Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Diese Erfahrung machten Generationen vor uns. Wie viele Entdeckungen und Erfindungen verdankten unsere Vorfahren und auch noch unsere Generationen kriegerischen Auseinandersetzungen! Nicht nur bei Waffen, sondern auch bei so manchen simplen Geräten des Alltags. Oft aus den Nöten einer Mangelwirtschaft entstanden, erwiesen sie sich auch in Friedenszeiten als durchaus brauchbar und nützlich.
In der Medizin, in der Pharmazie und der Gesundheitsvorsorge wurde etliches erst durch das tragische Schicksal vieler Kriegsopfer bewegt. Wahrscheinlich wäre ich als Kind ohne den Zweiten Weltkrieg nicht gegen Scharlach, Diphterie und Masern geimpft worden. (Heute weiß man längst, dass es gegen Scharlach keine Impfung geben kann, weil diese Krankheit durch eine bakterielle Infektion ausgelöst wird.)
Ich will damit sagen, dass Kriege auch außerhalb der Schlachtfelder und Kriegskanzleien Menschen zu vermehrtem Nachdenken, Umdenken und neuen Erkenntnissen bringen.
Und jetzt zur Corona-Pandemie. Die negativen Folgen erleben wir tagtäglich. Sie sind hinlänglich bekannt.
Was hat uns dieses Virus aber noch gebracht? Er hat uns vor allem einmal die Augen geöffnet. Für manches, über das wir vor Corona nicht im Entferntesten auch nur eine Minute nachgedacht haben.
Natürlich haben wir uns über die niedrigen Preise von Schnitzelfleisch gefreut. Wir waren glücklich, dass Spargel längst kein Luxusessen einer privilegierten Oberschicht mehr war, sondern im Supermarkt preisgünstig in Massen angeboten wird.
Haben wir uns jemals gefragt, wieso Fleisch und Spargel, aber auch die Erdbeeren oder Kartoffel (derzeit aktuell in einem Superangebot zu 34 Cent das Kilo!) so billig sind?
Nein, aber Corona hat uns die Antworten geliefert. Erst durch Masseninfektionsherde (der Gesundheitsminister nennt das "Cluster") in Unterkünften der zumeist aus Osteuropa stammenden Erntehelfer ist unser Mitgefühl für diese Menschen erwacht. Skandal! Riefen plötzlich alle, Politiker, Interessensverbände und Konsumenten gemeinsam.
Diese Arbeitsverhältnisse wurden aber vor Corona vor niemandem geheim gehalten. Es brauchte keine Whistleblower. Man hätte nur einmal die Augen aufmachen und das Hirn einschalten brauchen, um zu erkennen, dass da vieles nicht so sein kann, wie wir es gerne hätten.
Ärztekongresse wurden als die ersten Verbreiter (heute sagt man "Spreader") des Virus genannt. Skifahren plus ein Referat und dann Après-Ski ... Ein Skandal! Schallte es im Land. Als ob vor Corona kein Mensch gewusst hätte, wie sich viele dieser Ansammlungen von Ärzten, aber auch anderer Wissenschafter in der Realität abspielen.
Jetzt wissen wir es, und das gründlich. Auch nach Corona wird es aus sein, mit Kongressen für zigtausend Teilnehmer mit viel Sightseeing und Verbindung mit Urlaub.
Corona hat uns beigebracht, die moderne Kommunikation zu nutzen. Auf einmal fliegen die EU-Minister und Regierungschefs nicht zu Besprechungen nach Brüssel. Nein, jeder bleibt in seinem Büro daheim und zoomt. Vor Corona haben sie gar nicht gewusst, dass es Zoom gibt, und wozu das gut ist. Große Unternehmen zwingen ihre leitenden Angestellten ebenfalls zu Videokonferenzen statt teurer Flugreisen – und daran wird sich nach Corona nicht viel ändern.
Flugreisen werden generell auch beim Urlauber, der vor Corona gewöhnt war, mindestens einmal im Winter kostengünstigst nach Thailand zu jetten, nicht mehr eine überlebensnotwendige Priorität haben – auch zum Leidwesen der vom Staat wegen Corona mit hunderten Millionen unterstützten Fluggesellschaften.
Haben wir wirklich erst Corona erleben müssen, um zu einem Umdenken zu kommen?
Auf einmal sinken trotz vieler Rabatte die Verkaufszahlen der Autohändler. Haben immer mehr Menschen erkannt, dass es keine Notwendigkeit ist, alle drei, vier Jahre ein neues Auto zu kaufen? Nicht nur generelle Lockdowns bringen die Konsumenten zur Einsicht, dass man Kleidungsstücke auch länger als nur eine Saison tragen kann.
Die Manager des Gesundheitszentrums Bad Tatzmannsdorf haben sich schon vor Corona ein neues Leitmotiv gegeben: "Reduce". Damit wollten sie nicht zu Abmagerungskuren einladen, sondern die Kurgäste zu einer Konzentration auf das Wesentliche, das Notwendige erziehen.Wäre doch nicht schlecht, wenn Corona dieses Umdenken unterstützt ...
Corona hat unser Bewusstsein aber auch für Unmenschliches im Bereich der Tierhaltung geöffnet. Jetzt mal ehrlich, wer von uns hat auch nur geahnt, dass in Dänemark Millionen Nerze zur Zucht und zum Verkauf an international tätige Großpelzhändler in winzigen Käfigen gehalten werden? Corona hat das jetzt zwar auf mehr als grausame Art und Weise beendet – aber hoffentlich für immer!
Und noch eines hat das Coronavirus in unserer Gesellschaft, in unserem gemeinschaftlichen Zusammenleben leider sichtbar gemacht: Das viel gepredigte "Gemeinsam" erlebt sehr rasch sein Ende, wenn es dem einzelnen zu nahe kommt. Zu viele sind mit einem "Nobody tells me what to do!" groß geworden. Diese Leute haben jetzt ein Riesenproblem mit Epidemieverordnungen und -gesetzen. Der deutsche Botschafter in Wien hat es unlängst in einem Gastkommentar trefflich erkannt. Wenn die österreichische Regierung einschränkende Maßnahmen verkündet, dann schaut der Österreicher sofort, wie man das umgehen kann.
Da können noch zig weitere Lockdowns drohen, es gibt noch immer genug Menschen, denen die Maskenpflicht, das Abstandhalten bei Treffen und Gesprächen auf der Straße wurscht ist. Leider.
Vielleicht ein Kollateraleffekt des Virus – dass man seine Mitbürger jetzt, in der Pandemie besser kennenlernt als in der von der Regierung erhofften "Normalität" ...
Zum Schluss noch eine nachdenkliche, eher heitere und nicht ganz so ernst zu nehmende Betrachtung mancher Maßnahmen der Regierung. Was sind Dinge des täglichen Bedarfs, beziehungsweise dringende Bedürfnisse? Also jedenfalls Waffen – denn die Waffengeschäfte dürfen offen bleiben. Ebenso der Wein, weil auch Weinhandlungen verkaufen dürfen. Nicht aber Kaffee (und das in Wien, der Hauptstadt der Kaffeehäuser), denn die Kaffeegeschäfte bleiben zu. Eine 45 Minuten dauernde Heilmassage kann ich mir geben lassen; aber im Friseursalon darf ich mir, auch wenn ich dort alleine sitze, meine Haare nicht einmal eine Viertelstunde lang schneiden lassen.
Der Elektriker darf zwar zu mir in die Wohnung kommen, um eine kaputte Glühbirne zu tauschen. Er darf mir eine neue aber nicht in seinem Geschäft verkaufen ...
Aber, es wird schon alles seinen Sinn haben.
Dr. Günter Frühwirth, Jahrgang 1941, lebt in Wien und ist Jurist mit aktivem Interesse an Themen der Gesellschaftspolitik.