Mit dem Kunstwort "Femizid" wird jeder sich ereignende Frauenmord in Österreich mit wachsender Intensität zu einem Hochamt politisch-medialer Betroffenheit hochstilisiert. So, wie "die Frau" per se von der politischen Rhetorik als ein Unantastbares, geradezu Heiliges gehandelt wird, wird auch der Mord an einer Frau schon durch sprachliche Verfremdung zu einem Unsagbaren und Absoluten erklärt. Dass der mutmaßliche aktuelle Täter eher "rechts" stehen dürfte und schon zuvor in den öffentlichen Raum geraten war, erleichtert die Sache diesmal erheblich. Eine Pressekonferenz wird unterbrochen, die Ministerin kämpft mit den Tränen, der Bundespräsident meldet sich zu Wort, und es wird eilends ein "nationaler Sicherheitsgipfel" einberufen, als stehe ein militärischer Angriff bevor.
Verweilen wir zunächst beim Terminus "Femizid": Dieser scheint an den Term "Genozid" anknüpfen zu wollen, für den exemplarisch der Holocaust steht, auch wenn für die juristische Begrifflichkeit um den Völkermord jener an den Armeniern Pate gestanden war. Vielleicht sinkt der Holocaust ja mit dem Ableben der Zeitzeugen-Generation und nunmehr auch schon der ersten Nachkommengeneration allmählich doch unaufhaltsam in die Ferne der Geschichte zurück, sodass es eines neuen Signalworts bedarf, um Betroffenheitsrituale auszulösen.
Gleichwohl ist eine Anspielung an Begriffe wie "Genozid", "Insektizid" oder "Pestizid" unpassend, denn selbst dann, wenn ein Täter Frauen generell hasst, will er diese bestimmte, ihm meist nahestehende Frau töten bzw. tötet diese im Affekt. Er will nicht, und schon gar nicht planvoll, alle Frauen in einem bestimmten Gebiet auslöschen, wie dies beim Völkermord definitionsgemäß der Fall ist. (Weswegen auch Zwangssterilisationen an einer bestimmten Ethnie unter die Völkermorddefinition fallen, auf dass ein Völkermord – theoretisch – keinen einzigen Mord an einem Individuum beinhalten muss.)
Solche Detailfragen sind in Zeiten ideologisch motivierter Sprachsymbolik freilich irrelevant, wie denn auch manch künftiger die Statistik anreichernder "Femizid" darin bestehen mag, dass ein Mann seine Mutter umbringt, von der er sich nicht lösen konnte, oder eine Frau ihr neugeborenes Mädchen. Indessen werden neben dem neuen Absolutum "Femizid" weitere Sprachregelungen gefordert: Anstelle von "Beziehungstat" oder "Eifersuchtsdrama" habe man korrekterweise nur noch von Gewalt und Mord zu sprechen, weil alles andere verharmlosend sei. Als ob ein Auftragsmord im Mafia-Milieu sich nicht erheblich von einer Eifersuchtstat unterscheidet.
Aber sind denn Frauenmorde überhaupt ein Trend der Zeit? Statistiken zufolge haben Tötungsdelikte an Frauen in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen – allerdings wohl von einem niedrigen Niveau aus: Noch in den 1980er Jahren las man beinahe täglich, dass irgendwer seine Frau, Ex-Frau, Freundin umgebracht habe. Fahndungssendungen waren voll von Morden an jungen Frauen, die nachts von einer Diskothek per Anhalter nach Hause wollten. Namentlich Morde an Mädchen und jungen Frauen außerhalb des häuslichen Milieus scheinen seit Jahren weitgehend der Vergangenheit anzugehören.
Hinzu kommt die Frage, ob die Anzahl an Frauenmorden überhaupt groß genug ist, um tatsächlich Trends veranschlagen zu können. So werden auch alljährlich die Verkehrstoten des Pfingstwochenendes mit denen des Vorjahres verglichen, um eine Verdoppelung zu beklagen (und nach härteren Strafen zu rufen), wenn es im Vorjahr zwei Verkehrstote waren und im Jahr darauf (vielleicht durch einen einzigen Unfall) vier.
Härtere Strafen stehen zufolge der ersten Reaktionen nach dem neunten "Femizid" dieses Jahres noch nicht auf dem Plan, doch ein Kommentar in einer Tageszeitung beklagt bereits, dass Drohungen, Verunglimpfungen und physische Gewalttaten immer noch getrennt betrachtet und geahndet werden. Ebenfalls liest man in derselben Tageszeitung: "Monatlich werden in Österreich im Schnitt drei Frauen ermordet." Dann liegen wir mit neun "Femiziden" in vier Monaten ja gegenwärtig sogar um 25 Prozent unter dem Schnitt! Aber vielleicht wird man auch solche Beobachtungen alsbald als ein verharmlosendes Sprechen ahnden.
Der Begriff "Femizid" droht ungeachtet der Faktenlage zum ideologischen Selbstläufer zu werden. Daher ist es auch gleichgültig, ob der irgendwann wohl erfolgende zehnte "Femizid" des Jahres von einem Herbert oder einem Mustafa begangen wird. Nachdem ein islamistisch motivierter Terroranschlag in Wien zur Folge hatte, dass die Symbole der "Identitären" verboten werden sollen und bedingte Haftentlassungen auch für "Reichsbürger" sowie nach dem Verbotsgesetz Verurteilte erschwert werden, würde man den Kampf gegen eine "toxische" Männlichkeit auch dann forcieren (und nicht etwa die Zuwanderungspolitik hinterfragen), wenn sämtliche Täter einen einschlägigen Migrationshintergrund hätten.
Wollte man mit dem verstärkten Kampf gegen "Rechts" im Gefolge des Wiener Terroranschlags suggerieren, dass islamistische Attentäter erst durch rechte "Islamophobie" zu solchen geworden seien, müsste man auch nach einem "Femizid" die Frage stellen, ob nicht die politische "Entmannung" der Männer eine generelle Aggressivität gegen Frauen begünstigt. Denn warum sollte ausgerechnet das Gefühl, als Mann per se gewaltverdächtig (und bei gehobenen Stellenausschreibungen zweitklassig) zu sein, andere Wirkungen zeitigen als das tiefsitzende Gefühl, als Muslim oder Türke zweitklassig zu sein?
Bringt der Feminismus und Genderismus am Ende jene "Femizide" mit hervor, die er sodann zutiefst betroffen und tränenreich beklagt, um zu nur härterem Kampf gegen eine angeblich "toxische" Männlichkeit (und zusehends auch weiter gegen die Meinungsfreiheit) zu blasen? Wenn ja, so erklärte dies, warum nach einem massiven Rückgang der Gewaltdelikte Hass und Gewalt gerade gegen Frauen wieder steigen.
"Die Frau" als Absolutum, von der in Politik und Medien – entgegen den real existierenden Frauen im Plural – meist die Rede ist, scheint auf weite Strecken die Repräsentanz einer idealisierten Mutter zu sein, so wie Ortsnamen wie "Frauenkirchen" oder "Frauenberg" sich stets auf eine bestimmte, meist hoch idealisierte Frauenfigur beziehen. Doch jede tiefere Ursachenforschung männlicher Gewalt gegen Frauen, etwa in die Richtung einer zu engen Mutter-Sohn-Beziehung (die von Migrationshintergründen grundsätzlich unabhängig ist, gleichwohl sie in manchen Kulturen gehäuft auftreten dürfte), scheint im Land Sigmund Freuds heute verlernt.
Zu mehr als zu pauschaler Anklage "toxisch" sein sollender Männlichkeit, gepaart mit "Bewusstseinsbildung", sprich: gesteigerter Indoktrination, reicht es nicht mehr. So aber wird der Kreislauf von Idealisierung der Frau, Erhöhung des Sohnes bzw. des Mannes in seiner Unterwerfung unter das Ideal, und Gewalt als der Kehrseite einer Idealisierung nicht durchbrochen. Die realen Geschlechterverhältnisse sind und bleiben das unbegriffene Andere auch des politischen Feminismus.
Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.