Pensionssystem: Am Ende der Fahnenstange

Der vielgepriesene österreichische Wohlfahrtstaat gerät derzeit an gleich mehreren Fronten unter Druck. Doch während die einschlägigen Auswirkungen der Covid-19-Seuche täglich für Schlagzeilen gut sind – immerhin reduzieren sich im Gefolge der von der Regierung ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen die Staatseinnahmen erheblich, während zugleich die Einkommensersatzzahlungen drastisch zunehmen –, findet eine andere besorgniserregende Tendenz erstaunlich wenig Beachtung. Diese seit vielen Jahren negative Entwicklung betrifft das Pensionssystem.

Obwohl zahlreiche Pensionsexperten, Versicherungsmathematiker und Ökonomen seit Jahren davor warnen, die ungünstige Entwicklung der Altersstruktur im Lande zu ignorieren, gibt es bis heute keine wirksame Strategie zur nachhaltigen Sicherung künftiger Pensionsleistungen. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, mit welchem Fatalismus die Jungen dabei zusehen, wie die Senioren ihre Zukunftsvorsorge verfrühstücken. Dass die Politik sich nur um die Alten sorgt – schließlich liefern ihre Stimmen in einer rapide vergreisenden Gesellschaft solide Mehrheiten gegen die Interessen der künftigen Beitragszahler –, ist kein Wunder. Dass die Jüngeren sich das widerspruchslos gefallen lassen, indes schon.

Wie die Agenda Austria in einer ihrer jüngst publizierten Prognosen vorrechnet, steigt der Bundeszuschuss zu den Pensionen ebenso unaufhaltsam wie dramatisch. Lag dieser Wert vor 40 Jahren noch bei vier Milliarden Euro, wird er sich nach der vorliegenden Schätzung bis Ende dieses Jahres versechsfachen und auf 24 Milliarden ansteigen.

Das sollte auch niemanden überraschen, denn ein umlagebasiertes Pensionsfinanzierungssystem kommt rasch an seine Grenzen, wenn die Balance zwischen Einzahlern und Beziehern verloren geht. Spät in den Arbeitsprozess einzutreten, recht früh den Ruhestand anzutreten und anschließend jahrzehntelang Pensionszahlungen zu beziehen, kann nur gutgehen, wenn das Geld vom Himmel fällt (oder nach Belieben gedruckt wird). Der zunehmenden Lebenserwartung muss also endlich Rechnung getragen werden, wobei die Politik über genau drei "Stellschrauben" verfügt: Das Pensionsantrittsalter (und damit die Bezugsdauer), die Höhe der Pensionen und die Höhe der Beiträge der Aktiven.

Die Pensionshöhe ist, sofern es sich nicht um Beamten- oder Politikerpensionen handelt, eher unflexibel, da hier nicht viel Luft nach unten ist, wenn Altersarmut vermieden werden soll. Die Beiträge der Aktiven noch weiter zu erhöhen, würde sich augenblicklich negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken (Stichwort Lohnnebenkosten), was speziell in Krisenzeiten wie jetzt, wo ohnehin viele Arbeitsplätze dauerhaft verlorengehen, einem Schuss ins eigene Knie gleichkäme. Bleibt das Pensionsantrittsalter, das in Österreich im internationalen Vergleich recht niedrig liegt. Dénes Kucsera von der Agenda Austria: "Derzeit zahlen die Bürger im Schnitt weniger als 32 Jahre ein und sind dann mehr als 20 Jahre in Pension."

Es liegt auf der Hand, dass das nicht gutgehen kann, wenn zugleich immer weniger Personen Beiträge einzahlen. Es ist eine eklatante Schwäche der wohlfahrtsstaatlichen Demokratie, dass der erste, der dieses heiße Eisen anpackt, befürchten muss, dafür bei der nächsten Wahl vernichtend abgestraft zu werden. Dieser Umstand erklärt die Untätigkeit der politischen Verantwortungsträger und die Reformresistenz des Wohlfahrtsstaats.

Da das Problem zu ignorieren aber keine Option ist, und den Betrieben zudem Facharbeitskräfte fehlen, sind dringend Anreize für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben zu schaffen und spürbare Abschläge im Falle eines frühen Pensionsantritts einzuführen, um die Balance zwischen Ein- und Auszahlungen wiederherzustellen. Ohne flankierende Maßnahmen seitens der Arbeitszeit- und Lohngesetzgebung (Stichworte Senioritätsprinzip bei den Löhnen und strukturkonservierende Kollektivverträge) wird das indes nicht funktionieren.

Es bedarf also eines umfassenden und die gesamte Arbeitswelt umfassenden Maßnahmenpakets. Denn die Pensionen unbegrenzt aus dem Budget zu bezuschussen, heißt, den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung massiv einzuschränken. Wenn es so weitergeht wie bisher, kann man sich heute schon den Tag ausrechnen, ab dem sämtliche Steuereinnahmen in die Pensionszahlungen fließen werden.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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