Der türkische Präsident Erdogan ist vielbeschäftigt. Ironisch könnte man sagen, der Weltgeist habe ihm mehrere Großaufträge ins Haus geschickt: Warum nicht soll eine neoosmanische Türkei oder etwas Vergleichbares in naher und ferner Zukunft möglich sein? An welche Analogie wäre zu denken? An eine ideologische Führerrolle beispielsweise in der Agenda des Dschihad in Europa? Nicht die Mullahs zu Teheran, auch nicht die vielen Prinzen auf der saudiarabischen Halbinsel wären dazu berufen, sondern allein und einzig der oberste Muslimbruder zu Ankara?
Den "originalen" Muslimbrüdern, etwa in Ägypten, wäre dies wohl nur recht. Hält ein treuer islamischer Türke (im Clash of civilizations) den Kopf hin, kann dies nicht gegen Allahs allmächtigen Willen sein. Der Tapferste der Tapferen muss endlich den Kampf gegen Europas "Islamophobie" aufnehmen: erraten, mitten in Europa.
Weiters muss der Vielbeschäftigte in der Konkursmasse des zerstörten Syriens fündig werden. Und wenn dort, warum nicht auch in Teilen des Iraks, in Katar, vielleicht im Jemen, im Sudan und so fort? Seine Erfolge in Libyen sprechen für sich: Muslimbrüderfreundliche Regime in Tripolis können nicht unnützlich sein.
Und die Heimholung von Karabach ins kommende Reich der Mitte zwischen Europa und Asien? Warum ist diese nicht längst schon versucht worden? Weil man auf die Erscheinung des Erwählten noch warten musste? Oder weil Putins Wille erst jetzt willig wird?
Und das leidige, ewig unentschiedene EU-Europa? Soll sich die neue Türkei das System von Zuckerbrot und Peitsche auf immer gefallen lassen? Im Talon hat der Vielbeschäftigte zwei Karten: Millionen Moslems in Europa, die seiner begnadeten Ehre vertrauen und folgen; und Millionen Flüchtlinge von Pakistan bis Syrien und Afrika, die seiner Transportbusse und "unbekannten" Schlepperbanden harren.
Merkel-Deutschland steht somit in seinem Visier unter Dauer-Präzisions-Beobachtung, denn der "Austausch-Vertrag" zwischen aufzunehmenden und abzuschiebenden "Flüchtlingen", über dessen Funktionieren wohl nur der NGO-Agent Knaus aus Österreich optimistische Auskünfte zu erteilen weiß, kann jederzeit auf den Tisch geknallt werden.
Nächste Agenda: die Ägäis-Verträge von Lausanne und anderen illustren europäischen Orten. Griechenland erhielt mit der Herrschaft über die allermeisten Inseln ein Zugleich-Recht über die Sockelgebiete unter und weit um seine Inseln. Großzügige Wirtschaftszonen wurden den Griechen zugebilligt, gewiss auch als eine Art europäischer (Spät-)Wiedergutmachung für die Leiden und Einbußen, die das Imperium der Sultane und Wesire dem verehrten Griechenland ("Wiege der Kultur und Demokratie Europas") durch bittere Jahrhunderte zugefügt hatte.
Jetzt sitzt die Türkei dank undankbarer Verträge auf dem Trockenen endlos langer Küsten, und nur zwischen den Fingern erblickt sie Inseln, die sie am liebsten schon morgen in Besitz nehmen möchte. Immerhin: ein Teil Zyperns wurde gekapert und ins künftige Großreich heimgeführt.
Aber Erdogan muss auch für seine Nato-Mitgliedschaft irgendeine höhere Botschaft empfangen haben. Soll er weiterhin mit den USA, dem Großteufel des Kleinteufels Israel paktieren? Kann dies Allahs und des Propheten heiliger Wille sein? Was flüstern ihm seine Berater, wie stellt sich seine (innenpolitische) Parteiraison zu dieser Frage?
Das machtpolitische Denken des Erwählten in Ankara auch in diesem Punkt dürfte einfach und durchschaubar sein. Wenn der Austritt aus der NATO (ein halber EU-Klub) unvermeidlich wird, dann muss dieser als Erfolg der Fortschrittspartei, als Erfolg der neuen Türkei über die Bühne gehen. Wie dies geschehen könnte, weiß der Berufene allein, aber dies ist auch sein Nachteil: In keinem Moment der Weltgeschichte wissen deren Mächtige, ob sie ihre Rechnungen wirklich mit denen des obersten Wirtes Weltgeschichte akkordiert haben.
Dies gibt den machtlosen Adabeis der Geschichte, die oft nicht wissen, auf welchem Altar ihre Opferung geschehen wird, die bekannte Hoffnung ein: Irgendwann ist noch jeder Mächtige gefallen und geplumpst.
Auf das Zerfallsdatum der heutigen Türkei lassen sich Wetten abschließen, sagen die einen: Warum nicht auch auf das künftige glorreiche Erfolgsdatum? Wer wird zuerst und triumphal in Israel einmarschieren? Der Herr des Palastes zu Ankara oder die Mullahs zu Teheran, die nun schon seit 1979 planen und prophezeien, prophezeien und planen?
Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.