Wo Gernot Blümel einen Fehler begangen hat

Nicht nur die Juristenwelt rätselt, was denn hinter der Hausdurchsuchung gegen Gernot Blümel tatsächlich stecken könnte. Kaum jemand in Österreich kann sich vorstellen, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen einer SMS-Nachricht allein den amtierenden Finanzminister strafrechtlich gleich mit einer aufsehenerregenden Hausdurchsuchung in die Mangel nimmt.

Die Suppe scheint doch sehr dünn zu sein. Da erkundigt sich der damalige Novomatic-CEO Harald Neumann nach einer Spende und bittet gleichzeitig um einen Termin beim Außenminister wegen eines Steuerproblems in Italien. Bis heute liegen offensichtlich keine Nachweise für eine Spende vor, eine Namensgleichheit mit dem Bundeskanzler in einem Terminkalender hängt völlig in der Luft und selbst wenn die schlimmsten Befürchtungen der Staatsanwaltschaft wahr wären, wäre die Rolle des Gernot Blümel offensichtlich auf die Einfädelung eines Rückrufs im Finanzministerium beschränkt. An der Verhältnismäßigkeit einer Hausdurchsuchung in der Privatwohnung des Finanzministers darf daher ernstlich gezweifelt werden. Gemunkelt wird vielmehr, dass das eigentliche Ziel der Handyabnahme der Bundeskanzler war.

Auch juristisch sind die möglichen Delikte des Amtsmissbrauchs und der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit einer Intervention bei einer italienischen Steuerbehörde zweifelhaft. Zu einem Amtsgeschäft bedarf es nämlich eines sogenannten hoheitlichen Handelns, also Imperium. Die Zeiten, als Österreich in Italien Imperium hatte, sind allerdings schon mehr als 100 Jahre vorbei.

Ganz wohl dürfte sich auch die WKStA mit ihrem Hausdurchsuchungsbefehl nicht gefühlt haben – sonst hätte sie nicht einen Journalrichter am 23. Dezember bemüht. Wir kennen diese Vorgangsweise von der Genehmigung des BVT-Hausdurchsuchungsbefehls Anfang 2018. Die WKStA wartet mit dem Antrag auf gerichtliche Genehmigung bis zu einem Journaldienst, der nicht allzu viele Nachfragen erwarten lässt. Seit der Genehmigung des BVT-Hausdurchsuchungsbefehls weiß die interessierte Öffentlichkeit ja auch, dass solche Genehmigungen mit einem Stempelbeschluss erteilt werden: "Das Gericht genehmigt die Hausdurchsuchung aus den im Antrag genannten Gründen."

Eine solche Vorgangsweise stößt mittlerweile vielen Richtern sauer auf. Erstens sollten gerade heikle Kausen in angemessener Zeit überlegt und zweitens sollten die Entscheidungen eigenständig begründet werden. Gerichte sind nicht dazu da, Anträge der Staatsanwaltschaften einfach durchzuwinken. Da könnten wir das Trennungsprinzip gleich abschaffen und zur Inquisition zurückkehren.

Es ist daher auch bedenklich, wenn sich die Standesvertretung der Richter mit jener der Staatsanwälte zusammentut, um sich gegen Kritik zu immunisieren. Neben der Spur ist jede Argumentation, die völlig berechtigte Kritik an einem Hausdurchsuchungsbefehl mit einem Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz als solche gleichsetzt – als wäre das Hinterfragen erstinstanzlicher Entscheidungen so etwas wie eine Majestätsbeleidigung.

Unser ganzes Justizsystem beruht auf dem Wissen um die Fehlbarkeit der Menschen. Gerade weil auch Richter und Staatsanwälte irren können, gibt es nicht nur die strikte personelle Trennung zwischen den Vertretern der Anklagebehörde und der Gerichte, sondern innerhalb letzterer auch die Trennung zwischen Rechtsschutzrichtern, erkennenden Richtern und Berufungsrichtern.

Dass Staatsanwälte mit ihren Anfangsverdächtigungen oft falsch liegen, gehört zum System. Was zunächst als strafbares Verhalten erscheinen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen oft als unbedenklich. Das hat nichts mit der mangelnden Qualität der öffentlichen Ankläger zu tun, sondern liegt in der menschlichen Natur und dem Erkenntnisprozess an sich. Staatsanwälte sind insofern nicht zu beneiden: Sie laufen systembedingt viele leere Kilometer. Besonders problematisch erscheint dies in komplexen Wirtschaftskausen, wenn sich nach mehreren Jahren und hohen Sachverständigenkosten die Straflosigkeit des Sachverhaltes herausstellt. Da gehört auch Größe dazu, ein solches Verfahren einzustellen.

Staatsanwälte sind mit einer weiteren soziologischen Herausforderung konfrontiert: Sie haben es von Berufs wegen ständig mit (mutmaßlichen) Verbrechern zu tun. Sie sehen daher in vielen Menschen schlicht nur das Verwerfliche. Für den amerikanischen Krimi-Autor Michael Connelly erstreckt sich diese Einstellung auch auf die Strafverteidiger, die die Staatsanwälte auf der ganzen Welt nur einen Schritt neben ihren Klienten positionieren. Mit dieser Einschätzung als Pseudokriminelle müssen praktisch alle Strafverteidiger leben. Einem Staatsanwalt geht es also wie einem Arzt, der es tagaus tagein mit Kranken zu tun: Dieser sieht nur noch kranke Menschen, jener Verbrecher. Korruptionsstaatsanwälte sehen überall Korruption.

Staatsanwälte haben aber auch zwei systemimmanente Vorteile:

Erstens hat jede Anklagebehörde die Vermutung der Integrität für sich. Jede Öffentlichkeit der (demokratischen) Welt geht davon aus, dass Staatsanwälte keine persönlichen Interessen vertreten und nur der objektiven Wahrheit dienen – so unmöglich das ist. Die Unschuldsvermutung, die auf der anderen Seite für die Beschuldigten gilt, ist hingegen etwas für Lehrbücher und im Allgemeinen nur eine leere Phrase. Für jeden, der die Unschuldsvermutung in Anspruch nehmen muss, gilt in Wahrheit die Vermutung der Schuld.

Zweitens können Staatsanwälte unzählige Fehler begehen, ohne dass sie dafür zur Verantwortung gezogen werden. Ein Staatsanwalt, der den berühmten amerikanischen Steuerflüchtling Marc Rich im Visier hatte, sagte einmal zu dessen Anwalt: "Wissen Sie, ich kann hunderte Fehler machen – Ihr Mandant hingegen keinen einzigen." Staatsanwälte sind Wächter, die nicht oder nur kaum bewacht werden. Daher ist die Fachaufsicht ein politisch heiß umkämpftes Eisen (Stichwort Weisungsspitze). Staatsanwälte selbst wollen weisungsfrei gestellt sein, andere befürchten eine Verselbständigung bis zu einem Staat im Staate.

Kehren wir zurück zu Gernot Blümel, dem die Opposition wegen der Hausdurchsuchung geschlossen den Rücktritt nahelegt. Mit dieser Forderung zeigt die Opposition vor allem eines: Die Unschuldsvermutung ist ein theoretisches Konstrukt. Mit diesem Teil der Menschenrechte stehen viele auf Kriegsfuß, die sich gerne als die einzig wahren Verteidiger der Grundrechte vermarkten. Wenn jeder Politiker, der ins Visier der Staatsanwaltschaft gerät, zurücktreten müsste, könnte der demokratische Wille des Volkes sehr einfach ausgeschaltet werden. Wegen der Hausdurchsuchung und den bisher bekannten Fakten besteht also kein Anlass, dass Gernot Blümel zurücktritt.

Es gibt aber einen anderen Aspekt, den der amtierende Finanzminister berücksichtigen sollte. Er hat gleich nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn in einer Pressekonferenz angekündigt, dass er jeden klagen werde, der ihn eines korrupten Verhaltens beschuldigt. Soweit bekannt soll er schon einige Klagen gegen Personen eingebracht haben, die ihrem Unmut über das mutmaßliche Fehlverhalten des Finanzministers im Internet allzu freien Lauf gelassen haben.

Auf der anderen Seite hat Gernot Blümel angekündigt, dass er kein Rechtsmittel gegen die Genehmigung der Hausdurchsuchung erheben wird. Er möchte das Verfahren aufklären und nicht verzögern.

Welcher Teufel hat den Finanzminister (oder seine PR-Truppe) geritten, dass er auf ein augenscheinlich ziemlich erfolgversprechendes Rechtsmittel verzichten will? Weiß er nicht, wie wichtig es allein aus rechtshygienischer Sicht wäre, wenn ein Gericht ohne Journaldruck eine sorgfältig abgewogene Entscheidung trifft? Ahnt er nicht, welch rechtstaatlich bedenkliches Beispiel er mit seinem solchen Verhalten gibt? Glaubt er vielleicht, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften monolithische Blöcke sind, die alle gleich denken oder denken (wie vielleicht die Angehörigen einer Partei)? Kann er sich nicht vorstellen, dass viele Menschen, auch Richter und Staatsanwälte, eine Klärung in der Instanz für rechtsstaatlich geboten halten? Glaubt er etwa, dass er sich mit einer devoten Haltung gegenüber der WKStA irgendwelche Sympathien erwirbt? Hat er möglicherweise – so werden manche mutmaßen – irgendeinen politischen Deal im Hintergrund abgeschlossen und daher partiell auf seine Verteidigungsrechte verzichtet? Oder ist er gar der naiven Meinung, dass er umso unschuldiger wirkt, je weniger er sich verteidigt? Es soll ja Menschen geben, die ohne Verteidiger bei Gericht erscheinen, weil sie sich selbst für unschuldig halten und einfach auf die Durchsetzungsfähigkeit der Wahrheit vertrauen – als hätte es noch nie Justizirrtümer gegeben.

Wenn sich Gernot Blümel nur gegen ein paar Heißsporne aus den sozialen Medien juristisch zur Wehr setzt, die WKStA aber gewähren lässt, erweist er sich selbst einen Bärendienst. Er erweckt den Eindruck, dass er nach unten tritt und sich mit den Mächtigen gut zu stellen versucht. Wenn er die Instrumente des Rechtstaates links liegen lässt, könnte die Opposition doch Recht haben.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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