Nachdem auch in Österreich einzelne Demonstranten gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung einen "Judenstern" trugen, prüft der Verfassungsschutz, ob hierin ein "Sachverhalt nach dem Verbotsgesetz" vorliegt. Doch kann es tatsächlich eine, wie im Verbotsgesetz gefordert, "gröbliche Verharmlosung" des Holocausts darstellen, bloße Parallelen zu ziehen, ohne die historischen Verbrechen als solche in ihrem Umfang wie Bedeutungsgehalt zu mindern?
Zunächst einmal besteht kein Zweifel, dass die Ausgrenzung und Auslöschung der europäischen Juden etwas völlig Anderes ist als die vorübergehende Einschränkung von Freiheit im Zuge einer Pandemiebekämpfung. Kein Zweifel besteht aber auch darin, dass der Nationalsozialismus die letzte Diktatur auf österreichischem Boden war und dass es seit 1945 noch nie derart weitreichende Freiheitseinschränkungen gab, wie wir sie seit bald einem Jahr erleben. Hinzu kommt, dass auch unabhängig von Corona das Meinungsklima immer totalitärer wird, und dass sich das Juste Milieu von Politik und Massenmedien in seinem Kampf gegen "Hass" und "Hetze" seinerseits stets auf den Nationalsozialismus bezieht.
Da liegt es nur nahe, dass nicht wenige die ungeliebten Coronamaßnahmen mit jener NS-Diktatur konnotieren, die auch für das "offizielle" Österreich allenthalben zur Rechtfertigung immer neuer Einschränkungen der Meinungsfreiheit herhalten muss. Ein aufkommender neuer Totalitarismus, der sich unter Sebastian Kurz massiv beschleunigt hat, lässt nun einmal an den zuletzt aufgetretenen denken, und der Nationalsozialismus ist da wie dort der Bezugspunkt einer aktuellen politischen Agenda.
Auch hat jeder Vergleich eine Hinsicht, unter der Dinge verglichen werden. Was unter der einen Hinsicht skandalös erscheinen mag, ist unter einer anderen Hinsicht richtig. Niemand wird heute ermordet, aber die Idee, Personen aufgrund eines bestimmten Merkmals (fehlendes Testzertifikat, fehlende Impfbescheinigung) grundlegende Rechte zu verweigern, gab es tatsächlich zuletzt vor 1945 – ganz unabhängig davon, ob man diese Idee für verwerflich, für sinnvoll oder sogar für epidemiologisch notwendig hält. Auch der Linksextremismus ist nicht zimperlich, wenn er bisweilen die Einschränkung des Wahlrechts für Staatsbürger auf die rassistische Politik der NS-Zeit bezieht.
Ferner wäre zu fragen, ob sich Demonstranten, die sich einen "Judenstern" anheften, tatsächlich als "neue Juden" sehen, oder ob ihr Vorgehen nur – wenn auch überspitzt – vor einer Wiederholung überwunden geglaubter Zustände warnen will. Das Gespenst des Nationalsozialismus ist ja auch sonst immer sofort im Spiel, wenn irgendetwas auch nur in dessen Richtung geht. Sollte hier schon eine Strafbarkeit ansetzen, stellt sich ein schwerwiegendes Problem: Denn angenommen, ein System nähert sich tatsächlich dem Nationalsozialismus an, so wäre es nicht nur strafbar (was schlimm genug wäre), sondern sogar selbst schon "nationalsozialistisch", ebendies auch auszusprechen.
Doch kehren wir zu der Frage zurück, ob das Verbotsgesetz bei derlei Aktionen überhaupt ernsthaft in Reichweite ist: Wer sich einen gelben Stern an die Brust heftet oder "Impfen macht frei" an eine Hauswand schmiert, bestreitet weder Gaskammern noch Opferzahlen, noch hält er den Holocaust für eine unbedeutende Randnotiz, würde er doch diesfalls die intendierte Botschaft konterkarieren, bisherige und mögliche künftige Coronamaßnahmen für eine der Entrechtung der Juden vergleichbare Rechtsverletzung zu halten.
Auch gibt es Judikatur zum "Auschwitz-Paragraphen" 3h des Verbotsgesetzes, wonach es dem Täter geradezu um das Leugnen oder gröbliche Verharmlosen des Holocausts gehen müsse – was hier gewiss nicht der Fall ist. Andererseits reicht schon bedingter Vorsatz für eine Verurteilung, also dies, es ernsthaft für möglich gehalten zu haben, durch das Tragen eines "Judensterns" den NS-Völkermord zu verharmlosen. Wobei dann immer noch die Frage wäre, ob das bereits ein gröbliches Verharmlosen ist.
Nicht unrealistisch ist hingegen eine Verwaltungsstrafe nach einer Strafbestimmung des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG), die – sehr knapp und lapidar – das Verbreiten von nationalsozialistischem Gedankengut verbietet. Laut Judikatur fällt unter diese Bestimmung sonstiger "Unfug", dem es an einem spezifischen Vorsatz der NS-Wiederbetätigung ermangle.
Allerdings hätte diese Bestimmung wohl auch 2015 angewendet werden können, als der damalige SPÖ-Bundeskanzler in Anbetracht von Zügen, die einen Teil der in Budapest gestrandeten Flüchtlinge nicht ins ersehnte "Germany", sondern in das nahe Bicske brachten, bemerkte: "Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woanders hinfahren, weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents."
Diese Aussage Werner Faymanns wurde zwar kritisiert, doch vom Verbotsgesetz war damals nicht einmal ansatzweise die Rede. Daher sollte man auch 2021 die Finger davon lassen. Bestrebungen, das Verbotsgesetz auf als unpassend angesehene Vergleiche auszudehnen und Menschen hierfür als Verbrecher(!) zu verurteilen (das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!), zeigte indes nur, wie bitter nötig ein Diskurs über dieses gefährlich unbestimmte Gesetz, mit dem die Staatsmacht offenbar nicht mehr maßvoll umgehen kann, wäre.
Ein solcher Missbrauch des Verbotsgesetzes liegt jedenfalls auf einer Linie mit monatelangen(!) Ermittlungen gegen einen FPÖ-Mandatar bloß deswegen, weil diesem ein Liederbuch geschenkt wurde, das er folglich besitzt und von dem er sich (angeblich) nicht ausreichend distanziert habe. Oder mit dem willkürlichen Verbot der Symbole der "Identitären". Und dass ineins mit Terrordelikten hinkünftig auch beim Verbotsgesetz sowie dem "Staatsfeinde-Paragraphen" § 246 StGB bedingte Haftentlassungen massiv erschwert und an elektronische Überwachung gebunden werden können, dürfte selbst eine interessierte Öffentlichkeit noch gar nicht mitbekommen haben. (In den Medien stand es nirgends zu lesen.)
Ich gebe der Einschätzung des Innenministers recht: Die Corona-Maßnahmen sind für viele bloß ein "Aufhänger", gegen das gesamte herrschende "System" zu opponieren (was aber in einer Demokratie übrigens zulässig sein muss!). Ungeachtet der epidemiologischen Fragwürdigkeit vieler artikulierter Anliegen erscheinen diese Demonstrationen als ein Ventil, weil an zu vielen Fronten der Schuh drückt und über zu vieles nicht mehr gesprochen werden darf. Doch die Regierung züchtet sich diese Totalopposition durch ihr immer harscheres, rechtsstaatsgefährdendes Vorgehen gegen "Rechts" schon selbst. Denn auch die aktuelle Novelle des Symbolegesetzes, Symbole von Vereinen ohne eine vorliegende Straftat kurzerhand zu verbieten, zählt zum wohl Einschneidendsten, Irritierendsten seit 1945.
Dr. Wilfried Grießer (geboren 1973 in Wien) ist Philosoph und Buchautor. Zur Problematik des NS-Verbotsgesetzes erschien 2012: Verurteilte Sprache, Frankfurt/Main.