Just auf dem Höhepunkt der zweiten katastrophalen Covid-Welle, anlässlich der Verkündigung eines harten "Hammer-Lockdowns" (Bild) wählten die beiden höchsten alpenländischen Krisenmanager, Bundeskanzler Kurz (ÖVP) und der Grüne Gesundheitsminister Anschober, ein besonders subtiles Understatement: Der Türkise Kurz erschien, mitten im grauen Wiener Nebelherbst, wohlgebräunt mit Solarium-Teint, und der Grüne Anschober plötzlich mit tiefschwarz gefärbten Haaren. Wer soll sich da in der politischen Farbenlehre noch auskennen mögen?
Dieses Stilmittel der politischen Untertreibung stand in konträrem Gegensatz zur Dramatik der "schwersten Pandemie seit 100 Jahren" (Anschober): "Höchste Infektionsrate der Welt – Spitäler kurz vor Kollaps" (oe24). Immerhin hatte Kurz damit gleich ganz "Österreich in Hausarrest" geschickt. Und auch Handelsvertreter waren sich einig: "Der harte Lockdown trifft uns wie eine Keule".
Dass die allermeisten Politiker "das weite Land" (ein Roman von Arthur Schnitzler) der Politik nicht nur aus altruistischen Gründen beackern, ist für viele Psychologen Teil ihres Kundenspektrums, für die sie allerlei sonderliche Diagnosen bereit stellen: Männlichkeits-Identitätskrise, Dorian-Gray- oder Peter-Pan-Komplex, Sehnsucht nach dem 4. Frühling hinter dem 3. Lockdown…
"Die Seele ist ein weites Land: So viel hat Platz in ihr." (Schnitzler)
Vielleicht aber wollte Anschober der Welt ein postmodern-österreichisches Gegenmodell – zu der aus Ungarn so erfolgreich in die mittlerweile verkommene "Insel der Seligen" (Papst Paul VI. über das Österreich der 60er Jahre) – hereingeschwappten Orbanisierung ("Wiener Bürgermeister "fordert strengere Gesetze") entgegenhalten.
Vielleicht aber war alles auch nur eine subtile, wenn auch kontraproduktive, Inszenierung mit dem Zaunpfahl, zweier leicht an-ge-gender-ter Vorzeige-Männer: Um endlich zu beweisen, dass sie die zentralen soft-feministischen Forderungen aus den 80er Jahren ("Neue Männer braucht das Land") endlich umgesetzt haben.
"Neue Männer braucht das Land." (die Feministin Ina Deter)
Leidet Anschober an einem Generations-Konflikt-Komplex gegenüber seinem "Sohn" Kurz? Solches Verhalten kann man auf jedem Elternsprechtag studieren: Durchfaltete, noch einmal auf jugendlich getrimmte Mamies nehmen im Doppel-Pack, als beste Freundinnen ihrer mitgebrachten Girli-Töchter, mit durchlöcherten Jeans, im Leder-Jacken-Outfit, oder Monster-Miniröcken, mit 100-Euro-Designer-Strümpfen, vor dem Lehrerpult Platz…
Oder war es nur die Angst vor den Konsequenzen des gerade vollmundig aus-trari-trara-ten Lockdowns? Der totalen Vereinsamung? "Treffen Sie niemanden! Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel!" (Bundeskanzler Kurz, Krone)
Dabei müsste doch ein solcher konventioneller Vorzeige-Grüner nun wirklich keine Furcht mehr davor haben, bei dem feministischen Geschlecht in Ungnade zu fallen: "Am Herd mit Rudi Anschober. Die Stunden am Herd vergehen wie im Flug." (Kurier) Denn nur bei den Grünen passt eben alles wie ein lässiges Potpourri zusammen: "Ich mag so Gegensätze." (Anschober) – Ist also "Zurück, hinter dem Herd" doch wieder das wahre Glück auf Erden?
Allerdings haben Feministinnen die Latte schon sehr, sehr hochgezogen: "Ich such' den schönsten Mann im Land. Er muss nett sein, auch im Bett." (Ina Deter)
Als alter, weißer, weiser Mann muss man freilich im Alter Alters-Nachsicht üben: Denn immerhin hat sich Anschober auch nur gegen ein einziges der alten 68er-Tabus versündigt ("Nur Kinder, Kirche, Küche": ein radikal-feministisches Theaterstück aus den späten Siebziger Jahren). Ansonsten hält er sich brav an grüne Klischees: Bewohnt er als grüner Koch doch konsequent ein "einsam gelegenes Haus", idyllisch, und "zusammen mit seiner Partnerin Petra, mit Hund und ein paar Katzen", "unweit davon (mit) großartigen Blick hinunter auf das riesige Industriegelände der Voest, für deren Kontrolle er früher zuständig war." (Kurier)
Gerade aber im Vor-Pensionisten-Alter übermannt einen dann doch auch eine hartnäckige "Torschlusspanik"… Als Sedativum dazu empfehle ich die Alterslektüre des bekanntesten deutschen Vorzeige-Mönchs: "Die hohe Kunst des Älterwerdens" mit folgenden Tipps: "Aussöhnen mit der Vergangenheit – Annehmen der eigenen Grenzen – Mit der Einsamkeit umgehen lernen – Loslassen des Besitzes, der Gesundheit, des Ego, der Beziehungen, der Sexualität, der Macht."
Oder sind es gerade Grüne Geschlechter-Rollen-Umwandler, die am allermeisten Angst vor der Realisierung eines – jahrzehntelang beschworenen – vorhistorischen Urzustands haben: des Matriarchats? Nicht auszudenken: Könnten dann vielleicht sogar männliche Prostituierte durch die Gassen getrieben werden: "Notfalls würd' ich eine-N kaufen. Große Chancen haben Hünen." (I. Deter) Um mit unterschwellig-freud´scher Kastrationsangst gefügig gehalten zu werden? "Ich komm auch nicht mit der Schere." (I. Deter)
Kündigt sich wieder eine Art grüne Macho-Revival-Götterdämmerung an? "Österreichs Grüne – Das Ende einer linken Kader-Gerontokratie" (Forster) Darüber zeigen sich mittlerweile nicht nur Grün-Link_innen entsetzt: "Und ich kämpfe dagegen an, dass Frauen (erneut) von Männern zu deren Gunsten entmachtet werden." (die Grüne Gemeinderätin Spielmann zur Abwahl der Ex-Wiener Spitzenkandidatin Hebein) Aber auch krypto-linke Bobo-Journalisten schreiben sich in Rage: "Basisdemokratisch! Feministisch! Solidarisch! Diese Prinzipien tragen die Grünen vor sich her. Gegen so gut wie alle ihre angeblichen Ideale haben die Grünen in Wien soeben grob verstoßen." (DiePresse: "Gerechtigkeit für Birgit Hebein").
Obwohl auch das letztlich egal ist: Wenn Grüne, aber mittlerweile in die Jahre gekommene, Vorzeige-Feministinnen nicht einmal mehr ihre Finger von virtuellen Photoshop-Schönheits-Operationen lassen können: Um sich hängende Hautpartien weg zu retuschieren…
So bleibt nur mehr eine resignative Frage: Warum bin ich nur kein_e Grönemeyer_in geworden? "Diesen ungelenken Pop-Poeten, der so herrlich sympathisch mit seinen Sneakern über den Bühnensteg rennt. Dabei gespielt lasziv mit dem Po wackelt und selbstironisch grinst ob der entzückten Damenschreie." (merkur)
Doch weil es bisher keine Neuen Männer und auch keine Neuen Weiber gibt, wird es auch keinen Neuen Menschen geben. Was uns also Anschober (mit seinen schwarz gefärbten Haaren) und Hebein (mit ihren weg retuschierten hängenden Hautpartien) sagen wollen:
"O weh, wohin entschwanden alle meine Jahre! Ist mir mein Leben nur ein Traum, oder ist es wahr? Wovon ich je geglaubt habe, es wäre etwas gewesen: War es das nun wirklich?... Wie bemitleidenswert sich doch junge Leute benehmen!" (Walter von der Vogelweide 1170 – 1230)
Denn jetzt muss der softe Grüne Vorzeigemann Anschober eine Jahrhundert-Gesundheits-krise aussitzen… In der wieder richtige, alte, weiße Männer gefragt sind – Und keine Heulsus_innen Conchitas, weil wegen Corona ein Konzert abgesagt werden musste…
"Wann ist der Mann ein Mann?" (H. Grönemeyer)
"Männer geben Geborgenheit. Männer weinen heimlich… Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich. Männer haben's schwer, nehmen's leicht. Außen hart und innen ganz weich. Männer haben Muskeln. Männer sind furchtbar stark. Männer kriegen 'n Herzinfarkt. Männer sind einsame Streiter. Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter. Männer kriegen keine Kinder. Männer kriegen dünnes Haar. Männer sind auch Menschen." (Grönemeyer)
Grönemeyer hat übrigens seine Frage "Wann ist der Mann ein Mann?" ("Männer") selbst beantwortet: Als er mit einem letzten Rest von Alters-Testosteron im Blut auf einen lästigen Paparazzi-Fotografen einschlug. Deshalb mein Ratschlag an alle gealterten Gutmenschen: Ein bisschen Kontemplation in die Literatur würde euch allen gut tun.
"Wir versuchen wohl, Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches ... Das Natürliche ... ist das Chaos. Ja, mein guter Hofreiter, die Seele ... ist ein weites Land." (Schnitzler: "Das weite Land")
Dr. Elmar Forster ist Lehrer und lebt(e) seit 1992 als Auslandsösterreicher in Ungarn, Prag, Bratislava, Polen, Siebenbürgen (Rumänien). Seit 2009 unterrichtet er auch wieder an österreichischen Schulen.