Im Internetlexikon Wikipedia findet sich folgender Eintrag: "Inflation (…) bezeichnet in der Volkswirtschaftslehre eine allgemeine und anhaltende Erhöhung des Preisniveaus von Gütern und Dienstleistungen…" Dass ein allgemeiner Preisauftrieb in der Hauptsache einer Ausweitung der Geldmenge geschuldet ist – die Teuerung daher nur eine Folge der inflationierten Geldmenge ist –, wird erst unter ferner liefen erläutert.
Der im Grunde einzige Auftrag der Europäischen Zentralbank (EZB) besteht darin, die Geldwertstabilität des Euro sicherzustellen. Andere Aufgaben sind satzungsgemäß nicht definiert. Dass eine mit der Geldwertsicherstellung betraute Organisation – um der angeblich dräuenden Gefahr einer Deflation begegnen –, eine Preisinflation von zwei Prozent pro Jahr anstrebt und damit Geldwerterosion betreibt, ist einigermaßen seltsam.
Die in amtlichen Statistiken ausgewiesene Inflationsrate orientiert sich an der Preisentwicklung eines Warenkorbes, der ganz nach Bedarf und nach politischer Beliebigkeit jederzeit abgeändert werden kann. Anlagegüter wie Immobilien, Unternehmensanteile, Rohstoffe und Edelmetalle sind darin nicht enthalten. Warum? Weil dadurch der Kollateralschaden der seit vielen Jahren andauernden Geldproduktionsorgie wirkungsvoll verschleiert wird. Würde die Preisentwicklung bei den genannten Anlageklassen in die Berechnung der Inflationsrate einbezogen, läge der Wert nicht bei, wie derzeit behauptetet, unter zwei, sondern bei einem Mehrfachen dieses Wertes.
Die kolportierte Inflationsrate erscheint gegenwärtig nur deshalb so niedrig, weil die neu geschaffene Liquidität großteils in die genannten, im Warenkorb nicht erfassten Anlagegüter oder in Derivate fließt – und dort prompt zu beachtlichen Blasenbildungen führt. Bei den Waren des täglichen Bedarfs ist die Teuerung dagegen vorerst noch nicht angekommen. Das wird sich spätestens dann ändern, wenn die Regierungen, wie derzeit die Biden-Administration in den USA, damit beginnen, "Helikoptergeld" auszuschütten, das zu beachtlichen Teilen unmittelbar in den Konsum fließt. 1400 US-Dollar werden dort an jeden erwachsenen Bürger verteilt.
Um zu verstehen, was passiert, wenn eine erhöhte Nachfrage auf ein (pandemiebedingt) ausgedünntes Angebot trifft, braucht man keinen Nobelpreis in Ökonomie gewonnen zu haben. Nicht wenige Fachleute sehen bereits die Gefahr einer galoppierenden Preisinflation heraufdämmern. Die derzeit stattfindende massive Steigerung bei den Preisen für verschiedene Baustoffe könnte ein Vorbote dafür sein.
Einer der wesentlichsten Effekte der von den Notenbanken betriebenen Geldinflation besteht in der Minderung der Kaufkraft der bereits im Umlauf befindlichen Geldeinheiten. Frisch gedrucktes Geld wirkt, als ob man Wasser in den Wein kippen würde: verdünnend.
Das ist bedeutend weniger harmlos als es klingt, weil Geld ja schließlich nicht nur als intermediäres Tauschmittel, sondern auch der Wertaufbewahrung dient. Da Geld in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft den Charakter von "kondensierter Arbeit" oder ein Äquivalent für die innerhalb einer bestimmten Zeit erbrachte Leistung darstellt, bedeutet eine Geldentwertung letztlich den Diebstahl von Lebenszeit.
Inflation spaltet die Gesellschaft in zwei Klassen: Nutznießer und Geschädigte. Während die Debitoren (verschuldete Privatpersonen, Unternehmen oder Staaten) von der Entwertung ihrer Verbindlichkeiten profitieren, zahlen Gläubiger, Sparer und auf fixe Einkommen angewiesene Zeitgenossen die Zeche. Mit klassischen Anlageformen, wie Sparbüchern, Staatsanleihen oder Lebensversicherungen, fährt man heute satte Nettoverluste ein.
Werterhaltende private Vorsorgen zu treffen, ist inzwischen ein schwieriges und mit erheblichen Risiken verbundenes Unterfangen geworden, das die Kompetenzen der meisten Bürger übersteigt. Angesichts dessen wandert mehr Geld in den Konsum, private Vorsorgen werden zurückgefahren und die Abhängigkeit jedes einzelnen von der Fürsorge des Wohlfahrtsstaates verstärkt sich weiter.
Schlimmer als das ist aber der durch die Geldinflation initiierte Verteilungseffekt: Bezieher kleiner Erwerbseinkommen oder Pensionisten müssen infolge der geldinflationsbedingten Kaufkrafterosion Wohlstandseinbußen hinnehmen, während sich die vergleichsweise wohlhabenden Eigentümer von Immobilien und Anlagevermögen stetiger Zugewinne erfreuen dürfen, die ihnen förmlich in den Schoß fallen. Der nominale Wert ihres Besitzes wächst ohne ihr Zutun. Es kommt zu einer Umverteilung von unten nach oben.
Das ist deshalb nicht unproblematisch, weil es prompt linke Gleichmacher auf den Plan ruft, die auf Umverteilung dringen, um eine ihrer Ansicht nach "gerechte" Gesellschaft zu schaffen. Das wiederum vergrößert die Staatsmacht und mindert die Effizienz und Produktivität der Volkswirtschaft, woraus ein kollektiver Wohlstandsverlust resultiert.
Die seit 2008 endgültig aus dem Ruder gelaufene Geldproduktion der Zentralbanken trägt massiv zur immer weiteren Spreizung der Vermögensverteilung bei. Daher darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass die Zentralbanken in ihrer Rolle als Währungshüter agieren, als habe man den Bock zum Gärtner gemacht.
Je offensichtlicher die Europäische Zentralbank an ihrer Aufgabe scheitert, für Geldwertstabilität zu sorgen, desto intensiver verfolgt sie stattdessen Ziele, die mit ihrem Mandat nicht das Geringste zu tun haben: Staatsfinanzierung, Industriepolitik und "Green Deal". Die Chefin des Instituts, die Expolitikerin Christine Lagarde, schreckte kürzlich nicht einmal mehr davor zurück, unverhüllte Wahlwerbung für die aus unerfindlichen Gründen von den Medien gehypte deutsche Grünenpolitikerin Annalena Baerbock zu machen (siehe hier). Ein bisher einmaliges Ereignis, das deutlich vor Augen führt, wie korrupt jene Akteure sind, die für die Währungsstabilität sorgen sollen.
Solange Zentralbanken nicht unabhängig von politischen Begehrlichkeiten agieren, ist eine Abkehr von der inflationistischen Geldpolitik nicht zu erwarten. Ehe aber die politischen Eliten von ihrem Einfluss auf die Zentralbanken lassen, konvertiert der Papst zum Islam.
Fazit: Eine sich beschleunigende Geldentwertung, die vor allem den bürgerlichen Mittelstand zerstören würde, kann die Folge sein. Alles schon dagewesen – man denke an das Jahr 1923. Geschichte wiederholt sich zwar nicht. Aber sie reimt sich.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.