Die Inszenierung des Nichts

Postmoderner Feminismus zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit verschiedener Phänomene aus: Die Konzentration auf Nebenkriegsschauplätze bei gleichzeitigem Verleugnen echter Probleme. Die Vernachlässigung der Mehrheit durch Aufmerksamkeitsverschiebung in Richtung neuer Minderheiten. Die Dekonstruktion natürlicher, zugunsten von inszenierter Weiblichkeit. Willkommen im intersektionalen Feminismus, eine Art Gender für Fortgeschrittene, bei dem mehrere Diskriminierungspotenziale und -erfahrungen addiert werden, was in der Regel zu einer Steigerung des Opferstatus führt. Die antikapitalistische, postkolonialistische, antirassistische, junge, tierliebe, friedensbewegte, queervegane No-Border-Feministin findet also viele Gründe, den alten weißen Mann zu bekämpfen.

Man hasst ihn als Vertreter der männlichen Bevölkerung, Unterdrücker der Frauen und Hüter des patriarchalen Systems. Aber auch als Vertreter der weißen kolonialen Übermacht der Ersten Welt, die immer noch die Dritte Welt ausbeutet. Und natürlich auch als privilegierten Rassisten sowie als kapitalistischen Umweltsünder, der die Ressourcen der Erde ausbeutet und nicht zuletzt als Vertreter der Generation der Alten, die auf Kosten der Jungen lebt.

Heute gilt: Gefühl sticht Fakten, Frau sticht Mann, homo sticht hetero, schwarz sticht weiß, trans sticht alles. Galt persönliche Betroffenheit früher als   Befangenheit, ist sie jetzt gar das Topqualifikationsmerkmal für Quotenjobs und Studienplätze. Die Zukunft ist nicht weiblich. Das ist nur T-Shirt-Feminismus für Anfänger. Ich wage eher die Prognose, sie gehört der genderfluiden schwarzen Transfrau mit Sexismuserfahrung als Schlüsselkompetenz. Was zählt, ist nicht mehr Leistung, sondern die richtige Identität. Nicht mehr das Individuum, sondern die Zugehörigkeit zur richtigen Opfergruppe. Guten Tag, mein Name ist Kelle, ich habe transsilvanischen, aber völlig transfreien Migrationshintergrund, bin cis-weiblich und heterosexuell.

Kämpften ganze Generationen von Minderheiten früher noch dafür, "Gleiche unter Gleichen" sein zu dürfen und nicht wegen eines einzelnen Merkmals wie Hautfarbe, Geschlecht oder Sexualität als Mitglied der gleichberechtigten Menschheit herabgewürdigt zu werden, trägt man diese Merkmale heute wie eine Monstranz vor sich her, sammelt verschiedene Opferpotenziale und grenzt sich selbst sehr bewusst von der Mehrheit ab.

Was geht in Menschen vor, die in Berlin unbedingt auf einem Extrafriedhof für Lesben beerdigt werden wollen, weil sie bis in den Tod nur unter "ihresgleichen" ruhen mögen? Haben sie keine Eltern, Geschwister, Freunde, Kinder, die zu ihnen gehören? Geschlechtergerechtigkeit reicht als Politikum bis ins Jenseits. Wenn aber die Frage, mit wem ich dieselben sexuellen Vorlieben teile, bis in denTod mein alles bestimmendes Identitätsmerkmal ist als Mensch, dann ist das keine Gesellschaft auf dem Weg zu mehr Toleranz für das Anderssein, sondern eine, die nicht nur separate Liegeplätze auf Friedhöfen, sondern auch wieder separate Sitzplätze in Bussen anbieten wird. Die Denkweise ist dieselbe.

Wer in den eigenen Breitengraden keine ernsten Probleme hat, muss die Inszenierung des Nichts mit großer Disziplin und Ernsthaftigkeit vorantreiben, gerne flankiert mit Hysterie und Übertreibung. Und dann ist keine Forderung zu idiotisch, keine Lappalie zu klein und kein weibliches Gefühl zu irrelevant, um nicht ausgiebig diskutiert, beklagt und angeprangert zu werden. Wer keine existenziellen Probleme hat, kämpft dann eben für eine gendersensible Sprache ohne Mikroaggression, dafür mit ganz viel Sternchen, Wortschöpfungen und Verboten, oder für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für Damenbinden.

War der Online-#Aufschrei noch ein Aufwärmspielchen des hysterischen Netzfeminismus, werden bei #MeToo weltweit längst etablierte männliche Karrieren im Namen des Kampfes gegen Sexismus handstreichartig ruiniert. Wen interessiert schon die Wahrheit, wenn der Grad von Diskriminierungserfahrung heute in der Maßeinheit des persönlichen Beleidigtseins einer Frau gemessen wird? Und was ist überhaupt noch eine Frau, wenn im Zuge der "Trans-Weiblichkeit" jeder sich Frau nennen darf, der es unbedingt sein will?

Nichts bedroht die Errungenschaften der Emanzipation gerade mehr als das propagierte Märchen, Weiblichkeit sei nur eine dekonstruierbare, soziale Angewohnheit. Wie absurd ist es, unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch von einer Frauenbewegung zu sprechen, wenn man nicht ein einziges Merkmal ihrer Weiblichkeit als natürlich anerkennen will?

Immer wieder bemühen die Protagonisten und auch die "*innen" der Genderszene das Narrativ der angeblich irrationalen Angst, die Gendergegner vor der Veränderung der Gesellschaft hätten, so als gäbe es keine rationalen Gründe, sich gegen eine Idee zu wehren, die behauptet, wir könnten uns durch Gedankenkraft über unsere genetische Beschaffenheit erheben, und empfiehlt, ohne Beweis dieser durchaus steilen These dennoch die gesamte Politik freier Gesellschaften radikal nach diesem Denkmuster zu verändern. Es entbehrt zumindest nicht eines gewissen Humors, dass Menschen anderen Angst vorwerfen, die sich selbst gerade im "Panic-Room" ihrer Selbstbestätigungsblase verschanzt haben und auf alles schießen, was nach einer anderen Meinung aussieht.

Statistik diskriminiert jedoch nicht. Sie hält nur den Status quo fest, von dem aus das Denken überhaupt erst beginnen kann. Dass die Mehrheit der Weltbevölkerung also trotz eines unermüdlichen Genderaktivismus stoisch in der Heterosexualität verharrt, ist kein Akt der Diskriminierung und auch keine Mikroaggression, sondern erst einmal nüchterne Realität. Wer damit ein Problem hat, möge sich bitte zunächst beim Schicksal, beim Universum oder bei seinem persönlichen Gott beschweren, aber nicht bei seinen Mitmenschen.

Das Heilsversprechen der Befreiung aus den Schranken der angeblichen "Zwangsheteronormativität" und der Unterdrückung des derzeitigen Systems funktioniert sowieso nur unter Verzicht auf bisher anerkannte Wahrheiten, Werte, Moral, Ethik und die Prinzipien der freiheitlichen Demokratie. Denn wenn alles erlaubt ist, weil alles gleich sein muss – was darf dann noch verboten sein, warum überhaupt und durch wen? Wer hält das Monopol und die Definitionshoheit über die Normalität, wenn es nicht die gelebte Realität, nicht die Tradition, nicht die Naturwissenschaft, nicht die Religion und nicht einmal die Statistik mehr sein darf?

Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die große "Befreiung" des Menschen durch Gendergerechtigkeit in Wahrheit nichts mit Freiheit zu tun hat, sondern nur mit der Verschiebung von Machtverhältnissen, der Schaffung anderer Verbote und neu konstruierter Normen. Es wartet kein befreites Paradies hinter dem gendersensiblen Regenbogen, es wechseln nur die Aufseher, oder wollen wir besser sagen, die "Aufseher*innen"?

Das ist ein Extrakt aus dem Buch "Noch Normal? – Das lässt sich gendern!  Genderpolitik ist das Problem, nicht die Lösung" von Birgit Kelle (FBV Verlag). Kelle ist eine prominente deutsche Autorin, die schon mehrere Besteller verfasst hat.

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