Unsere österreichische Verfassungsgerichtsbarkeit ist anders geregelt als die der meisten demokratischen Staaten der Welt. Während in den meisten demokratischen Staaten der Welt Verfassungswidrigkeiten durch die zuständigen Gerichte sofort(!) sanktioniert werden, das heißt, dass in der Regel die verfassungswidrigen Akte prompt für ungültig erklärt werden, oft sogar ohne Antrag von außen von Amts wegen durch die Gerichte selbst, ist es in Österreich anders. Es gibt zwei wesentliche Verzögerungsmomente: Erstens braucht es den Antrag eines Betroffenen und zweitens ist der Termin einer Session des Verfassungsgerichtshofs abzuwarten.
Dem entspricht auch der Umstand, dass es bei unserem Verfassungsgerichtshof ein weiteres Defizit gibt, nämlich dass die Mehrzahl der Richter des Verfassungsgerichtshofs keine Berufsrichter des Gerichtshofs – wie in anderen Staaten – sind, sondern dass sie ihre Tätigkeit als Verfassungsrichter nur als Zweitberuf ausüben neben ihrem Hauptberuf wie rechtskundiger Hochschulprofessor, Verwaltungsbeamter oder Straf- bzw. Zivilrichter.
Jetzt in der Corona-Krisen-Situation sind alle diese Defizite sogar für die Allgemeinheit deutlich ans Tageslicht getreten. Vielsagend dafür ist eine allgemein kommunizierte Äußerung des Bundeskanzlers dazu (die hier nicht weiter qualifiziert werden soll), des Inhalts, dass die Entscheidungen zu den möglichen Verfassungsbrüchen bei den Corona-Schutzvorschriften erst ergehen werden, wenn diese Vorschriften schon längst außer Kraft getreten sind.
Da fragt man sich, welche Schutzfunktion da der Verfassungsgerichtshof hat, um die Bürger vor verfassungswidrigen Eingriffen der Behörden in ihre Grund- und Freiheitsrechte zu schützen, wenn Entscheidung erst "post festum" (nachträglich) erfolgen, wenn der Schaden schon eingetreten ist.
Und weiters erhebt sich die Frage, ob nicht da den regierenden Parteien überhaupt jede Möglichkeit eröffnet ist, sich unbeschränkte Machtbefugnisse rechtswidrig anzueignen. Da bliebe dann nur noch der Bundespräsident als Hüter der Verfassung. Aber wenn der – auch nicht so ideal in unserer Verfassungsrealität – mit den regierenden Parteien verbandelt ist …
Also wie steht es da eigentlich mit der Demokratie, das heißt mit den Volksrechten, in der Republik Österreich? Denn auch direkte Demokratie gibt es ja praktisch nur auf dem Papier …
Dr. jur. Peter F. Lang ist Richter und Diplomat gewesen.