Regelmäßige Antigen-Schnelltests könnten die Covid-Krise innerhalb von Wochen beenden

Bei Corona scheinen Medizin und Politik oft aneinander vorbei zu agieren. Die Medizin möchte mit größtmöglicher Sicherheit jeden einzelnen Fall identifizieren; etwa indem – wie bei einer forensischen Beweissicherung – schon geringste Mengen an Virus nachgewiesen werden. Für die Politik hingegen ginge es eigentlich eher um die Gesamtsumme an Kontakten und schweren Verläufen. (Also mehr um Wahrscheinlichkeiten, kalkuliertes Risiko und praktische Vernunft – nicht um theoriegetriebenen Perfektionismus.) 

Wie man die Summe der richtig diagnostizierten Fälle erhöhen kann, beschreibt überzeugend der renommierte Harvard-Epidemiologe Michael Mina, und behauptet, dass sich die Coronakrise innerhalb von Wochen beenden ließe, wenn man seine Strategie befolgte: nämlich möglichst oft Antigentests einzusetzen – und zwar vor allem in Form von leistbaren Selbsttests, die die Bürger in Eigenregie durchführen können! Was bisher an den Gesundheitsbehörden gescheitert zu sein scheint. Denn technisch wäre es möglich, wie er belegt. Hier könnte daher der entscheidende Punkt im ganzen Corona-Dilemma liegen. (Oder hier, in kürzerer Version, schon im Juli!)

Doch die Politik scheint hin- und hergerissen: zwischen Umfragewerten, ökonomischen Interessen und Sorge um die Bevölkerung. Und oft führt dies auch dazu, dass zu spät reagiert, dafür aber dann übers Ziel hinaus geschossen wird. 

Die Diskrepanz zwischen individueller Medizin und öffentlicher Gesundheit, zwischen Theorie und Praxis – gepaart mit der Frage: wieviel Wahrheit und Verantwortung ist den Bürgern zumutbar – ist wohl auch ein Hauptgrund dafür, dass Corona sich immer mehr zu einer Fallstudie für die Entstehung von Verschwörungstheorien entwickelt. Weil einfach immer mehr Menschen merken, dass irgendetwas nicht stimmt – auch wenn die meisten nicht genau benennen können, was... 

"Der Spiegel" beschreibt derzeit zwei denkbare Exit-Szenarien aus der Covid-Krise: "Denkbar ist, sich darauf zu fokussieren, dass die Infektionszahlen und letztlich die Zahl der Kranken, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, unter der Kapazitätsgrenze der Kliniken bleibt. Die Alternative wäre, die Zahlen dauerhaft so weit zu drücken, dass eine verlässliche Kontaktverfolgung möglich ist." 

Doch die "verlässliche Kontaktverfolgung" hat ja schon bisher nicht gut funktioniert. Und auf Dauer ist es auch nicht durchzuhalten, von einem Lockdown in den nächsten zu steuern. Letztlich stellt sich da auch die Frage: Wie viel Freiheit und Verantwortung will der Staat seinen Bürgern zumuten? Bisher scheinen Medizin und Politik – nicht nur in relativ autoritären asiatischen Ländern, sondern auch in westlichen Demokratien – möglichst umfassende Kontrolle über die Bürger ausüben zu wollen. Teilweise sicher zu Recht; aber teilweise vielleicht auch deshalb, weil die Entmündigung des Individuums schon so weit fortgeschritten ist, dass sie viele für irreversibel zu halten scheinen...

Verschiedene Welten prallen aufeinander – und reden beziehungsweise handeln aneinander vorbei. Dies führt zu unnötigen gegenseitigen Unterstellungen – auch im alltäglichen öffentlichen Diskurs. In der individuellen medizinischen Diagnostik muss eine Untersuchung oder ein Test natürlich sehr hohe Kriterien der Verlässlichkeit und Präzision erfüllen. Bei der öffentlichen Gesundheit hingegen geht es vor allem darum, einen Kollaps des Systems zu verhindern. 

Als das Virus auftauchte, wurde ein sogenannter PCR-Test entwickelt. Er ist extrem sensitiv und kann in geradezu "kriminalistischer" Weise geringste Virusmengen nachweisen. Das war am Anfang der Pandemie gut, weil es noch nicht sehr viele Infizierte gab. (Und man noch hoffen konnte, die Ausbreitung der Krankheit mehr oder weniger im Keim zu ersticken.)

Doch jetzt ist die Zahl der Infizierten viel höher – und schon im September sagte ein Experte im ZDF bei Markus Lanz, dass die weit billigeren, schnelleren, aber auch weniger sensitiven Antigentests möglicherweise besser sein könnten, weil sie nur jene Menschen als positiv ausweisen, die wirklich ansteckend und/oder nennenswert krank sind.

Michael Mina hat sich eingehend damit befasst und dies auch sehr überzeugend beschrieben. (In der "New York Times" gab es dazu zahlreiche Artikel: Zum Beispiel hier, über die beste Teststrategie. Oder auch hier – zum Thema, dass bis zu 90% positiver PCR-Tests, möglicher Weise eigentlich gar nicht positiv sein "sollten". Weil die Tests einfach "zu" empfindlich reagierten, dafür aber zu "langsam" seien – um die Verbreitung des Virus zu verhindern.)

Mina sagt aber vor allem, dass es am besten wäre, endlich Schnelltests auf den Markt zu bringen, mit denen sich normale Menschen ganz einfach selbst testen können! Am besten zweimal in der Woche. Es gäbe diese Tests auch bereits – allerdings werden sie von den Behörden nicht zugelassen. Unter anderem, weil das Testresultat bei den Probanden eine konkrete Verhaltensänderung herbeiführen könne – also nicht nur rein informativer Natur sei! Außerdem gelten sie als "medizinische Diagnostik", unterliegen damit weit strengeren Prüfkriterien – und sind dadurch auch viel teurer, als dies bei alltagstauglichen Selbsttests für eine breite Öffentlichkeit überhaupt nötig wäre. Und das führe laut Mina schließlich dazu, dass erst gar nicht genügend Antigen-Selbsttests produziert würden – ein Teufelskreis. 

Praktisch wäre es mit den beschriebenen Selbsttests aber laut Mina leicht möglich, die Testkapazität zu verhundertfachen – was die Pandemie innerhalb von Wochen mehr oder weniger beenden würde. Außerdem argumentiert er, dass der PCR-Test noch um ein Vielfaches aussagekräftiger sein müsste, um die häufige, preiswerte und unkomplizierte Anwendbarkeit von Antigentests (vor allem als Selbsttest) kompensieren zu können. Denn auch wenn im Einzelfall natürlich der PCR-Test sensitiver ist: In der Pandemie zählt ja die Gesamtzahl der Fälle. Und auf das große Ganze bezogen könnten einfache Tests daher unterm Strich eigentlich weit "sensitiver" sein... Weil häufige Wiederholbarkeit wichtiger ist, als maximale Genauigkeit. Und weil möglicher Weise gerade die geringere Empfindlichkeit bei der konkreten Identifikation von wirklich relevanten Fällen eher ein Vorteil sein dürfte. 

Asiatische Länder, mit teilweise fast diktatorischen Regimes, scheinen im Kampf gegen COVID19 bisher erfolgreicher gewesen zu sein, als westliche Demokratien. Vielleicht gäbe es aber eben noch einen ganz anderen Weg: nämlich mehr Freiheit, Eigenverantwortung und Vertrauen in die Bürger? Vielleicht bräuchten wir auch in Europa eine Initiative wie diese

Was die Wirkungsdauer möglicher Impfungen betrifft, hat Michael Mina übrigens Bedenken...

Was ist problematisch an der gegenwärtigen Teststrategie?

Erstens sind PCR-Tests teuer und man muss lange auf ein Resultat warten.

Zweitens führt die hohe Zahl der als positiv Ausgewiesenen dazu, dass sich viele gar nicht erst testen lassen wollen. Denn die Folgen eines positiven Tests sind ja bekannt: Man selbst und enge Kontaktpersonen (Familie, Freunde, Beruf) müssen für mindestens zehn Tage in Quarantäne. (De facto kann es oft fast doppelt so lang dauern, weil man zuerst tagelang auf einem Test, danach noch tagelang auf das Resultat warten muss.) Zugleich hat sich jedoch herumgesprochen, dass ein sehr hoher Anteil der Infizierten (oder besser gesagt: positiv Getesteten) keine sehr schweren Symptome entwickelt. Dadurch hat sich die Angst in der Bevölkerung deutlich reduziert. So kam es aber paradoxerweise dazu, dass gerade Infizierte (vor allem wenn sie jung und gesund waren und voll im Berufsleben standen) oft einfach gar nicht testen ließen. Dafür wurden aber oft andere Personen (positiv) getestet, die weder krank waren oder wurden, noch andere anstecken konnten.

Hier übrigens ein interessantes Video, das eine mögliche Erklärung für die vielen "Positiven" liefert, die kaum Symptome entwickeln und mehrheitlich auch niemanden anzustecken scheinen. (In manchen Bevölkerungsgruppen in den USA, speziell etwa bei Obdachlosen oder auch in Gefängnissen, seien oft 80-90 Prozent der positiv Getesteten praktisch symptomfrei.)

Aber dass 80 Prozent oder sogar 90 Prozent der positiv Getesteten kaum ansteckend zu sein scheinen, wird ja auch von europäischen Experten häufig betont. Und hier ist dann oft von so genannten "Superspreadern" die Rede, die unzählige andere anstecken sollen. Leider hat unser Gesundheitssystem jedoch bisher völlig darin versagt, diese Superspreader auch zu identifizieren. Obwohl das ja eigentlich das vorrangige Ziel sein müsste. 

Und drittens entstand durch die verfolgte Strategie aber noch ein anderes Problem: Durch die hohe Zahl der positiv Getesteten war es nur eine Frage der Zeit, bis das an sich ja sinnvolle Contact Tracing zusammenbrechen musste! (Hätte man hingegen nur auf jene Betroffenen fokussiert, die eine hohe Viruslast – also im PCR-Test einen niedrigen "CT-Wert" – hatten, wäre das Contact Tracing viel einfacher gewesen. Und außerdem hätten sich wohl auch mehr Menschen mit subjektiven Symptomen freiwillig testen lassen, weil die Gefahr viel geringer gewesen wäre, völlig "unnötig" für längere Zeit in Isolation geschickt zu werden... In den USA war es jedoch sogar verboten, die CT-Werte den Patienten überhaupt mitzuteilen.)

Übrigens sagte sogar der deutsche Virologe Christian Drosten schon Anfang September in seinem Podcast, dass notfalls auch eine Quarantäne von fünf Tagen ausreichen könnte. Überdies sagte er damals, dass der "kritische" CT-Wert bei etwa 28 oder 29 läge – die Werte allerdings von Labor zu Labor nicht standardisiert seien, daher nicht wirklich vergleichbar – und deshalb die meisten Labors den Gesundheitsbehörden einfach nur mitteilten, ob ein Getesteter aus Sicht des Labors positiv oder negativ sei. (So wurden die CT-Werte den Probanden oft nicht mitgeteilt; und sie mussten einfach dann die Konsequenzen – gemäß dem Ermessen von Labor und Gesundheitsbehörde – akzeptieren.)

Und bereits im Juli sagte Dr. Anthony Fauci in den USA, dass CT-Werte ab 35 – sowohl was das Krankheitsrisiko als auch die Gefahr einer Ansteckung anderer betrifft – mehr oder weniger irrelevant seien. Doch nicht zuletzt aus politischen Gründen, wurde dies wohl weitgehend ignoriert. Hohe Fallzahlen, weitreichende Lockdowns und die damit verbundene Angst und Frustration der Bevölkerung könnten letztlich ja entscheidend dazu beigetragen haben, dass Donald Trump persönlich zwar vielleicht Corona – Corona dafür aber ziemlich sicher am Ende Donald Trump besiegt hat... (In Österreich dauerte es bis November, als es plötzlich hieß, dass positiv getestete Pflegepersonen – bei einem CT-Wert von über 30 – sogar wieder in Pflegeheimen tätig werden dürfen.)

Dass Antigentests nicht nur schneller und preiswerter, sondern gerade wegen ihrer geringeren Sensitivität, sogar mitunter besser als PCR-Tests sein könnten, hat jetzt aber auch Christian Drosten im Rahmen einer Studie angedeutet. (Viel wurde übrigens vor allem im Sommer darüber geredet, dass die PCR-Tests sehr hohe Zahlen an falsch positiven Resultaten ausweisen könnten. Doch vielleicht wäre es angesichts des hier Gesagten einfach zielführender, diesbezüglich von mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wirklich relevanten positiven Fällen zu sprechen?) Apropos Drosten: Dieser will sich bereits mit der nächsten Pandemie zu befassen beginnen, mit MERS... 

Eine Hoffnung machende Nachricht kommt hingegen von seinem Kollegen, dem Virologen Hendrick Streeck: Dieser weist darauf hin, dass sich Infektionen in einer Pandemie zwar anfangs oft exponentiell verbreiten, dass diese rasante Verbreitung aber nach einiger Zeit an Grenzen stoße, weil die meisten Menschen gar nicht so viele enge Kontaktpersonen hätten. (Siehe auch hier.) Er erwähnt dabei die sogenannte Gompertz-Funktion. Diese hat einen S-förmigen Verlauf: Anfangs steigen die Fälle langsam, dann sehr schnell, schließlich wieder langsamer, weil die Wellen – was man ja bisher auch weltweit immer wieder gesehen hat – eben nach einiger Zeit wieder abebben. (Wobei diese Wellen natürlich ohne jegliche Gegenmaßnahmen deutlich höher verlaufen können, als wenn ein Lockdown oder ähnliches verhängt wird.) 

Christoph Bösch, freier Publizist, dem eine möglichst direkte Demokratie, Meinungs- und Vertragsfreiheit sowie ein offener Wettbewerb der Ideen, ein großes Anliegen sind. 

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