
Umso sonderbarer ist die Geschichtsvergessenheit der heutigen SPÖ: Sie hat bereits die Umbenennung des Lueger-Rings in Universitätsring durchgesetzt, jetzt will sie die Entfernung des Lueger-Denkmals. Sie misst dabei mit zweierlei Maß: Die heutige SPÖ will das Andenken an Lueger auslöschen – vergisst aber ganz die großen Fehler "ihres" Dr. Karl Renner. Dieser war bis 1945 ein begeisterter Vertreter des Anschlusses an Deutschland. Wir wissen nicht, ob diese Haltung nicht auch das Friedensdiktat von St. Germain negativ beeinflusst hatte. 1938 forderte er auf, für Hitler zu stimmen, und er versuchte nach 1945, die Heimkehr und Entschädigung jüdischer Heimkehrer und Holocaustüberlebender zu verhindern.
Der britische Historiker Gordon Shepherd fasst in seinem Buch "Die österreichische Odyssee" (Wien 1958) die Tragödie der Zwischenkriegszeit treffend zusammen: "Die meisten ihrer Patrioten waren keine Demokraten, während die meisten ihrer Demokraten keine Patrioten waren".
Sr. Katharina OP (Dr. Elisabeth Deifel, Philosophin und Theologin, em. Prof. der KPH, jetzt in der Erwachsenenbildung)