Nein, Herr Bundeskanzler, die nun verkündete Pensionserhöhung ist keine "Frage der Gerechtigkeit", wie Sie behaupten. Sie ist vielmehr eine Sache der Ungerechtigkeit, des Populismus, der Anbiederung, des Wien-Wahlkampfes, der Verantwortungslosigkeit. Sie zeigt das Einknicken der ÖVP als letzte Partei, die lange den Mut hatte, im Interesse der finanziellen Stabilität und ökonomischen Nachhaltigkeit der Republik auch gegen den Demagogie-Sturm aller anderen Parteien für Notwendiges, aber kurzfristig Unpopuläres einzutreten. Sie zeigt, dass in Österreich jedes Gerede von Zukunftsorientierung reine Heuchelei geworden ist.
Es mag schon sein, dass es die Grünen waren, die regierungsintern durchgesetzt haben, dass im kommenden Jahr die Mindestpensionen um 3,5 Prozent, also um mehr als doppelt so viel wie die Inflationsrate erhöht werden, und dass die Ausgleichszulage künftig monatlich 1000 Euro ausmacht. So brüsten sich die Grünen zumindest.
Es ist aber nicht einmal ein Hauch von schwarzem Widerstand gegen eine so exorbitante Geldverschwendung und Ungerechtigkeit zu spüren gewesen. Dieses Verhalten steht im Gegensatz selbst zu den düsteren Zeiten der Großen Koalition, wo die ÖVP zumindest eine Zeitlang intensiv gegen den SPÖ-Populismus gerungen und ihn etwas eingebremst hat. Und noch viel mehr im Gegensatz zu den beiden bisherigen schwarz-blauen Perioden, wo die finanzielle Stabilität dieses Landes mehr im Zentrum gestanden ist als jemals sonst im letzten halben Jahrhundert.
Allerdings fällt schon auf, dass vor dem Einzug von Sebastian Kurz ins Kanzleramt die Pensionserhöhungen meist immer für alle gleich gewesen sind und der Inflationsrate entsprochen haben. Seither findet hingegen alljährlich eine krass ungleiche Erhöhung der einzelnen Pensionen statt.
Dennoch behauptet Kurz, diese exorbitante Erhöhung der Mindestpensionen, die nicht einmal mehr bei den stets zur extremen Lizitation neigenden Pensionistenvereinen oder Sozialdemokraten den Ruf nach einem "Noch Mehr!" auslöst, sei eine Frage der Gerechtigkeit. Er übertrifft damit seinen eigenen schweren Fehler nach Ausbruch der Corona-Krise, dass jedes Verlangen nach finanzieller Entschädigung für Krisenkosten befriedigt werde, "koste es, was es wolle".
Kurz hatte damit den absurden Eindruck erweckt, alle Österreicher können eine so schwere Krise ökonomisch und finanziell unbeschadet überstehen. Damit hat er die Fiktion regierungsoffiziell gemacht, Geld wäre eine unendlich verfügbare Ressource und Haushalts-Disziplin wäre nur eine Schmähführ-Disziplin. Allein dieser gravierende Fehler wird in Österreich noch viel Heulen und Zähneknirschen verursachen.
Dazu kommt jetzt also noch katastrophenverschärfend der unerwartete Dukatensegen über alle Mindestpensionisten.
Im Grund findet mit der Ausschüttung dieses Füllhorns Ähnliches statt wie schon zweimal vor Nationalratswahlen. Am übelsten war das 2008 durch Hauptschuld eines Werner Faymann, als das Parlament milliardentief in die Steuerkasse gegriffen hatte, um Bestechungsgeschenke an einzelne Wählergruppen zu verteilen.
Jetzt wird leichtfertigerweise vor Wiener Gemeinderatswahlen wieder geschüttet. Dabei sind diese Wahlen eigentlich ziemlich irrelevant. Gibt es doch nicht einmal mehr den Hauch eines Wettbewerbs um die Besetzung des Bürgermeisterpostens. Keine Partei außer der SPÖ erhebt Anspruch darauf. Die SPÖ hat die Wahl dank ORF, dank der reinen Rot-Orientierung von Pink und Grün, und dank vieler schwerer Fehler bei den drei Listen rechts der Mitte schon fix in der Tasche. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten steht sogar die Chance/Gefahr einer absoluten SPÖ-Mehrheit im Raume.
Das heißt aber auch: Es ist nicht einmal denkbar, dass die Wiener ÖVP irgendeinen echten politischen Nutzen vom Mitmachen beim Pensionspopulismus hat.
Kehren wir aber jenseits aller Wahltaktik zu der von Kurz behaupteten "Gerechtigkeit" zurück und zählen alle Gründe auf, warum DIESE Art einer Pensionserhöhung ungerecht und falsch ist:
- Die Erhöhung aller Pensionen bis 1000 Euro um 3,5 Prozent ist massiv ungerecht gegenüber den Arbeitern, die sich erst vor wenigen Tagen bei der jüngsten Kollektivvertragsrunde mit 1,45 Prozent – was in etwa der gemessenen Geldentwertung entspricht – begnügen mussten. Und auch das können viele angeschlagene Unternehmen nur mit Bauchweh stemmen.
- Diese Erhöhung ist ungerecht, weil sie noch stärker die Pensionshöhe von den geleisteten Beiträgen abkoppelt.
- Diese Erhöhung ist ungerecht, weil Pensionisten im Gegensatz zu Unternehmern und Arbeitnehmern in der Corona-Krise nicht um einen Arbeitsplatz bangen müssen und mussten.
- Diese Erhöhung ist ungerecht, weil Pensionisten auch im Lockdown keine finanziellen Einbußen errungen haben, während zeitweise fast zwei Millionen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit gewesen sind.
- Diese Erhöhung ist ungerecht, weil Pensionisten in der Krise im Schnitt sogar deutlich weniger Ausgaben hatten, weil Urlaubsreisen, Theater- und Gasthausbesuche flachgefallen sind, sodass ihre Sparguthaben deutlich angewachsen sind.
- Diese Erhöhung ist ungerecht, weil die strengen Corona-Maßnahmen vor allem mit Rücksicht auf die Pensionisten-Generationen getroffen worden sind, die ja weit eher schwere Erkrankungen haben, weshalb das Virus primär für sie bedrohlich war und ist, weshalb der Lockdown letztlich primär der Pensionisten wegen erfolgt ist.
- Diese Erhöhung ist ungerecht, weil Hunderttausende der nun bedachten Pensionisten gar nicht von der Mindestpension allein leben müssen, sondern weitere Einkunftsquellen haben, die etwa in weiteren anderen Pensionsansprüchen bestehen. Sie ist daher nicht zielgerichtet, sondern ungenau wie eine Gießkanne.
- Diese Erhöhung ist zusätzlich ungerecht, weil bei den höheren ASVG-Pensionen im Gegensatz zu den kleineren nicht einmal die Inflation abgegolten wird. Obwohl deren Bezieher die eigenen Pensionen versicherungsmathematisch zu einem weit höheren Prozentsatz durch Beiträge gedeckt haben, obwohl viele von ihnen sogar geglaubt haben, sich durch freiwillige(!) Höherzahlungen ans staatliche Pensionssystem die Höhe ihrer Pension absichern zu können. Zumindest in diesen Fällen stellt eine Erhöhung unter der Inflation durch einen bloßen Fixbetrag eigentlich eine Teilenteignung dar (was bei einem weniger linken Verfassungsgerichtshof, der sich bisher mehr an den Beamtenpensionen interessiert gezeigt hat, auch zu einer Aufhebung führen würde).
- Diese Erhöhung ist volkswirtschaftlich auch deshalb besonders dumm, weil rund 300.000 der Bezieher im Ausland leben (etwa jene, die ein paar Jahre in Österreich gearbeitet haben). Dadurch fällt sogar das immer schon falsche, aber bei Sozialisten aller Parteifarben beliebte Argument endgültig flach, dass damit die österreichische Wirtschaft angekurbelt würde.
- Diese Erhöhung ist volkswirtschaftlich auch deshalb dumm, weil dadurch an alle Generationen die Botschaft ausgeschickt wird: "Ihr braucht euch eh nicht darum zu kümmern, durch beitragspflichtige Jobs für eure Pension vorzusorgen. Am Schluss ist immer die Politik da, die für ausreichende Pensionen sorgt, egal ob ihr im aktiven Leben viel eingezahlt habt."
- Diese Erhöhung ist volkswirtschaftlich auch deshalb dumm, weil nicht einmal versucht wird, auszurechnen und zu kommunizieren, welcher Prozentsatz der Pension welcher Gruppe überhaupt versicherungsmathematisch durch eigene Beiträge erwirtschaftet worden ist. Dabei ist sicher, dass dieser Prozentsatz bei den niedrigen Pensionen schon jetzt am geringsten war, und künftig noch geringer werden wird (wenn man die Beamtenpensionen ausklammert, die ja bis zur Schüssel-Reform ein eigener Privilegiencluster gewesen sind).
- Diese Erhöhung der kleineren Pensionen ist auch deshalb besonders ernüchternd, weil sie zeigt: Der Regierung ist noch immer nicht bewusst, was es heißt, dass wir (auch durch ihr Mitverschulden) in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit stecken und dass Österreich wohl das weitaus größte Budgetdefizit seiner Geschichte haben wird. Deshalb sollte eigentlich von allen Gruppen mit gutem Grund Zurückhaltung und Mäßigung zu erwarten sein. Was aber nun auch bei anderen Gruppen viel schwerer erreichbar sein wird.
- Diese Erhöhung ist volkswirtschaftlich auch deshalb besonders dumm, weil die Politik damit zeigt, dass sie es im Gegensatz zu Reformversuchen der Vergangenheit völlig aufgegeben hat, eine stärkere Relation der Pensionshöhe zur (ständig steigenden) Lebenserwartung herzustellen. Das würde nämlich realpolitisch nur gehen, wenn man es gleichzeitig mit populären Zuckerln verbindet. Jetzt hingegen werden Zuckerl verteilt, ohne dass es im Gegenzug auch nur den Versuch einer Reform gäbe.
- Diese Erhöhung der kleineren Pensionen ist auch deshalb besonders infam, weil Vizekanzler Kogler sie sogar offiziell damit begründet hat, dass sie zu zwei Drittel Frauen zugutekommt. Damit stellt sie eine gezielte Männerdiskriminierung dar. Noch dazu, da sie vielen jener Frauen zugutekommt, die besonders häufig ohnedies eine zweite Pension durch eine Witwenpension erhalten. Für die sie noch dazu nie einen Beitrag geleistet haben.
Diese weit über jeder Geldentwertung liegende Erhöhung der kleineren Pensionen ist auch deshalb besonders deprimierend, weil sie beweist, dass in der Regierung niemand mehr über die Lasten nachdenkt, die der jüngeren Generation immer schwerer aufgelastet werden. Und schon gar nicht darüber, wie ein nachhaltiges Pensionssystem eigentlich ausschauen müsste,
- das gerecht ist,
- das nachhaltig funktioniert,
- das den in jedem System wichtigen Faktor "Eigenverantwortung" betont
- und das aber auch eine soziale Mindestsicherung für alle jene darstellt, bei denen es im Alter knapp geworden ist. Das trifft besonders auf jene Frauen nach Scheidungen zu, die oft (schlecht beraten) auf Unterhalt und damit auch Pensionsansprüche verzichtet haben, nur damit sie einen grauslichen Mann loswerden oder nur damit sie sich rasch dem vermeintlichen neuen Glück zuwenden können.
Ohne sie hier länger ausführen zu können, die wichtigsten Stichworte einer sinnvollen Reform, die kurzfristig bei manchen nicht populär sein mögen, die aber langfristig als einziges funktionieren kann:
- Automatisches Splitting von Pensionsansprüchen;
- längere Anrechnung von Kindererziehungszeiten vor allem bei größerer Kinderzahl;
- Streichung aller Witwer/Witwen-Pensionen, wenn es nur ein oder kein Kind gibt;
- sofortige Streichung des ungleichen Frauen/Männer-Pensionsantrittsdatums;
- Versicherungsmathematische Errechnung aller Pensionsansprüche aus den einbezahlten Beiträgen, denen die Politik einen für alle gleichen Fixbetrag pro Kopf aus dem Budget zuschießen kann, sofern es keinen Grund gibt, der diesen Zuschuss verwirkt;
- automatische Anpassung des Pensionsantrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung – oder aber als alternative Strategie: Freigabe des Antrittszeitpunkts, sobald die eingezahlten Beiträge die Höhe der Mindestpension decken (und deren Bezieher KEINEN staatlichen Zuschuss zur Pension über das versicherungsmathematisch Errechnete hinaus bekommen (siehe Punkt 5));
- und Rückkehr zur Zahlung von Zinsen bei Geldanlagen, durch die ja viele Menschen für ihr Alter vermeintlich vorzusorgen geplant haben. Diese Rückkehr hängt zwar nicht direkt mit dem Pensionssystem zusammen, aber indirekt sehr mit der Lebensqualität im Alter und dem Respekt vor Eigenverantwortung. Sie bräuchte eine totale Kurswende der Europäischen Zentralbank, die seit Jahren eine brutale Umverteilung von den Sparern hin zu den Schuldenstaaten exekutiert.
Zurück zu Sebastian Kurz: Während er in Sachen Migration eindrucksvoll mutig und richtig, in Sachen Corona zumindest eindrucksvoll geradlinig, in Sachen Europa nur noch teilweise mutig und richtig, in vielem hingegen zu sehr angepasst und daher falsch unterwegs ist, hat er in Sachen Recht und Wirtschaft in keiner Weise Tritt gefasst. Und auch weit und breit niemanden um sich, der ihn da gut beraten würde. Schade.
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