Neulich, nachmittags, in einem Kaffeehaus einer westösterreichischen Metropole. Der Autor bestellt sich einen Kaffee und lässt sich – trotz Gender-Pay-Gaps – von seiner Frau darauf einladen und ihn sich von einer jungen Dame servieren. Plötzlich fällt ihm auf, dass er der einzige Mann in dem Kaffeehaus ist. Was natürlich nicht ganz stimmt, aber eine kurze Zählung ergibt ein Verhältnis von 10:1 zugunsten der Frauen. Eine weitere Beobachtung: Außer ihm und seiner Frau befinden sich (mit Ausnahme des zu 83 Prozent weiblichen Personals) ausschließlich Personen im Kaffeehaus, die augenscheinlich über 75 Jahre alt sind. Das mag jetzt am Nachmittag eines gewöhnlichen Werktags in Anbetracht der Lokalität nicht besonders überraschend sein, ist aber nichtsdestotrotz aufschlussreich.
Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen beträgt in Österreich aktuell 4,72 Jahre. Das entspricht 5,6 Prozent der Lebenserwartung von Frauen respektive 6 Prozent der Lebenserwartung von Männern. Ein "Gap", der sich in den letzten Jahren gerade einmal um 8 Monate verkleinert hat, also – bei gleichbleibender Entwicklung – bis etwa 2090 ausgeglichen sein wird. Wobei Prognosen auch für die kommenden Jahre von einem gleichbleibenden Gap ausgehen, der nur aufgrund der allgemein leicht ansteigenden Lebenserwartung minimal schrumpft. Die Jahre bleiben.
Es handelt sich dabei übrigens nicht nur um ein Problem unserer Breiten. Der Gender Lifespan-Gap zieht sich durch alle Kulturen und Kontinente (und Spezies – auch Menschenaffen weisen eine geschlechtsabhängige durchschnittliche Lebenserwartung auf).
Jetzt könnte man natürlich ins Feld führen, dass Männer aufgrund unvernünftiger persönlicher Entscheidungen (höheres Risikoverhalten, seltenere Arztbesuche, schlechtere Ernährung, …) ja selbst für die geringere Lebenserwartung verantwortlich seien (die im Schnitt wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen von Männern führe ich nur am Rande an). Und dem würde ich nicht widersprechen. Ich würde sogar so weit gehen anzunehmen, dass ein "bereinigter" Gender-Lifespan-Gap gegen Null tendiert. Über die Ursachen bzw. deren Mischverhältnis – ob biologisch oder sozialisiert - kann man gerne diskutieren, wobei die Menschenaffen ein Indiz für einen hohen Anteil biologischer Einflüsse sind. Tatsache ist aber, dass es Unterschiede gibt und dass diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausschließlich auf unsere Sozialisation zurückzuführen sind.
Worauf ich hinaus will: Hier finden massive Transferleistungen statt, die in keiner Berechnung des Gender-Pay-Gaps einfließen. Längere Pensionszahlungen (bei gleichzeitig früherer Pensionierung), Witwenpensionen, hohe Kosten für Gesundheitsversorgung und Pflege.
Ich plädiere keineswegs dafür, irgendjemandem die Pension wegzunehmen oder die Gesundheitsleistungen zu kürzen. Es wäre nur interessant von Verfechtern des Gender-Pay-Gaps und den Gender-Pensions-Gaps und all der anderen Gaps zu hören, warum der Gender-Lifespan-Gap in ihrer Argumentation keinerlei Erwähnung findet.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/18642/umfrage/lebenserwartung-in oesterreich/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/273406/umfrage/entwicklung-der lebenserwartung-bei-geburt--in-deutschland-nach-geschlecht/
https://www.researchgate.net/figure/Gender-gap-in-life-expectancy-across-54-countries_fig1_263777617
https://time.com/5538099/why-do-women-live-longer-than-men/
https://www.welt.de/gesundheit/article143639836/Zwei-Faktoren-lassen-Maenner frueher-sterben.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension 1/toedliche-arbeitsunfaelle.html
https://www.focus.de/finanzen/versicherungen/krankenversicherung/gesundheitskosten die-letzten-jahre-sind-die-teuersten_aid_322460.html
Johannes Wohlgemuth ist Softwareentwickler.